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"Wir schätzen es nicht, wenn man uns unter Druck setzt"

Doris Leuthard hat Verständnis dafür geäußert, dass in der Finanzkrise jeder Finanzminister versucht, die Steuereinnahmen aufzustocken. Gleichwohl hält sie es für möglich, dass die Bundesregierung beim Ankauf von Steuer-CDs "rechtstaatliche Regeln" verletzt habe.

Doris Leuthard im Gespräch mit Gerwald Herter | 28.04.2010
    Gerwald Herter: Ein Staatsbesuch ist es zwar nicht, weil es anders als in Deutschland in unserem Nachbarland, der Schweiz, formal gar kein Staatsoberhaupt gibt. Dennoch wird die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard heute von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit militärischen Ehren in Berlin empfangen. Die Kavallerie wird dabei nicht zum Einsatz kommen, damit hatte der frühere deutsche Finanzminister Steinbrück wegen der Schwarzgeldkonten einst gedroht, aber die Besteuerung von deutschen Guthaben auf Schweizer Bankkonten wird auch eines der Gesprächsthemen sein. Mit der Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthard habe ich vor der Sendung darüber gesprochen. – Guten Morgen, Frau Leuthard!

    Doris Leuthard: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Eines können wir gleich zu Anfang klarstellen: das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern, der Schweiz und Deutschland, ist gut, sogar sehr gut. Zwischenzeitlich sah es so aus, als sei es nicht so gut. Gab es dafür atmosphärische Gründe?

    Leuthard: Ja, ich glaube, es ist wirklich so. In der Gesamtübersicht unserer bilateralen Verhältnisse sind wir sehr gute Freunde, sehr gute Nachbarn. Es gab natürlich letztes Jahr mit Herrn Finanzminister Steinbrück atmosphärische Tonalitäten, die wir nicht so geschätzt haben. Mittlerweile, glaube ich, ist das ausgeräumt.

    Herter: Als Deutscher kann man leicht den Eindruck bekommen, wenn man so die Berichterstattung verfolgt, dass das Schweizer Bankgeheimnis mindestens so alt ist wie der Rütli-Schwur und mindestens bei allem Respekt ebenso heilig. Tatsächlich wurde es erst 1934 eingeführt. Warum haben sie sich so lange gegen jede spürbare Einschränkung des Bankgeheimnisses gewehrt?

    Leuthard: Ja! Es ist natürlich ein Entscheid der Schweizer Gesetzgeber, des schweizerischen Parlamentes und des Volkes, wie wir unsere Zusammenarbeit mit Drittstaaten ausgestalten. Das ist unser Recht und es wurde ja auch nie mokiert. Wir haben mit Doppelbesteuerungsarbeiten aber unsere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene bei Steuerdelikten laufend angepasst, so denn auch im März vergangenen Jahres, wo wir denn auch den internationalen Standard der OECD voll umfänglich akzeptiert haben.

    Herter: Musste die Schweiz dazu eine Art von Kulturschock überwinden, so wie das eine Kollegin von Ihnen einmal ausgedrückt hat?

    Leuthard: Kulturschock würde ich nicht ausdrücken, aber wir schätzen es nicht, wenn man uns unter Druck setzt. Diverse Staaten, die kritisiert haben, haben mit uns gar kein modernes Doppelbesteuerungsabkommen. Ist das jetzt unsere Schuld?

    Herter: Dieses Doppelbesteuerungsabkommen ist zwischen der Schweiz und Deutschland jetzt in Sicht. Sie wollen den deutschen Behörden künftig helfen, wenn die den Verdacht haben, dass deutsche Anleger Steuern hinterziehen. Was hatte Sie denn bislang daran gehindert, mal von dem Abkommen selbst abgesehen?

    Leuthard: Es gab ja schon ein bestehendes Doppelbesteuerungsabkommen, das funktionierte einfach nicht für den Bereich der Steuerhinterziehung. Deutschland hat es dann unterlassen, mit der Schweiz ein neues Abkommen auszuhandeln. Als die OECD dazu hinübergegangen ist, neben Betrug auch andere ähnliche Delikte auszuarbeiten, da hat Deutschland nicht mitgemacht, war also nicht unsere Schuld. Jetzt mit dem modernen DBA sind auch alle Arten von Steuerhinterziehungsgeschäften Bestandteil der Amtshilfe. Das ist für uns in Ordnung so und wir hoffen dann auch, dass beiderseits dieses Abkommen bald unterzeichnet wird und in Kraft treten kann.

    Herter: Sie haben ja selber gesagt, Sie mögen es aber nicht, wenn man Sie unter Druck setzt. War die Anfrage aus Deutschland für diese Art der Amtshilfe dann zu wenig höflich?

    Leuthard: Nein. Sie kam vor allem eben sehr spät und die neue OECD-Richtlinie, die kam natürlich auch zustande unter Druck der G20, weil die schon lange hier alle Staaten, die hier noch Ausnahmen beim OECD-Standard gemacht hatten, unter Druck gesetzt haben, und das fanden wir nicht so höflich, dass man nicht zuerst eben über die OECD, über den normalen Rechtsweg diese Diskussion in Gang setzt.

    Herter: Hier geht es sicher auch um Profite von Schweizer Banken. Sind Sie daran interessiert, dass diese Profite nicht sofort wegbrechen, sondern dass es Übergangszeiten gibt?

    Leuthard: Ein Doppelbesteuerungsabkommen kommt sofort in Kraft, wenn es beide Parlamente beschließen, und das hängt jetzt davon ab, wie schnell Deutschland ratifiziert, und auch die Parlamente haben hier keine Gefühle darüber. Wir wollen zusammenarbeiten und das wird auch funktionieren, gegenseitig natürlich, weil es gibt auch relativ viele Schweizerinnen und Schweizer, die haben in Süddeutschland ihr Geld parkiert.

    Herter: Ja, das wollen wir nicht verschweigen. Würden Sie deutschen Anlegern, deren Geld in der Schweiz liegt, jetzt zu Selbstanzeigen raten?

    Leuthard: Das muss Jedermann selber wissen. Es gibt zweifelsfrei untersteuertes Geld in jedem Land von vielen Staatsbürgern. Das ist ein Problem und jetzt in der Finanzkrise hat natürlich jeder Finanzminister ein Interesse, dass das korrekt gehandelt wird. Aber das muss schon jeder Sünder selber entscheiden, gemessen der Höhe, der Dauer seines nicht deklarierten Vermögens.

    Herter: In der Schweiz soll die Höhe dieser Guthaben aber besonders umfangreich sein. Man spricht von vielen, vielen Milliarden. Glauben Sie das auch?

    Leuthard: Es sind sicher beträchtliche Gelder hier in der Schweiz vorhanden, das ist sicher so. Gewisse Amnestien in gewissen Ländern haben ja auch hier einige Gelder zum Vorschein gebracht. Das muss jeder Steuerzahler und jeder Staat selber dann auch wissen: Was sind die Gründe, dass Bürgerinnen und Bürger dem System nicht vertrauen und ihr Geld anderweitig parkieren, ohne es zu versteuern. Es gibt ebenso viel Vermögen, aber das ist völlig korrekt deklariert, aber man traut den Schweizer Banken offensichtlich auch mehr zu als heimischen Banken.

    Herter: Wird die Schweiz Deutschland vor internationalen Gerichten verklagen, weil hier in Deutschland Daten-CDs mit Namen und Adressen von Steuersündern angekauft worden sind?

    Leuthard: Wir haben das in der Regierung noch nicht entschieden. Es gibt Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die das von uns verlangen. Es gibt auch Juristen, die sagen, da hat zweifelsfrei Deutschland, respektive die Bundesländer die Kompetenzen überschritten und rechtstaatliche Regeln verletzt. Wir hoffen immer noch, dass wir mit Deutschland eine Lösung finden, wie man mit diesen illegalen Daten umgeht, und die beiden Finanzminister haben deswegen ja auch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich darum kümmert.

    Herter: Die Arbeitsgruppe soll sich auch um sogenannte Altfälle kümmern, weil dieses neue Doppelbesteuerungsabkommen nur für Gelder gilt, die in Zukunft auf Schweizer Konten landen, nicht aber für sogenannte Altfälle. Gibt es da Probleme, oder zeichnet sich eine Lösung ab?

    Leuthard: Das ist im Moment noch schwierig abzuzeichnen, weil diese Arbeitsgruppen tagen erst. Wir möchten hierzu eine Lösung, weil Deutschland hat sich ja nicht für eine Amnestie entschieden. Wir müssen irgendeine andere Form suchen, wie man diese Gelder legalisieren kann. Es gibt sehr viele Personen offenbar, die ihre Gelder hier immer noch auch als Konsequenz des Zweiten Weltkrieges haben, also aus legitimen Interessen, sie sind Erben, und hier ist es sicher recht komplex, eine jeweils adäquate Lösung zu suchen. Aber dafür haben wir unsere Spezialisten und der Auftrag ist, dass die möglichst bis Ende Sommer, Herbst eine Lösung präsentieren.

    Herter: Frau Leuthard, noch zu einem anderen Thema. Sie rücken immer näher an die EU heran, sind Mitglied im Schengenraum, wirtschaftlich ist man ohnehin eng verflochten, menschliche Beziehungen gibt es auch. Stellt sich die Frage eines EU-Beitritts für die Schweiz nicht doch auf kurz oder lang?

    Leuthard: Wir haben ja über diese Frage schon mehrmals Volksabstimmungen durchgeführt und die Mehrheit der Bevölkerung hat das immer verneint, vor allem aus Gründen des Demokratieverlustes, des Abbaus unseres halt über Jahrhunderte entwickelten Systems von Volksrechten, und auch, weil wir schon überzeugt sind, es würde auch die föderalistischen Kompetenzen beenden. Jetzt mit dem neuen Lissabon-Vertrag schauen wir zu, wie sich diese EU weiter entwickelt. Es sind jetzt hier doch zum ersten Mal auch Anzeichen von verbesserten transnationalen Volksrechten impliziert. Ich kann deshalb diesen Weg nur begrüßen und wenn wir der Meinung sind, doch, das ist auch mit unserer Geschichte, mit unserer Art von demokratischer Mitwirkung der Bürger vereinbar, werden wir sicher gerne diesem Projekt beitreten.

    Herter: Zum Schluss noch eine fast persönliche Frage, anlässlich Ihres Treffens mit der Bundeskanzlerin Merkel. Macht es einen Unterschied, wenn Politikerinnen miteinander verhandeln?

    Leuthard: Ich bin in der Regel keine Freundin von so Schemata oder von so Allgemeinplätzen. Ich stelle aber fest, dass Frauen in dieser Rolle natürlich selten sind und wir in der Regel deshalb auch gewohnt sind, schnell zum Punkt zu kommen mit einer betonten Sachlichkeit, und ich freue mich deshalb, in Frau Merkel eine solche Person zu finden und mit ihr hoffentlich sehr lösungsorientiert und sachbezogen für die Verbesserung der bilateralen Beziehungen und auch Lösungen der weltweiten Probleme ein Gespräch zu führen.

    Herter: Die Bundespräsidentin der Schweiz, Doris Leuthard, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Sie ist heute bei Bundeskanzlerin Merkel in Berlin zu Gast.