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"Wir haben alle dazugelernt"

Integration war in hessischen Wahlkämpfen immer ein Reizthema. Vor allem der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch polarisierte mit seiner harten Linie. Sein Nachfolger Volker Bouffier geht mit dem Thema sachlicher um - trotzdem mache er zu wenig, findet die Opposition..

Von Thielko Grieß | 18.09.2013
    Loreena hält den Kopf gesenkt, ihre dicken, blauen Boxhandschuhe hält sie schützend vor ihren Kopf und schlägt dann zu. Die 12-Jährige tänzelt um ihren Trainer herum, im Boxring, der inmitten dieser Halle steht, einer alten Lagerhalle, im Offenbacher Norden am Ufer des Mains. Auf einer Hallenwand steht groß und auffordernd: Fair Play. Von der Decke hängen helle Strahler.

    "Und dann hinten raus, massiv rein, und jetzt, wenn es nicht langt von der Länge, halt noch mal ne Hand hinterher."

    Bernd Hackford treibt Loreena an. Heute geht es darum, dass sie den Schritt zur Seite hinbekommt, die Drehung.

    "Kapiert?"

    Hackford ist Geschäftsführer des Boxklubs Nordend in Offenbach. Vor elf Jahren hat er ein Projekt mit an den Start gebracht, mit dem Jugendliche von der Straße geholt wurden, viele mit Migrationshintergrund. Das Ziel: Boxen statt Prügeln, kontrollierte Aggression statt Schlägerei.

    "Boxen ist nicht nur Handschuh an und drauf, wie man immer denkt."

    Aus diesen Anfängen ist inzwischen weit mehr geworden, auch für Mädchen wie Loreena. Das Training hier stärkt ihr Selbstbewusstsein.

    "Ja, also, ich wurde oft gemobbt; die haben mich beleidigt und so … "

    Sie spricht etwas undeutlich – wegen der Plastikschiene, die ihre Zähne vor Schlägen schützt.

    "Die halten hier alle zusammen, wenn man was nicht kann, lachen die einen nicht gleich aus; sondern die helfen dann noch mal, erklären es noch mal."

    Sport, Regeln einhalten, auch Hausaufgabenhilfe – der Boxklub will das beibringen, was manche Jugendliche weder im Elternhaus, noch in der Schule lernen. Aber: Fürs Boxen brauchte der Klub Trainer, am besten eigene.

    "So ’ne Trainer-C-Lizenz, dass man wirklich als Trainer arbeiten darf, was ja auch wieder eine Qualifikation und ein Selbstwertgefühl darstellt, die kostet allein pro Person 750 Euro."

    Viel Geld, erst recht, wenn es mehrere Trainer sein sollen. Es hat dann aber doch geklappt mit der Ausbildung für zehn Boxtrainer, weil die Landesregierung geholfen hat. Denn Schwarz-Gelb hatte vor vier Jahren in Hessen sechs Modellregionen benannt, um in Projekten und Vereinen das Miteinander von Migranten und Nicht-Migranten zu fördern. Offenbach wurde eine der Modellregionen; der Boxklub war zwei Jahre lang im Programm. In der Landesregierung, die sich wiederwählen lassen möchte, stellt die FDP den Integrationsminister – zuständiger Sprecher der Fraktion ist der Frankfurter Hans-Christian Mick. Mit dem Thema Ausländer und Integration Wahlkampf machen? Diese Zeiten sind vorbei, sagt der FDP-Mann, auch in Hessen.

    "Viele Politiker haben früher gedacht, Deutschland ist kein Einwanderungsland. Das waren sicherlich Teile von der CDU, aber sicherlich auch Teile von der FDP. Da haben wir alle dazugelernt. Auf der anderen Seite haben Rote und Grüne immer früher gesagt, Deutschförderung, das brauchen wir nicht. Da haben auch die dazugelernt."

    Hessen hat für die Modellregionen insgesamt 5,4 Millionen Euro ausgegeben, ein Teil ging an die Stadt Offenbach, in deren Bevölkerung die Migranten inzwischen in der Mehrheit sind. Einer von ihnen ist Tarek Al Wazir, sein Vater stammt aus dem Jemen. Al Wazir aus Offenbach ist Spitzenkandidat der Grünen. Er wirft Schwarz-Gelb vor, zu viel untersucht und zu wenig umgesetzt zu haben.

    "Mein Paradebeispiel ist der islamische Religionsunterricht"

    … der im neuen Schuljahr an 27 Grundschulen für Kinder islamischen Glaubens begonnen hat. Für Schwarz-Gelb ein Zeichen ernst gemeinter Integrationspolitik.

    "Jetzt wird’s als großes Highlight von schwarz-gelber Integrationspolitik dargestellt, dass wir für 400 von 60.000 Schülerinnen und Schülern ein Angebot haben."

    Und, so ein anderer Kritikpunkt: Projekte wie die Modellregionen seien befristet.

    Offenbacher Innenstadt, Fußgängerzone. Ein Quartiermanager lädt an diesem Abend bulgarische Wanderarbeiter an einen Stand ein. Es gibt etwas zu essen – und Informationen. Eine kleine, schlanke Bulgarin in dunkler Lederjacke, Mitte 40, sucht eine Wohnung, dringend.

    "Sie sagt, die Deutschen geben keine Wohnungen den Bulgaren, egal, ob sie Arbeit haben oder nicht."

    Kein deutscher Vermieter wolle sie als Mieterin haben, klagt sie. Die Frau braucht Unterstützung – fernab der Heimat. Was sie nicht ahnt: Die Modellregion läuft aus – und wer ab dem nächsten Jahr das Quartiersmanagement zahlt, ist vor der Landtagswahl nicht mehr zu klären.