
Neun Windräder installiert die Firma SL Windenergie derzeit in Hemer im Sauerland. Die Bauteile dafür kommen über den Seeweg in deutschen Nordseehäfen an. Von dort werden sie über die Autobahn bis nach Hemer gefahren – und zwar per Schwerlasttransport.
Besonders kompliziert wird es abseits der Autobahn, wo spezielle Fahrzeuge die Bauteile weiter transportieren. Dort dauert der Transport sehr lange. Denn diese letzten Kilometer zwischen dem Ende der Autobahn und dem Zielort müssen mit Spezialfahrzeugen zurückgelegt werden, sogenannten Selbstfahrern. Gesteuert werden sie per Fernbedienung.
Problem am Zielort: enge Straßen, langsame Transporter
Ingenieur Salvador Villalpandor erklärt, dass der Transporter in der Regel langsamer fährt, „als ein Fußgänger laufen kann.“ Je länger ein solcher Transport unterwegs ist, desto schwieriger die Organisation – und nicht nur das. „Die Kosten explodieren“, sagt Villalpandor. Deshalb ist es die Firma so wichtig, dass Schwer- und Großraumtransporte für die Windparks so weit wie möglich über die Autobahn fahren können.
Doch die bundesweit alternde Infrastruktur ist ein Problem, das sich im Transit- und Industrieland Nordrhein-Westfalen besonders stark zeigt. Knapp 1.000 Brücken sind hier so marode, dass sie von schwereren Lkw nicht mehr befahren werden dürfen. Große Umwege sind die Folge.
Der Anspruch: 20.000 Schwertransporte in 20 Jahren allein in NRW
Dennoch könnten nach Berechnungen des Landesbetriebs Straßen NRW bis 2027 mehr als 20.000 solcher Transporte durch das Bundesland rollen - allein für den Windradausbau. Da stellt sich die Frage, ob letztlich die marode Infrastruktur zum Nadelöhr für den Ausbau der Erneuerbaren Energien werden könnte.
Michael Schreckenberg, Professor für Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen, sieht die Infrastruktur in der Tat als kritischen Faktor: „Wenn man das alles zusammennimmt, dann ist es in unserer Infrastruktur zurzeit so, dass wir gewisse Schwerlasten überhaupt nicht transportieren lassen können, weil die Brückenbauwerke dafür nicht mehr ausgelegt sind.“ Zwar gebe es alternative Strecken, aber die sind – je nach Umweg – zum Teil nicht mehr wirtschaftlich.
Betroffen: Weitere Industriesektoren neben den Erneuerbaren
In den nächsten 15 Jahren sollen allerdings nicht nur die Erneuerbaren Energien stark ausgebaut werden, sondern auch der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft gelingen. Dafür braucht es moderne Großanlagen wie Öfen, die mit Wasserstoff betrieben werden oder Kompressoren, die CO2 abtrennen. Sie sind schwer und groß und benötigen: Sondertransporte.
Ein weiteres Ärgernis bei Großraum- und Schwertransporten: der Genehmigungsprozess. Bis die letzte Genehmigung vorliegt, kann es Monate dauern. Das strapaziert die Nerven – und die Budgets.
Gegenmaßnahmen? NRW-Regierung sucht nach Lösungen
Die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen sucht nach Lösungen für diese Probleme. Das betont Landesumwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne): „In der Tat haben wir große Herausforderung bei den Schwertransporten. Deshalb haben wir bei Straßen NRW auch eine eigene Stabsstelle eingerichtet, die sich um diese Windenergie-Transporte kümmert.“ Die Mitarbeitenden der 2024 eingerichteten Stabsstelle sollen Unternehmen durch den komplizierten Antragsprozess für Schwertransporte lotsen.
Das reiche aber nicht, meint Windenergie-Unternehmer Klaus Schulze Langenhorst. Er regt an, bestimmte Routen vorab so zu prüfen und auszuweisen, dass Genehmigungen auf diesen Strecken einfacher – und damit vor allem schneller – erteilt werden können.
Forderung: Mehr „Mikrokorridore“, also festgelegte Transportrouten
Immerhin wird aktuell erprobt, wie solche sogenannten „Mikrokorridore“ – das heißt, vorab festgelegte Transportrouten - in der Praxis funktionieren könnten. Das Land NRW hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium ein Pilotprojekt gestartet, um auszuloten, „wie sich durch Dauer- und Kurzzeiterlaubnisse für bestimmte Strecken Groß- und Schwertransporte einfacher und schneller umsetzen lassen“.
Ausweg? Mehr Transporte über den Wasserweg
Auch die Nutzung von Wasserstraßen soll ausgebaut werden. Laut Bundesverkehrsministerium verfügen diese nämlich über genügend freie Kapazitäten und sind genehmigungsfrei. Insbesondere Windkraft-Transporte könnten künftig häufiger von der Straße auf Wasserwege verlagert werden, sagt auch NRW-Verkehrsminister Krischer.
So müssten im Idealfall nur noch wenige Kilometer auf der Straße zurückgelegt werden. Krischer erklärt, man wolle Häfen als Hubs entwickeln, von denen aus die Anlagen dann zum Standort transportiert werden können. Ein „Großteil der Strecke von der Fabrik, von der Herstellung oder von der Anlieferung aus dem Ausland“ werde dann erst mal per Schiff zurückgelegt.
Beispiel: Heavylift Terminal am Hafen Duisburg
Am Hafen in Duisburg, dem größten Binnenhafen Europas, funktioniert ein solches Drehkreuz für Schwer- und Großraumtransporte bereits seit 2010: das Heavylift Terminal. Siemens Energy in Duisburg mit 1.900 Mitarbeitenden ist Nachbar und aktuell Haupt-Nutzer der Hafenanlage. Das Unternehmen wird über die Straße oder die Schiene beliefert und verschickt seine fertig montierten Großanlagen später per Schiff in alle Welt.
Das Unternehmen baut unter anderem Kompressoren, Turbo-Verdichter oder Dampfkesselanlagen, hauptsächlich für die Industrie- und Gaswirtschaft. Ohne den Hafen könnte das Unternehmen seine tonnenschweren Produkte nicht transportieren.
Marcel Klinkhardt leitet den Standort. Er sagt: „Wir glauben, dass wir die Tonnagen überhaupt nicht über Land wegkriegen würden, ich sage mal, durch die Infrastruktur, die wir in Deutschland haben. Denn wir bewegen Längen und Breiten, die nicht mehr über normale Lkw zu händeln sind.“
Herausforderung: Effiziente Logistik bestimmt Wohl des Standorts
Andreas Kahl ist der zweite Geschäftsführer des Hafen-Terminals, der Transportunternehmer bekräftigt: „Wenn wir nicht für eine Logistik sorgen, die bezahlbar ist, und wegen der ein Produzent sich dafür entscheidet, in Deutschland zu produzieren, dann können wir machen, was wir wollen. Da nützen auch die schönsten Terminals nichts.“ Das bestätigt Marcel Klinkhardt: „Wenn wir die logistische Anbindung hier nicht hätten, wären wir als Siemens Energy nicht an diesem Standort.“
Doch was ist, wenn der Produzent wie in Duisburg nicht am Wasser sitzt? Transportunternehmer Andreas Kahl bringt es auf den Punkt: „Traditionell ist Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland weit gestreut.“ Und auch dorthin muss es funktionierende Routen geben, sagt er – ob über Flüsse und Kanäle, die Schiene oder die Straße.
Schwertransporteverband: Probleme bei Logistik belasten Wirtschaft
Generell erhöhen hohe Transportkosten natürlich die Warenpreise. Auch deshalb belasten die Probleme im Logistikbereich zunehmend die Wirtschaft, beobachtet Kahl, der auch Aufsichtsrat im Bundesverband Schwertransporte und Kranarbeiten ist. Im Januar 2023 haben sich mehr als 20 Verbände der Wirtschaft und der Transportbranche zusammengetan, um gemeinsam bessere Bedingungen für Großraum- und Schwertransporte zu fordern: die Instandhaltung der Infrastruktur oder bessere Genehmigungsverfahren.
Anlagenbauer Marcel Klinkhardt von Siemens Energy unterstützt das und verweist auf Strafzahlungen: „Wenn wir zu spät liefern, stehen ganze, ich sage mal, Kraftwerke, Raffinerien still. Und das lässt sich der Kunde absichern durch hohe Strafzahlungen.“
Wissenschaftler: Wirtschaft hängt von Infrastruktur ab
Die Verkehrsinfrastruktur sei ein wesentlicher Faktor für Unternehmensplanungen, sagt auch Verkehrswissenschaftler Michael Schreckenberg. „Die Wirtschaft hängt in viel stärkerem Maße als früher an der Infrastruktur oder an der nicht zur Verfügung stehenden Infrastruktur. Das ist eine der wesentlichen Maßgaben für die Ansiedlung von Wirtschaft. Das sind eben nicht nur rein finanzielle Aspekte, sondern ich muss auch wirklich angebunden sein.“
Schenkenberg fordert ebenfalls, bundesweit Transportkorridore zu definieren und sie entsprechend zu ertüchtigen. Über alle Verkehrsträger hinweg – Straße, Wasser, Schiene. Es braucht also eine Art Masterplan.
Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus Union und SPD wird der Schwerlastverkehr allerdings nicht erwähnt.
aha, Vivien Leue