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"Wir brauchen eine neue Regierung" in Italien

Der Vizepräsident des italienischen Parlaments, Rocco Buttiglione, fordert mehr Respekt von den EU-Staaten vor den Anstrengungen Italiens, seine Schulden selber zu bezahlen. Allerdings sei die Regierung Belusconi nicht in der Lage, eine Lösung der Schuldenfrage herbeizuführen.

Rocco Buttiglione im Gespräch mit Silvia Engels | 26.10.2011
    Silvia Engels: Beginnen wollen wir aber in Berlin. Dort tat sich ja gestern Überraschendes. Nach langem Streit zwischen Regierung und Opposition darüber, was der vergrößerte Euro-Rettungsschirm EFSF nun an Kreditvolumen insgesamt ausleihen soll und was nicht, verständigten sich CDU, SPD, Grüne und FDP-Fraktion gestern auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag. Bei dem EU-Gipfel heute Abend steht auch Italien im Zentrum der Aufmerksamkeit. Angesichts der zweitgrößten Verschuldungslast des Landes innerhalb des Euro-Raums fürchten viele Beobachter, dass Rom auch über kurz oder lang Refinanzierungsprobleme bekommt. Am Rande des letzten EU-Gipfels am Sonntag hatten ja Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy dem italienischen Ministerpräsidenten besonders dringend ans Herz gelegt, bis heute konkrete Pläne für eine Haushaltskonsolidierung vorzulegen. – Am Telefon begrüße ich Rocco Buttiglione, er ist Vizepräsident des italienischen Parlaments und er war unter Silvio Berlusconi unter anderem Europaminister. Guten Morgen, Herr Buttiglione.

    Rocco Buttiglione: Guten Morgen!

    Engels: Wie gefährlich ist die Finanz- und Verschuldungslage Italiens für die Stabilität Ihres Landes?

    Buttiglione: Nein. Die Finanz- und Verschuldungslage Italiens ist nicht so schlecht. Italien hat ein Budget-Defizit, das das Beste ist, was wir in Europa haben, mit der einzigen Ausnahme Deutschlands. Das heißt, in Frankreich ist das Defizit zweimal höher als in Italien. Und die Verschuldung? – Die Verschuldung ist groß, 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber in den letzten zwei, drei Jahren ist der Abstand zwischen der deutschen Verschuldung und der italienischen Verschuldung nicht größer geworden, ist eher kleiner geworden, weil die Verschuldung in Deutschland viel mehr gewachsen ist als in Italien. Die fundamentalen Elemente unserer Wirtschaft sind eher gesund oder viel besser, als in Deutschland behauptet wird. Wir haben ein Problem der politischen Schwachheit, ein Problem einer Regierung, die abgestützt werden soll, und das ist unser Auftrag, von uns, von den Italienern. Aber wir verdienen Respekt in Italien. Was mit Sarkozy passiert ist, ist nicht gut. Italien ist ein großes Land, Italien ist eine große Wirtschaft, Italien hat alle die Möglichkeiten und auch den Willen, die eigene Verschuldung zu bezahlen. Wir verdienen Respekt, wir müssen unsere Hausarbeiten machen, das ist wahr, und wir werden sie auch vollenden.

    Engels: Sie spielen damit auf das maliziöse Lächeln des französischen Präsidenten Sarkozy von Sonntag an, der ja auf eine Frage nach Italien auf diese Art und Weise antwortete, was in Italien nicht gut ankam. – Jetzt schauen wir auf die Situation in Italien. Ministerpräsident Berlusconi hat ja in der Nacht offenbar zumindest im Grundsatz mit seinem Koalitionspartner Lega Nord eine Einigung erzielt, das Renteneintrittsalter in Italien auf 67 Jahre zu erhöhen. Halten Sie diesen Kompromiss für tragfähig?

    Buttiglione: Als Übergangslösung ja, als Endlösung nein. Ganz klar gesagt: Wir brauchen eine neue Regierung. Ich bin ein Gegner von Berlusconi. Ich schütze Italien. Und wenn in Europa Berlusconi so lächerlich gemacht wird, wie es Sarkozy gemacht hat, das ist eine Beleidigung für Italien, nicht nur für Berlusconi. Aber die Endlösung wird nur mit einer neuen Regierung kommen. Wir müssen diese Regierung los werden.

    Engels: Wird denn die Regierung Berlusconi an diesem Reformdruck, wenn auch noch nicht jetzt, dann in den nächsten Tagen und Wochen zerbrechen? Sehen Sie da die Kraft der Gestaltung der Opposition, dass das möglich wird?

    Buttiglione: Ja. Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Regierung noch lange vorangehen können. Wir brauchen eine neue Regierung. Ob mit Neuwahlen oder ohne Neuwahlen, das kann ich nicht sagen, das ist höchst ungewiss.

    Engels: Dann drehen wir mal die Perspektive. Welches Entgegenkommen erwarten Sie, erwartet Italien von der Europäischen Union?

    Buttiglione: Ich erwarte mir, dass die Europäische Union es klar versteht, dass es gegen Italien heute eine Hysterie gibt, und die Union soll dieser Hysterie nicht nachgeben. Es gibt natürlich auch wirkliche Probleme, aber wir haben die Fähigkeit und die Möglichkeit, diese Probleme selber zu lösen. Wir wissen, dass wir uns nicht erwarten können, dass die deutschen Steuerzahler für uns bezahlen, wir müssen für unsere Verschuldung, für unsere Probleme bezahlen. Wir sind dazu fähig und dazu bereit.

    Engels: Wie sieht es denn aus mit den Ratingagenturen, denn Sie sagen, die italienischen Rahmendaten sind besser, als sie oft herbeigeschrieben werden. Auf der anderen Seite muss ja Italien auch höhere Schuldzinsen zahlen, weil die Ratingagenturen Italien zuletzt teilweise heruntergestuft haben.

    Buttiglione: Ja. Die Antwort hat zwei Seiten. Die erste Seite: Man muss sorgfältig lesen, was die Agenturen geschrieben haben, nicht nur die Noten, und was sie geschrieben haben ist gerade das, was ich schon gesagt habe: Italien hat alle Möglichkeiten, hat alle Kraft, die notwendig ist, um brillant aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Die Frage ist: Wollen die Italiener das? Und unsere Regierung hat manchmal den Eindruck gegeben, dass wir nicht wirklich wollen. Aber wir wollen! Das kann ich ganz sicher sagen. So wir erwarten uns ein bisschen mehr Vertrauen von den Märkten und eine solidarische Unterstützung von unseren Verbündeten in Europa, und natürlich: Wir müssen bereit sein, alles zu tun, was wir tun sollen, um die Sache wieder in Ordnung zu bringen.

    Engels: Rocco Buttiglione, Vizepräsident des italienischen Parlaments. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.

    Buttiglione: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.