Archiv


"Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit"

Im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels in Lissabon hat der durch sein Engagement für Afrika bekannte Musiker Bob Geldof kritisiert, dass Konflikte wie in Simbabwe und Darfur nicht auf der Tagesordnung stünden. Diktatoren solle man sagen, dass sie nicht erwünscht seien, sagte Geldof mit Blick auf die Teilnahme des simbabwischen Präsidenten Robert Mugabe.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: EU-Afrika-Gipfel also ab heute Abend in Lissabon. Ein Jahr lang haben Politiker, Nichtregierungsorganisationen und Mitglieder der Zivilgesellschaften dieses Treffen vorbereitet. Ziel ist es, eine neue Partnerschaft einzugehen. Nicht wenige prominente Künstler haben sich in der Vergangenheit für die Afrika-Hilfe engagiert, nicht ohne kritisiert zu werden. Hilfsorganisationen glauben jedoch, ohne diese Art der Prominenz ist es kaum noch möglich, Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.

    Einer, der das seit mehr als 20 Jahren versucht, das ist der Musiker Bob Geldof. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, was sich seit seinen ersten Konzerten und Projekten für Afrika eigentlich verändert hat.

    Bob Geldof: Es hat sich völlig verändert. Wir sprechen heute über einen Kontinent mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von sechs Prozent, einem Kontinent, der den massiven Energiehunger von China und Indien stillt. Afrika hat damit eine ganze Reihe von geostrategischen Partnerschaften aufgebaut. Das hört sich jetzt vielleicht übertrieben an, aber wenn man in Afrika ist, sieht man den Unterschied. Das zeigt jetzt auch der EU-Afrika-Gipfel in Lissabon. Dieser Gipfel würde nicht stattfinden ohne den China-Afrika-Gipfel vor zwei Jahren. Dort haben die Chinesen den Afrikanern jede Menge Schecks ausgestellt und jetzt haben wir die europäische Antwort.

    Klein: China - Sie haben es gerade angesprochen - investiert massiv in Afrika. Aber ist das tatsächlich zum Wohle der Afrikaner?

    Geldof: Ja, ich denke, das ist es. Wir Europäer hatten die Möglichkeit. Schauen Sie: Europa ist der wohlhabendste Kontinent auf dem ganzen Planeten. Wir Glücklichen! Aber unser nächster Nachbar, nur zwölf Kilometer weiter weg, ist der ärmste Kontinent auf der Welt. Dort gibt es Möglichkeiten, aber es gibt auch große Ungleichheiten. Wir hätten eigentlich die Möglichkeiten in Afrika sehen sollen und nicht die Chinesen, die von ihren Bedürfnissen getrieben wurden. Aber unsere Bedürfnisse sind die gleichen, nämlich mit 900 Millionen potenziellen Kunden Handel zu treiben. Das gilt vor allem für Deutschland, das das größte Exportland auf der ganzen Welt ist. Aber es wird von China bald überholt werden. Schauen Sie sich die Menge der Güter an, die China nach Afrika exportiert, und dann sehen Sie die Möglichkeit, die wir verpassen. Und wenn Afrika sehr bald eine gesunde Wirtschaft hat, dann werden die Diskussionen über Hilfsgelder und Aids und Krankenhäuser und Schulen letztendlich in den Hintergrund treten. Das wird passieren; es passiert jetzt schon.

    Klein: Sie setzen sich schon lange für bessere Handelsbedingungen für Afrika ein. Wir haben jetzt die Verhandlungen über die sogenannten "economic partnership agreements", also Handelsabkommen zwischen der EU und Afrika. Was genau kritisieren Sie daran?

    Geldof: Die Europäische Kommission hat neue Wirtschaftsabkommen mit Afrika vereinbart, aber diese werden Afrika wieder aufgezwungen. Die Regeln der Welthandelsorganisation besagen, dass die seit sieben Jahren dauernden Verhandlungen vor dem 30. Dezember dieses Jahres abgeschlossen sein müssen. Sie setzen den kleinen, schwachen Ökonomien buchstäblich die Pistole auf die Brust und sagen, unterzeichnet dieses Abkommen jetzt, oder wir werden zu dem beschwerlichen System zurückkehren, das es vor den neuen Abkommen gab. So zwingen sie kleine Länder wie zum Beispiel Lesotho, ihre Märkte ganz zu öffnen. Können Sie sich vorstellen, Lesotho öffnet seine Märkte für einen Wirtschaftsgiganten wie Deutschland? Das ist lächerlich! Die werden doch überschwemmt. Deutschland hat keinen einzigen Vorteil davon und Lesotho sowieso nicht. Die Verhandlungen müssen deshalb eine entwicklungspolitische Komponente haben und die gibt es nicht. Wir führen uns ein bisschen auf wie ein Tyrann.

    Wir müssen begreifen, dass, wenn wir mit Energieriesen wie Angola, Libyen, Algerien oder Nigeria verhandeln, dann verhandeln wir mit unseren zukünftigen Partnern. Wir können mit unseren Energiebedürfnissen nicht mehr nur von Russland abhängig sein und wir schmälern unsere Optionen mit solchen Verhandlungen wie im Moment. Sie bringen Afrika nichts und uns in Europa auch nichts. Europa macht 40 Prozent des Welthandels aus und Afrika zwei.

    Klein: Lassen Sie uns auf die Diskussion über einen freien Marktzugang zu sprechen kommen. Den fordern Sie.

    Geldof: Das ist nicht wirklich unsere Forderung. Wir haben mehr oder weniger freien Zugang für afrikanische Güter. Es geht um das, was in Afrika produziert wird, nicht die Rohstoffe wie Kohle, Zink oder Öl. Wenn afrikanische Produkte nach Europa exportiert werden würden, würden wir auf dem europäischen Kontinent keinen Unterschied merken. Die Menge ist zu klein. Deshalb sagen wir, lasst doch diese Produkte auf unsere Märkte kommen. Europa, der wohlhabendste Kontinent, erhält viel mehr Subventionen als Afrika, der ärmste Kontinent und diese Asymmetrie muss korrigiert werden.

    Die Welt befindet sich zum Beginn des 21. Jahrhunderts in einer sehr interessanten Lage. Die aufstrebenden Ökonomien entkoppeln sich vom Dollar. Der Euro ist zu stark. Es gibt eine schreckliche Angst in Amerika um die Wirtschaft, aber China und Indien kümmern sich nicht darum. Europa muss sich dazu positionieren, und der beste Platz, wo wir anfangen können zu verhandeln, ist in Afrika. Und eine Chance dazu wird an diesem Wochenende in Lissabon sein.

    Deutschland hat dieses Jahr schon einmal den Weg nach Afrika gewiesen. Die Bundeskanzlerin hat eine erfolgreiche Reise durch Afrika gemacht. Sie hatte einen erfolgreichen G8-Vorsitz, was die Hilfsgelder für Afrika und den globalen Fonds zum Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria betrifft. Und das haben sich die Japaner jetzt zum Vorbild genommen für ihren G8-Vorsitz nächstes Jahr. Es ist im deutschen Interesse, den afrikanischen Markt für ihre eigenen Leute zu öffnen, und dem sollte sich die Kanzlerin in Lissabon wirklich widmen. Und um es ganz ehrlich zu sagen: Das ist genau das, was der Gipfel in Lissabon ignoriert und das ist eine Schande.

    Klein: Herr Geldof, lassen Sie uns noch einmal auf Afrika selbst schauen. Es gibt viele korrupte Eliten, die das Geld in ihre eigene Tasche wirtschaften. Das sogenannte NEPAD-Programm, "new partnership for african development", das also eine neue Partnerschaft mit Afrika aufbauen will, dieses Programm knüpft Bedingungen an Hilfsgelder, Bedingungen wie gute Regierungsführung, die Einhaltung von Menschenrechten oder Rechtstaatlichkeit. Können Sie hier über die letzten Jahre irgendwelche Fortschritte erkennen?

    Geldof: Die deutsche Organisation Transparency International von Peter Eigen hat gerade ihre neuesten Zahlen veröffentlicht und die zeigen, dass einige europäische Länder korrupter sind als manche afrikanischen Länder. Botswana zum Beispiel steht da vor Griechenland oder Litauen. Wir wissen mittlerweile über Siemens und sein Verhältnis zu Nigeria. Korruption in Afrika ist also nach wie vor ein Problem, aber es wird weniger. Wenn Afrika reicher wird, wird auch die Korruption abnehmen. Außerdem hemmt die Korruption die Entwicklung nicht. Die südostasiatischen Staaten zum Beispiel boomen, obwohl sie viel korrupter sind. Ökonomen sagen, wenn ein Land neun Prozent seiner Wirtschaftskraft an die Korruption verliert, kann es sich immer noch entwickeln. Ich schätze die durchschnittliche Korruption in Afrika liegt irgendwo bei 3,5 bis 4 Prozent. Das sollte die Entwicklung nicht hemmen.

    Klein: Der Gipfel in Lissabon wird sich nicht vorrangig mit Simbabwe und Darfur beschäftigen. Europäische und afrikanische Autoren haben dagegen protestiert. Ist es ein Fehler, dass diese Konflikte in Lissabon nicht offiziell auf der Tagesordnung auftauchen?

    Geldof: Es ist ein Fehler, denn worüber auch immer wir verhandeln, wir haben schließlich unsere Werte und wir leben durch diese Werte. Wir irren vielleicht darin, dass wir diese Werte als universelle Gesetze ansehen, und es ist auch wahr, dass die afrikanischen Länder, in denen es diese Freiheiten gibt, sich schneller entwickeln, wie zum Beispiel Mosambik und Botswana. Ich glaube, immer wenn ein internationaler Diktator in einem Raum ist, sollte man ihm klar machen, dass er nicht akzeptiert wird. Bei Simbabwes Präsident Mugabe und Sudans Präsident Baschir sagen die Afrikaner: Lasst uns mal damit fertig werden. Ihr kümmert euch um euere Angelegenheiten. Ich finde das falsch, denn wir haben auch unsere Meinung dazu, aber die sollte die Verhandlungen nicht behindern: darüber, wie wir gemeinsam vorwärts kommen. Wir haben keine andere Wahl. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, manchmal eine glückliche, manchmal eine unglückliche. Wir müssen einen neuen Pakt finden, um gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Irrelevante Schurken wie Baschir und Mugabe sollten uns da nicht in den Weg kommen. Dennoch muss man ihnen sagen, was man von ihnen hält, und je eher sie gehen, desto besser.

    Klein: Lassen Sie mich zum Schluss noch Sie persönlich fragen: Was sind Ihre Pläne? Wird es ein neues "Live8" geben oder etwas Ähnliches?

    Geldof: "Live Aid" war vor 25 Jahren notwendig, um das Interesse der Menschen auf Afrika zu lenken. Da haben wir uns mit den Symptomen der Armut beschäftigt wie Hunger und Konflikt, Krankheit und den Mangel an Bildung. 20 Jahre später haben wir dann "Live8" organisiert, um uns mit den Strukturen der Armut auseinanderzusetzen: die politische und ökonomische Ungerechtigkeit. Das haben wir zum Beispiel beim G8-Gipfel in Gleneagles im Jahr 2005 gemacht und die Folge davon war, dass Deutschland diese Herausforderung dieses Jahr in Heiligendamm angenommen hat. Und die Folge von all diesen Aktivitäten ist, dass 29 Millionen Kinder seit dieser Zeit zur Schule gegangen sind und dass der Schuldenerlass an die 390 Millionen Menschen in vielen Ländern befreit hat, die jetzt ein Leben führen können, das ein bisschen mehr sagen wir vorhersehbar ist. Das ist der Unterschied zwischen "Live8" und "Live Aid". Beide waren notwendig. Ich werde zu alt sein, wenn es Zeit für das nächste ist. Ich hoffe, dass kein nächstes notwendig ist. Ich wüsste nicht, in welche Richtung das gehen sollte. Jetzt geht es darum, sich Stück für Stück mit diesen Strukturen auseinanderzusetzen. Das ist möglich. Innerhalb der nächsten 20 Jahre werden die afrikanischen Ökonomien Teil der Weltwirtschaft sein. Afrika besitzt jede Ressource, die wir brauchen, und deshalb gibt es keine andere Möglichkeit und das machen wir uns besser klar, an diesem Wochenende mit Afrika auf dieser Ebene zu verhandeln.