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"Wie ernst werden überhaupt Wählerentscheidungen genommen?"

"Ich halte das für ein sehr merkwürdiges Demokratieverständnis", sagt die stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Gesine Lötzsch, über den gescheiterten Versuch der Linken eine rot-rot-grüne Regierung im Saarland zu bilden. Alle linken Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung ruhen jetzt in Brandenburg.

Gesine Lötzsch im Gespräch mit Silvia Engels | 12.10.2009
    Silvia Engels: In Brandenburg will heute die SPD von Ministerpräsident Matthias Platzeck entscheiden, mit wem sie Koalitionsverhandlungen führt. Zur Auswahl stehen der bisherige Koalitionspartner CDU, oder aber die Linkspartei. In Potsdam erwarten nicht wenige Beobachter ein rot-rotes Bündnis, nicht zuletzt, seitdem die linke Spitzenkandidatin Kerstin Kaiser gestern angekündigt hatte, nicht auf einem Ministeramt zu bestehen. Ihre frühere Stasi-Mitarbeit hatte nämlich in Teilen der SPD Widerstand entfacht.
    Mitregieren in Potsdam ist nach den Landtags- und Bundestagswahlen der letzten Woche zugleich die einzig verbleibende Möglichkeit für Die Linke, an einer Regierung beteiligt zu werden. In Thüringen hat es nämlich nicht mit dem rot-rot-grünen Bündnis geklappt und im Saarland auch nicht, wie wir seit gestern wissen. Dort haben sich die Grünen ja klar für ein Jamaika-Bündnis entschieden, also Schwarz-Gelb-Grün. Am Telefon ist die frisch wiedergewählte stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Gesine Lötzsch. Guten Morgen, Frau Lötzsch.

    Gesine Lötzsch: Guten Morgen.

    Engels: Schwimmen der Linken langsam die Felle davon?

    Lötzsch: Nein, das sehe ich nicht so. Entscheidend ist für uns, ob die Wählerinnen und Wähler Zustimmung zu unserer Politik äußern, und das ist sowohl im Saarland, in Thüringen, als auch jetzt in Brandenburg geschehen.

    Engels: Die Grünen im Saarland, um damit zu beginnen, haben gestern ausdrücklich betont, ihr Votum gegen Rot-Rot-Grün lag an der Entscheidung von Oskar Lafontaine, ins Saarland zurückzukommen. Man fürchtete einen Nebenministerpräsidenten Lafontaine. Was sagen Sie dazu?

    Lötzsch: Ich halte das für ein sehr merkwürdiges Demokratieverständnis. Oskar Lafontaine ist als Spitzenkandidat in den Wahlkampf gezogen, die Bürger im Saarland haben ihm ein großes Vertrauen entgegengebracht, viermal so viele Stimmen wie die Grünen hat er erreicht und viele im Saarland hätten sich sicher gefragt, wenn er dem Saarland völlig den Rücken kehrt, warum ist er zur Wahl angetreten. Außerdem muss man hier ganz klar sagen: Oskar Lafontaine bleibt Vorsitzender der Partei Die Linke, er behält sein Bundestagsmandat und er hat von vornherein erklärt, dass er nicht unter einem Ministerpräsidenten Maas in eine Regierung gehen würde. Er ist gewählt worden als Fraktionsvorsitzender und er hat selbstverständlich auch eine Verantwortung für das Saarland, wo er mit so vielen Wählerstimmen ausgestattet wurde. Also die Frage ist: Wie ernst werden überhaupt Wählerentscheidungen genommen, oder geht es nur um eine Kungelei innerhalb des politischen Systems, innerhalb der politischen Klasse? Und das ist für uns nicht akzeptabel.

    Engels: Nun hat Oskar Lafontaine aber auch gewusst, dass gerade er als Reizfigur von den Grünen im Saarland abgelehnt wird. Ein Verzicht dort hätte vielleicht der Linken geholfen, an der Saar mitzuregieren. War es also klug von Oskar Lafontaine?

    Lötzsch: Oskar Lafontaine hat ganz klar erklärt, dass er nicht in die Regierung gehen würde. Da wurde ja auch vorher viel spekuliert, würde er als stellvertretender Regierungschef vielleicht dann den Ministerpräsidenten von der SPD nicht richtig zum Zuge kommen lassen. Aber noch einmal: er hat das Vertrauen der Wähler und das ist das Entscheidende in einer Demokratie und darüber kann sich auch eine kleine Partei wie die Grünen im Saarland nicht hinwegsetzen.
    Zum anderen möchte ich sagen: Die Grünen haben jetzt natürlich völlig ihre Wahlversprechen weggeworfen. Sie haben in ihrem Wahlprogramm geschrieben, gesetzlicher Mindestlohn, erleichtertes Bleiberecht, erleichterte Einbürgerung - das ist mit CDU und FDP nicht zu machen - und sie haben völlig darauf verzichtet, eine Alternative im Bundesrat zu entwickeln.

    Engels: Aber haben die Linken nicht auch an der Saar eine Chance verspielt?

    Lötzsch: Nein! Es ist ja eine ganz offene Auseinandersetzung gewesen, Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat. Er ist gewählt worden als Fraktionsvorsitzender und er ist weiterhin Bundestagsabgeordneter und Bundesvorsitzender der Partei Die Linke. Ich kann nicht erkennen, dass Die Linke unehrlich mit der Öffentlichkeit und den Wählern umgegangen ist, ganz im Gegenteil: Diesen Schuh muss sich Herr Ulrich anziehen.

    Engels: Frau Lötzsch, dann schauen wir nach Brandenburg. Dort entscheidet die SPD von Ministerpräsident Platzeck, ob mit der CDU weiterregiert wird, oder aber ein rot-rotes Bündnis entsteht. Wie optimistisch sind Sie, dass es dort klappt?

    Lötzsch: Wir werden ja heute Abend eine Entscheidung haben. Ich kann nur darauf verweisen, dass auch in Brandenburg die Wähler Die Linke mit vielen Stimmen ausgestattet haben, und wie akzeptiert das Personal der Linken in Brandenburg ist zeigt sich ja auch daran, wie viele Direktmandate die Abgeordneten gewonnen haben. Die Linke hat mehr Direktmandate gewonnen als die SPD und ich habe beobachtet, dass es in den letzten Jahren auch eine enge Zusammenarbeit gegeben hat, auch in dieser Konstellation zwischen SPD und Linken, aber ich werde den Tag abwarten und die Entscheidung heute Abend weiß ja niemand, kann niemand vorweg nehmen. Aber ich habe manchmal das Gefühl, Herr Platzeck würde am liebsten mit beiden Parteien gemeinsam regieren, aber das wird wohl nicht sein. Er muss sich entscheiden.

    Engels: Matthias Platzeck hat ja bislang immer die Sozialreformen von Rot-Grün und der Großen Koalition verteidigt. Müssen Sie da Kröten schlucken?

    Lötzsch: In einer Koalition muss man sicher immer Kompromisse machen, aber jeder muss sich entscheiden, was sind die zentralen Punkte des eigenen Wahlprogramms, und die zentralen Punkte der Linken waren immer, soziale Gerechtigkeit erreichen, und die werden das auch in Zukunft sein und ich kann mir nicht vorstellen, dass Die Linke in Brandenburg von diesem Kernthema soziale Gerechtigkeit abweichen wird. Nun haben wir in zwischen aus der SPD zum Beispiel beim Berliner Landesparteitag der SPD sehr viel Kritik an der Politik der vergangenen Jahre gehört, an Hartz IV, an den Rentenverschlechterungen, und aus der Berliner SPD ist gefordert worden, hier zu Veränderungen zu kommen, diese Politik zu korrigieren, und da es zwischen Berlin und Brandenburg ja häufig eine enge Zusammenarbeit gegeben hat könnte ich mir vorstellen, dass auch Herr Wowereit und Herr Platzeck diese Fragen miteinander besprechen.

    Engels: Kerstin Kaiser, die Spitzenkandidatin der Linken in Brandenburg, war für Teile der SPD unannehmbar, weil sie inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi war. Wir haben es gerade noch mal im Beitrag gehört. Gestern ließ sie erkennen, dass sie auf ein Ministeramt verzichtet. War das eine gute Entscheidung im Sinne der Sache?

    Lötzsch: Das ist eine Entscheidung, die Kerstin Kaiser selbst getroffen hat und auch selbst vertreten muss. Ich möchte nur darauf verweisen, dass sie auch in Kenntnis dieser Biografie, in Kenntnis ihrer Vorgeschichte dreimal mit einem Direktmandat von den Wählern in Brandenburg ausgestattet wurde, so dass sie hier auch eine große Zustimmung hat. Wie dann aber die mögliche Regierungsbildung vorbereitet wird, das ist natürlich auch unter ihrer Verantwortung und ich glaube, sie hat das mit sich gut ausgekämpft und wird hier eine wichtige Rolle weiterhin spielen. Als Fraktionsvorsitzende ist man ja mit allen Fragen befasst und manchmal ist es so, dass Fraktionsvorsitzende auch viel breiter in die Politik eingreifen können, als wenn man nur ein einziges Ministerium zu verantworten hat.

    Engels: Frau Lötzsch, dann nehmen wir mal die Beispiele der Spitzenkandidaten: Lafontaine, Kaiser und zuvor Bodo Ramelow in Thüringen. Das sind natürlich ganz verschiedene Biografien, die nicht vergleichbar sind. Auch die Länder sind nicht vergleichbar. Aber Tatsache bleibt doch, dass alle diese Spitzenkandidaten von den potenziellen Koalitionspartnern partout abgelehnt wurden. Wie erklären Sie sich das?

    Lötzsch: Na ja, ich erkläre mir das natürlich damit, dass sowohl Bodo Ramelow als auch Oskar Lafontaine von den kleineren Parteien in dem Fall - in Brandenburg sieht das ja noch mal ein bisschen anders aus - als sehr starke Persönlichkeiten wahrgenommen wurden, und das ist für mich eher ein Zeichen der Schwäche, sowohl der Grünen im Saarland als insbesondere natürlich der Persönlichkeit von Herrn Matschie in Thüringen, dass sie nicht akzeptieren können, dass neben, mit ihnen starke Persönlichkeiten am Tisch sitzen, und wer Angst hat vor starken Persönlichkeiten, der muss vor allen Dingen über sich selber und seine eigene Ausstrahlung nachdenken.

    Engels: Sind das also immer nur die anderen Schuld, oder muss Die Linke nicht auch kompromissfähiger werden?

    Lötzsch: Ich glaube, gerade Herr Ramelow hat ja bis über die Schmerzgrenzen - und auch in der Parteiführung waren nicht alle davon begeistert, dass er sehr früh angekündigt hat, er bestünde nicht darauf, als doch mit großem Abstand vor der SPD gewählter Ministerpräsident zu werden - die Hand sehr, sehr weit ausgestreckt. Ihm wurde fast der Arm ausgerissen. Entscheidend - das will ich noch mal sagen - ist die Frage der Demokratie: wie weit wird der Wählerwille akzeptiert? Augenscheinlich gibt es Parteien in unserem Land, die nicht bereit sind, den Wählerwillen zu akzeptieren, und das stellt für mich die Frage: ist das wirklich ein demokratisches Verhalten.

    Engels: Gesine Lötzsch, stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch.

    Lötzsch: Vielen Dank!