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Wir brauchen "besser gebildete Menschen in Deutschland"

Als Konsequenz aus dem deutschen Abschneiden bei PIAAC, dem Erwachsenen-PISA der OECD, möchte Klaus Hurrelmann, Bildungsforscher der Hertie School of Governance, eine Weiterbildungsoffensive starten. Die Angebote müssten Schamgrenzen überwinden und sollten niemanden diskriminieren.

Klaus Hurrelmann im Gespräch mit Kate Maleike |
    Kate Maleike: Gestern war PIAAC und heute – das Erwachsenen-PISA der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, ist in der Welt und damit die Nachricht, dass die 16- bis 65-jährigen Deutschen, auf ihr Alltagswissen getestet, international keinen Spitzenplatz einnehmen, sondern eher mäßig abschneiden. Sie können nur mittelmäßig lesen und Texte verstehen. Gleiches gilt für die Grundrechenarten wie Prozentrechnen und Dreisatz. Und gleich zu Klaus Hurrelmann, dem Bildungsforscher der Hertie School of Governance, nach Berlin. Guten Tag, Herr Hurrelmann!

    Klaus Hurrelmann: Schönen guten Tag!

    Maleike: Hatten Sie solche Ergebnisse für Deutschland erwartet?

    Hurrelmann: Ja, wir mussten die erwarten. Wir wussten schon aus Studien in den letzten Jahren, dass wir einen sehr hohen Anteil in der erwachsenen Bevölkerung haben, der Schwierigkeiten hat beim Lesen und Schreiben. Wo man richtig befürchten muss, das könnten sogar Analphabeten sein. Viele von ihnen hatten zwar einen Schulabschluss geschafft, aber im Laufe ihres Lebens dann wurden sie nie wieder herausgefordert und haben diese Technik verlernt.

    Maleike: Ist das für Sie der besorgniserregendste Fund als Bildungsforscher oder ist es auch genauso schrecklich, dass jetzt wieder festgestellt wurde, dass die soziale Herkunft mit dem Bildungs- beziehungsweise Berufserfolg eng verknüpft ist?

    Hurrelmann: Ja, das bestätigt sich ein weiteres Mal. Das gilt also nicht nur für die Schülerinnen und Schüler im Schulbereich, sondern auch für die Erwachsenen. Und insofern werden wir eigentlich bestätigt in dem, was wir aus den PISA-Ergebnissen bei den 15-Jährigen als Botschaft schon mitgenommen haben.

    Wenn wir das in Deutschland abbauen wollen, diese enorme Ungleichheit der Bildungsergebnisse nach sozialer Herkunft, dann müssen wir früh anfangen. Alle späteren Investitionen sind in Ordnung, aber sie bringen nicht mehr so viel. Also, diese Botschaft muss jetzt wirklich aus dieser Erwachsenenstudie auch noch einmal abgeleitet werden, sonst haben wir keine Chance, das auszugleichen.

    Maleike: Das wäre also eine Konsequenz. Eine andere wäre, und das ist Ihre Forderung, eine Weiterbildungsoffensive. Wie soll die aussehen?

    Hurrelmann: Eine ständige Weiterbildung ist heute lebensnotwendig, beruflich, aber auch privat. Das finde ich so bemerkenswert an dieser Studie, dass sie ja Alltagskompetenzen gemessen hat, die man wirklich fürs tägliche Leben auch benötigt. Wir nehmen im Deutschen den Begriff Weiterbildung, und er ist ein kleines bisschen immer an Institutionen gebunden, und er hat eine starke berufliche Schlagseite. Das ist auch in Ordnung, aber es ist nicht das Ganze.

    Beruflich würde es darum gehen, dass man wirklich systematisch Anreize gibt in allen Berufsfeldern, auf allen Stufen für eine Weiterbildung, die vielleicht auch teilweise vom Unternehmen dann mit bezahlt wird, das muss gar nicht hundertprozentig sein, ein Eigenanteil ist immer sehr motivierend, und der Voraussetzung zum Beispiel wird, dass man danach in eine neue Position hinein kommt oder mehr Geld verdient. Das ist im Gange in vielen Unternehmen, da läuft schon sehr viel.

    Was wir noch nicht haben, ist der persönliche Bereich. Und, wie gesagt, da bringt uns die Studie deutliche Perspektiven, wie wichtig es ist, auch im täglichen Leben eine gute Bildung zu haben. Die Untersuchungsergebnisse werden hier immer dichter. Der schnelle Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse macht es nötig, dass ich fit bleibe. Das gilt politisch, das gilt gesundheitlich, das gilt für meine tägliche Lebensorganisation.

    Je besser ich gebildet bin, desto besser komme ich mit meinem Leben zurecht, desto besser fühle ich mich, desto gesunder bin ich. Insofern glaube ich, ist das jetzt wirklich eine Chance, diese Studie zu nehmen und zu sagen, wir brauchen in dem Sinne besser gebildete Menschen in Deutschland, als sie einfach aktiver, lebendiger, teilhabeorientierter sind, als das bisher der Fall ist.

    Maleike: Wenn Sie sagen, wir brauchen eine Weiterbildungsoffensive, und das vielleicht sogar in Richtung der neuen Bundesregierung formulieren – wir haben so was wie Bildungsurlaub, das wird leider wenig genutzt, weil es auch nicht immer leicht ist, Bildungsurlaub anerkannt zu bekommen. Wir haben Bildungs- und Weiterbildungsschecks, wir haben Geld schon und Möglichkeiten, aber das wird offenbar nicht genutzt.

    Hurrelmann: Ja, Sie sagen es. Es wird genutzt von denen, die bereits die Motivation dafür haben, und das sind dann überwiegend diejenigen, die eben schon eine sehr gute Bildung haben. Das heißt also, wir müssen uns Gedanken machen: Wie sehen Angebote aus, die auch diejenigen ansprechen, die sich bisher nicht trauen. Die von sich aus nicht die Notwendigkeit sehen. Ich glaube, hier ist sehr viel Verborgenes, viele trauen sich nicht, sich zuzugeben, zum Beispiel, dass sie keine Kenntnisse in der Computernutzung haben. Dass sie mit moderner Technik nicht gut umgehen können. Dass sie zurückgefallen sind im Lesen und Schreiben und im Rechnen.

    Da sind Schamgrenzen eingebaut. Die zu überwinden durch interessante Anreize, das wäre eine Chance. Also, diesen Akzent zu schaffen, ein Angebot im Weiterbildungssektor zu machen, das keinerlei Barrieren hat und keine Diskriminierung eingebaut hat, das wäre sehr reizvoll. Ich hab auch kein Patentrezept. Ich stimme Ihnen aber völlig zu: Alleine mit Geld und mit finanziellen Anreizen schaffen wir nur einen kleinen Teil. Das ist ganz offensichtlich.

    Maleike: Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann möchte eine Weiterbildungsinitiative starten, als Konsequenz aus dem deutschen Abschneiden bei PIAAC, dem Erwachsenen-PISA der OECD, das ja gestern vorgestellt wurde. Danke schön für das Gespräch, Herr Hurrelmann, und Grüße nach Berlin!

    Hurrelmann: Danke für Ihr Interesse, auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.