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"Wir müssen lernen, die anderen zu respektieren"

"Das Wertvollste im Leben ist die religiöse Identität", und die dürfe man nicht antasten, meint Anba Damian, Generalbischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland. Den Respekt, den Muslime für ihre Religion erwarten, müssten sie auch den Christen entgegenbringen. In diesem Prozess setze der Papst mit seiner Libanonreise ein Friedenszeichen.

Anba Damian im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 15.09.2012
    Jürgen Zurheide: Der Papst ist im Libanon unterwegs und eigentlich dient diese Reise der Versöhnung und der Verständigung, das zumindest, so lauten die Predigten. Es ist eine schwierige Mission und, das wissen wir, vor allen Dingen im Libanon selbst. Denn dort auch gibt es immer wieder Unruhen.

    Über all das, aber auch über die Vorgänge im Nahen Osten in diesen Tagen wollen wir jetzt sprechen, und ich begrüße dazu das Oberhaupt der Kopten in Deutschland, Bischof Anba Damian, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen!

    Anba Damian: Guten Morgen, Jürgen Zurheide!

    Zurheide: Ihr Leben, Sie leben hier in Deutschland seit Jahren und Ihr Leben ist der Verständigung gewidmet, der Verständigung zwischen den Kulturen, der Verständigung zwischen den Religionen. Sie selbst, muss man hinzufügen, sind in Kairo geboren und sind aber eben lange inzwischen schon hierzulande aktiv, das Oberhaupt der christlichen Kopten. Also, Ihr Leben für Verständigung. Und wenn wir jetzt in die arabische Welt schauen, sehen wir Bilder des Hasses. Was geht in Ihnen vor?

    Damian: Menschen haben das Gefühl, ihren Propheten verletzt zu haben. Und die sind zornig und möchten eben ihren Glauben verteidigen. Sie fühlen sich in ihrer Ehre, in ihrer Identität verletzt und deswegen muss man ihnen klar sagen: Wenn ein Mensch irgendwas tut, so wie ein Film, muss dies nicht repräsentativ für seine ganzen Landesleute sein. Denn die Freiheit erlaubt, dass die Leute sich äußern, auch wenn das nicht unbedingt gefällt. Also, das Verhalten eines einzigen amerikanischen Staatsbürgers ist nicht repräsentativ für die ganzen Amerikaner!

    Und genau dasselbe für die Muslime: Wenn ein muslimischer Terrorist ein Gebäude angreift, ist das nicht repräsentativ für alle Muslime! Und wenn wir von Respekt, Religionsfreiheit sprechen, dann muss das nicht nur Respekt vor dem Islam, sondern auch Respekt vor der christlichen Religionsfreiheit sein. Wenn Sie hören und schauen, wie ein Scheich die Bibel vor der Tür der amerikanischen Botschaft in Kairo zerfetzt hat und dann darauf gepinkelt hat, dann frage ich: Ist das schön, ist das auch ein Respekt?

    Ich bin fest überzeugt, dass sehr viele Muslime empört sind, genau so empört über die Verletzung der Würde der Heiligen Schrift der Christen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns gegenseitig Respekt schenken müssen, unabhängig davon, ob wir damit überzeugt sind. Wir dürfen ruhig verschiedene Meinungen haben, aber dabei müssen wir darauf achten, die Gefühle der anderen nicht zu verletzen.

    Zurheide: Aber das Irritierende ist ja, dass offensichtlich in dem Fall ein dümmliches Machwerk – ich will da gar nicht weiter drüber reden –, dass das die Seelen so aufputscht! Das lässt ja die Frage zu, was ist da vorher möglicherweise an Demütigung gewesen? Oder wie können Sie uns das erklären?

    Damian: Ich glaube, dass die Menschen sehr temperamentvoll sind und dass sie nicht voll über die Wahrheiten informiert sind. Sie sind undifferenzierte Menschen, sehr viele sind auch Analphabeten. Deswegen die Reaktion, die wir überall sehen, ist auch für uns Ägypter fremde Reaktionen beziehungsweise sozusagen sehr temperamentvoll und sehr lebhaft. Das kann man zwar verstehen, aber die Reaktion der intellektuellen Menschen, auch in meinem Heimatland, sind ausgewogen und sehr überlegend.

    Ich denke, es ist ein Indiz auch, dass man zu seiner Religion steht, dass man … Das Wertvollste im Leben ist die religiöse Identität, und die darf man eigentlich nicht antasten. Aber wir müssen dabei lernen. Wenn wir von den anderen Respekt erwarten, müssen wir auch den anderen Respekt erweisen! Es tut weh, wenn jemand einen Film produziert und dabei die Gefühle der Menschen verletzt, es tut auch weh, unschuldige Menschen zu vergewaltigen, es tut auch weh, unschuldigen Menschen unrecht zu tun. Also, wir müssen lernen, die anderen zu respektieren, aber dabei auch dieselben Maßstäbe zu verwenden.

    Zurheide: Sie haben gerade von denselben Maßstäben gesprochen. Es taucht ja zum Beispiel die Frage auf, wie es denn sein kann, dass ein solcher Film solche Reaktionen hervorruft, dass auf der anderen Seite die Vorgänge, die wir in Syrien im Moment tagtäglich beobachten und wo die Bilder ja auch geliefert werden, dass die praktisch hingenommen werden! Ich weiß, Vergleiche hinken da immer, aber man stellt sich schon die Frage: Ja, warum gibt es jetzt diese Welle der Empörung, aber in Syrien, das nimmt man offensichtlich hin?

    Damian: Ich denke, das ist fast in der Medizin bekannt: Wenn jemand eine Allergie hat gegen Aspirin und Sie geben ihm nur paar Tropfen, dann gibt es eine allergische Reaktion, und die kann tödlich sein. Dasselbe ist auch bekannt, wenn jemand Allergie gegen Penizillin hat und Sie geben ihm eine Spritze, dann ist die Gefahr vorhanden, dass eine Schockreaktion so aggressiv, dass eventuell der Patient an Ort und Stelle des Spritzens zum Tode fällt.

    Also, ich denke, die Menschen sind vorsensibilisiert. Die Menschen sind innerlich vorbereitet und, wie gesagt, sind auch belastet. Diese Menschen in ihrem Heimatland haben Sehnsucht nach Freiheit, Würde, Job, würdiges Leben, und die denken, vielleicht durch die außergewöhnliche Religiosität, vielleicht erreichen wir das, was wir bis jetzt nicht erreicht haben. Ich glaube, die Vorsensibilisierung spielt eine Rolle und die Medien. Im Augenblick beschäftigen wir uns nicht mit Bekämpfung von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, Ignoranz, sondern das Thema Religion ist sehr ausgeprägt im Alltag. Es wird Tag und Nacht nur Fernsehprogramme über Religion. Es wird auch nicht immer die Wahrheit erzählt und es wird auch kein reales Bild vermittelt. Diese religiösen Halluzinationen spielen eine Rolle bei der Reaktion der Menschen.

    Zurheide: Was erwarten Sie vom Papstbesuch im Libanon?

    Damian: Der Papst ist ein Botschafter des Friedens. Er hat ein offenes Herz für die Menschen, behandelt die Menschen sehr charaktervoll, und so wie in Deutschland hat er extra den Vertretern der Muslime eine Audienz geschenkt und hat ihnen sehr viel Zeit gegeben, sehr viele, ausführliche Gespräche geführt. Ich denke, mit seinem Dasein möchte er sozusagen neue Impulse geben für den Frieden, für das Miteinander, für eine gegenseitige Verständigung, für die Religionsfreiheit, Respekt und Liebe.

    Ich denke, als Oberhaupt einer Kirche mit 1,3 Millionen Menschen [Anmerkung der Redaktion: Nach Angaben des Päpstlichen Jahrbuchs 2012 stieg die Zahl der Katholiken im Jahr 2010 auf 1.196 Milliarden], wenn er sein Leben in Gefahr begibt und ein Land wie den Libanon besucht, das muss man ihm eigentlich sehr, sehr hoch anschätzen und würdigen. Das ist schon ein Zeichen.

    Er riskiert sein Leben und als Oberhaupt einer solchen großen Kirche macht er das nur, um Zeichen für den Frieden zu setzen. Ich wünsche mir, dass seine Botschaft verstanden wird. Er ist gleichzeitig ein Staatspräsident und er ist gekommen, streckt seine Hände aus und bittet für den Frieden und betet für den Frieden, segnet das Land, segnet das Volk. Ich wünsche ihm viel Erfolg in seiner ehrenvollen Mission …

    Zurheide: … okay …

    Damian: … und, dass die Christen und Muslime zugleich diese Botschaft gut verstehen!

    Zurheide: Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch. Das war Bischof Anba Damian, das Oberhaupt der christlichen Kopten in Deutschland. Herzlichen Dank für das Gespräch um 06:59 Uhr.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.