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WM-Aus des DFB-Teams
"Da fehlte die Eingespieltheit"

Der deutschen Nationalmannschaft habe bei der FIFA Fußball-WM die Lockerheit gefehlt, sagte der Journalist Tobias Escher im Dlf. Bundestrainer Joachim Löw habe fast alle Feldspieler eingesetzt, die er mitgenommen habe "und trotzdem keine erste Mannschaft bekommen." Gefehlt habe daneben auch ein Mittel, um defensive Gegner zu knacken.

Tobias Escher im Gespräch mit Jasper Barenberg | 28.06.2018
    Süle fasst sich enttäuscht an den Kopf, Gomez und Hummels sprechen mit ihm.
    Die deutsche Nationalmannschaft ist aus der WM ausgeschieden (Christian Charisius / dpa)
    Jasper Barenberg: Das Wort Totalschaden ist wohl nicht übertrieben. Nach einem 0:2 gegen Südkorea in Russland fährt die deutsche Nationalmannschaft nach der Vorrunde nach Hause – als Tabellenletzter in der Gruppe F. Im Spiel davor war Toni Kroos noch ein Torwunder in buchstäblicher letzter Sekunde gelungen. Gestern blieb es aus. – Am Telefon ist der Journalist und Buchautor Tobias Escher. Schönen guten Morgen.
    Tobias Escher: Guten Morgen.
    Barenberg: Herr Escher, der Bundestrainer hat ja unmittelbar nach dem Spiel gesagt, wir haben es einfach nicht verdient gehabt, in dieser Gruppe weiterzukommen. Das ist sehr offen, sehr ehrlich. Ist es auch Ihr Fazit nach diesem Auftritt der deutschen Mannschaft in Russland?
    Escher: Das ist auch mein Fazit nach dem Auftritt der deutschen Mannschaft. Eine Mannschaft, die in drei Spielen gegen Gegner, die mit Verlaub nicht zur absoluten Weltspitze gehören, gerade mal ein Tor erzielt, die kommt bei einer Weltmeisterschaft normalerweise nicht weiter, um hier mal mit einer Phrase zu sprechen.
    Barenberg: Das Spiel gestern wirkte ja auf eigentlich alle Beobachter müde, behäbig, ideenlos, ohne Gefahr vor dem Tor der Südkoreaner. Und allgemein wurde gesagt, das ist wie so eine Art Zusammenfassung der Leistung insgesamt. Wie kommt es, dass diese Mannschaft so schwach gespielt hat?
    Escher: Das ist eine sehr schwierige Frage. Man hat das wirklich nicht vorher kommen sehen. Im Nachhinein gab es natürlich Warnzeichen. Schon in den Testspielen haben viele Dinge nicht funktioniert. Jetzt hat man sich durch das Turnier geschleppt mit Spielern, bei denen viele nicht in Form waren, mit einem taktischen System, das man nie so recht gefunden hat. Joachim Löw hat fast sämtliche Feldspieler, die er mitgenommen hat, eingesetzt und hat trotzdem keine erste Mannschaft bekommen. Da fehlte dann auch irgendwo die Eingespieltheit. Da fehlte dann nach dem 0:1 gegen Mexiko die Lockerheit auch. Und vor allem fehlte ein Mittel, um defensive Gegner zu knacken. Das hat man jetzt in allen drei Spielen versucht und man hat aber nie wirklich sich großartig Torchancen herausarbeiten können.
    "Gerade die Weltmeister waren ja teilweise nicht in Form"
    Barenberg: Hat das auch etwas mit dem Alter der Spieler zu tun? Viele haben ja vorher gesagt, die Stärke liegt gerade darin, dass Joachim Löw eine gute Mischung gefunden hat aus erfahrenen Spielern, die er gut kennt, die schon große Erfolge gefeiert haben, und jüngeren Spielern. Ist diese Rechnung gar nicht aufgegangen?
    Escher: Ja. Das hatte ich vorher auch gedacht, dass es eigentlich eine sehr gute Mischung ist. Andererseits hat man es auch schon beim O-Ton vielleicht ganz gut hören können: Die Weltmeister bei den letzten Weltmeisterschaften haben selten gut abgeschnitten und auch dort waren viele Weltmeister in den Kadern, waren viele Spieler, von denen man eigentlich erwartet hat, dass sie das wiederholen können. Das ist jetzt bei Deutschland auch passiert. Auch mit vielen Weltmeistern im Kader haben wir diesen Erfolg nicht wiederholen können und gerade die Weltmeister waren ja teilweise nicht in Form: Ein Thomas Müller, den man kaum wiedererkennen konnte, auch Spieler wie Sami Khedira oder Mesut Özil, die nicht an ihre Spitzenleistung von vor vier Jahren oder auch vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft anknüpfen konnten.
    Barenberg: Jetzt sagen ja viele, einige dieser Spieler, auch einige, die Sie genannt haben, die haben im Grunde genommen einfach den Zenit inzwischen überschritten. Gilt das eigentlich auch für den Bundestrainer, der seit zwölf Jahren Bundestrainer ist, seit 14 Jahren beim DFB arbeitet, oder ist mit ihm ein Neuaufbau, der jetzt nötig ist, möglich?
    Escher: Das ist immer ganz schwierig zu sagen. Fußball ist natürlich ein Ergebnissport und ein Nationaltrainer hat im Gegensatz zu einem Clubtrainer immer das Problem, dass er anhand von ganz wenigen Spielen gemessen wird. Man muss ja auch sagen: Wenn der Kopfball von Hummels gestern reingeht, dann würden wir heute wahrscheinlich anders über dieses Spiel reden. Deswegen ist natürlich nicht alles, was in den letzten zwölf Jahren passiert ist, jetzt plötzlich schlecht. Aber man sieht natürlich, dass manches, was er versucht hat, nicht mehr funktioniert hat. Gerade seine Loyalität, die in der Vergangenheit oft sehr häufig sehr positive Resultate erzielt hat, seine Loyalität zu den Spielern, die ist jetzt eher ins Negative umgekehrt und da wird er sich, glaube ich, selbst am meisten hinterfragen. Er hat ja nach dem Spiel auch noch offen gelassen, ob er für sich eine Zukunft bei der Nationalmannschaft sieht.
    Barenberg: Schauen wir noch einen Augenblick auf das Turnier selber und auf das, was jetzt dort am Ende der Gruppenphase ansteht. Die deutsche Mannschaft ist ja nicht das einzige Team, das hoch gehandelt wurde und wird und sich jetzt doch erkennbar schwer tut. Argentinien fällt mir da ein oder auch Brasilien und andere Mannschaften. Junge Mannschaften wie England spielen da tollen Fußball. Welche Erklärung haben Sie dafür?
    Escher: Man sieht bei diesem Turnier sehr gut, dass sich das Verteidigen sehr stark verbessert hat – bei allen Teams. Selbst kleine Nationen wie Panama oder Island, die über Spieler verfügen, die nicht dem internationalen Top-Standard angehören, können verteidigen, haben taktische Wege, einen Gegner kaltzustellen. Nationalmannschaften, die nur wenige Tage im Jahr beieinander sind, denen fällt es natürlich schwer, eine fußballerische Identität zu entwickeln, mit der sie diese Defensivreihen knacken können. Da gibt es nur ganz wenige Ausnahmen bis jetzt. Die Engländer gehören dazu, die Belgier, die Brasilianer haben es gestern Abend gut gemacht. Aber grundsätzlich fällt bei diesem Turnier auf, dass sich die großen Nationen sehr, sehr schwer tun, wenn der Kleine sich hinten reinstellt.
    "Ich habe die Hoffnung, dass wir ein paar offensivere Spiele jetzt sehen"
    Barenberg: Was bedeutet das jetzt für den weiteren Verlauf des Turniers aus Ihrer Sicht? Welche Taktik, welche Strategie ist jetzt Erfolg versprechend, wenn es um den Titel geht?
    Escher: Ich habe die Hoffnung, dass wir ein paar offensivere Spiele jetzt sehen, dass sich jetzt ja die Favoriten gegeneinander stellen müssen, die jetzt nicht mehr defensiv reinknacken müssen. Aber grundsätzlich haben schon die letzten Turniere gezeigt, dass es vor allen Dingen über eine starke Defensive geht, dass man auch in der K.O.-Phase schauen muss, dass man hinten die Null hält. Die letzten Turniersiege haben nie mehr als vier Gegentore im ganzen Turnier kassiert und ich glaube, das wird auch entscheidend sein jetzt ab der K.O.-Runde.
    Barenberg: Wenn es in der Defensive so wichtig ist - das zum Schluss, Herr Escher -, das klingt ein bisschen nach eher unattraktiven Spielen, auf die wir uns einstellen sollten.
    Escher: Das kann passieren. Bei der vergangenen WM gab es in der K.O.-Runde – nehmen wir mal das 7:1 gegen Deutschland aus – nicht einmal zwei Tore pro Spiel. Das ist schon ein sehr, sehr niedriger Wert. Aber ich habe da noch manche Hoffnung. Es gibt ja auch positive Beispiele bei dieser WM. Belgien hatten wir genannt, die Engländer, die sehr schönen Fußball spielen. So ein Turnier, da geht ja dann am Ende doch immer die Post ab und es sind Spielverläufe, die sehr, sehr spannend sind. Wir hatten ja auch sehr viele spannende Spielverläufe jetzt schon. Von daher freue ich mich auf den Rest des Turniers.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.