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"Wir brauchen einen Aktionsplan"

Bärbel Diekmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, will möglichst konkrete Ergebnisse beim Millenniumgipfel sehen: "Wir brauchen sehr genaue Zielsetzungen, wir brauchen auch eine genaue Festlegung der notwendigen Mittel. Man kann Land für Land durchgehen, wo Erfolge, wo Misserfolge sind."

Bärbel Dieckmann im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Mitgehört hat Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe. Einen schönen guten Morgen.

    Bärbel Dieckmann: Guten Morgen!

    Barenberg: Frau Dieckmann, der Entwicklungsminister hat es gesagt: er will den Beitrag Deutschlands für den erfolgreichen globalen Fonds im Kampf gegen Aids und andere Krankheiten neu gestalten, möglicherweise kürzen. Was halten Sie davon?

    Dieckmann: Also Kürzungen sind nicht akzeptabel, genauso wie wir am Ziel 0,7 festhalten müssen. Ansonsten teile ich vieles von dem, was Herr Niebel eben gesagt hat. Es gibt Erfolge, es gibt Schattenseiten. Es kommt nicht nur auf Geld an, sondern auch auf die Qualität der Investitionen in die Entwicklungsländer. Aber wir haben eben auch Beispiele wie Skandinavien oder Spanien, die die 0,7 erreichen. Es gibt im Moment Großbritannien, die überall 25 Prozent kürzen, nur bei Gesundheit und Entwicklungszusammenarbeit nicht. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen.

    Barenberg: Inwiefern könnten wir das denn noch realisieren? Der Minister hat ja verwiesen auf die Vorgängerregierungen, denen es auch nicht gelungen ist, dem 0,7-Prozent-Ziel irgendwie näher zu kommen.

    Dieckmann: Ja, aber ich glaube, dass Deutschland immer noch ein wohlhabendes Land ist. Wir sind auf dem Schritt aus der Wirtschaftskrise hinaus und es ist am Ende auch in unserem Interesse, im Interesse der Industriestaaten, dass wir in einer globalisierten Welt nicht zulassen, dass ein Teil der Welt unter Hunger leidet, unter Krankheiten leidet, unter mangelnder Bildung leidet. Davon profitieren wir am Ende auch.
    Ich sage auch noch mal, es gibt große Erfolge. Die Zahl der Hungernden ist unter einer Milliarde und das beinhaltet noch, dass China, Indien, etwas Brasilien dabei ist, also Länder, die es schaffen können, die auf einem guten Weg sind. Und wenn wir jetzt Investitionen konzentrieren auf Afrika, auf die Länder, die besonders betroffen sind, wenn man gleichzeitig gute Regierungsführung einfordert, also nicht nur Geldinvestitionen, dann kann man das schaffen.

    Barenberg: UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ist ja auch optimistisch. Auch er sagt, die Entwicklungsziele, sie sind noch erreichbar bis 2015. Sie teilen diesen Optimismus?

    Dieckmann: Ich bin da immer vorsichtig. Ich glaube, sie wären erreichbar, wenn überall in der Welt alle Nationen, aber auch die EU – aber da gibt es ja auch ein Defizit von vielen Milliarden an Zahlung -, wenn das geleistet würde. Mir ist aber auch klar, dass es immer wieder Einbrüche geben kann. Ich nenne das Beispiel Pakistan, ich nenne Haiti, Naturkatastrophen. Das können wir nicht alles berechnen. Aber deshalb ist es mir umso wichtiger, dass wir das tun, was wir tun könnten, und es ist noch viel erreichbar.

    Barenberg: Das Schlussdokument der Veranstaltung, der Konferenz in New York liegt ja bereits in einem Entwurf vor, über den sich alle im Vorfeld schon geeinigt haben. Der benennt eben Erfolge und Defizite, er benennt Licht und Schatten, wie es die Kanzlerin ausdrückt. Sie kritisieren das Dokument, im Vorfeld jedenfalls. Warum?

    Dieckmann: Mir ist das Dokument noch zu allgemein. Ich glaube, wir brauchen einen Aktionsplan, wir brauchen sehr genaue Zielsetzungen, wir brauchen auch eine genaue Festlegung der notwendigen Mittel. Man kann Land für Land durchgehen, wo Erfolge, wo Misserfolge sind. Der müsste eine klare Beschreibung sein der Defizite, die es noch in den Kontinenten, in den Ländern gibt. Es müsste aber auch beinhalten, welche Mittel dazu nötig sind, um diese Ziele bis 2015 zu erreichen, und er muss natürlich auch vorsehen, dass es Festlegungen gibt der einzelnen Nationen, wie investiert wird.
    Ich teile übrigens auch mit Herrn Niebel, dass auch Wirtschaftsinvestitionen sinnvoll sind. Trotzdem glaube ich, dass es Bereiche gibt, gerade in den Entwicklungsländern, wo eben nicht übermorgen ein deutsches Unternehmen investieren wird, sondern wo wir erst den Schritt davor tun müssen, nämlich Investitionen in Bildung, Investitionen in Hungerbekämpfung, und das wird nicht alleine über die deutsche Wirtschaft abzuwickeln sein.

    Barenberg: Hat sich denn die Bundesregierung nach Ihrer Ansicht aktiv genug im Vorfeld in diese Verhandlungen eingeschaltet, mit Blick etwa auf einen Aktionsplan, um konkrete Schritte?

    Dieckmann: Also ich bin froh, dass die Kanzlerin selbst in New York ist. Das ist immer ein gutes Zeichen, dass sie sich auch bekennt zu diesen Zielen. Ich glaube, für die Konkretisierung hat die Bundesrepublik auch nicht ausreichend gekämpft. Aber wir haben nicht große inhaltliche Dissense, sondern es geht eher darum, wird es jetzt wirklich konkret festgemacht.

    Barenberg: Frau Dieckmann, Sie haben begrüßt, dass die Bundesregierung ihre Hilfe stärker auch an Bedingungen knüpfen muss, mehr Verantwortung, Eigenverantwortung der armen Länder beiträgt. Was müssen die armen Länder in dieser Hinsicht noch tun?

    Dieckmann: Hilfe zur Selbsthilfe ist immer auch unser Motto der Welthungerhilfe, aber auch aller anderer Nichtregierungsorganisationen gewesen. Entwicklungshilfe kann nur anstoßen. Das Haupthindernis in vielen Ländern ist schlechte Regierungsführung, ist mangelnde Demokratisierung, sind eingeschränkte Frauenrechte. Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Frauenrechten und Entwicklung. Wenn Frauen sich engagieren, gibt es zusätzliche Chancen. Wir brauchen aber eben auch Bildung in den Entwicklungsländern, weil sonst auch diese Rechte nicht wahrgenommen werden können. Es gibt immer noch Bürgerkriege, das heißt, wir müssen versuchen, auch wirklich Einfluss zu nehmen auf Friedenspolitik. Das sind die Grundlagen dessen. Und ein letzter Punkt, den ich noch nennen will, der uns ganz wichtig immer ist als Welthungerhilfe: Drei von vier Hungernden leben auf dem Land und wir sind der festen Überzeugung, dass in den vergangenen Jahren zu wenig in ländliche Entwicklung investiert worden ist. Das muss geschehen, damit wird die Ernährungsgrundlage dargestellt.

    Barenberg: Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe. Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Dieckmann.

    Dieckmann: Vielen Dank und einen schönen Tag. Danke!

    Barenberg: Danke!

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