Verkehrswende
Was den Ausbau der Binnenschifffahrt erschwert

Güter auf dem Wasser zu transportieren ist klimafreundlicher als auf der Straße. Für die Verkehrswende will die Bundesregierung die Binnenschifffahrt daher fördern. Doch Niedrigwasser, veraltete Schleusen und ökologische Bedenken stehen dem im Weg.

    Frachtschiffe fahren in Düsseldorf auf dem Rhein
    Die Binnenschiffer auf dem Rhein sind auf ausreichende Wasserstände angewiesen. Doch Niedrigwasserphasen machen es immer schwieriger, Touren sicher zu planen. (picture alliance / dpa / Christophe Gateau)
    Nicht so gut wie die Bahn, aber besser als Lkw: Bei Binnenschiffen ist der Ausstoß an Treibhausgasen pro Tonne Fracht laut Umweltbundesamt zwar etwa doppelt so hoch wie beim Güterverkehr auf der Schiene, beträgt aber nur etwa ein Drittel dessen, was beim Transport auf der Straße in die Luft gelangt. Die Bundesregierung will für die Erreichung der Klimaziele daher eigentlich verstärkt auf die Binnenschifffahrt setzen. Doch dem stehen einige Hürden im Weg.

    Überblick

    Welche Rolle spielt die Binnenschifffahrt beim Gütertransport?

    Bis 2030 soll ihr Verkehrsanteil bei zwölf Prozent liegen – fast doppelt so viel wie die aktuelle Transportleistung. So steht es im „Masterplan Binnenschifffahrt“, der 2019 noch unter der Großen Koalition ausgearbeitet wurde. Während das Netz sowohl bei der Schiene als auch bei der Straße hochbelastet sei, gebe es bei der Binnenschifffahrt noch freie Kapazitäten, meint Oliver Luksic (FDP), der als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr für die Wasserstraßen zuständig ist. Dabei habe die Binnenschifffahrt dann Vorteile, wenn große Mengen über lange Wege transportiert werden. Motorgüterschiffe könnten mit einer Tragfähigkeit von 3.000 Tonnen bis zu 150 Lkw ersetzen, heißt es seitens des Verkehrsministeriums.

    Marktanteile aktuell eher rückläufig

    Doch Branchenvertreter wie Marcel Lohbeck, Geschäftsführer des „Vereins für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen“ bezweifeln, dass die politisch angestrebte Aufteilung des Gütertransports zwischen den Verkehrsträgern, der „Modal Split“, kurzfristig überhaupt zu erreichen ist. Denn momentan sind die Marktanteile sogar eher rückläufig. Ein Grund: Durch die Energiewende werden immer weniger Massengüter wie etwa Kohle oder Heizöl transportiert, für die sich die Binnenschifffahrt anbietet. Doch die Energiewende biete auch große Potenziale, etwa beim Transport von Windkraftanlagen, vielleicht auch von Wasserstoff, sagt Lohbeck.

    Prognose: Binnenschifffahrt könnte Anteile verlieren

    Voller Unverständnis schaut die Branche deshalb auf die Ergebnisse der langfristigen Verkehrsprognose, die das Bundesministerium im März 2023 veröffentlichte. Die Gutachter erwarten zwar einen Anstieg des gesamten Güterverkehrs bis Mitte des Jahrhunderts. Der Anteil der Straße allerdings könnte laut der Studie sogar wachsen, während Schiene und Binnenschifffahrt verlieren würden.

    Welche Probleme gibt es beim Ausbau der Binnenschifffahrt?

    Die Infrastruktur ist eines der großen Probleme der Branche: Ähnlich wie das deutsche Schienennetz sind auch die Wasserstraßen der Bundesrepublik vielerorts in einem desolaten Zustand, viele Anlagen wurden schon über Jahrzehnte nicht mehr saniert. Dass viele Schleusen und andere Wasserstraßenbauwerke dringend erneuert werden müssen, weiß auch die Politik – im „Masterplan Binnenschifffahrt“ wird deshalb die „Bereitstellung einer bedarfsgerechten Infrastruktur“ als wichtiges Ziel genannt. Doch die Modernisierung dauert ziemlich lange.

    Infrastruktur und Bürokratie

    Laut Binnenschifffahrtslobbyist Marcel Lohbeck beobachtet einen gigantischen Sanierungsstau: Bis 2026 müssten 250 Bauwerke runderneuert werden, darunter alleine 50 Schleusen. Gebaut worden seien allerdings in den vergangenen sieben Jahren weniger als fünf. Lohbeck sieht zwei Probleme: Zum einen sei die Wasserstraßen-Infrastruktur nicht ausreichend finanziert. Während im Bundeshaushalt in diesem Jahr rund 1,4 Milliarden Euro für die deutschen Wasserstraßen vorgesehen sind, fordern die Interessenvertreter der Branche mindestens zwei Milliarden Euro. Zum anderen müssten die Verfahren für Planung und Bau dringend vereinfacht und beschleunigt werden.

    Problem Niedrigwasser

    Doch selbst mit mehr Geld für die Wasserstraße und deutlich beschleunigten Planungs- und Bauverfahren wären die großen Probleme der Branche längst noch nicht alle gelöst. Denn auch wenn die Binnenschifffahrt im Kampf gegen den Klimawandel ihren Beitrag leisten soll, ist sie von diesem wiederum stärker betroffen als andere Verkehrsträger wie Schiene und Straße. Das Problem: Niedrigwasserphasen machen es immer schwieriger, Touren noch sicher zu planen. Das betrifft laut den selbstständigen Binnenschiffern vor allem die mit großem Abstand wichtigste deutsche Wasserstraße: den Rhein.

    Wie könnte das Problem Niedrigwasser gelöst werden?

    Wer auf den Mittelrhein unterwegs ist, dürfte schon bald auf die Hilfe von Rupert Henn angewiesen sein. Der Geschäftsführer des Entwicklungszentrums für Schiffstechnik und Transportsysteme in Duisburg erforscht, wie sich Binnenschiffe besser an Niedrigwasserphasen anpassen lassen.
    Die erste Maßnahme sei, die Grundfläche des Schiffes zu vergrößern, denn: Je breiter und länger das Schiff, desto geringer der Tiefgang. Auch sehr leichte Materialien beim Schiffbau würden helfen, die jedoch mit hohen Kosten verbunden seien. Weil das Schiff so zunehmend unwirtschaftlich werde, müsse man auch auf andere Möglichkeiten setzen.
    Konkret heißt das: Die Fahrrinne muss vertieft werden, damit die mögliche Abladung, also die Eintauchtiefe der Schiffe, größer wird. Schiffe können so größere Lasten transportieren.
    Um Planungszeiten zu verkürzen, hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, das sogenannte Infrastruktur-Beschleunigungsgesetz vorgelegt. In dem Entwurf sind zwar zahlreiche Bauvorhaben von Straße und Schiene aufgelistet, die nun schneller umgesetzt werden sollen – die Binnenschifffahrt sucht man dort allerdings vergebens. Im Bundesministerium für Digitales und Verkehr schiebt man die Verantwortung auf den grünen Koalitionspartner: Dieser habe sich wegen ökologischer Bedenken gesperrt, etwa die Rheinvertiefung mit in die Liste der prioritären Projekte aufzunehmen.

    Was spricht für und gegen den Ausbau der Fahrrinne?

    Geht es nach Oliver Luksic von der FDP, dem parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium, sollten die Arbeiten lieber heute als morgen beginnen: „Diese Abladeoptimierung am Mittelrhein, die hat wirklich eine absolut überragende Bedeutung, weil das der Hotspot ist im Bereich der Binnenschifffahrt, da geht es auch um sechs sehr punktuelle Verbesserungen bei der Fahrrinne, da geht es um hundert Meter, die haben aber einen großen Effekt, weil man sonst auf der ganzen Strecke nicht tiefer beladen fahren kann.“

    Ökonomische Argumente treffen auf ökologische Bedenken

    Doch das ist umstritten: Lokalpolitiker und Umweltschützer leisten Widerstand. Sie fürchten negative Auswirkungen für Fische und auf die Gewässerökologie, weil der Rhein durch die Vertiefung der Fahrrinne nicht mehr Wasser führe, sondern sich das Wasser nur anders verteile. Bei Niedrigwasser könnten manche Zonen trockenfallen und als Lebensraum für Tiere verloren gehen – so die Bedenken. Zudem würden der Wasserspiegel des Rheins und auch der Grundwasserstand in der Umgebung absinken. Experten erwarten deshalb lange rechtliche Auseinandersetzungen um die Rheinvertiefung.
    Nicht überall lasse sich der Ökologie-Ökonomie-Konflikt lösen, meint der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek, Koordinator der Bundesregierung für maritime Wirtschaft und Tourismus. Doch beim Rhein gebe es stellenweise schon Konsens, dass eine Ausbaggerung sinnvoll sei. Denn wenn der Rhein nicht mehr befahren werden könne, sei das wieder schlecht für das Klima.

    Wie könnte die Schifffahrt klimafreundlicher werden?

    Vor allem die Schiffsmotoren, bisher mit Diesel betrieben, sollen umweltfreundlicher werden. Denn auch wenn pro Tonne Fracht viel weniger Treibhausgase als beim Lkw ausgestoßen werden, emittieren Binnenschiffsmotoren deutlich mehr Stickoxide als die Antriebe der Lkw.
    Die Branche soll ihre Emissionen bis 2035 im Vergleich zu 2015 um 35 Prozent senken, bis 2050 muss die Binnenschifffahrtsflotte komplett emissionsfrei sein – so will es die EU-Kommission. Bei Passagierfähren mit kurzen Fahrzeiten würden schon heute Batterieantriebe erprobt, so Schiffstechniker Rupert Henn. Ein Akkubetrieb sei zwar auch bei großen Schiffen technisch möglich, aber wirtschaftlich unrentabel.
    Einige Reeder lassen sich deshalb in ihre neuen Schiffe schon heute einen Elektromotor einbauen, der von einem Dieselgenerator angetrieben wird – in der Hoffnung, den Diesel irgendwann durch andere Energiequellen ersetzen zu können. Doch heute sei die Technik einfach noch nicht so weit, so Schiffstechniker Henn. Und selbst wenn die Frage eines emissionsarmen Schiffsantriebs in naher Zukunft gelöst werden sollte, fehlten immer noch die Werftkapazitäten, um die Schiffe schnell klimaneutral umzurüsten.
    Martin Reischke, ikl