Montag, 13. Mai 2024

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Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche
Enthüllungen zur PR-Strategie des Erzbistums Köln

Das Erzbistum Köln wollte im Missbrauchsskandal "potenzielle Gegner" in den Medien einbinden und sich so positivere Berichterstattung sichern. Die Unterlagen einer PR-Agentur des Bistums werfen ein neues Licht auf das Vorgehen von Erzbischof Rainer Maria Woelki.

Christiane Florin im Gespräch mit Mirjam Kid | 08.08.2022
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki mit Hirtenstab beim Pontifikalamt zu Fronleichnam 2022 auf dem Roncalliplatz mit anschließender Prozession durch die Kölner Innenstadt.
Neue Veröffentlichungen zeigen die PR-Strategie von Kardinal Rainer Maria Woelki (IMAGO/Panama Pictures)
Im Jahr 2020 sollte ein Gutachten der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl erscheinen. Die Juristinnen und Juristen hatten Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln untersucht, doch die Veröffentlichung des bereits fertiggestellten Gutachtens wurde kurzfristig abgesagt – wegen angeblicher juristischer Risiken und Zweifeln an der Methodik der Kanzlei. Stattdessen gab der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ein neues Gutachten bei einer anderen Kanzlei in Auftrag.
Eine Entscheidung, die zu vielen Fragen und viel Kritik führte. "Da war natürlich klar, sobald das öffentlich wurde, dass sofort der Verdacht dagewesen wäre: da soll etwas unterschlagen werden, da soll eine unangenehme Erkenntnis aus dem Gutachten geheim gehalten werden – und deshalb kamen PR-Strategen ins Spiel", sagt Christiane Florin, Fachjournalistin für Religions- und Kirchenthemen im Deutschlandfunk.

"Kölner Stadt-Anzeiger" zitiert aus PR-Konzepten des Bistums

Woelkis PR-Agentur "Ewald & Rössing" hatte diese kritischen Stimmen antizipiert und riet dem Kardinal im Vorfeld der Bekanntgabe seiner Entscheidung, er solle den damaligen Betroffenenbeitrat auf Linie bringen und "potenzielle Gegner" in den Medien einbinden. Das geht aus Unterlagen hervor, die dem "Kölner Stadt-Anzeiger" vorliegen.
Zu diesen "potenziellen Gegnern" gehörte der "FAZ"-Journalist Daniel Deckers, der laut dem Zeitungsbericht als "einflussreicher und glaubwürdiger […] Fürsprecher" gewonnen werden sollte. So habe man sich eine "ausgewogenere Reaktion" auf die Nichtveröffentlichung des Gutachtens von Westpfahl Spilker Wastl erhofft, zitiert der "Kölner Stadt-Anzeiger" aus dem Konzept der PR-Agentur.

"FAZ"-Journalist sollte als glaubwürdiger "Fürsprecher" gewonnen werden

Deckers bestätigte gegenüber dem Blatt eine Kontaktaufnahme durch Kardinal Woelki. Man habe ihm "exklusive Informationen angeboten" er habe aber jegliche Zusammenarbeit abgelehnt.
Für Christiane Florin ist dieses Vorgehen der PR-Agentur und des Erzbistums nicht überraschend: "Dass es kirchliche PR gibt, damit die Öffentlichkeit glaubt, die nach wie vor nicht unabhängige Missbrauchsaufarbeitung sei unabhängig, ist klar". Dafür werde sehr viel Geld ausgegeben – fast 3 Millionen Euro hat das Erzbistum Köln für PR-Berater und Medienstrategen im Zuge des Missbrauchsskandals bezahlt.

Ausgaben von fast drei Millionen Euro für PR- und Medienberater

Wenn man jetzt lese, dass die PR-Experten der Bistumsleitung nahegelegt hätten, auf Emotionen, Glaubwürdigkeit und Echtheit zu setzen und Sätze höre wie "Wir haben verstanden! Die Betroffenen stehen im Mittelpunkt!" – dann höre man das nun anders, meint Florin.
"Man kann natürlich sagen, das ist das normale PR-Geschäft, aber eine Institution wie die römisch-katholische Kirche hat ja immer noch, gemessen an ihrem eigenen Anspruch, eine andere moralische Fallhöhe", so Florin im Gespräch mit @mediasres.

Woelkis Anwalt kritisert Veröffentlichungen vom "Kölner Stadt-Anzeiger"

Kritik an der Veröffentlichung des "Kölner Stadt-Anzeigers" kam von Woelkis Anwalt Carsten Brennecke. Der warf dem federführenden Journalisten Joachim Frank auf Twitter unter anderem vor, eine persönliche Agenda zu verfolgen und gegen "journalistische Sorgfaltspflichten" verstoßen zu haben.

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Brenneckes Aussagen zur Sorgfaltspflicht hält Florin für eine Nebelkerze. "Die käme nur zum Tragen, wenn das Dokument, aus dem der ‚Kölner Stadt-Anzeiger‘ zitiert, nicht echt wäre."

Florin: "Neue Qualität" persönlicher Diffarmierungen

Dass es diese internen Dokumente gebe, bestreite jedoch weder das Erzbistum noch Carsten Brennecke, so Florin. Schwerwiegender als den Vorwurf eines Verstoßes gegen die journalistische Sorgfaltspflicht hält die Deutschlandfunk-Redakteurin Brenneckes Spekulation, Joachim Frank habe persönliche Motive und eine Agenda.
"Dass Kritikerinnen und Kritiker da persönlich diffamiert werden, das ist eine beliebte Form der Auseinandersetzung innerhalb der römisch-katholischen Kirche – aber dass sich daran jetzt auch ein Anwalt auf Twitter beteiligt, das ist schon eine neue Qualität", so Christiane Florin.