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"Wir müssen in Zukunft länger arbeiten"

Weniger Kinder - mehr ältere Menschen. Es bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als die Rente hinauszuschieben, meint der Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Brenke. Dies schließt auch die Hinnahme von Rentenabschlägen mit ein.

Karl Brenke im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.08.2010
    Sandra Schulz: Wer älter als 46 ist, kann diese Diskussion eigentlich recht entspannt verfolgen, jedenfalls was die persönliche Perspektive betrifft. Ab 2012 wird die Altersgrenze für die Rente ja schrittweise angehoben. So hat es die Große Koalition beschlossen. Bis 67 arbeiten müssen danach erst die Versicherten ab Jahrgang 1964, also die heute 46-Jährigen. Kritik an der Rente mit 67 kommt bei den Sozialdemokraten, aber natürlich nicht nur nach Altersgruppen sortiert. Zuletzt hatten SPD-Chef Sigmar Gabriel und SPD-Fraktionsvorsitzender Steinmeier unterschiedliche Meinungen geäußert. Es sind beide älter als 46. Die Bundesregierung hat die Rente mit 67 jetzt erneut gegen die Kritik in Schutz genommen.
    In den kommenden Minuten wollen wir beim Thema bleiben. Am Telefon begrüße ich Karl Brenke, beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zuständig für den Arbeitsmarkt. Guten Tag!

    Karl Brenke: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Die Älteren sind die Gewinner am Arbeitsmarkt. Das haben wir gerade gehört. Ist das jetzt ein Argument für oder gegen die Rente mit 67?

    Brenke: Das ist ein Argument für die Rente mit 67. Man muss sehen: wenn man das Jahr 2000 als Maßstab nimmt, dann ist die Beschäftigung in Deutschland insgesamt um 3 Prozent gewachsen bei denjenigen, die unter 55 sind, bei den Älteren aber nicht um 3 Prozent, sondern um 30 Prozent. Wir haben einen Riesenaufbau bei der Beschäftigung der Älteren und die Arbeitsplätze insgesamt, die in den letzten 10 Jahren entstanden sind, wurden zur Hälfte von Älteren getragen. Das heißt, die Beschäftigungssituation der Älteren hat sich sehr stark verändert. Damit stehen wir aber in Deutschland nicht allein; das ist insgesamt in Europa, aber auch in den entwickelten Industriestaaten dasselbe Phänomen. Die Älteren werden auf dem Arbeitsmarkt immer präsenter und das ist nicht nur eine Folge von Reformen hierzulande. Die spielen natürlich auch eine Rolle. Vor allen Dingen ist es aber eine Folge des sektoralen Wandels, weg von Industrie, weg von der Bauwirtschaft, also von körperlich schwerer Arbeit, hin dann zu den Dienstleistungen. Die Leute können länger arbeiten, weil die Arbeit eine andere wird, eine leichtere wird. Und vor allen Dingen spielt auch eine Rolle: die Älteren, die heute auf dem Arbeitsmarkt sind, sind qualifizierter als die Alterskohorten vor 10 oder 20 Jahren im entsprechenden Alter. Das liegt daran, dass wir – und da ist Deutschland auch nicht alleine – in den 60er, 70er-Jahren einen Bildungsboom hatten.

    Schulz: Jetzt gibt es aber trotzdem Zahlen, nach denen noch 2008 nur knapp 10 Prozent aller 64-Jährigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben. Wie viel Arbeit gibt es denn dann für die 66-Jährigen?

    Brenke: Das wird abzuwarten sein. Man sieht aber eindeutig den Trend, dass die Beschäftigung bei den Älteren wächst. Natürlich ist es noch so, dass im Vergleich zu früher wir zwar einen Zuwachs haben, aber dass eben relativ wenige noch im Arbeitsmarkt sind. Aber ich glaube, der Trend spricht dafür, dass wir in Zukunft mehr und mehr Ältere auf dem Arbeitsmarkt haben. Das Problem, was anzusprechen ist – in dem vorhergehenden Beitrag wurde es ja gar nicht erwähnt -, wir haben nicht nur die Schwierigkeit in Deutschland, dass die Gesellschaft immer älter wird, das heißt die älteren Personen länger leben, sondern wir haben auch in Deutschland das Problem, dass wir immer weniger Kinder haben, und da bleibt eigentlich nichts anderes übrig, als die Rente hinauszuschieben. Natürlich wird es nicht so sein, dass der Bauarbeiter, der mit 16 oder 17 Jahren ins Berufsleben tritt, eine Lehre anfängt, dann auch bis 67 arbeiten muss. Der wird vorher ausscheiden. Aber ein großer Teil der Arbeitnehmer wird länger arbeiten, weil sie sich das auch körperlich und geistig erlauben können.

    Schulz: Aber wenn der Trend vielleicht so ist, wie Sie ihn gerade schildern, dann bleiben doch die absoluten Zahlen so, wie auch gerade skizziert. Das heißt doch trotzdem, dass das Argument von Sigmar Gabriel dann stimmt, dass die Rente mit 67 im Moment faktisch auf eine Rentenkürzung hinauslaufe, oder?

    Brenke: Sagen wir es mal so: Wir gucken uns mal die Verhältnisse heute an. Wir haben heute das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65. Faktisch ist es aber so, dass tatsächlich im Schnitt mit knapp 62 in Rente gegangen wird. Also die Wirklichkeit ist schon mal etwas anders als das Gesetz. Natürlich werden Rentenabschläge hingenommen werden müssen, aber daran wird auch kein Weg in der Zukunft vorbei gehen. Das ist heute auch schon der Fall. Darin wird auch in der Zukunft kein Weg vorbei gehen, weil eben die nachwachsenden Generationen immer kleiner werden.

    Schulz: Ist die Rente mit 67 oder die Diskussion darum jetzt die erste Chance, auch ehrlich über Rentenkürzungen zu sprechen?

    Brenke: Man wird gewiss diskutieren müssen, wie wird das Bruttosozialprodukt, was in Zukunft erwirtschaftet wird, verteilt werden können, wenn die nachwachsenden Generationen kleiner werden. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich sagen: die Produktivität, also das, was eine Person in einer Stunde oder in einer gegebenen Arbeitszeit leisten kann, wird auch steigen. Von daher: Wir werden eine steigende Wirtschaftsleistung haben, aber man wird natürlich darüber diskutieren müssen, wie wird die verteilt werden können zwischen den Generationen.

    Schulz: Und das differenzierte Modell, das jetzt Kurt Beck hier im Deutschlandfunk vorgeschlagen hat, wäre das vielleicht eine Lösung?

    Brenke: Ich glaube, man sollte die Probleme offen ansprechen, und ich glaube, der Weg ist ein richtiger, dass man sagt, wir müssen in Zukunft länger arbeiten. Daran wird kein Weg vorbei gehen. Und jetzt wieder eine neue Debatte eröffnen, zumal auch in der Sommerpause, wo man sagt, wir gehen von alten Beschlüssen herunter, ist, glaube ich, meines Erachtens nicht der richtige Weg, sondern man muss offensiv sagen, wir müssen in Deutschland länger arbeiten. Wir leben länger, wir haben aber auch weniger Kinder. Da wird man jetzt an der einen oder anderen Feinschraube drehen können, aber das löst nicht das Problem, sondern das Problem wird eben bestehen bleiben: wie verteilen wir die Wirtschaftsleistung in der Zukunft zwischen den Generationen.

    Schulz: Wann beginnen wir die Diskussion um die Rente mit 69 oder 70?

    Brenke: Ich würde das erst mal aufschieben, sondern wie gesagt: heute ist schon die Wirklichkeit eine andere als sie im Gesetz steht. Heute liegt das tatsächliche Renteneintrittsalter unter den 65 Jahren. Wir werden das auch in Zukunft so haben, es wird auch flexible Handhabungen geben müssen. Für Leute, die körperlich hart arbeiten, wird es anders sein als für Leute, die einen Bürojob haben. Ich glaube, man sollte auch die Zukunft ein bisschen abwarten, aber man sollte natürlich nicht von der grundsätzlichen Diskussion abweichen, die da heißt, die Gesellschaft wird älter, es wachsen weniger Kinder nach, wie verteilen wir die Wirtschaftsleistung.

    Schulz: Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung heute hier in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!