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"Wir müssen thematisch wieder in die Offensive kommen"

Die permanente Personaldiskussion helfe der Linkspartei nicht weiter, sagt Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Er fordert eine Fokussierung auf inhaltliche Themen, mit denen die Linkspartei in der Vergangenheit Erfolg hatte.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.01.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Bei der Bundestagswahl im Jahr 2009 erzielte die Partei Die Linke fast zwölf Prozent der Stimmen. Lang, lang ist’s her, könnte man sagen, denn die Partei kann trotz der Krise nicht von den Verlusten anderer Parteien profitieren. Bei Umfragen verharrt sie bei etwa sechs Prozent, also etwa der Hälfte. Die Parteivorsitzenden, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst, machen aus Sicht auch vieler Linker nicht gerade eine glückliche Figur. Jetzt kündigte Fraktionschef Gregor Gysi in der Zeitschrift "Superillu" an, bei der nächsten Bundestagswahl 2013 erneut als Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen. Er nehme an, dass das auch für Oskar Lafontaine gelte, fügte er noch hinzu. – Am Telefon begrüße ich dazu Dietmar Bartsch, den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken, der bereits seine Kandidatur als Parteichef angekündigt hatte. Schönen guten Morgen, Herr Bartsch!

    Dietmar Bartsch: Guten Morgen! Ich grüße Sie und wünsche noch ein schönes neues Jahr und ein gesundes.

    Heckmann: Wünsche ich Ihnen auch. – Herr Bartsch, kommen wir dennoch zur Sache. Gregor Gysi ist 64, er wird fast 70 sein, wenn die nächste Legislaturperiode ausgelaufen sein wird. Oskar Lafontaine ist bereits 74. Wird die Rettung der Partei also zu einer Aufgabe der Senioren?

    Bartsch: Also Oskar Lafontaine ist keine 74! Er ist irgendwie Ende 60, glaube ich, 68. Aber ich finde, dass diese Frage nicht zu allererst nach dem Alter entschieden wird, und wir werden mit Sicherheit in die Bundestagswahl auch mit jüngeren Kandidatinnen und Kandidaten gehen. Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Debatte über die Spitzenkandidatur zu den Bundestagswahlen zu früh ist. Entscheidungen trifft man dann, wenn sie anstehen, und diese Entscheidung steht jetzt nicht an. Wir haben uns zu konzentrieren auf das, was wir inhaltlich anbieten. Wir haben einen Parteitag in Göttingen vorzubereiten und zunächst noch nicht über diese Frage zu sprechen.

    Heckmann: Oskar Lafontaine hat sich auch zu Wort gemeldet. Er hat gemeint, wir haben zu viele Eigentorschützen in unserer Partei, die ununterbrochen über Personalfragen quatschen würden. Hat da Gregor Gysi die Mechanik der Politik nicht richtig verstanden?

    Bartsch: Ich weiß nicht, ob Oskar Lafontaine Gregor Gysi gemeint hat, aber er hat zweifelsfrei recht. Ich bin der Auffassung, dass die ständige mit uns selbst Beschäftigung uns nicht voranbringt. Wir müssen thematisch wieder in die Offensive kommen. Wir brauchen mit dem Parteitag im Juni einen Aufbruch der Linken. Das brauchen wir insbesondere angesichts der Situation, die Sie zu Beginn geschildert haben. Wir sind in einer ausgesprochen schwierigen Situation in Europa. Wir haben auch innerhalb Deutschlands viele Probleme. Da ist die Linke gefordert. Und die permanente Personaldiskussion, die hilft uns nicht. Wir sollten diskutieren, wie wir mit einer guten Führung nach dem Juni in die Auseinandersetzung gehen, aber das auch möglichst in Gelassenheit und zu allererst innerhalb der Partei.

    Heckmann: Oskar Lafontaine, der jetzt im Herbst 69 wird und am Ende der Legislaturperiode dann 74 sein wird – ich wollte ihn nicht älter machen, als er ist -, Herr Bartsch, er hatte Ihnen Indiskretion vorgeworfen, und auch Gregor Gysi hat öffentliche Kritik an Ihnen geübt. Sie haben sich dann als Bundesgeschäftsführer zurückgezogen. Wie ist eigentlich ihr Verhältnis zueinander? Wie viel bleibt da zurück, wenn man derart kaltgestellt wird?

    Bartsch: Also um auf die damalige Situation noch einmal zurückzukommen: Oskar Lafontaine hat diese Vorwürfe nie gemacht; die hat Gregor Gysi öffentlich gemacht. Ich habe das in Klarheit und in Deutlichkeit zurückgewiesen. Es ist und bleibt Unsinn, was dort erzählt worden ist. Ich habe auch im Übrigen danach meine Funktion als Bundesgeschäftsführer bis zum Mai 2010 ausgefüllt, unter anderem noch die erfolgreichen Wahlen in Nordrhein-Westfalen mitbestritten. Natürlich sind derartige Sachen nicht vergessen, da bleiben Verletzungen, aber wir sind in der Politik und ich sage ganz klar und eindeutig, wir haben gemeinsame politische Ziele, wir sollten nach dem wenig erfolgreichen Jahr 2011 schauen, wie wir die Linke wieder auf die Erfolgsspur bringen können. Das ist eine politische, das ist eine strategische Frage, und ich finde, genau so sollten wir herangehen. Dass es in der Politik Verletzungen gibt, ist leider so, ich habe diese Erfahrungen auch machen müssen. Aber Sie sehen: Ich bin stellvertretender Fraktionsvorsitzender, engagiere mich da dafür, dass wir erfolgreich sind für die Menschen in diesem Land und in Europa.

    Heckmann: Die Linke, Herr Bartsch, dümpelt bei den Umfragen bei sechs Prozent, ich habe es gerade eben schon gesagt. Woran liegt das? Weshalb kann die Partei nicht profitieren von der Situation?

    Bartsch: Sie haben völlig richtig beschrieben: Unsere Umfragewerte sind nicht erfreulich, die Wahlergebnisse des letzten Jahres waren das nur sehr bedingt und unsere Mitgliederzahl geht zurück. Ich glaube, dass wir grundsätzlich eine Sachanalyse machen müssen, dass wir mit den sinnvollen und erfolgreichen Themen, die Die Linke sehr wohl hat – wir brauchen doch eine Diskussion, wie ist unser Gemeinwesen organisiert, insbesondere fordere ich, dass wir die Rückgewinnung des Öffentlichen brauchen. Wir müssen dafür sorgen, dass Dinge, dass öffentliche Güter wie Energie, wie Infrastruktur, wie Kultur nicht der Profitlogik unterworfen werden. Wir müssen für gute Arbeit und gute Renten kämpfen. All diese Dinge stehen an, weniger die innerparteilichen Diskussionen. Deswegen sage ich, eine klare Bestandsanalyse, eine klare politische, strategische und inhaltliche Orientierung, dann können wir auch wieder auf die Erfolgsspur kommen. Denn unsere Inhalte sind eigentlich in der aktuellen Situation mehr denn je gefordert.

    Heckmann: Eine klare Orientierung, Herr Bartsch, ist sicherlich auch wichtig in der Außenpolitik. Kommen wir da mal zu dem Aufruf, den die Abgeordneten Diether Dehm und Sevim Dagdelen zum Thema Syrien und Iran unterzeichnet haben. Ich möchte daraus mal kurz zwei Zitate bringen. In diesem Aufruf steht, "NATO und USA bereiten offen den Krieg gegen die strategisch wichtigen beziehungsweise rohstoffreichen Länder Syrien und Iran vor, die eine eigenständige Politik verfolgen und sich ihrem Diktat nicht unterordnen." Und weiter: "Mit Sabotage und Terroraktionen von eingeschleusten Spezialeinheiten hielten die USA mit weiteren NATO-Staaten und Israel Syrien und den Iran in einem Ausnahmezustand, der sie zermürben soll." Erinnert Sie das irgendwie auch an das Glückwunschschreiben an Fidel Castro damals?

    Bartsch: Ich würde diese beiden Dinge überhaupt nicht vergleichen. Eines ist ganz klar – und das gilt für die Linke -, es gibt keinerlei, also keinerlei, nicht den Hauch von Solidarität mit den Regimen von Assad und Ahmadinedschad. Das ist klar und eindeutig. Das ist nicht unsere Position. Und ich sage, wer auch nur den Anschein erweckt, dass hier die Linke solidarisch wäre, der liegt wirklich ausdrücklich falsch.

    Richtig ist auch: Die NATO hat in Libyen Krieg geführt. Wir waren gegen diesen Krieg. Die Linke lehnt völkerrechtswidrige Kriege klar und deutlich ab und wir wollen auch keinen Krieg im Iran und in Syrien, weil niemand weiß, wie solche Kriege ausgehen können. Aber das ist völlig unbenommen und ich für meinen Teil hätte diesen Aufruf und habe ich selbstverständlich auch nicht unterzeichnet. Das ist nicht die Position, die etwa die Partei Die Linke oder die Bundestagsfraktion so beschlossen hat.

    Heckmann: Aber Frau Dagdelen spricht in außenpolitischen Fragen für die Fraktion der Linken?

    Bartsch: In dieser Frage spricht sie nicht für mich.

    Heckmann: Dietmar Bartsch war das, der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Die Linke. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Bartsch: Ich danke auch. Einen schönen Tag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.