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Wirtschaft und Staat
"Wir brauchen den inklusiven Kapitalismus"

Der Staat müsse die Rahmenbedingungen für den Kapitalismus so ändern, dass die Risse in der Gesellschaft gekittet werden könnten, sagte der Publizist Uwe Jean Heuser im Dlf. Das habe nicht nur etwas mit Geldtransfers zu tun. Der inklusive Kapitalismus sei nötig, um die populistische Herausforderung zu besiegen.

Uwe Jean Heuser im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 30.01.2019
    Demonstration des DGB zum 1. Mai 2017 gegen Zeitarbeit.
    Der Staat habe mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Kapitalismus die Ungleichheit befördert, sagte Uwe Jean Heuser. (imago)
    Jessica Sturmberg: Es geht um die Verantwortung von Unternehmen. Kapitalismus muss inklusive sein, die Unternehmen müssten drängende und soziale, wirtschaftliche Fragen angehen. Extreme Ungleichheit oder man könnte auch sagen ein Ungleichgewicht zulasten der Arbeitnehmer, die durch prekäre Verträge Risiken tragen, aber auf der anderen Seite auch nicht zu einer entsprechend adäquat höheren Entlohnung kommen bei einer doch florierenden Wirtschaft. Darüber habe ich vor der Sendung mit Uwe Jean Heuser gesprochen. Er ist Ressortleiter Wirtschaft der Wochenzeitung "Die Zeit" und er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Kapitalismus inklusive.
    Meine erste Frage an ihn, spricht ihnen Joe Kaeser mit seinen Äußerungen aus dem Herzen?
    Uwe Jean Heuser: Also ich finde es sehr gut, dass Joe Kaeser dieses Thema aufgreift. Das ist ja nicht das erste Mal, dass er sich auch sozial- und gesellschaftspolitisch äußert. Ich glaube, dass die deutschen CEOs gut daran tun, das mehr zu tun. Das ist ein erster Schritt in der Tat für einen die Leute eher einschließenden Kapitalismus, wo es nicht so auswirkt, dass die Chefetagen einfach dichtgemacht haben und nicht mehr zuhören.
    "Debattieren, was ein inklusiver Kapitalismus sein müsste"
    Sturmberg: Was genau verstehen Sie unter einem einschließenden Kapitalismus? Also Sie haben jetzt angedeutet, die Chefs sollen nicht dichtmachen, aber was genau sollen sie tun?
    Heuser: Also ich glaube nicht, dass wir an dem Punkt sind, wo man einfach eine Rezeptur nehmen kann, sondern ich glaube, wir sind an dem Punkt, wo wir ernsthaft debattieren müssen, was ein inklusiver Kapitalismus eigentlich sein müsste. Ich glaube auch nicht, dass die Firmen das alleine machen können, sondern das ist eine Frage von Rahmenbedingungen genauso wie es dann auch die Frage von Entscheidungen von CEOs ist. Was die CEOs angeht, so kann man auf die Mitarbeiter auf zwei Arten gucken: entweder als reiner Kostenfaktor, kurzfristig betrachtet, oder aber als Investitionsfaktor. Und wenn man das Zweite tut, dann stellt man wahrscheinlich weniger prekär beschäftigte Leute ein, bildet mehr Leute aus, bildet mehr sogenanntes Humankapital und sorgt dafür, dass die Leute auch gerüstet sind für die Zeit, wenn die Digitalisierung ihre Jobs bedroht.
    Sturmberg: CEOs, also die Unternehmenslenker oder die Unternehmenschefs würden Ihnen möglicherweise jetzt entgegenhalten, sie können zum Teil gar nichts anders, weil es ihnen von den Investoren so vorgegeben wird. Also die Investoren üben Druck aus, sie möchten eine Rendite auf ihr Kapital haben, sie möchten möglichst viel erwirtschaften, und deswegen zwingen sie sie zu diesem ökonomischen Handeln. Was würden Sie dem entgegenhalten?
    Heuser: Also da ist ja auch was dran. Insbesondere wenn es Unternehmen nicht gut geht, dann stehen sie unter enormem Druck, und dann kann das schon mal passieren, dass das alles in Richtung schnelle Kostensenkung geht. Allerdings haben die meisten CEOs, gerade wenn ihre Unternehmen so erfolgreich sind wie Siemens, durchaus Freiheitsgrade in der Entscheidung und insbesondere in der Frage, ob sie den Menschen mitnehmen in die Digitalisierung oder ersetzen. Weil das eine auch nicht unbedingt besser ist als das andere, langfristig wahrscheinlich die Kombination von Computer und Mensch mehr Gewinne hervorruft als der Ersatz des Menschen. Nur der zweite Teil, der muss eben mitgedacht werden. Die CEOs alleine und die Unternehmen alleine werden das nicht hinbekommen. Das ist eine Frage des Staates und der Rahmenbedingungen für den Kapitalismus, und die waren in letzter Zeit doch so, dass die Ungleichheit befördert wurde und das sogenannte Prekariat, also die, die unten stehen, zwar Arbeit haben, aber nicht weiterkommen und mit wenig Hoffnung ausgestattet waren.
    "Die populistische Herausforderung zu besiegen"
    Sturmberg: Wenn wir das so weiter laufen lassen, also wenn wir da jetzt nicht korrigieren, was passiert dann aus Ihrer Sicht, oder welche Gefahr lauert dann darin?
    Heuser: Die Gefahr ist, dass dem Populismus noch mehr Nahrung gegeben wird, dass dieses Abschotten, dieses Nationalkonservative, was wir von einem Trump kennen, einem Orban und jetzt auch in Italien zum Beispiel, dass das noch stärker wird, also dass diesem Populismus mehr Nahrung gegeben wird. Deswegen, ich glaube, dass wir den inklusiven Kapitalismus nicht nur brauchen, weil es das Richtige ist sozusagen, das Menschliche zu tun ist, einen solchen herzustellen, sondern auch um die populistische Herausforderung zu besiegen.
    Sturmberg: Wo stehen wir da in der Zeitachse, insofern vor dem Hintergrund, dass natürlich auch schon einiges passiert ist? Viele fragen sich auch immer wieder, wie kann dieser Riss in den Gesellschaften, wie kann der noch gekittet werden?
    Heuser: Ich glaube, das erste muss wirklich eine große Debatte sein, weil die Reaktionen auf diese Frage sind immer die Mittel von gestern. Also beispielsweise mehr Umverteilung über das Sozialsystem oder auch von der anderen Seite halt mehr Markt. Man führt die Debatten von gestern für ein Problem von heute. Man muss die Gesellschaft schon genauer anschauen, und dann stellt man fest, dass die Risse, die da durchlaufen, und die Gefühle, die da entstehen, dass man nicht mehr die Kontrolle über sein Leben hat und so, nicht nur mit Geldtransfer zu tun haben, sondern beispielsweise mit dem Abgehängtsein der Landbevölkerung, mit dem Gefühl von Arbeitnehmern, dass sie zwar nicht verarmen, aber auch nicht vorankommen und vielem anderem mehr. Dann müssen sie daran arbeiten. Das ist auch möglich über das Bildungssystem, über Infrastrukturpolitik, über kleine Korrekturen zum Beispiel auch in den Städten, damit nicht alle Ressourcen den wohlhabenden Stadtvierteln zufließen. Auf einmal fängt man an, an ganz vielen Punkten Risse in der Gesellschaft zu sehen und dann auch zu versuchen, diese zu kitten, und wie gesagt, das hat nicht immer nur mit Geld zu tun.
    Sturmberg: Welche konkreten Handlungsempfehlungen verbinden sich mit einem inklusiven Kapitalismus an die Unternehmenslenker, an die CEOs und auch an die Regierung, und welche Chance sehen Sie, dass das auch tatsächlich umgesetzt wird?
    "Der Staat muss auf die Risse in der Gesellschaft achten"
    Heuser: Also um mal mit dem ersten anzufangen: Ich glaube schon, dass viele Leute Sorgen bekommen und dass diese Sorgen sich dann auch umsetzen in neue Anreize, tatsächlich zu handeln. Bei den CEOs und bei den Unternehmen fängt es damit an, die Investitionen in die Mitarbeiter ernst zu nehmen, langfristig zu denken und tatsächlich die Menschen aufzubauen und nicht abzubauen. Beim Staat fängt es damit an, tatsächlich auf die Risse in der Gesellschaft zu achten und dann langsam zu versuchen, diese zu kitten und gleichzeitig die Anreize im Kapitalismus zu ändern. Wir haben heute ein Anreizsystem, das dafür sorgt, dass die ganz großen Gewinne, die aus der Wirtschaft erwachsen, insbesondere aus der Digitalwirtschaft, ein paar Leuten zugutekommen, nämlich den Kapitalbesitzern. Das ist aber nicht naturgegeben, sondern das hängt an Steuerpolitik, das hängt an der Frage von Patenten und dergleichen. Wenn man also erst mal anfängt, diese Rahmenbedingungen zu ändern und überhaupt erst mal zu verstehen, dass die einfach nur günstig gesetzt sind, dass die auch anders gesetzt sein könnten, dann fängt man wieder an, Politik zu betreiben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.