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Wirtschaftsprüfungsgesellschaften
Die Macht der Insider

Wirtschaftsprüfung ist ein lukratives Geschäft - vor allem für die sogenannten Big Four, die vier größten Gesellschaften Deloitte, KPMG, PWC und EY, die den Markt dominieren. Mit ihrem Insiderwissen geben sie den Unternehmen angeblich auch Tipps zur Steuervermeidung. Und auch die Politik lässt sich von ihnen beraten.

Von Brigitte Scholtes |
    Die vier Logos der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG, PWC, EY und Deloitte an Häuserfassaden, Montage aus vier Bildern.
    Die "Big Four" der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften: KPMG, PWC, EY und Deloitte. (imago/stock&people/Ralph Peters/Schöning/Steinach/Montage Deutschlandradio)
    Frankfurt, Friedrich-Ebert-Anlage. 200 Meter ragt der Tower 185 in die Höhe, wenige Meter von der Messe Frankfurt entfernt. Vor drei Jahren hat PWC - Price Waterhouse Coopers - hier seine Deutschlandzentrale bezogen, im Herzen des Finanzzentrums. Das Hochhaus ist das viertgrößte in Deutschland. Es hat Symbolcharakter für die Macht der großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen.
    Diese Macht haben die Wirtschaftsprüfer weltweit - und nicht nur in Deutschland. Hier aber ist PWC das größte dieser Unternehmen. Durch Übernahmen und Fusionen entstanden die heute als "Big Four" bekannten Firmen - neben PWC sind das Deloitte, EY (früher Ernst & Young) und KPMG. Gemeinsam beschäftigen sie weltweit 750.000 Angestellte bei 120 Milliarden Euro Umsatz. An ihnen kommt fast niemand unter den Konzernen vorbei: Allein in Deutschland kontrollieren die Big Four vier Fünftel der 160 großen Aktiengesellschaften, beschäftigen gut 32.000 Menschen und setzen 4,4 Milliarden Euro um.
    Ihren Umsatz machen sie aber nicht nur mit Wirtschaftsprüfung, erklärt Prem Sikka, Professor für Rechnungswesen an der britischen University of Essex:
    "Alle größeren Gesellschaften benötigen ein Audit, eine Wirtschaftsprüfung. Dadurch haben die Wirtschaftsprüfer einen leichten Zugang zum höheren Management. Den nutzen sie als Vehikel, um andere Dienstleistungen zu verkaufen - eben auch die Steuervermeidung."
    Das ist ein harscher Vorwurf: Nutzen die großen Wirtschaftsprüfer ihre Informationen aus den geprüften Unternehmen gezielt dazu, ihnen auch Steuervermeidungsvorschläge zu verkaufen? Um es soweit gar nicht kommen zu lassen, hatte die Europäische Kommission den "Big Four" die Unternehmensberatung eigentlich verbieten wollen. Dann hätten sich die Konzerne aufspalten müssen in Prüfgesellschaften und Beratungsfirmen. Damit aber konnte die EU-Kommission sich nicht durchsetzen.
    Das Beratungsgeschäft ist wichtig für die Unternehmen. Aber das sei streng getrennt von der Wirtschaftsprüfung, antworten die Big Four zu solchen Vorwürfen. Ulrich Trinkaus etwa, Partner von EY, erklärt das so:
    "Die Wirtschaftsprüfungsmandate sind Wirtschaftsprüfungsmandate, und die nehmen unsere Wirtschaftsprüfungskollegen auch wahr. Und entsprechend sind da - ich weiß nicht, ob man es Chinese Walls nennen darf - aber wir arbeiten da streng nach dem angelsächsischen "need to know"- Prinzip."
    Was man wissen sollte, um erfolgreich arbeiten zu können, das verrät Trinkaus nicht, aber immerhin so viel:
    "Natürlich arbeiten wir alle zusammen als ein Team, als ein gemeinsames Team, aber das können wir dadurch vor allem darstellen, dass wir die entsprechenden Expertisen, die unterschiedlichen, die wir haben, entsprechend dann zu den Kunden bringen können aus den verschiedenen Dienstleistungssegmenten, die wir anbieten."
    Mehr ist aber offiziell nicht zu erfahren. Soviel aber ist unbestritten: Das Geschäftsmodell der "Big Four" ist sehr lukrativ: Wie sehr, das verraten die Firmen zwar nicht en détail, aber bis zu zwei Fünftel ihrer Einkünfte dürften allein auf die Steuerberatung entfallen.
    "Ein weiteres Netzwerk ist dann die Politik, das geht auch in die Parteien"
    Wesentlicher Erfolgsfaktor ist auch die internationale Aufstellung: Denn die ermöglicht es den großen Prüfungsgesellschaften, einen Konzern einschließlich aller Auslandsgesellschaften zu prüfen. Mittelständische Konkurrenten können allenfalls mithalten, wenn sie sich zusammenschließen.
    "Die Legislative des Berufsstands wird maßgeblich dominiert von den Big Four, nach dem Motto, wer die Spielregeln aufstellt, gewinnt das Spiel. Das ist auch der Sinn der Spielregeln."
    Michael Gschrei kämpft seit Langem gegen die Übermacht der großen Vier. Der mittelständische Wirtschaftsprüfer hat dazu vor zehn Jahren einen eigenen Verband gegründet, wp.net, der vor allem die Interessen der kleineren Wirtschaftsprüfer und Steuerberater berücksichtigen soll. Denn der große Verband IDW, das Institut der Wirtschaftsprüfer, sei auch von den "Big Four" dominiert, meint Gschrei. Der IDW nimmt für sich jedoch in Anspruch, den Berufsstand in seiner ganzen Breite zu vertreten. Zumindest die Zahlen legen das nahe: 800 Mitglieder sind bei wp.net organisiert, 13.000 beim IDW.
    Gschrei gerät in Fahrt, wenn es um das Netzwerk der Big Four allein in Deutschland geht - dazu zählten etwa Universitäten oder Medien, aber nicht nur die:
    "Ein weiteres Netzwerk ist dann die Politik, das geht auch in die Parteien: Wenn Sie so Wirtschaftsverbände der CDU/CSU anschauen, finden Sie in den Vorständen dann auch Vertreter der großen Gesellschaften. Da sind Ausschüsse von PWC besetzt, und auch im bayerischen Wirtschaftsverband gibt es welche, die also dort aktiv sind."
    Das reiche bis in die Landtage und den Deutschen Bundestag, sagt Gschrei.
    Solche Netzwerke haben die Gesellschaften aber nicht nur in Deutschland aufgebaut, sondern auch auf europäischer Ebene, Steuerexperte Sikka von der University of Essex beschreibt das für die Finanzbehörden Großbritanniens:
    "Der derzeitige Chef der britischen Steuerbehörde ist ein früherer Partner von KPMG. In den verschiedenen Ausschüssen, die im Finanzministerium Gesetzesvorschläge ausarbeiten, sitzen auch Partner der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften."
    Jean Claude Juncker hält eine Rede im EU-Parlament
    Auch Jean-Claude Juncker und die EU-Kommission lassen sich von den Gesellschaften beraten. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Und auch in der Europäischen Union seien die vier Großen aktiv, sagt Max Bank von Lobbycontrol:
    "Spürbaren Einfluss erleben wir auf der EU-Ebene, da wo sich die EU-Kommission von Herrn Juncker von den Big Four tatsächlich in steuerpolitischen Fragen beraten lässt."
    Wirtschaftsprüfer scheinen offenbar gelegentlich ein "Auge zuzudrücken"
    Frank Wehrheim ist Steuerberater. Er hilft häufig Klienten, die sich wegen unterlassener Versteuerung ihrer Vermögen selbst angezeigt haben. Aber das erst seit einigen Jahren. Denn zuvor hat er als Abteilungsleiter der Frankfurter Steuerfahndung für das Land Hessen gearbeitet - bis er und einige andere aus offenbar politischen Gründen zwangspensioniert wurden. Sie hatten, so vermutete man damals, zu intensiv bei einigen Steuerhinterziehungsdelikten nachgeforscht.
    Bei seinen neuen Klienten kommt seine Sachkenntnis gut an. Denn Wehrheim kennt die Tricks, mit denen gerade große Steuerzahler wie etwa Unternehmen versuchen, ihre Steuern zu "optimieren". Und da gehe es nicht immer ganz legal zu, erinnert sich Wehrheim:
    "Alle großen Unternehmen werden geprüft. Und ich habe oft bei Ermittlungen erlebt, wenn wir in einen großen Betrieb gingen, dass die gesagt haben, es ist alles geprüft. Das hat unsere Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft alles geprüft. Das war so etwas wie ein Gütesiegel, ist alles erledigt, ist alles überprüft, aber eine Prüfung durch eine Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft heißt keineswegs, dass in einem Betrieb nicht strafrechtliche Dinge ermittelt werden können."
    Die Wirtschaftsprüfer scheinen also offenbar gelegentlich ein "Auge zuzudrücken". Bei der Beratung der Unternehmen verweisen sie gern auf die Gesetzeslage: "Alles was wir tun, ist legal", antworten Vertreter der "Big Four", wenn man sie auf Steuervermeidung vor allem in großen Unternehmen anspricht. Da habe man kaum Angriffspunkte, sagt Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:
    "Das Problem ist, dass das, was wir als Steuergestaltungen empfinden und vielleicht sogar als missbräuchliche Steuergestaltung, ja nicht in jedem Fall illegal ist. Viele der Gestaltungen sind aufgrund der nicht harmonisierten Besteuerung der Unternehmen in der Welt, aber auch in Europa, rechtlich nicht zu beanstanden."
    Es ist ein schmaler Grat zwischen Legalität und Illegalität, aber einer, auf dem die Beratungsunternehmen recht sicher wandeln. Wie sie arbeiten, erläutert Ulrich Trinkaus, Partner von Ernst & Young:
    "Wir sind eher auf der Seite unterwegs, dass wir unseren Kunden helfen, Regularien, die da kommen, zu interpretieren, und weniger auf der Seite unterwegs, zu helfen, Gesetzestexte zu formulieren."
    Interpretationshilfe also liefern die großen Unternehmensberater. Aber was heißt legal? fragt sich Lothar Binding. Er ist für die SPD im Deutschen Bundestag und Mitglied im Finanzausschuss:
    "Wir haben mit "Lux Leaks" gerade gelernt, dass in Luxemburg Gestaltungsmöglichkeiten entwickelt wurden, die staatsfeindlich sind, die einfach die einzelnen Staatskassen in Europa auszehren. Und möglicherweise war das sogar legal, aber legitim war's nicht, weil es arbeitet einfach im Interesse einzelner Egoismen gegen die Staatengemeinschaft. Da müssen die einzelnen Parlamentarier, die einzelnen Beamten in den Ministerien, also eigentlich die gesamte Exekutive aufpassen, dass solche interessengesteuerten Institute hinsichtlich der Informationsmenge, die man bekommt, nicht die Oberhand bekommen, weil sonst haben wir in der Demokratie verloren."
    "Das Geschäft, in dem sie arbeiten, ist absolut tödlich"
    Der Widerspruch liegt auf der Hand: Die Macht der großen Wirtschaftsprüfer basiert eben darauf, dass niemand tieferen Einblick in die Geschäfte der Konzerne hat als sie. Was, wenn nicht dieses Wissen, sollten sie für ihre Steuerberatung, sprich Beratung zur Steuervermeidung nutzen? Und dennoch müssen sie offiziell diese beiden Sparten streng trennen. Und weil sie international aufgestellt sind, haben sie solche Kenntnisse aus vielen Ländern. Was sie tun, das sei mindestens hart am Rande der Legalität, sagt Steuerexperte Prem Sikka von der University of Essex. Er bezeichnet die "Big Four" deshalb als "Nadelstreifen-Mafia":
    "Das Geschäft, in dem sie arbeiten, ist absolut tödlich. Das kann man in den Entwicklungsländern beobachten, etwa in einigen afrikanischen Ländern, wo die Lebenserwartung der Menschen zurückgeht. Und warum? Weil der Staat es sich nicht leisten kann, den Menschen eine ordentliche sanitäre Versorgung, sauberes Wasser oder Gesundheitsfürsorge zu bieten, weil die Big Four eifrig dabei sind, den reichen Eliten und den Unternehmen bei der Steuervermeidung zu helfen. Für mich sind diese Aktivitäten im Grunde dieselben wie die der Mafia."
    Und die Politik? Sie tut nichts oder nur sehr wenig, um deren Macht zu begrenzen. Denn das große Wissen, das die "Big Four" angehäuft haben, kommt auch ihnen zugute, erklärt Max Bank von Lobbycontrol:
    "Deshalb ist es nicht zuletzt auch so, dass das Bundeswirtschaftsministerium in Deutschland ebenfalls viele Aufträge an Wirtschaftsberatungsfirmen vergibt, um Dinge zu prüfen. Beispielsweise wurden Anträge an den Rettungsfonds von Wirtschaftsberatungsfirmen geprüft. Der Einfluss der Wirtschaftsberatungsfirmen ist groß insofern, als dass sie an vielen Stellen unentbehrlich geworden sind."
    Die "Big Four" sind aber auch schon im Vorfeld aktiv: So laden sie die Mitglieder des Finanzausschusses zu Informationsveranstaltungen oder Fachgesprächen ein, erzählt Lothar Binding, für die SPD Mitglied im Finanzausschuss:
    "Dort sitzen dann die Steuerfachleute der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aus ganz Deutschland. Und die geben mir dann Hinweise einerseits und kritisieren die Gesetzesvorlagen andererseits. Ich denke, da ist es dann meine Aufgabe, zu schauen, ihren Einfluss dadurch zu begrenzen, dass ich die Gegenlobbyisten genauso höre wie den Verbraucherschutz zum Beispiel oder Tax Justice Network oder Lobbycontrol."
    An den großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften komme man auch im Ausland nicht vorbei, beschreibt Antje Tillmann, finanzpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:
    "Wenn wir im Ausland unterwegs sind, dann laden wir uns gerne schon mal Fachleute ein, die das Steuerrecht vor Ort besonders genau kennen. Da passiert es schon mal, dass man sagt, ach Mensch, die eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die kennen wir jetzt vor Ort, und die lassen wir mal erzählen, welche Konstruktionen es geben könnte. Da sind sie sogar eher hilfreich."
    Oft aber wirken sie eher einschüchternd, etwa wenn Konzernprüfer in große Unternehmen kommen, meint der frühere Steuerfahnder Frank Wehrheim:
    "Nach meiner Auffassung ist zwischen der Finanzverwaltung und dem, was große Firmen sich an Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern dagegen halten, auch an Rechtsanwälten, ist keinerlei Waffengleichheit gegeben. Da sind Informationsvorsprünge, da ist auch ungleich gewichtet, da sitzen vielleicht vier Menschen und prüfen einen großen Konzern, also vier Prüfer aus der Finanzverwaltung, und auf der anderen Seite sitzt bei gegebenem Anlass eine Armada von Menschen, die verteidigen, also Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte. Da ist ein absolutes Ungleichgewicht."
    EU wollte den Gesellschaften jegliche Beratung untersagen - erfolglos
    Die Europäische Union hat im vergangenen Jahr eine Verordnung fertiggestellt, die bis Mitte 2016 in den einzelnen Mitgliedsländern umgesetzt werden soll. Ursprünglich sollte die Reform die Aufsicht unabhängiger machen, die Qualität der Prüfung steigern. Besonders wichtig war der Plan, Bilanzprüfung und strategische Beratung zu trennen und die Prüfer der Firmen regelmäßig zu wechseln.
    Das ist nicht in jeder Hinsicht gelungen. Zwar wird die Berufsaufsicht unabhängiger - das gilt zumindest für diejenigen, die sogenannte Unternehmen von öffentlichem Interesse prüfen, also große Aktiengesellschaften. Für sie muss eine unabhängige Behörde mit eigenem Personal und in ausschließlicher Verantwortung geschaffen werden.
    Diese Aufgabe könnte bei der BaFin angesiedelt werden, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, meint Klaus-Peter Naumann, Vorstandssprecher des IDW, des Instituts der Wirtschaftsprüfer. Wie sich die Bafin dazu stellt, dazu könnte sie sich morgen in ihrer Jahres-Pressekonferenz vielleicht äußern.
    Doch sie werde noch viel dazulernen, ihre Strukturen anpassen müssen, damit sie diese Aufsicht übernehmen könne, sagt Naumann. Denn noch habe die Behörde das erforderliche Know-how nicht:
    "Man wird dann darüber nachdenken müssen, wie man das fachliche Know-how aufrecht erhält, dass es heute in der Berufsaufsicht in diesem Bereich gibt, zum einen, indem man bestehendes Personal, das es heute gibt, in eine solche Behördenlösung überführt, zum anderen dadurch, dass man in einer solchen Behörde beispielsweise einen Beirat bildet, in dem der Berufsstand weiterhin seine Expertise einbringen kann, natürlich ohne irgendwelchen Einfluss auf die Tätigkeit nehmen zu können, denn sonst wäre die geforderte Unabhängigkeit nicht mehr gewährleistet."
    Das könnte aber ein Problem werden, moniert Michael Gschrei, Vorstandssprecher des kleineren mittelständisch orientierten Verbands wp.net:
    "Die BaFin hat ja die Aufsicht über die Finanzindustrie und damit über die Prüfer der Finanzindustrie. Und da finden enge Kontakte statt, das hat uns sogar einer vom Bundesministerium der Finanzen erzählt, dass er es sich nicht vorstellen kann, dass die BaFin zukünftig die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer, wie es die EU vorgesehen hat, übernehmen kann, weil enge Kontakte und enge Beratungsaufträge zwischen den Big Four und der Bafin laufen.
    Die EU wollte den Wirtschaftsprüfern auch jegliche Beratung untersagen. Doch damit kam sie nicht durch: Das Geschäftsmodell der weltgrößten Beratungsfirmen wurde nicht angetastet. Prem Sikka von der University of Essex wundert das nicht:
    "Da gibt es Drehtüren von dem "big business", in diesem Fall den großen Wirtschaftsprüfungsfirmen in die politischen Strukturen hinein. Die können Politiker anheuern, und sie verteilen Parteispenden. Wir wissen, dass Politiker angeheuert werden, einfach um Verträge für die Wirtschaftsprüfungsfirmen zu gewinnen und auch, um sicherzustellen, dass es keine bedrohliche Gesetzgebung geben wird."
    Die Finanzindustrie im Rücken
    Ein weiterer Punkt: Eine Rotation der Wirtschaftsprüfer wird zwar jetzt verbindlich - aber in sehr abgeschwächter Form. Ein Wirtschaftsprüfer kann immer noch für bis zu 20, in besonderen Fällen sogar für insgesamt 24 Jahre bestellt werden. Klaus-Peter Naumann vom IDW ist jedoch ohnehin überzeugt, die Qualität der Prüfung leide bei einem Wechsel:
    "Wenn man untersucht, wie sich Wechsel des Abschlussprüfers, allerdings auf freiwilliger Basis in der Vergangenheit in Deutschland ausgewirkt haben, dann kann man doch feststellen, dass infolge solcher Prüferwechsel mehr Unternehmen von einem mittelständischen zu einem großen Prüfer wechseln als umgekehrt."
    Auch bei einer abgeschwächten Rotation werden die Big Four also weiter gestärkt, und die nachfolgenden Wettbewerber werden sich um mehr Größe bemühen.
    Am Einfluss der Big Four - Deloitte, EY, KPMG und PWC - also dürfte sich so schnell nichts ändern. Doch den verdanken sie auch einer anderen Branche, vermutet Michael Gschrei von wp.net:
    "Da ist im Hintergrund die Finanzindustrie. Meine Meinung ist, dass die Finanzindustrie diese ganzen strukturierten Produkte, die ja 2004 über Europa - Deutsche Bank an die deutsche Finanzindustrie - verkauft worden sind, dass die nicht gestört werden wollten. Der Abschlussprüfer hätte das ja damals schon verhindern können. Die Prüfer haben ja selber gesagt, das waren mangelhaft transparente Produkte."
    Die Wirtschaftsprüfer und Berater seien als Auftragnehmer der Unternehmen da tatsächlich in einer Klemme, glaubt auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Lothar Binding:
    "In dem Moment, in dem ich als Wirtschaftsprüfer genauso handele, wie es die Gesellschaft von mir verlangen würde, würde ich den Auftrag ja verlieren. Und wenn Bankvorstände skrupellos sind, dann ist klar, dass ihre Auftragnehmer möglicherweise dann in die gleiche Kategorie der Skrupellosigkeit fallen, sonst verlieren sie den Auftrag. Regeln funktionieren nur dann, wenn sie sich einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz erfreuen und wenn die, die das zu entscheiden haben, auch wissen, dass es sich lohnt, sich korrekt zu verhalten."
    An dieser Einsicht aber mangelt es offensichtlich noch immer - trotz der Finanzkrise und zahlreicher Skandale in der Finanzindustrie.
    Das private Interesse einiger weniger darf aber nicht Vorrang haben vor dem öffentlichen Interesse aller Bürger. Alle Unternehmen müssen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen. Wenn nicht, sollte der Staat auf Dauer die Möglichkeit haben, sie einfach zu schließen. Soweit aber ist es wohl noch lange nicht.