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"Wir werden in der Summe ein schlechtes Automobiljahr haben"

Mit einem Absatzrückgang von zehn Prozent rechnet für dieses Jahr der Automobilexperte Helmut Becker. Der Inlandsmarkt sei gesättigt. So dramatisch einbrechen wie 2008 werden die Verkaufszahlen aber nicht, erwartet der ehemalige BMW-Chefvolkswirt.

Helmut Becker im Gespräch mit Dirk Müller | 19.04.2013
    Dirk Müller: Viele finden das vielleicht gar nicht so schlimm, aber es geht um die Wirtschaft, es geht um die Konjunktur, es geht um Arbeitsplätze, und das in einer europäischen und gerade auch deutschen Vorzeigeindustrie. Die Automobilbranche ist massiv eingebrochen, fast überall auf dem Kontinent. Alleine von Januar bis März sind die Verluste der Hersteller zum Teil dramatisch. Viel weniger Autos wurden verkauft als noch vor einem Jahr. An der Spitze der Verlierer Ford mit einem Einbruch von fast 20 Prozent. Opel, Peugeot, Renault und selbst Volkswagen sind ebenfalls betroffen, auch in Deutschland. Verschont vom Verkaufsdesaster hingegen bleibt die Premiumklasse, die teueren Autos also: Mercedes, BMW zum Beispiel. Europa ist also klamm. Können die Chinesen uns vielleicht weiterhelfen?
    Vielleicht kann China, wie wir gerade gehört haben, weiterhelfen bei der Krise der europäischen Autobauer. – Am Telefon ist nun Automobilexperte Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation und zuvor viele Jahre Chefvolkswirt von BMW. Guten Morgen!

    Helmut Becker: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Becker, Sie wissen alles! Können die Chinesen vernünftig Auto fahren?

    Becker: Ob die Chinesen vernünftig Auto fahren können? Ja doch, das denke ich schon, denn mittlerweile sind ja insgesamt, glaube ich, 50 Millionen Chinesen oder 60 Millionen motorisiert und der Autoabsatz steigt ja jedes Jahr um in der Zwischenzeit zwölf Millionen und geht in die Richtung auf 20 Millionen Zulassungen im Jahr.

    Müller: Ist das Zukunft oder nur Hoffnung?

    Becker: Nein, das ist Zukunft. Wenn Sie eben in Ihrem Bericht berichtet haben, dass VW beispielsweise sieben neue Fabriken baut und seine Kapazitäten verdoppeln will auf vier Millionen, und BMW und Daimler und Audi Ähnliches macht, dann heißt das nichts anderes, als dass man sich den Marktanteil bewahren will. Das heißt, der Gesamtmarkt steigt auf 20, 25, 30 Millionen Exemplare, Neuwagen, zugelassen im Jahr, und wenn man seinen Marktanteil halten will, bedeutet das einfach, dass man in diesem Ausmaß expandieren muss.

    Müller: Bedeutet das auch, wenn man diese Märkte nicht hat – wir denken da an Opel, wir denken da vielleicht auch an Ford -, dann hat man Pech gehabt?

    Becker: Ja, das ist eine gemischte Aussage, muss ich sagen. Pech gehabt, vielleicht, aber möglicherweise hat man auch Glück gehabt und das bedarf einer Erläuterung. Pech gehabt ja, man partizipiert nicht an der Expansion. Aber die Expansionen, die Volkswagen und BMW und so weiter in China haben, die sind ja nicht gesteuert vom Inland aus. Das heißt, der inländische Absatz ist davon wenig betroffen. Die inländische Produktion und Beschäftigung ist da nur marginal tangiert. Das, was in China verkauft wird, wird auch in der Zwischenzeit in China produziert und zumeist auch mit chinesischen Teilen beziehungsweise mit Teilen aus deutschen Zuliefererfabriken, die ebenfalls in China angesiedelt sind. Hirschvogel, Dräxlmaier, wie sie alle heißen, die ganze Nomenklatur hier in Deutschland der prominenten Zulieferer ist in China vertreten, muss dort vertreten sein, weil die deutschen Hersteller sie einfach nachgezogen haben. Das heißt, der Inlandsbeschäftigung kommt der Chinamarkt so gesehen nicht zugute.
    Und um Ihre Frage dann noch mal zu beantworten: Opel hätte in dem Falle von dem Chinamarkt wenig, denn die Inlandsbeschäftigung, die Fabriken hier in Eisenach und Rüsselsheim wären davon nicht ausgelastet, sondern das, was Opel verkauft, würde in China produziert.

    Müller: Konzentrieren wir uns jetzt auf das, was in Europa passiert, was in Deutschland passiert. Viele sind ja in der Argumentation schnell dabei und sagen ganz klar: Eurokrise, Wirtschaftskrise, Finanzkrise. Aber was ist hausgemacht?

    Becker: Also das ist zu kurz gesprochen. Hausgemacht ist im Prinzip eigentlich gar nichts, denn der Markt gehorcht seinen eigenen Gesetzen und davon sind die einzelnen Hersteller mehr oder weniger betroffen. Die, die schlecht aufgestellt sind, wie PSA oder Fiat oder auch Opel oder Ford, das heißt im Massensegment, die sind besonders betroffen und Premiumhersteller wie BMW, Audi, Daimler eben weniger. Das ist die eine Geschichte.

    Der Markt für sich genommen in Europa hat drei Einflussfaktoren. Das eine ist eine strukturelle Komponente, das zweite ist eine konjunkturelle und das dritte sind Sonderfaktoren. Wenn wir bei den Sonderfaktoren anfangen: Das, was jetzt im März passiert ist, zum Beispiel in Deutschland mit Minus 17 Prozent, wo es heißt, der Markt ist eingebrochen, das ist dem Osterfest geschuldet. Das heißt, das sind Faktoren, die nicht dauerhaft sind, sondern das wird im April spätestens wieder korrigiert und wir werden sehen: Im April haben wir ein hohes Plus an Zulassungen gegenüber dem Vorjahr und alle werden sie wieder jubeln.

    Müller: Sie sagen, Herr Becker, viel zu kurz gegriffen. Das heißt, Ostern kauft man Eier und keine Autos?

    Becker: Ja, nun gut. Aber wenn das Osterwetter schlecht ist und Schnee draußen noch liegt, dann kaufen Sie kein Cabriolet, sondern dann kaufen Sie eben gar kein Auto, sondern warten, bis das Wetter besser ist.

    Müller: Gut. Wie ist das weiter mit der konjunkturellen Aussicht? Hausgemacht – die Frage war dahingehend auch impliziert, inwieweit Versäumnisse verantwortlich sind.

    Becker: Kann man nicht sagen. Nein, Versäumnisse haben wir keine. Die deutsche Automobilindustrie in Summe ist in der Zwischenzeit die Nummer eins in der Welt. Wir können uns eigentlich nichts vorwerfen, wir sind im Design, in der Technik, in den Verbräuchen, in der Effizienz, in der Verarbeitung, in der Qualität einfach die Nummer eins, wir sind top. Das kann man so schlichtweg behaupten, das hat es noch nie gegeben in den letzten 50 Jahren. Ich habe das mitgemacht, ich kann das aus meiner Sicht heraus so besagen. Also mit anderen Worten: Versäumt haben wir nichts!

    Müller: Aber viele sagen, wenn ich noch mal unterbrechen darf, Herr Becker, das grüne Auto fehlt nach wie vor. Wenig energiesparend, zu wenige Elektromotor-Optionen, Möglichkeiten, Hybridantrieb, das alles steckt irgendwie noch in den Kinderschuhen, ist in anderen Ländern weiterentwickelt.

    Becker: Nein, da sind die anderen Länder auch nicht weiter. Das grüne Auto ist in anderen Ländern auch nicht vertreten und wird auch vom Markt in der Form zu den Preisen, zu denen man es heute herstellen kann, nicht nachgefragt, schlicht und ergreifend. Die Franzosen bieten Vollelektroautos, die stehen in den Schaufenstern wie Blei, kein Mensch will die haben. Und das, was man haben will, ist ein effizientes Auto, und das heißt niedrige Verbräuche, mit denen man aber sicher von A nach B kommt. Und wenn die Strecke dazwischen 500 Kilometer beträgt, dann muss man die bewältigen können.

    Müller: Elektroautos brauchen oder wollen nur die Grünen, sonst niemand?

    Becker: Nein, auch die Grünen fahren andere Autos, denn die wollen ja von A nach B kommen. Die wollen ja zwischenzeitlich nach 50 Kilometern oder 80 Kilometern nicht stehen bleiben.

    Müller: Also liegt es auch an der Infrastruktur, die fehlt?

    Becker: Nein, nicht an der Infrastruktur, sondern es liegt einfach an der Technologie. Es hängt an der Speicherbatterie, es hängt an der Batterie, die einfach nicht leistungsfähig ist, und dafür können die deutschen Hersteller nichts und die deutsche Automobilindustrie, das ist weltweit. Dieses Phänomen ist weltweit!
    Was wir haben, sind Hybridisierungen, das heißt Fahrzeuge, die sowohl elektrisch fahren als auch mit dem normalen Verbrennungsmotor. Das ist die Zukunft, das werden wir in den nächsten zehn Jahren ausbauen und da sind wir, wenn Sie so wollen, auch Weltmeister.

    Müller: Also Elektromotor adé, wenn ich Sie richtig verstanden habe?

    Becker: Nicht der Elektromotor für sich genommen adé. Nur wir brauchen eine bessere Batterie, und die ist in den nächsten zehn Jahren nicht verfügbar. Also nützt Ihnen das gar nichts. Wenn Sie wissen, dass in 20 Jahren oder in zehn Jahren die neue Sintflut kommt, dann kaufen Sie sich heute auch kein Schwimmauto, weil Sie zwischenzeitlich nach wie vor auf dem Land fahren.

    Müller: Jetzt haben wir, Herr Becker, nicht mehr viel Zeit. Ein kurzer Blick nach vorne: Wird sich das in diesem Jahr mit Blick auf die Verkaufszahlen noch ändern?

    Becker: Nein, das wird sich nicht mehr ändern. Wir werden in der Summe ein schlechtes Automobiljahr haben – insofern: Der Absatz wird um zehn Prozent ungefähr niedriger liegen als im Vorjahr. Es ist kein Einbruch wie 2008, aber es ist eben auch im Grunde genommen ein Jahr, das von der Konjunktur und von Struktureffekten geprägt sein wird, und dieses wird auch 2014 im Grunde genommen so sein. Da werden wir zwar eine Erholung haben, aber auch in Grenzen. Das heißt, der Markt in Deutschland ist gesättigt – das ist die Strukturkomponente – und wir werden keine großen Ausschläge nach oben, aber auch nicht nach unten im Grunde erleben.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Automobilexperte Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Becker: Auf Wiederhören!


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