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"Wir wollen auf eine größere gesellschaftspolitische Vision hinaus"

Vorratsdatenspeicherung beschränken, keine Steuermehrbelastung für die Bürger: Punkte, mit denen sich laut Christian Lindner, dem neuen Generalsekretär der FDP, das liberale Profil zeigen lässt.

Christian Lindner im Gespräch mit Gerwald Herter | 15.12.2009
    Gerwald Herter: Wie schon angekündigt kommen wir in den "Informationen am Morgen" jetzt noch einmal auf die Vorratsdatenspeicherung zurück. Dieses umstrittene Gesetz gilt seit dem letzten Jahr, doch das Bundesverfassungsgericht hat die Nutzung der Vorratsdaten mit zwei einstweiligen Anordnungen eingeschränkt. Etwa 35.000 Menschen haben Beschwerde eingelegt, darunter auch die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Noch in der Opposition hatte sie gegen die Bundesregierung geklagt. Inzwischen hat sie diese Klage eingeholt, weil sie Justizministerin und damit Mitglied der Regierung ist.
    Jetzt bin ich mit dem neuen FDP-Generalsekretär Christian Lindner verbunden. Formal wird er erst auf einem Parteitag gewählt, die Gremien haben seiner Nominierung aber zugestimmt. Guten Morgen, Herr Lindner.

    Christian Lindner: Hallo! Guten Morgen.

    Herter: Zunächst einmal ganz einfach, Herr Lindner. Ist Ihre Partei, die FDP, nun für, oder gegen die Speicherung von Vorratsdaten?

    Lindner: Wir sehen die Vorratsdatenspeicherung kritisch, und das schon seit einiger Zeit. Im Beitrag ist ja darauf hingewiesen worden, dass die neue Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schon zu Oppositionszeiten der FDP nach Karlsruhe gegangen ist, weil wir dieses Gesetz für verfassungswidrig halten. Es ist unverhältnismäßig, die Daten, so viele Telekommunikationsdaten von unbescholtenen Bürgern zu speichern und auch dann dem Staat und seinen Institutionen zur Verfügung zu stellen. Deshalb sind wir sehr dafür, die Vorratsdatenspeicherung einzuschränken, strengstens zu beschränken auf das, was von europäischer Ebene aus vorgegeben worden ist.

    Herter: Im Koalitionsvertrag ist davon aber nichts zu lesen.

    Lindner: Die FDP ist ja, obwohl sie einer Regierung angehört, immer noch eine politisch eigenständige Kraft. Die Koalitionsvereinbarung ist geschlossen worden im Wissen darum, dass wir von Karlsruhe aus ja noch eine Interpretation des Grundgesetzes und der Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung erhalten. Wir sind jetzt optimistisch, dass unsere Rechtsposition von Karlsruhe aus auch bestätigt wird.

    Herter: Politik über die Bande. Wäre es nicht besser, sich direkt durchzusetzen?

    Lindner: Ja, ich gebe Ihnen Recht. Wir wollen nicht bei jeder Frage uns das Grundgesetz von Karlsruhe aus erklären lassen. Aber ich weise noch mal darauf hin: an der FDP hat es in dem Fall ja nicht gelegen. Wir haben ja zu Oppositionszeiten unsere Bedenken im Deutschen Bundestag angemeldet, aber haben keine Mehrheit gefunden dafür. Die Große Koalition hatte anders votiert. Deshalb kommt es jetzt zu der zugegebenermaßen etwas ulkigen Situation, dass Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf zwei Seiten am Verfahren beteiligt ist, als Bundesjustizministerin, gleichzeitig aber auch als Beschwerdeführerin.

    Herter: Während der Koalitionsverhandlungen mussten Sie natürlich Prioritäten setzen. Sind Ihnen Steuerentlastungen wichtiger gewesen als Fortschritte bei der Sicherheitspolitik?

    Lindner: Nein. Ich bin sehr dagegen, diese beiden politischen Bereiche gegeneinander auszuspielen. Wir haben eine ganze Menge erreicht im Feld der Innen- und Rechtspolitik. Das ist ja dankenswerterweise auch von den Kommentatoren gewürdigt worden. Wir haben im Bereich der Innen- und Rechtspolitik ein liberales Profil geprägt. Wir haben abgewehrt, was es auch noch an neuen Vorstellungen gab. Ich erinnere daran, dass der damalige Bundesinnenminister Schäuble ja während der Koalitionsverhandlungen noch einen ganzen Katalog öffentlich vorgestellt hat von Wünschen, die er hat. Das ist nicht zum Tragen gekommen und das ist durchaus ein Erfolg der FDP. Uns ging es also um beides. Uns ging es um Freiheit und um eine neue Balance zwischen Staat und Privat im wirtschaftlich-ökonomischen Bereich, aber auf der anderen Seite natürlich auch bei den Bürgerrechten.

    Herter: Aber Sie treffen da natürlich auf Realitäten, die zu berücksichtigen sind: die Interessen der Bundesländer. Sie sind ja nun auch ein Landespolitiker, bisher und noch bis zum Frühjahr werden Sie das bleiben, Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen. Da geht es jetzt um Steuerentlastungen, um das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Angeblich hat sich die Bundesregierung mit den Bundesländern geeinigt. Angeblich kann das sehr teuer werden. Angeblich droht sogar die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Ist das mit der FDP zu machen?

    Lindner: Ich schließe aus, dass es eine Mehrbelastung für die Bürgerinnen und Bürger gibt. Das würde ja die Maßnahmen des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes konterkarieren. Das läuft ja darauf hinaus und das war unser politisches Ziel, endlich zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger beizutragen. Denen ist in den vergangenen Jahren immer wieder ein neuer Ziegelstein ins Gepäck gelegt worden. Wir wollen jetzt damit beginnen, Ziegelsteine aus dem Rucksack rauszunehmen, damit wir auch insgesamt zu einer Belebung unserer wirtschaftlichen Gesamtsituation kommen. Also: es wird keine kompensatorischen Erhöhungen an anderer Stelle geben.
    Ich habe Verständnis dafür, dass die Länder selbstverständlich auch auf ihre eigenen Haushalte schauen. Die Länderhaushalte sind auch anders strukturiert als der Bundeshaushalt. Es ist nicht so leicht, angesichts des hohen Anteils an Personalausgaben umzuschichten, um zu Konsolidierungen zu kommen. Aber ich erwarte schon, dass die Länder sich ein Stück nach der Decke strecken und das ihnen mögliche zur Konsolidierung der Staatsfinanzen insgesamt beitragen. Sie sind dazu gehalten wegen der Schuldenbremse, aber wir müssen auch darüber hinaus Anstrengungen erbringen, müssen Spielräume für die Entlastung der Menschen schaffen, auch in den Länderhaushalten. Im Übrigen - den Gedanken will ich anfügen - ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ja darauf angelegt, in den nächsten Jahren zu einer Verbesserung der staatlichen Einnahmesituation beizutragen. Wir wollen ja mehr Wachstum und damit mehr Staatseinnahmen erreichen. Es ist, wenn Sie so wollen, eine Investition in eine konjunkturelle Belebung. Wer investiert, erwartet später auch eine Rendite in Form von höheren Steuereinnahmen.

    Herter: Also keine Mehrwertsteuererhöhung mit der FDP? Das schließen Sie definitiv aus?

    Lindner: Das ist auszuschließen.

    Herter: Sie wollen die FDP als eigenständige Gestaltungskraft in der Koalition profilieren. Über den Koalitionsvertrag haben wir schon gesprochen. Wie soll denn das gehen?

    Lindner: Wir haben einen großen Teil unserer politischen Vorstellungen gemeinsam mit der Union ja in ein gemeinsames Papier, den Koalitionsvertrag übertragen, und die große Aufgabe im Regierungshandeln ist es jetzt, dass aus diesem Koalitionsvertrag, aus diesem Papier, Gesetzestext wird. Da gibt es noch eine ganze Menge zu klären. Es ist bekannt, dass es an vielen Stellen nur Zielbestimmungen gibt, die jetzt konkretisiert werden müssen. Wir werden als FDP darauf achten, dass der Geist dieses Koalitionsvertrages, der auf Innovation und auf einer neuen Fairness basiert, jetzt auch realisiert wird in den nächsten vier Jahren. Das ist die Mühsal der Ebene, an vielen Stellen muss da Detailarbeit geleistet werden, aber wir wollen auf eine größere gesellschaftspolitische Vision hinaus und wir werden daran arbeiten und dafür kämpfen.

    Herter: Christian Lindner war das, der neue FDP-Generalsekretär, im Deutschlandfunk-Interview. Herr Lindner, danke schön und alles Gute.

    Lindner: Danke schön. Auf Wiederhören!