Uli Blumenthal: Morgen will das Klimakabinett einen Plan vorstellen, wie Deutschland seine Klimaziele bis 2030 erreichen kann. Am 23. September stellt Bundeskanzlerin Angela Merkel dieses Programm dann auf der UN-Klimagipfel Climate Action Summit 2019 in New York vor. Für morgen hat Fridays for Future zu einem weltweiten Streik für mehr Klimaschutz aufgerufen. Mehr als 2.300 Städte in 137 Ländern werden sich daran beteiligen. Was hat Fridays for Future anders gemacht als die Klimaforschung und die Klimapolitik, um das Thema Klimawandel/Klimakrise so öffentlich zu etablieren? Das habe ich, da er zu unserer Sendezeit im Zug unterwegs ist, heute Vormittag Prof. Dr. Mike Schäfer, gefragt; er ist Professor für Wissenschaftskommunikation und Direktor des Center for Higher Education and Science Studies, Universität Zürich, Schweiz
Mike Schäfer: Ich glaube, man muss schon auch positiv in Rechnung stellen, dass die Bemühungen der letzten Jahre und Jahrzehnte in Deutschland gewissermaßen auch den Nährboden dafür bereitet haben, was Fridays for Future jetzt erreichen konnte. In den 80ern war es vor allen Dingen die Wissenschaft, der es gelungen ist, das Thema Klimawandel auf die erst öffentliche und dann politische Agenda zu setzen, so eine erste Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Und man muss der Wissenschaft beispielsweise auch zugutehalten, dass diese regelmäßige Dokumentation des wissenschaftlichen Sachstandes zum Thema Klimawandel über die bis jetzt fünf Sachstandsberichte des Weltklimarates, des IPCC, dass das etwas ist, was eine Evidenzbasis zur Beschreibung des Phänomens schafft, die man für so gut wie kein anderes wissenschaftlich beschriebenes Phänomen überhaupt hat.
Was die Fridays-for-Future-Bewegung sicherlich gut macht und was die Wissenschaft möglicherweise nicht immer so gut gemacht hat, ist, dass sie ganz, ganz klar die Politik adressiert und dass sie die Politik adressiert auf eine Weise, die öffentlich und dann auch letztlich über den Umweg über die Öffentlichkeit oder über die mediale Öffentlichkeit auch die Politik erreicht. Man hat das Thema stärker auch emotionalisiert, man hat das an Köpfen aufgehängt – Greta Thunberg ist das bekannteste Beispiel –, aber das Thema emotional auf die Agenda setzen, die individuelle Betroffenheit, die die Jugendlichen auch deutlich machen, das geht uns was an. Das betrifft uns, das ist unser Leben, über das ihr hier entscheidet. Und das haben die gemacht mit einem Atem, der deutlich länger war als viele Beobachter und ich muss zugeben auch ich das für möglich gehalten hatten. Und das ist auch etwas, was dann langsam natürlich mehr und mehr Druck aufbaut, der schwieriger und schwieriger zu ignorieren ist. Und das war tatsächlich sehr, sehr effektiv.
"Ein abstraktes Thema ranzuholen an die Lebenswelt"
Blumenthal: Kollektiv wollen wir den Wandel, aber individuell möchten nur wenige den Anfang machen. Die Frage dann: Wie kann der Einzelne aktiviert werden, eben nicht nur zu diesen Demonstrationen zu gehen, sondern wirklich in seinem täglichen Leben dann auch diese Forderung umzusetzen?
Schäfer: Sie haben völlig recht, das ist das Kernproblem gewissermaßen des Themas. Der Klimawandel ist, wir nennen das ein unaufdringliches Thema, ein unaufdringliches Problem. Unaufdringlich heißt, das ist – zumindest vermeintlich – lebensweltfern, das kann man nicht direkt beobachten, dass muss wissenschaftlich konstruiert werden. Das liegt, zumindest in der Wertwahrnehmung von vielen Menschen, jenseits auch vielleicht ihres Lebenshorizontes. Und gleichzeitig steht man jetzt vor der Aufgabe, etwas zu tun, Kosten auf sich zu nehmen, sein Leben umzustellen für einen Nutzen, der ein Problem bearbeitet, das man gar nicht so richtig wahrnimmt und wo dann möglicherweise ein Nutzen letztlich entsteht, der so weit in der Zukunft liegt, dass man selber nur noch weniger davon haben kann. Und die Frage ist jetzt genau, wie kriegt man denn Menschen dennoch dazu, dass sie etwas tun.
Es gibt keinen Königsweg, aber es gibt so ein paar Punkte, auf die man achten kann. Einer ist, man kann versuchen, dieses lebensweltferne, abstrakte Thema näher ranzuholen an die Lebenswelt der Menschen, das heißt ihnen deutlich zu machen, schaut mal, das hat heute und jetzt und dort, wo ihr lebt und wohnt, schon etwas mit euch zu tun, es gibt schon Folgen des Klimawandels dort und da, wo ihr seid. Auch deutlich zu machen, wenn ihr etwas tut, dann bearbeitet ihr nicht nur ein Problem, also ihr weicht nicht nur negativen Folgen aus.
Ganz viel der Kommunikation zum Klimawandel macht den Menschen letztlich Angst. Man zeigt ihnen, die Meeresspiegel steigen, es gibt eine extreme Wetterereignisse, Biodiversität sinkt, und man hat dann implizit die Annahme, wenn man den Menschen Angst macht, führt das dazu, dass sie sich entsprechend verhalten. Aber de facto, und das zeigt Forschung in verschiedenen Ländern sehr eindrucksvoll, führt das bei vielen Menschen dazu, dass sie paralysiert sind, dass sie das Gefühl haben, was soll ich denn diesen Naturgewalten entgegensetzen.
Und was man stattdessen machen sollte, ist, nicht auf diese Angstappelle zu setzen, sondern mindestens die Angstappelle immer damit zu koppeln, dass man Handlungsoptionen zeigt, möglichst konkrete Handlungsoptionen. Und wenn man ihnen dann noch zeigen kann, nicht nur, das kannst du tun, sondern es gibt Menschen, die so ähnlich sind wie du, die machen das schon lange und die haben das gut in den Alltag integriert und das kostet dann gar nicht so viel und so weiter, dann bekommt man Menschen zumindest eher in die Richtung bewegt, etwas zu tun.
Das kann man auf vielen Ebenen durchspielen – das kann man auf der Ebene von Bildern durchspielen beispielsweise. Medienberichterstattung über Klimawandel nutzt typischerweise entweder Katastrophenbilder, Bilder der negativen Folgen des Klimawandels oder Bilder von Politikerinnen und Politikern auf beispielsweise Klimagipfeln. Und wenn man sich die Wirkung dieser Bilder anschaut, dann sieht man, zumindest diese Katastrophenbilder ziehen Aufmerksamkeit auf sich, aber weder die Katastrophenbilder noch die Bilder von Politikerinnen und Politikern geben Menschen das Gefühl, dass sie selbst etwas tun können dagegen. Dafür sind Bilder von Handlungsoptionen besser, die aber das Problem haben – aus Mediensicht wenigstens –, dass sie nicht so stark die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und entsprechend, die sind weniger gutes Clickbait, wenn Sie so wollen. Und das ist ein Dilemma, mit dem man schwierig umgehen kann.
Schäfer: Großen Respekt für die Beständigkeit der Bewegung
Blumenthal: Bewegungen des 21. Jahrhunderts haben dann Erfolg, so eine aktuelle Studie, wenn sie mindestens 3,5 Prozent der Menschen beständig mobilisieren können oder konnten. Wie sehen Sie die Zukunft von Fridays for Future?
Schäfer: Fridays for Future ist für mich überraschend beständig. Das finde ich bemerkenswert und beeindruckend, und davor habe ich großen Respekt. Viele dieser Bewegungen, die in den letzten Jahren entstanden sind um bestimmte Ziele herum – die 99-percent-Bewegung oder die Occupy-Bewegung. Viele von denen sind Bewegungen, die um mehr oder weniger diffuse Ziele herum entstanden sind und die dann zum Teil Schwierigkeiten hatten, auch wenn sie in ihren Hochphasen eine große Zahl von Menschen mobilisieren konnten, Schwierigkeiten hatten, das gewissermaßen in den politischen Prozess einzuspeisen und politisch wirksam zu machen.
Wenn man das jetzt vergleicht zum Beispiel mit Fridays for Future, dann hat man hier eine Bewegung, die a) relativ langanhaltend und, wenn man so will, könnte man sogar sagen nachhaltig ist und die b) ein konkreteres Ziel hat als andere der Bewegungen, die ich gerade genannt habe. Was sicherlich nicht ganz einfach sein wird, ist die Tatsache, dass die Bewegung als solche sich nicht so einfach gewissermaßen in den politischen Prozess übersetzen kann.
Greta Thunberg ist 16, viele Protagonisten der Bewegung sind Schülerinnen und Schüler, also die sind jetzt nicht die Nächsten, die gewissermaßen auch politisch selbst handeln können, sondern die brauchen jetzt Brückenakteure, die gewissermaßen ihre Anliegen dann in politischen Profisystemen aufnehmen und dort umsetzen. Und die sieht man aber natürlich zum Teil auch.
Der Aufschwung der Grünen hat sicherlich auch was mit Fridays for Future zu tun, die Tatsache, dass die Bundesregierung reagiert hat, hat garantiert auch was mit Fridays for Future zu tun. Insofern, diese Brückenakteure gibt es, die Frage ist, kriegt man diese Brücke dauerhaft aufrechterhalten, oder wenn Sie so wollen, kriegt man den Druck aufs politische System, den es offensichtlich ja brauchte, um da was anzustoßen, bekommt man den aufrechterhalten?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.