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Wieczorek-Zeul begrüßt Schuldenerlass für arme Länder

Burkhard Birke: Zehn Prozent ihrer Schulden bei der Weltbank und der afrikanischen Entwicklungsbank sollen mehr als 30 der ärmsten Länder der Welt gestrichen werden. Dabei geht es um eine Summe von etwa 150 Millionen Euro pro Jahr, für die Großbritannien gerade steht. Das hat der britische Finanzminister Gordon Brown am Rande des Labour-Parteitages im Seebad Brighton angekündigt und er hat die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, dem Beispiel Londons zu folgen. - In den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk begrüße ich nun die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Einen wunderschönen guten Morgen!

Moderation: Burkhard Birke | 28.09.2004
    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Guten Morgen.

    Birke: Frau Ministerin, wird sich denn die Bundesrepublik beteiligen? Wird sie dem britischen Beispiel folgen?

    Wieczorek-Zeul: Zunächst einmal ist es ja bisher schon so, dass wir eine substanzielle Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer vor fünf Jahren beschlossen haben, dass jetzt auf der anstehenden Konferenz von Weltbank und IWF vermutlich beschlossen werden wird, den Zeitraum, innerhalb dessen sich noch andere Länder für die Entschuldungsinitiative qualifizieren können, auszuweiten. Davon kann man wohl ausgehen. Die Entschuldungsinitiative zeigt auch bisher bei der Bekämpfung von Armut, insbesondere bei Investitionen in Bildung, dass mehr Kinder in die Schule gehen können, dass mehr für Gesundheit und Aids-Bekämpfung getan wird, wirklich große Erfolge.

    Jetzt geht es um die Frage: wie geht es eigentlich weiter bei der dauerhaften Schuldentragfähigkeit. Dort stehen mehrere Entscheidungen an. Einmal haben sich alle G7-Finanzminister ja schon dafür ausgesprochen, auch diesen umfassenderen Schuldenerlass durch die internationalen Finanzinstitutionen für die ärmsten Entwicklungsländer zu machen, also unter anderem die Weltbank. Da ist jetzt Großbritannien vorgeprescht und hat gesagt wir sind bereit, dort unseren Anteil zu leisten. Sie können sich vorstellen, dass ich diesem Vorschlag sehr sympathisierend gegenüberstehe. Es wird aber eben dann noch mal notwendig sein, dass wir uns in der Bundesregierung und auch mit dem Finanzminister dazu verhalten. Jedenfalls wird diese Initiative große Aufmerksamkeit auch bei der anstehenden Weltbank- und IWF-Tagung, die in wenigen Tagen beginnt, haben.

    Birke: Frau Wieczorek-Zeul, Sie haben Ihren Kabinettskollegen, Finanzminister Hans Eichel, angesprochen. Kann der sich denn eine solche vorgezogene Entschuldung angesichts der knappen Kassenlage leisten?

    Wieczorek-Zeul: Na ja, es ist insgesamt natürlich schwierig. Da ist Großbritannien und sind andere Länder natürlich in einer anderen Situation, als das für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland gilt. Aber es bleibt ja immer die Grundfrage: Was tun wir heute, um dafür zu sorgen, dass Armut weltweit bekämpft wird? - Es ist immer noch so, dass über eine Milliarde Menschen weniger als einen Dollar am Tag verdienen, dass also ein Großteil in absoluter Armut lebt. Die Weltbevölkerungsentwicklung - darauf ist ja vor wenigen Tagen auch noch mal deutlich hingewiesen worden - wird ja so aussehen, dass ein Großteil derjenigen, die neu auf diese Welt geboren werden, in Entwicklungs- und Schwellenländern leben. Wir haben ein eigenes Interesse daran, dass es Zukunftsperspektiven in diesen betroffenen Ländern gibt, denn auch wir können auf Dauer nicht in Frieden leben, wenn es Regionen gibt, die in absoluter Armut versinken.

    Birke: Frau Wieczorek-Zeul, dafür müssen wir etwas tun. Wir haben uns ja eigentlich auch verpflichtet, dass 0,33 Prozent unseres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe ausgegeben werden sollen. Momentan geben wir nur 0,28 Prozent aus. Ist das und ist die Initiative von Gordon Brown, dem britischen Finanzminister, auch ein Druckmittel, das Sie jetzt gegenüber Ihrem Kabinettskollegen Hans Eichel eigentlich einsetzen könnten?

    Wieczorek-Zeul: Ich gehe eigentlich davon aus - auch Hans Eichel hat ja im Jahr 1999 die Entschuldungsinitiative mit beschlossen -, dass er auch solchen Ansätzen natürlich verpflichtet ist. Deshalb hoffe ich, dass die Beratungen, die jetzt bei Weltbank und IWF anstehen, uns in diesen Fragen ein Stück voranbringen, denn in der Tat ist das Ziel der 0,33 Prozent eines, das sich die gesamte Regierung vorgenommen hat, bis zum Jahr 2006 zu erfüllen. Das müssen wir einlösen. Das ist so eine internationale Verpflichtung wie die in den Vereinten Nationen oder auch innerhalb der NATO.

    Birke: Was würde das denn in Euro und Cent genau für die Bundesrepublik bedeuten, wenn wir uns an dieser Initiative beteiligen?

    Wieczorek-Zeul: Sie meinen jetzt an der britischen?

    Birke: Ja.

    Wieczorek-Zeul: Das kann man deshalb schwer beurteilen, weil über die Frage, in welchem Umfang dieser multilaterale Schuldenerlass erfolgt, ja bisher kein Konsens existiert. Deshalb wäre es glaube ich nicht angemessen, jetzt über die Frage der Höhe zu spekulieren. Ich gehe aber davon aus, da die G7-Finanzminister sich im Grundsatz für einen weiteren multilateralen Schuldenerlass ausgesprochen haben, dass jedenfalls in die Sache Bewegung kommt und das ist gut so. Alles was dazu beiträgt, weltweit global die Armut zu bekämpfen, Globalisierung gerechter zu gestalten, ist auch ein Stück Friedenssicherung auf Dauer. Das ist dann kostengünstiger, als nachträglich Schäden zu beseitigen oder zu bekämpfen.

    Birke: Sie werden sich also, Frau Wieczorek-Zeul, in Washington nachdrücklich für diese Gordon-Brown-Initiative stark machen?

    Wieczorek-Zeul: Ich halte sie für einen sehr unterstützenswerten Vorschlag wie vieles, was von Gordon Brown in den Fragen der Entwicklungspolitik bisher schon vorgeschlagen worden ist.

    Birke: Nun beträgt ja die gesamte Entwicklungshilfe weltweit 55, 60 Milliarden Dollar im Jahr. Die Landwirtschaft in den USA und Europa wird mit zirka 350 Milliarden Dollar subventioniert und für 900 Milliarden Dollar werden Waffen gekauft und verkauft. Stimmen da die Proportionen noch, oder müsste man nicht, wie der brasilianische Präsident Lula vorgeschlagen hat, hier eine Waffenexportsteuer erheben, um damit vielleicht auch Entwicklung zu finanzieren?

    Wieczorek-Zeul: Darf ich nur eines dazu sagen: Die Entwicklungszusammenarbeit ist jetzt Gott sei Dank - und das ist auch das massive Drängen der Entwicklungshilfeminister gewesen - immerhin, Stand letztes Jahr, 2003, bei 68 Milliarden US-Dollar. Aber es ist natürlich völlig richtig: wenn man sich ansieht, 900 Milliarden US-Dollar werden weltweit für Rüstung ausgegeben und nur 68 Milliarden US-Dollar für Entwicklungszusammenarbeit. Wenn man in dem Bereich Entwicklungszusammenarbeit - so sagt auch immer James Wolfensohn, der Weltbankpräsident - aufstockt, dann kann man sich einen Teil der Milliarden im ersten Bereich sparen.
    Der zweite Punkt ist: Sie haben völlig Recht. Wenn bei den Agrarsubventionen, was ja geplant ist, gestrichen wird - das hat ja die WTO im Grundsatz so beschlossen -, würden ja auch Finanzmittel frei, deren Einsatz bisher den Entwicklungsländern sehr geschadet haben. Die könnten eigentlich auch zum Nutzen der Entwicklungsländer zukünftig eingesetzt werden.

    Birke: Was ist mit der Idee vom brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, nun eine Waffenexportsteuer einzuführen? 900 Milliarden Dollar werden pro Jahr für Waffen ausgegeben. Dort eine Exportsteuer, um eben das auch in die Entwicklung zu lenken, was halten Sie davon?

    Wieczorek-Zeul: Es gibt ja eine Reihe von Vorschlägen, wie man sich auch längerfristig globale Abgaben und Finanzierungsmöglichkeiten vorstellen kann. Ich bin dafür, dass man das alles diskutiert. Ich bin sehr zurückhaltend, was die Frage einer sogenannten Waffenexportsteuer anlangt, denn das Ziel muss ja sein, dazu beizutragen, dass weltweit weniger Waffen exportiert werden. Ich möchte keine Diskussion unter dem Gesichtspunkt "exportiert mehr Waffen, das hilft den Armen in der Welt". Das wäre ja wirklich pervers.

    Birke: Frau Wieczorek-Zeul, heute ist der Tag des Flüchtlings. 1,5 Millionen Menschen sind aus dem westsudanesischen Darfur vertrieben. Sie selbst haben ja dort mehrfach von einem Völkermord in Zeitlupe gesprochen. Das ist jetzt bereits einige Wochen, wenn nicht Monate her. Wie lange kann die internationale Staatengemeinschaft eigentlich noch tatenlos zugucken?

    Wieczorek-Zeul: Das ist wirklich das Thema, das mir am stärksten auf dem Herzen liegt und das mich auch am meisten bedrückt. Was immerhin das Engagement der internationalen Gemeinschaft bewirkt hat ist, dass jedenfalls die Hilfe für die Flüchtlinge ankommt. Unser Staatssekretär im Ministerium ist augenblicklich auf einer gemeinsamen Reise mit dem UN-Flüchtlingskommissar, war im Tschad, dann in Darfur, ist jetzt auch in Khartum. Die Berichte, die ich von ihm bisher dazu erhalten habe, zeigen, dass nach wie vor die Unsicherheit auch in den Lagern sehr, sehr groß ist, also Sicherheit nach wie vor nicht besteht.

    Birke: Warum nimmt man deshalb jetzt nicht die Regierung in Khartum wirklich in den Schwitzkasten, verhängt Sanktionen und zwingt sie, gegen diese Milizen vorzugehen?

    Wieczorek-Zeul: Ja, Sie sprechen mir aus der Seele. Da wären UN-Sanktionen längst überfällig. Das ist offensichtlich wegen der Interessenlage von einer Reihe von UN-Sicherheitsratsmitgliedern nicht möglich. Um so mehr muss man alles dazu tun - und das ist mein Punkt, den ich auch denke, den man jetzt verfolgen muss -, dass die afrikanische Union mit Unterstützung der Europäer und der Europäischen Union, finanziert auch mit durch sie, eben diese afrikanischen Friedenstruppen in diese Region entsendet, damit Sicherheit für die Menschen existiert und damit sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können.

    Birke: Sollten auch deutsche Soldaten wo möglich dort den Frieden und das Leben der Flüchtlinge sichern?

    Wieczorek-Zeul: Dazu hat sich ja der Verteidigungsminister schon geäußert. Das will ich jetzt nicht noch weiter vertiefen. Ich glaube das allerwichtigste ist erst mal, dass die afrikanische Eigeninitiative sichtbar wird, damit deutlich ist: Afrikaner wollen auch - und das ist ja ihr Wunsch, auch der Wunsch der afrikanischen Union - die Probleme selbst lösen. Aber es ist völlig richtig: die internationale Gemeinschaft muss mehr Druck ausüben. Wir dürfen doch nicht zusehen, dass sich die Situation, dass Menschen in den Lagern leben und vertrieben worden sind, einfach über Monate und Jahre hinzieht. Vertreibung, aus welchen Gründen auch immer, darf die Welt nie mehr hinnehmen.

    Birke: Frau Ministerin, Sie würden sich aber insgeheim eigentlich doch auch deutsche Soldaten da unten wünschen, um das dort zu sichern?

    Wieczorek-Zeul: Ich will jetzt nicht über meine geheimen Wünsche reden. Meine Wünsche bestehen einfach darin zu sagen, lasst uns alles tun oder die Welt muss alles tun, damit die Menschen wirklich in Sicherheit zurückkehren können. Ich glaube die afrikanische Union hat eigentlich die besten Voraussetzungen. Es muss nur einfach mehr auch zeitlich jetzt schneller gehandelt werden.

    Birke: Das war die Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das war Heidemarie Wieczorek-Zeul in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Recht herzlichen Dank für dieses Gespräch!

    Wieczorek-Zeul: Bitte sehr!