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Wohnraumbedarf in Deutschland
"Letzten drei Bundesregierungen haben ein Stück weit versagt"

Es würden ganz konkret eine Million Wohnungen in Deutschland fehlen, sagte Robert Feiger, Chef der Gewerkschaft IG Bauen, Agrar und Umwelt, im Dlf. Er fordert eine Erhöhung der Abschreibung auf Immobilien, um Investments attraktiver zu machen.

Robert Feiger im Gespräch mit Dirk Müller | 22.06.2017
    Der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger.
    Der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger (Hannibal/dpa )
    Dirk Müller: Seit Jahren die anhaltende Klage: Horrende Mietkosten in Deutschland, viel zu wenig Wohnungen, viel zu wenig sozialer Wohnungsbau, zu wenig Mehrfamilienhäuser, Einfamilienhäuser. Vor allem in den Ballungsräumen, in den Städten, aber auch in zahlreichen ländlichen Regionen. Dann auch noch viel zu hohe Kaufpreise, die dazu führen, dass die Eigentumsquote beispielsweise in Deutschland immer noch viel geringer ist als in Großbritannien, Frankreich oder Italien. Wohnungsbau und Wohnungsmarkt – auch heute ist das wieder ein offizielles Thema bei Politik, Parteien, Wohnungswirtschaft und auch Gewerkschaften. Wohnungsbautag nennt sich das Forum, mit dabei auch Martin Schulz und Peter Altmaier als Gesandter der Kanzlerin. Hunderttausende Wohnungen fehlen in Deutschland. Immer weniger können sich bezahlbaren Wohnraum leisten.
    - Unser Thema mit Robert Feiger, Chef der Gewerkschaft IG Bauen, Agrar und Umwelt. Guten Morgen.
    Robert Feiger: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Feiger, wer hat da alles versagt?
    Feiger: Es sind natürlich eine Vielzahl von Faktoren, die da zusammenspielen. Beispielsweise ist die Zuwanderung in die Bundesrepublik deutlich höher als erwartet. Wir haben in den letzten fünf Jahren 2,5 Millionen Menschen an Bevölkerung zugenommen, entgegen allen Prognosen, entgegen allen Erwartungen. Das ist im Übrigen nicht nur ein Thema von Geflüchteten, sondern insbesondere innereuropäischer, also EU-Binnenmarkt-Zuwanderung. Insofern hat natürlich zum einen die Zuwanderung, aber natürlich auch die letzten drei Bundesregierungen ein Stück weit versagt.
    Müller: Aber das Problem ist ja viel älter als jetzt die Zuwanderung der letzten fünf Jahre.
    Feiger: Das ist vollkommen richtig. Die Zuwanderung ist ja insbesondere im Bereich Europa stattgefunden. Im Grunde genommen haben die drei letzten Bundesregierungen das Problem nicht frühzeitig erkannt und deswegen haben wir auch eine ganz dramatische Situation auf dem Wohnungsmarkt: Uns fehlen ganz konkret eine Million Wohnungen in der Bundesrepublik.
    Müller: Nun haben Sie ja als Gewerkschafter traditionell gute Kontakte immer zur SPD. Die ist ja Teil der Bundesregierung. Warum hat das nicht funktioniert, dass die SPD darauf eingeht, was Sie wollen?
    Feiger: Für die letzte Bundesregierung muss man schon sagen, dass Barbara Hendricks schon versucht hat, das Thema sozialen Wohnungsbau insbesondere und bezahlbaren Wohnraum zu fördern. Die Mittel sind von ja rund 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden verdreifacht worden. Allerdings fehlt es an vielen anderen weiteren Maßnahmen. Die Länder müssen in gleichem Maße auch sozialen Wohnraum fördern. Leider hat unser Finanzminister Schäuble nicht die Möglichkeit geschaffen, dass auch die lineare Abschreibung von zwei auf drei Prozent erhöht wird, wie das in anderen Bereichen der Fall ist. Das führt natürlich dazu, dass nicht entsprechend investiert wird und vor allem nicht investiert wird in sozialen und bezahlbaren Wohnraum.
    Müller: Herr Feiger, das müssen Sie uns kurz erklären: Lineare Abschreibung, ein schwieriges Wort für Leute, die nicht vom Fach sind. Da geht es um Sonderabschreibungen für die Wohnungsbauwirtschaft, die dann dementsprechend steuerliche Vorteile hat, wenn sie investiert.
    "Abschreibungssatz von zwei auf drei Prozent erhöhen"
    Feiger: Hier geht es letztendlich gar nicht so sehr um besondere Abschreibungen, sondern es geht darum, den Abschreibungssatz von zwei auf drei Prozent zu erhöhen. Das liegt insbesondere auch daran, dass die technische Nutzungsdauer, die Technik im Haus immer anspruchsvoller wird. Und wenn Sie dort auf 50 Jahre abschreiben, dann ist die Technik schon so veraltet, dass hier auch keine wirklich vernünftige Abschreibung mehr erfolgt. Hier müsste Schäuble schon nachfassen. Das sollte auch passieren. Aber das ist natürlich wegen der schwarzen Null, die ja jetzt zu einem großen Plus geworden ist, nicht passiert. Da müsste schnellstens was passieren.
    Müller: Und das bringt was? Zwei Prozent haben wir jetzt, sagen Sie. Bei drei Prozent gibt es plötzlich mehr Wohnungen? Ist das attraktiver, plötzlich zu bauen?
    Feiger: Ja, da wird natürlich mehr investiert werden. Da sind wir fest überzeugt von. Weil Sie haben dann eine Abschreibungsdauer von 33 Jahren, nicht von 50 Jahren. Und dann ist das natürlich auch für diejenigen, die in Wohnungsbau investieren, interessanter und damit wird auch der Wohnungsbau angekurbelt.
    Müller: Jetzt sagen ja viele, die von außen draufschauen, es wird einfach in Deutschland viel zu teuer gebaut. Stimmt das?
    Feiger: Ja. Es sind natürlich, auch das muss man sagen, die Voraussetzungen oder die Anforderungen, Energetik, Isolierungen etc. etc., Bauverordnung, schon anspruchsvoll.
    Müller: Das war auch Frau Hendricks.
    Feiger: Bitte?
    Müller: Das war ja auch Frau Hendricks unter anderem.
    Feiger: Ja, das waren natürlich die letzten Bundesregierungen, die das sozusagen verordnet haben. Im Grunde genommen ist das auch gut. Wir sagen, wir müssen jetzt aber nicht noch mal zusätzlich drauflegen. Es muss schon möglich sein, hier relativ zügig, flott, weil das Problem wirklich dringend ist, sozialen und insbesondere bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
    Müller: Da frage ich noch mal nach, Herr Feiger. Das heißt, das was wir bisher haben an Regulierungen, an Verordnungen – da geht es ja auch um Umweltaspekte, um energetische Dämmungen und so weiter, haben Sie als Beispiel auch genannt -, das ist bis hierhin völlig in Ordnung. Aber keinen Schritt weiter?
    Bei energetischen Anforderungen "nicht noch drauflegen"
    Feiger: Aber wir dürfen da nicht noch drauflegen. Das ist unsere Position dazu. Genau.
    Müller: Sie haben auf die Frage geantwortet, wird zu teuer gebaut. Das ist schon auch mit ein Grund, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass es in Deutschland teuer ist, Häuser zu bauen?
    Feiger: Ja, natürlich sind die ganzen Auflagen, die im energetischen Bereich sind, natürlich auch ein Kostenfaktor. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wir wollen ja alle miteinander auch die Klimaschutzziele erreichen. Und insofern sagen wir, hier bitte nicht noch drauflegen. Und vor allem dürfen wir die Bauwirtschaft und den Wohnungsbau im Vergleich zu anderen Branchen wie beispielsweise der Landwirtschaft nicht zusätzlich belasten oder unverhältnismäßig belasten. Das muss schon fair verteilt sein. Aber klares Ziel: Wir wollen natürlich diese Klimaschutzziele auch erreichen.
    Müller: Wir wollen mit Ihnen ja auch über die Arbeitnehmerperspektive sprechen, Sie als Chefgewerkschafter auch der IG Bauen. Es gibt einen Mindestlohn, da hat sich ein bisschen etwas getan. Dennoch haben ja viele den Eindruck, dass unglaublich schlecht bezahlt wird auf den Baustellen, dass immer noch sehr, sehr viel schwarz gearbeitet wird, eine sehr, sehr große Konkurrenz stattfindet. Hat sich irgendetwas da verbessert in den letzten Jahren?
    Feiger: Wir haben in der Bauwirtschaft sogenannte Branchen-Mindestlöhne. Bei uns gilt nicht der gesetzliche Mindestlohn, sondern wir haben Branchen-Mindestlöhne für die Bauwirtschaft. Die sind auch ganz ordentlich. Allerdings haben wir in der Bauwirtschaft schon noch die Situation, um auch das sehr deutlich zu sagen, dass wir viel im Rahmen der Entsendearbeit und insbesondere der europäischen Entsendearbeit im Grauzonenbereich arbeiten und damit natürlich auch Lohndruck und Lohndumping entsteht.
    Müller: Heißt grau schwarz oder grau?
    Feiger: Grau heißt grau.
    Müller: Was ist grau?
    "Zoll ist personell überhaupt nicht in der Lage, das alles zu kontrollieren"
    Feiger: Grau heißt, dass es nicht immer eindeutig identifizierbar ist, ist es denn tatsächlich Schwarzarbeit, ist es denn tatsächlich Scheinselbstständigkeit. Wir haben rund 800.000 Beschäftigte in der Bauwirtschaft. Wir gehen davon aus, dass rund ein Drittel im Rahmen der Entsendearbeit beschäftigt wird. Und hier haben Sie natürlich schon sehr schwierige Situationen, weil ich sage Ihnen mal, der Zoll Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist personell überhaupt nicht in der Lage, das alles auch wirklich zu kontrollieren.
    Müller: Ein weiteres Versäumnis der Bundesregierung, der Landesregierungen?
    Feiger: Ja. Auch hier haben wir Schäuble sehr klar aufgefordert, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit aufgestockt wird personell. Die Kollegen vom Zoll haben im Rahmen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Aufgabe bekommen, den gesetzlichen Mindestlohn zu kontrollieren. Das sind rund fünf Millionen Beschäftigte. Wie die das mit demselben Personal wuppen sollen und abdecken sollen, das ist für mich ein großes Fragezeichen. Hier wäre der Staat sehr klug beraten, wenn er hier in Personal investiert und sagt, wir sorgen auch dafür, dass Gesetze eingehalten und kontrolliert werden.
    Müller: Nun mag das zynisch klingen, ich will es doch so formulieren. Viele sagen ja, wenn alles legal abläuft und jeder das verdient, was er verdient hat, dann wird alles noch teurer.
    Feiger: Nein, weil Sie müssen ja auch sehen, dass dadurch Kaufkraft entsteht. Das kurbelt auch die Binnenwirtschaft an. Dadurch werden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Jeder der volkswirtschaftlich klug denken kann, kann eine solche legale Beschäftigung und ordentliche Beschäftigung nur unterstützen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Robert Feiger, Chef der Gewerkschaft IG Bauen, Agrar und Umwelt. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Feiger: Sehr gerne. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.