Dienstag, 19. März 2024

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Wladimir Kaminer
Proteste in Belarus "große Hoffnung" auch für viele Russen

Der russischstämmige Autor Wladimir Kaminer geht mit den Belarussen gegen ihren Präsidenten Alexander Lukaschenko auf die Straße. Die Aussicht auf friedliche Veränderung gebe auch vielen Russen Hoffnung, sagte er im Dlf. Die EU dürfe ihre protestierenden Nachbarn in Belarus nicht allein lassen.

Wladimir Kaminer im Gespräch mit Christiane Kaess | 09.10.2020
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer,
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer verfolgt die Lage in Belarus sehr aufmerksam - und Putin tue das auch, glaubt er (Markus Scholz/dpa)
Seit Wochen gehen Menschen gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und sein Regime auf die Straße - auch in Deutschland. Der russischstämmige Schriftsteller und Publizist Wladimir Kaminer ("Russendisko", "Goodbye, Moskau: Betrachtungen über Russland") will sich den Protesten anschließen. "Ich möchte das unbedingt unterstützen – nicht nur, weil mein bester Freund in Minsk im Knast sitzt, sondern auch grundsätzlich, weil dieser friedliche Protest auch eine Hoffnung ist für meine Landsleute", sagt Kaminer im Dlf-Interview.
Die russische Regierung legt ihre Hand schützend über Lukaschenkos Regime in Minsk. Diese Verquickung macht die Gemengelage besonders schwierig für Deutschland. Das deutsch-russische Verhältnis ist schon lange belastet und es hat nach dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny einen neuen Tiefpunkt erreicht.
07.10.2020, Belarus, Minsk: MINSK, BELARUS - OCTOBER 7, 2020: Women stage a solidarity event on one of the streets. Mass protests against the presidential election results have been occurring in Minsk and other Belarusian cities since August 9. According to the Belarusian Central Election Commission, incumbent president Alexander Lukashenko won by landslide with 80.1% of votes polled. Runner-up candidate Svetlana Tikhanovskaya who polled 10.12% refused to accept the election results and became one of the founders of the Belarusian opposition's Coordination Council. Subsequent rallies rapidly escalated into violent clashes with the police. Opposition activists call for further protest events, whereas the authorities demand to end them. Stringer/TASS Foto: Stringer/TASS/dpa |
Frauen gegen Lukaschenko
Je brutaler die Polizei vorging, desto mehr Frauen gingen in Belarus auf die Straße. Und ließen sich friedliche Formen des Protests einfallen. Sie fühlten sich stärker, nicht an der Seite ihrer Männer, sondern vor ihnen, sagt Oppositionsführerin Tichanowskaja.

Christiane Kaess: Herr Kaminer, auch in Deutschland gehen Menschen aus Belarus auf die Straße, um gegen das Regime Lukaschenko zu demonstrieren. Sie wollen sich diesen Demonstrationen anschließen. Warum?
Wladminir Kaminer: Das sind hauptsächlich Belarussen, die ihre Solidarität mit dem Land zeigen. Ich glaube, für die meisten Europäer bleiben diese Proteste eine Nachricht aus einer fernen Welt, obwohl das unser Nachbar ist. Ich möchte das unbedingt unterstützen – nicht nur, weil mein bester Freund in Minsk im Knast sitzt, sondern auch grundsätzlich, weil dieser friedliche Protest auch eine Hoffnung ist für meine Landsleute. Wenn eine solche Art zu protestieren tatsächlich Aussichten auf Erfolg haben kann, dass man ohne Blutvergießen eine politische Veränderung erreichen kann in einem Land, das da von einem Diktator regiert wird, dann ist das eine große Hoffnung auch für 100 Millionen Russen.
Die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus Belarus geht nach einem Auftritt vor Anhängern am Brandenburger Tor vorbei
"Deutschland kann einen weit größeren Einfluss ausüben"
Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja wünscht sich mehr Unterstützung durch Deutschland und die EU. Die ersten Schritte seien schon sehr wichtig gewesen, sagte sie im Dlf.
"Scheitert dieser Protest, haben wir eine neue Flüchtlingswelle"
Kaess: Was haben Sie denn gedacht, als Sie das erste Mal diese Demos, diese wirklich sehr großen Demos in Minsk und in anderen Städten in Belarus gesehen haben?
Kaminer: Ich war, ehrlich gesagt, sehr überrascht. Lukaschenko regiert seit 26 Jahren dieses Land mit eiserner Hand und die Menschen taten so, als hätten sie noch für 100 weitere Jahre Geduld mit ihm. Aber jetzt tun sie alles, um diesen Diktator zu stürzen, rauszubringen aus dem Land. Ich glaube, wenn dieser Protest scheitert, dann haben wir eine neue Flüchtlingswelle, die eigentlich überhaupt nicht im Interesse der Europäischen Union liegt. Deswegen verstehe ich nicht, warum das weißrussische Volk, die Belarussen so wenig Unterstützung bekommen. Eine klare politische Ansage der Europäischen Union wäre in diesem Fall, glaube ich, von großer Bedeutung.
Kaess: Das mit der Flüchtlingswelle, das ist Ihre Einschätzung. Sie haben das ja schon mal in einem Interview so formuliert, dass Sie gesagt haben, die wahre Revolution sei die Migration. Wenn man woanders hingehen könnte, dann würde es keinen Sinn mehr ergeben, seinen Staat zu retten, und eine Menge von Leuten hätten das verstanden, dass es sich nicht lohnt, Veränderungen in einem Land anzustreben, die vielleicht einmal ihren Enkeln zugutekommen. Haben Sie sich aber, Herr Kaminer, da geirrt? Denn die Menschen in Belarus machen ja überhaupt nicht den Eindruck, als wollen sie weg, sondern die wollen im Land was verändern.
Russlands Präsident Wladimir Putin und Altkanzler Gerhard Schröder umarmen sich bei der Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft 2018
"Eine Männerfreundschaft ohne Rücksicht auf Verluste"
Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) legt nach Ansicht seines Parteikollegen Gernot Erler großen Wert auf seine Männerfreundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Das betreffe auch den Fall Nawalny.
Kaminer: Ich weiß, dass sehr viele bereits umziehen. Die ganzen IT-Firmen ziehen nach Litauen, nach Polen um. Aber auf Dauer ist das natürlich keine Lösung. Das kann ja nicht sein, dass alle sich in Reih und Glied aufstellen und weggehen.
"Ich glaube, dass Putin auf diese Proteste schaut"
Kaess: Jetzt haben Sie gesagt, die EU müsste da mehr tun. Was würden Sie sich denn wünschen?
Kaminer: Es gibt nicht so viele Möglichkeiten - das verstehe ich schon – für die Europäer, auch Einfluss zu nehmen auf die Regierung in Russland und in Belarus. Aber bis jetzt sah es so aus, als wurde die Republik Belarus einfach geopfert, dem russischen Machthaber überlassen. – Ich glaube, dass alle Länder vor allem wirtschaftliche Hebel haben, um aufeinander einzuwirken. Ich glaube, dass die wirtschaftlichen Sanktionen ein wirksames Mittel sind, um auch politischen Einfluss zu nehmen.
Kaess: Welche Rolle, glauben Sie denn, spielt es, dass Russland das Regime in Belarus schützt?
Kaminer: Ich glaube, dass Putin sehr aufmerksam auf diese Situation, auf diese friedlichen Proteste schaut. Es ist möglicherweise auch seine eigene Zukunft, was heute auf den Straßen von belarussischen Städten passiert. Er darf quasi den Menschen, vor allem seinen eigenen Bürgern, nicht die Hoffnung lassen, dass man mit friedlichen Protesten eine politische Veränderung oder gar Machtwechsel erreichen kann.
Kaess: Da sehen Sie ganz eindeutige Parallelen? Oder gibt es da auch Unterschiede?
Kaminer: Russland ist zehnmal größer, und die Probleme, die Russland hat, sind auch zwanzigmal schwerer als die der Belarussen. Putin ist noch nicht 26 Jahre an der Macht, sondern nur 20, aber seine Umfragewerte gehen steil nach unten, und ich glaube nicht, dass die Geduld des russischen Volkes auch endlos sein wird.
Fall Nawalny - "Wahrheit trifft auf Lügen"
Kaess: Wenn Sie sich mehr wünschen würden von der Politik, dann spielt ja Deutschland auch eine ganz wichtige Rolle, und das deutsch-russische Verhältnis wird ja jetzt vom Fall Nawalny noch mehr belastet, als es ohnehin schon war. Wie nehmen Sie das von außen wahr?
Kaminer: Wir sehen bei dieser Diskussion über den Fall Nawalny, wie Wahrheit auf Lügen trifft auf politischem Parkett. Ich glaube, das ist sehr wichtig, von der deutschen Seite weiterhin auf einer Untersuchung zu bestehen. Wenn die Russische Föderation behauptet, dass sie mit dieser Vergiftung nichts zu tun hat, dann muss es doch im Interesse der Russen sein, diesen Fall sofort zu untersuchen.
Kaess: Jetzt ist es ja für viele schon ausgemacht, dass die russische Regierung hier die Schuldige ist. Der ehemalige Bundeskanzler in Deutschland, Gerhard Schröder, der hat gesagt, es gebe noch keine gesicherten Fakten zum Giftanschlag auf Nawalny. Er ist dafür stark kritisiert worden. Aber im Grunde hat er doch recht.
Kaminer: Drei unabhängige Labore haben dieses Gift festgestellt. Welche gesicherten Fakten fehlen noch? – Dass er vergiftet wurde, das steht fest.
Kaess: Die Verbindung zur russischen Regierung. Das ist das, was offenbar Herrn Schröder fehlt.
Kaminer: Wie kann eine solche Verbindung hergestellt werden? – Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwo in Russland ein unterirdisches Labor existiert, das Massenvernichtungswaffen herstellt. Das ist sehr aufwendig. Dann müssen Sie eigene Wissenschaftler, eigene Konstrukteure haben. Wenn das so ist, dann muss die russische Regierung ja jetzt alles beiseitelassen und nur diesen Fall untersuchen, aber da passiert gar nichts. Für mich ist das ein Beweis dafür, dass das schon ein staatliches Labor ist.
"Ein ganzer Bundeskanzler wurde eingekauft"
Kaess: Alexej Nawalny hat ja den ehemaligen Bundeskanzler Schröder stark dafür kritisiert. Er hat ihn einen Laufburschen Putins genannt. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Kaminer: Ich glaube, eine sehr wichtige Säule des heutigen Regimes in Russland ist der Glaube, dass man alles mit Geld kaufen kann, und dadurch wird auch die Politik Russlands dem Westen gegenüber bestimmt. Diese Eroberung eines ganzen Bundeskanzlers hat natürlich die russische Führung in diesem Glauben sehr verstärkt. Im Grunde genommen wurde ein ganzer Bundeskanzler eingekauft.
Ich weiß nicht, ob Herr Schröder das versteht überhaupt, dass er indirekt diese fehlerhafte russische Politik, Außenpolitik und Innenpolitik, eigentlich hervorgerufen hat mit seinem Schritt.
Kaess: Ich möchte Sie zum Schluss noch eine ganz andere Sache fragen. Bei aller Kritik an Putin und der russischen Regierung – es gibt auch in Deutschland Menschen, die finden, dass Putin in den deutschen Medien falsch dargestellt wird, dass er zu stark kritisiert wird. Wir werden auch in unserer Berichterstattung immer wieder darauf hingewiesen. Was sagen Sie diesen Menschen?
Kaminer: Sollte Putin jetzt bewirken, dass die politischen Gefangenen in Belarus freigelassen werden, dann würde ich als Erster ihn loben, und auch sein Freund Lukaschenko kann davon nur profitieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.