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"Wir brauchen in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz"

Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Clemens Prokop, verlangt Änderungen im Strafrecht, um gegen dopende Sportler und deren "Hinterfeld" vorgehen zu können. Zugleich müssten die Kontrollsysteme erweitert werden. Doping sei ein Problem aller Disziplinen, so Prokop.

Clemens Prokop im Gespräch mit Dirk Müller | 09.08.2013
    Dirk Müller: Wollen wir ihn wirklich sehen? Können wir ihn wirklich genießen, sportlich schätzen, respektieren, anerkennen, wenn Usain Bolt den 100-Meter-Lauf in Moskau wieder gewinnt, in einer atemberaubenden Zeit? Die stärksten Gegner ohnehin schon vor den Wettkämpfen dezimiert, disqualifiziert durch positive Proben. Wenn die Stürmer der Fußballbundesliga ab heute Abend wieder auf Torejagd gehen, sind sie Treffer alle echt, aus eigener Kraft erzielt? Millionen werden das alle wieder auf dem Bildschirm verfolgen. Dennoch: Die jüngste Dopingstudie erschüttert nicht nur die Sportwelt. Systematische Manipulation auch in Westdeutschland, mit dem Wissen, mit der Unterstützung der Politik, vermutlich seit den 60er-Jahren. Welche Sportarten sind nicht betroffen, Golf oder Schachspielen? Etwas Schadenfreude gibt es jedenfalls in Ostdeutschland.
    Die Werfer, die Springer und die Läufer der Elite treffen sich jetzt in Moskau, eine Woche lang zu den Weltmeisterschaften. Auch Robert Harting ist dabei, auch Usain Bolt. Auch Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Guten Morgen nach Moskau!

    Clemens Prokop: Guten Morgen!

    Müller: Herr Prokop, kennen Sie noch Unschuldige?

    Prokop: Das ist eine schwierige Frage. Aber ich glaube, wenn Sie damit generell die Glaubwürdigkeit von Sportlern infrage stellen wollen, dann gibt es da auch eine klare Antwort: die Glaubwürdigkeit eines Kontroll- und Abwehrsystems gegen Doping. Und da muss ich einfach mal gerade bei den deutschen Athleten darauf hinweisen, dass die deutschen Leichtathleten so intensiv in Deutschland kontrolliert werden wie kein anderer Fachverband in Deutschland. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Wir hatten im Jahr 2012 in der deutschen Leichtathletik bei den deutschen Topathleten 1461 Trainingskontrollen und dazu kamen dann noch knapp 100 Kontrollen des Internationalen Leichtathletikverbandes. Im Vergleich dazu einmal: 500 Kontrollen beim Fußball. Das zeigt die Dimension, wie in der Leichtathletik kontrolliert wird, wie auf unseren Wunsch hin und auf unsere ausdrückliche Forderung, wie intensiv das Kontrollnetz ist. Damit, bei allen Schwächen dieses Kontrollsystems, denke ich, vermitteln wir ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit für unsere deutschen Athleten.

    Müller: Wer negativ aus diesen Kontrollen herauskommt, das heißt, wer nicht positiv getestet wird, ist sauber?

    Prokop: Eine Garantie gibt es natürlich nicht. Aber mit den uns momentan zur Verfügung stehenden Möglichkeiten können wir damit ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit bieten.

    Müller: Im Fußball ist das nicht so, sagen Sie?

    Prokop: Ich kann einfach nur mal die Vergleichszahlen bringen. Trainingskontrollen Leichtathletik in Deutschland, 1461 Kontrollen im Jahr 2012, im Fußball 500. Das ist ungefähr ein Drittel in der Leichtathletik. Wenn Sie das mal vergleichen, wie intensiv oder wie zahlreich Fußballspieler und Leichtathleten quantitativ zueinanderstehen, dann denke ich, sind unsere Zahlen etwas glaubwürdiger.

    Müller: Es soll jetzt immerhin ja die ersten Blutkontrollen geben in der Fußballbundesliga. Ärgert Sie das ein wenig? Wenn wir vom Radsport einmal absehen, dann steht an zweiter Stelle meistens ja die Leichtathletik am Pranger. Ärgert Sie das, dass die Fußballer bislang so "ungeschoren" davon kommen?

    Prokop: Das hat nichts mit ärgern zu tun. Das hat nur mit einer gewissen Blickverzerrung zu tun. In der Öffentlichkeit wird manchmal der Eindruck erweckt oder besteht der Eindruck, dass Doping quasi ein Problem des Radsports ist, der Leichtathletik und vielleicht noch der einen oder anderen kleineren Sportart. Doping ist aber tatsächlich ein Problem des gesamten Sports, und gerade die neu veröffentlichte Studie der Humboldt-Universität zeigt ja auch, dass andere Sportarten in der Überprüfung genauso betroffen waren, unter anderem eben auch hier Verdachtsmomente gegenüber Fußball geäußert werden. Und es ist ja logisch: Wenn zum Beispiel in der Leichtathletik eine Substanz zur Leistungssteigerung und zur Regeneration dient, warum sollte sie in anderen Sportarten nicht dazu dienen? Also ich glaube, wir sollten einfach realistisch sein, und dementsprechend ist es einfach auch nur ein Akt des Interesses aller Sportarten, hier Kontrollsysteme und eine Intensität der Kontrollsysteme aufzubauen, wie wir es in der Leichtathletik schon entwickelt haben.

    Müller: Wer weiß von diesen Kontrollsystemen denn en détail, weil es hat ja jetzt auch sehr, sehr viel Kritik in den vergangenen Tagen auch in den deutschen Medien gegeben, namentlich auch in der "Süddeutschen Zeitung", dass selbst die Kontrolleure manipulieren?

    Prokop: Gut, das ist natürlich schon, wenn diese Verdachtsmomente zutreffen, ein bedrückendes Element, weil damit natürlich die Glaubwürdigkeit massiv erschüttert würde. Ich glaube, dass wir zunächst mal momentan eine ganz andere Situation haben. Die Transparenz in unserem Kontrollsystem ist eine ganz andere. Wir haben im Gegensatz zu früher mit der nationalen Anti-Doping-Agentur nun eine unabhängige Einrichtung. Allerdings – und da bin ich jetzt auch mal durchaus kritisch – haben wir noch eine Situation, dass in der nationalen Anti-Doping-Agentur im Aufsichtsrat noch kraft Amtes institutionelle Vertreter des organisierten Sports sitzen. Ich glaube, aus der Studie, die nun veröffentlicht wird, sollten wir einen Schluss ziehen, dass wir nämlich wirklich eine strikte Trennung zwischen Dopingagentur und organisiertem Sport machen, und das würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass Vertreter des organisierten Sports nicht mehr institutionell im Aufsichtsrat der NADA sitzen sollten.

    Müller: Aber Sie sind ja auch Vertreter des organisierten Sports und sprechen sich für noch konsequentere und flächendeckendere Kontrollen aus.

    Prokop: Das ist richtig. Aber es ist ein Unterschied, ob ich mich für Kontrollen ausspreche, oder ob ich quasi die Kontrolleure kontrolliere.

    Müller: Sie sind ja seit Jahren auch in diesem Kampf gegen Doping engagiert. Jetzt verraten Sie uns, auch den Hörern des Deutschlandfunks doch, wer uns die Garantie gibt, dass diese Kontrollen dann auch funktionieren. Wir haben schon darüber gesprochen. Aber wissen Sie vor allem, wer in dieser Aufklärungsfrage blockiert?

    Prokop: Das ist ein sehr komplexes Feld. Ich glaube, insgesamt müssen wir den Bogen weiter spannen. Die Frage ist überhaupt, ob wir mit dem Kontrollsystem, so wie es momentan existiert, eigentlich die optimalen Möglichkeiten im Kampf gegen Doping bereits in Deutschland ausschöpfen. Und da bin ich überzeugt davon, dass dies nicht der Fall ist. Die Kontrollmöglichkeiten im Sport beschränken sich ja im Prinzip darauf, bei Athleten Urin- und Blutkontrollen vorzunehmen. Das gesamte Hinterfeld hinter den Athleten ist dem Sport ja generell verschlossen. Der Sport hat ja keine Möglichkeiten, zwangsweise Maßnahmen gegen Sportler oder gegen Unbeteiligte, im Hinterfeld arbeitende Menschen zu machen wie zum Beispiel Trainer, Manager, Ärzte und so weiter, also den gesamten Betreuungsblock der Athleten. Da ist eben der Staat gefordert und das ist meine zentrale Forderung: wir brauchen in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz, sprich wir brauchen strafrechtliche Möglichkeiten gegen dopende Sportler, die dann letzten Endes dem Staat auch ermöglichen, mit seinen überlegenen Ermittlungsmöglichkeiten hier auch im Dopingbereich aufzuklären, insbesondere in seiner ganzen Vielfalt von Hintergründen im Dopingbereich aufzuklären, und hier, glaube ich, ist nun einfach die Zeit gekommen, dass wir diesen Schritt machen in Deutschland, einen Schritt, der in anderen Ländern in Europa bereits vollzogen wurde.

    Müller: Wir sprechen in Moskau mit Leichtathletik-Verbandspräsident Clemens Prokop. – Reden wir noch einmal über die Zeit davor, 60er-, 70er-, 80er-Jahre, bislang ein bisschen ausgeklammert in dieser Dopingdiskussion, nicht vollständig, aber durch die neue Studie jetzt ganz, ganz oben auf der Agenda. Wussten Sie schon immer, das heißt seit Jahrzehnten, dass auch bei den westdeutschen Spitzenathleten, die Spitzenergebnisse zum Teil ja gebracht haben, etwas im argen liegt?

    Prokop: Ich meine, dass eine gewisse Ahnung bestanden hat, dass auch im Westen gedopt wurde, glaube ich, ist jetzt keine Überraschung und keine große Neuigkeit. Was die Studie allerdings offenbart – und da, glaube ich, kommt ihre Wucht her -, dieses Zusammenspiel von dopenden Sportlern, Sportfunktionären und am Ende möglicherweise auch eine gewisse Mitfinanzierung durch staatliche Mittel.

    Müller: Also durch die Politik, durch die Innenminister?

    Prokop: Ja. Ich sage jetzt einfach mal, ich kann es momentan nach dem Stand der Veröffentlichung nicht personifizieren, weil ja eben von 800 Seiten nur 117 Seiten veröffentlicht wurden und da ja eigentlich ganz wesentliche Fakten bislang eben nicht zugänglich sind.

    Müller: Sie haben auch nur die 117 Seiten, Sie haben nicht die 800 Seiten?

    Prokop: Nein, ich kenne nur die 117 Seiten, also praktisch die Zusammenfassung, und ich kann den Sportlern, die sich da jetzt geäußert haben, hier nur zustimmen. Es muss der gesamte Bericht veröffentlicht werden und wir müssen wirklich wissen, wer konkret betroffen ist. Es muss wirklich Ross und Reiter genannt werden. Weil ein Unterschied zur ehemaligen DDR bestand ja auf jeden Fall nach dem Ergebnis dieser Studie: Es gab kein staatlich verordnetes Doping, sondern es gab zwar offensichtlich ein in gewisser Weise gefördertes Doping, aber kein staatlich gefördertes Doping und damit auch kein flächendeckendes Doping in Deutschland. Und auch die Studie sagt klar, es waren eben nicht alle Sportler im Westen gedopt. Momentan stehen so ein bisschen die Sportler dieser Generation unter einem Generalverdacht und ich glaube, auf der anderen Seite im Sinne der Transparenz, auf der anderen Seite aber auch im Sinne der Athleten, die nicht von diesen Vorgängen betroffen waren, ist es einfach erforderlich, dass die Studie komplett veröffentlicht wird und dass am Ende Ross und Reiter genannt werden und wir diese Effekte beide durch die Veröffentlichung erreichen können.

    Müller: Herr Prokop, ich muss Sie noch was fragen. Die Nachrichten im Deutschlandfunk rücken näher an uns heran. Wir haben nicht viel Zeit, ich möchte Sie das trotzdem noch fragen, an Ihr Bauchgefühl appellieren beziehungsweise an Ihr Gefühl. Wenn Sie übermorgen, wenn ich das jetzt richtig notiert habe, den 100-Meter-Lauf schauen in Moskau und der Jamaikaner Usain Bolt sollte gewinnen, wie kommt das bei Ihnen an?

    Prokop: Ich glaube, wir hatten ja gerade im Sprint der Männer eine ganze Reihe von positiven Dopingfällen. Das zeigt, die Kontrollen werden wirksamer, und das spricht eher für die Glaubwürdigkeit der verbliebenen Sprinter beim Finale in Moskau.

    Müller: Bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk aus Moskau Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletikverbands. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Prokop: Auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.