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Wie es um den Amokschutz an Schulen steht

Es ist der Albtraum schlechthin, wenn dort, wo Kinder und Jugendliche in Sicherheit sein sollten, Gewalt ausbricht. Seit Erfurt, spätestens nach Winnenden denken Schulen über geeignete Schutzkonzepte in solchen Fällen nach. Doch bislang fehlen klare Vorschriften für technische oder bauliche Lösungen an den rund 40.300 Schulen.

Von Katrin Sanders | 17.10.2011
    Große Pause im Schulzentrum in Köln-Weiden. 1.500 Menschen lernen und arbeiten hier an zwei Schulen unter einem Dach. Sollte es hier - noch einmal - einen Fall von Amokbedrohung geben, wissen alle, was zu tun ist, sagt die Schulleiterin Beatrix Görtner:

    "Also sich einzuschließen unter die Tische zu krabbeln, sich ruhig zu verhalten, die Handys an aber auf lautlos zu stellen und ggf. auch durchzugeben, wo man ist und wie die Lage in der Klasse ist. Das ist das, was Schüler und Lehrer auch wissen."

    Seit das Ganztagsgymnasium in Weiden vor fast genau vier Jahren eine solche Bedrohung erlebte. Wesentlich verhindert wurde die Eskalation in der Schule damals allerdings nicht durch den Signalton, der an allen Kölner Schulen für den Amokfall Standard ist, sondern durch Aufmerksamkeit im Vorfeld der möglichen Tat:

    "Sache war die, dass wir durch Schüler aufmerksam gemacht wurden, dass bei einem Mitschüler bemerkenswerte Seiten auf seinem Rechner waren, also solche, die gewaltverherrlichend waren, beziehungsweise sich Amokläufe in den USA zum Vorbild nahmen."

    Daraufhin wurden die möglichen Täter zu Rede gestellt. Einer der beiden nahm sich in der Folge selbst das Leben und warf sich vor eine Straßenbahn. Die Amokalarmanlage, wie es sie heute an der Schule gibt, kann eine Eskalation verhindern. Es ist Konzept, dass nur die Lehrer diesen Ton kennen:

    "Allerdings fangen da auch schon die Probleme an. Man kann diesen Amokalarm ja nicht proben, wie den Feueralarm, denn ein Alarmsignal, das allseits bekannt ist, verliert selbstverständlich seine Wirkung."

    Während die Übung eines Ernstfalls für die Schüler großen psychischen Stress bedeutet. Es gilt also im Vorfeld an Schulen für kritische Situationen sensibel und "auf Empfang" zu.

    Für den technischen Teil des Amokschutzes jedoch sind die Kommunen zuständig. Ihnen aber fehlen klare bauliche Vorschriften - von der Alarmierungsmöglichkeit für den allgemeinen Notfall einmal abgesehen. Das ist zu wenig, findet Bernd Ammelung vom "Fachkreis Amokschutz an Schulen" im Zentralverband der Elektroindustrie:

    "Wie die auszusehen hat, wie sie technisch funktionieren soll, wie sie in eine Alarmorganisation eingebunden sein muss, das ist nicht beschrieben. Es ist also dem Betreiber einer Schule völlig offen gelassen, selbst zu definieren, was nun die richtige Art der Alarmierung in so einem Fall sein könnte."

    Viele Kommunen legen, weil die Vorschriften zum Amokschutz ungenau sind, das Thema gleich ganz auf Eis, so zum Beispiel Goch am Niederrhein. Zu riskant ist dem Stadtrat dort eine Investition, die bei rund 500 Euro pro Klasse beginnt. Und so sind zurzeit die Hersteller von Sicherheitsanlagen wichtigste Informationsquelle für Städte und Gemeinden. Tagungen, die die Sicherheitsindustrie zurzeit im Dreiwochenrhythmus bundesweit anbietet, werden gerne angekommen. In Frankfurt, Essen oder München haben sich jeweils bis zu 70 meist kommunale Vertreter zeigen lassen, wie ein Konzept in Sachen Amokschutz aussehen könnte. Soviel vorab: Ein einfacher Klingelton genügt nicht, findet Bernd Ammelung:

    "Das haben andere Versuche ergeben, dass nur klare gesprochene Handlungsanweisung für sofortige Reaktion sorgt. Weil da sind wir drauf geprägt, eine Anweisung zu verstehen und entsprechend zu handeln. "

    Besser noch seien Notfallknöpfe hinter Glas oder ein Funkfinger, den jeder Lehrer bei sich trägt. So kann Alarm an eine ständig besetzte Stelle übermittelt werden:

    "Und die sind ab dem Moment in der Lage in den alarmausgebenden Raum hineinzuhören und festzustellen, um was für eine Lage handelt sich das überhaupt, was läuft da gerade? Und dann kann die ständig besetzte Stelle genau die richtige Hilfemaßnahme einleiten."

    Beispielsweise zurückmelden, ob es richtig ist, die Klassen von innen zu verschließen oder wichtiger, dass Fluchtwege nach draußen offenbleiben? Solche Dialogsysteme plant zurzeit die Schulverwaltung in Frankfurt für alle Schulen im Stadtgebiet. Dabei zählt auch ein Verkaufsargument der Hersteller, dass Dialogsysteme auch für den friedlichen Schulalltag nützlich sind.

    Zehn Amokfälle hat es in den letzten zehn Jahren in der Bundesrepublik gegeben. Die Amokbedrohung ist weit größer, sagt Ammelung mit Blick auf Zahlen aus Hamburg, Bayern und Niedersachsen:

    "Wenn man diese Zahlen hochrechnet auf die Bevölkerungszahlen der Bundesrepublik, dann kommt man darauf: Wir haben in der Bundesrepublik mit einer Größenordnung von 2000 bis 3000 Amokbedrohungslagen zu rechnen. Das ist schon eine andere Ziffer, als ein Amokrealfall pro Jahr."

    Vorschriften für diesen Fall aber fehlen. Wie Schulen sich vor möglichen Tätern schützen, ist ihnen derzeit selbst überlassen.