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Wirtschaft in Großbritannien
Der Optimismus ist verflogen

Die britische Wirtschaft hofft auf einen Strategiewechsel ihrer Regierung beim Brexit - und fordert eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen. Viele Unternehmenschefs blicken mittlerweile pessimistisch in die Zukunft.

Von Friedbert Meurer | 13.06.2017
    Keine gute Prognose für die britische Wirtschaft: Die Verbände fordern einen Strategiewechsel der Regierung.
    Keine gute Prognose für die britische Wirtschaft: Die Verbände fordern einen Strategiewechsel der Regierung. (picture alliance / Andy Rain)
    Wenn die Briten jetzt ihre Urlaubsreise im Ausland planen, müssen sie deutlich tiefer in die Tasche greifen. Das Pfund ist nicht mehr so viel wert, die Tourismuskonzerne müssen die Preise anheben. Im Mai stiegen die Verbraucherpreise um 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im April lag die Inflationsrate noch bei 2,7 Prozent. Bis zum Jahresende, so lautet die Vorhersage, wird die Rate auf über 3 Prozent steigen, dann soll der Höhepunkt erreicht sein. Benzin wurde zwar billiger, aber teurer geworden sind auch Lebensmittel und Kinderbekleidung.
    Fast ein Jahr lang fühlten sich die Brexit-Befürworter bestätigt, weil sich die meisten Wirtschaftsdaten weiter positiv entwickelten. Jetzt aber werden die Signale stärker, die in eine andere Richtung deuten. Das "Institute of Directors", ein führender Unternehmerverband, gab heute die Ergebnisse einer Umfrage bekannt, wonach 57 Prozent der Unternehmenschefs in Großbritannien jetzt für die nächsten 12 Monate pessimistisch sind. Mit Nachdruck machen sich die Verbände jetzt dafür stark, dass die britische Regierung ihre Strategie zum Brexit überdenkt und auch verändert.
    "Wir brauchen Handel ohne Hemmnisse"
    "Für uns ist es unglaublich wichtig, dass der Brexit richtig angegangen wird", betonte Carolyn Fairbairn, die Generaldirektorin des Verbands der britischen Industrie. "Wir brauchen Handel ohne Hemmnisse, Sicherheit in allen Regulierungsfragen. Die Politiker müssen ihr Haus in Ordnung bringen, wenn jetzt die Verhandlungen beginnen."
    Terry Scuolor, Chef des Verbands der verarbeitenden Industrie, kritisiert, die britische Regierung habe schon ein Jahr Zeit vergeudet. Statt der bisherigen Rhetorik solle man sich lieber daranmachen, die Beziehungen zu den EU-Partnern zu reparieren. Die Rhetorik soll sich also ändern, aber auch inhaltlich schöpft die britische Wirtschaft Hoffnung. Im Zentrum stehen Überlegungen, doch in der EU- Zollunion zu bleiben. Mats Persson, Handelsexperte des Beratungsunternehmens "Ernst & Young":
    "Das ist jetzt wieder eine Option geworden, denn die Mitgliedschaft in der Zollunion führt nicht notwendigerweise dazu, dass Großbritannien die Freizügigkeit von Arbeitnehmern akzeptieren muss. Wir könnten dann nur keine eigenen Handelsverträge abschließen. Das wäre also ein bedeutender Strategiewechsel, wenn wir doch Vollmitglied in der Zollunion blieben oder eine weitgehende Kooperation vereinbaren."
    Labour- und Tory-Politiker, berichten britische Medien, haben insgeheim Gespräche aufgenommen, um eine Zusammenarbeit auszuloten. Auch mit der Nordirland-Partei DUP gelten die Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus als zu unsicher.
    Keir Starmer, Brexit-Sprecher von Labour, geht sogar noch einen Schritt weiter: wenn die EU ihren Binnenmarkt reformiere, also nicht bedingungslos auf der Freizügigkeit für Arbeitnehmer beharre, dann könnte Großbritannien auch Mitglied im gemeinsamen Markt bleiben.