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Wohnungsnot bei Studenten
"Wir brauchen mindestens 2,3 Milliarden Euro"

In den letzten Jahren ist die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen um 800.000 auf 2,8 Millionen angestiegen. Die soziale Infrastruktur sei dagegen nicht mitgewachsen, kritisiert der Präsident des Studentenwerks. Im DLF forderte er einen milliardenschweren Hochschulsozialpakt, etwa für mehr Wohnheimplätze und bessere Beratung.

Dieter Timmermann im Gespräch mit Kate Maleike | 22.12.2015
    Zwei Studenten stehen vor einem Schwarzen Brett mit vielen Zetteln.
    Rekordzahlen an Studierenden, aber nicht an Wohnraum: Unter Studenten ist die Wohnungsnot groß. (dpa / Matthias Balk)
    Kate Maleike: Rekordzahlen an deutschen Hochschulen: Etwa 2,8 Millionen Studierende haben wir inzwischen, darunter fast 350.000 Ausländer und demnächst noch viele tausende Flüchtlinge. Außerdem haben beherrscht die Schlagzeilen in diesem Jahr fehlende Wohnheimplätze, und es gibt Nachbesserungsbedarf bei Beratungen.
    Studieren in Deutschland zu wenig sozial abgesichert?
    Dieter Timmermann, der Präsident des Deutschen Studentenwerkes macht sich über all das Sorgen, und er macht sich auch Sorgen, dass Studieren in Deutschland zu wenig sozial abgesichert wird. Die Studierenden wollen studieren, sagt er, aber auch essen, wohnen, sich beraten lassen und ihre Kinder unterbringen, und da müssten Bund und Länder angesichts der wachsenden Zahlen mehr unterstützende Strukturen schaffen und vor allem mehr Geld in die Hand nehmen. Guten Tag, Herr Timmermann!
    Dieter Timmermann: Schönen guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Mit mehr Geld, meinen Sie, richtig – mehr Geld, Sie fordern nämlich einen milliardenschweren Pakt von Bund und Ländern. Wofür soll das Geld eingesetzt werden?
    Timmermann: Wir sagen, wir brauchen für die nächsten fünf Jahre mindestens 2,3 Milliarden insgesamt an Investitionen. Was sind die Zwecke: Einmal, Umbau, Neubau, Sanierung von Wohnheimplätzen, von Wohnheimen, zweitens, Umbau, Sanierung und auch Erweiterung von Mensen und Cafeterien. Da sind ja viele Wohnheime und Mensen und Cafeterien ins Alter gekommen, die müssen saniert werden.
    Bis 2020 weiterer Anstieg der Zahl ausländischer Studierender
    Dann brauchen wir zusätzlich Kitaplätze, weil ja die wachsende Zahl der Studierenden auch zum Teil eben zusätzlich Kinder mitbringt in die Hochschulen, und insbesondere die ausländischen Studierenden, die Sie eben schon erwähnt haben in Ihrem Vorwort. Die Zahl der ausländischen Studierenden soll ja bis 2020 noch mal deutlich steigen, das ist der Wunsch, der Wille vom DAAD, der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, das heißt auch von Bund und Ländern.
    Maleike: Geben Sie uns doch mal ein Beispiel, an dem deutlich wird, warum dieser Pakt unbedingt nötig ist.
    Timmermann: Ich kann Ihnen das sagen, denken Sie mal an Nordrhein-Westfalen: Die Landesregierung, also Frau Schulze vertritt ja die Landesregierung, hat gerade vor Kurzem einen neuen Investitionspakt angekündigt zur Sanierung der ins Alter gekommenen Hochschulbauten an bestimmten Standorten. Bielefeld hat das Glück gehabt, schon in den Zeiten von Herrn Pinkwart in so ein Programm hineinzurutschen, und dieses Gebäude, das 1969 bis 1975 gebaut worden ist, wird jetzt radikal und total saniert. Das heißt, Teile der Universität müssen ausziehen, sind ausgezogen in neue Gebäude, in einen Containerbau, in dem ich jetzt sitze.
    Mehr Studierende brauchen mehr Wohnheimplätze
    Das ist alles so deutlich, dass ein Sanierungsbedarf besteht, aber wenn Studierende seit 2008 um 800.000 gewachsen sind, also von zwei Millionen auf 2,8 Millionen, dann ist das doch eigentlich trivial und banal, zu sagen, die brauchen mehr Beratung, die brauchen mehr Plätze für ihre Kinder, die brauchen mehr Essensplätze, die brauchen mehr Wohnheimplätze. Wenn Sie bedenken, dass der Anteil der Studierenden, die in Wohnheimen wohnen, von über zwölf Prozent, fast 13 Prozent, 2008 auf unter zehn Prozent gesunken ist – ich glaube, dass der normale Bürger das sofort versteht.
    Wenn 800.000 Studierende dazukommen, dann muss auch diese soziale Infrastruktur mitwachsen, tut sie aber nicht oder ganz wenig nur – gar nicht kann man nicht sagen –, aber weit unter dem, was erforderlich war und ist, und das bemängeln wir, und deshalb fordern wir diesen Hochschulsozialpakt.
    Hoffen auf Hendricks' Bauprogramm
    Maleike: Das heißt, analog zu den bereits bestehenden Hochschulpakten, die den Ausbau der Studienplätze, den Sie ja gerade beschrieben haben –
    Timmermann: Genau.
    Maleike: –, geregelt haben, auch der Forschungspakt, der ähnliches tut, flankierend dazu diesen Hochschulsozialpakt. Es ist in diesen Tagen ja viel auch der Wunsch an die Regierung gegangen, egal, ob in Bund und Ländern, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Wie realistisch ist denn Ihre Forderung, dass so ein Pakt geschnürt wird?
    Timmermann: Tja, ich glaube, man muss lange immer wieder das betonen, immer wieder fordern. Ich meine, wir haben ein bisschen Hoffnung, dass wir vielleicht mehr als in der Vergangenheit gehört werden. Ein Hoffnungsträger ist das Bauprogramm von Frau Hendricks, ihres Ministeriums, diese 120 Millionen, die ja ausgegeben werden sollen für Variowohnungen, in denen sowohl Auszubildende als auch Studierende wohnen können sollen und die dann später gegebenenfalls, falls die Zahl der Studierenden, der Bedarf an Wohnheimplätzen zurückgehen sollte, was wir aber nicht so richtig glauben, dass daraus dann auch sehr schnell unkompliziert Altenwohnungen hergestellt werden können.
    Kritik an zu kurzer Bindungsfrist der Investoren
    Wir sagen aber, die 500 Euro Zuschuss pro Platz ist viel zu wenig, um zu bezahlbaren Wohnheimplätzen zu kommen, insbesondere auch BAföG-Empfänger sollen ja die Wohnheimplätze bezahlen können. Das ist eine Schwäche, die wir moniert haben.
    Der zweite Punkt, den wir auch nicht so toll finden, dass die Bindungsfrist nur zehn Jahre besteht, also auch für private Investoren, die da mitbieten können neben den Studierendenwerken. Nach zehn Jahren ist, nach unserer Schätzung, die Wohnplatzsituation nicht groß anders als heute, und wenn dann aber verstärkt private Investoren aussteigen, weil sie dann frei vermieten können zu günstigeren Mieten, dann ist das nicht gerade zum Vorteil der Studierenden.
    Ausländische Studierende haben mehr Kinder
    Maleike: Also dieses vom Bund gerade frisch angekündigte Programm soll mit 120 Millionen Euro erst mal über die Bühne gehen, das reicht Ihnen nicht. Sie haben die international Studierenden auch noch mal angesprochen und auch das von der Politik ausgerufene Ziel, den Wissenschaftsstandort sehr international und internationaler als bisher zu machen. Das heißt, man lockt ja auch die Studierenden nach Deutschland, weil es hier keine Studiengebühren gibt.
    Timmermann: Richtig, und weil die deutschen Hochschulen auch interessanter geworden sind, insbesondere auf der Masterebene, also da ist der Zustrom besonders stark, und da muss man jetzt wieder sehen, dass die ausländischen Studierenden, soweit das unsere Daten aus den Sozialerhebungen hergeben, erstens, einen höheren Bedarf an Wohnheimplätzen haben. Der Anteil der ausländischen Studierenden, die in Wohnheimen wohnen, ist deutlich höher als unter inländischen Studierenden, und zweitens, haben sie einen größeren Beratungsbedarf, und drittens, haben ausländische Studierende interessanterweise mehr Kinder als deutsche oder Inlandsstudierende. Das sind drei Aspekte, die dafür sprechen, dass auch dieses Ziel, die 350.000 ausländische Studierende nach Deutschland zu holen, dass auch das einen spezifischen Bedarf an zusätzlicher sozialer Infrastruktur erzeugt, wobei wir glauben, dass 2020 mehr als 350.000 da sein werden, denn jetzt sind es ja schon fast 320.000.
    Maleike: Dazu kommen ja auch noch die Flüchtlinge, die an die Hochschulen streben.
    Timmermann: Richtig.
    Ausweg Studiengebühren?
    Maleike: Wäre der Reflex dann nicht zu erwarten, dass man sagt, für die Masse Studenten aus dem Ausland – das wurde ja an Musikhochschulen zum Beispiel auch schon diskutiert – werden dann wieder Studiengebühren eingefordert?
    Timmermann: Tja, man hört das manchmal so, auch in der HRK wird das aber hier hinter den Kulissen schon mal andiskutiert. Ich meine, grundsätzlich ist das immer eine Möglichkeit, aber die Erfahrung, die wir gemacht haben, auch gerade in Nordrhein-Westfalen mit den Studentenprotesten, die waren ja nicht so ermutigend, obwohl ja letztendlich, nachdem sie eingeführt worden waren und die Unruhen sich dann gelegt haben, wir den Eindruck hatten – also "wir" meine ich jetzt auch die Hochschulrektoren, die Hochschulen –, dass Ruhe eingekehrt war.
    Aber das Deutsche Studentenwerk und Studentenwerke sind ja grundsätzlich gegen Studiengebühren, weil sie sagen, das schreckt ab. Gut, da kann man jetzt lange drüber diskutieren, aber ich sage mal, auf der Masterebene wäre das vielleicht ein Mittel, aber das könnte auch wiederum den Zustrom von Masterstudierenden aus dem Ausland durchaus wieder reduzieren, also das kann auch nach hinten losgehen.
    Die Studentenwerke brauchen mehr Handlungsautonomie
    Maleike: Man muss vielleicht dazu sagen, Herr Timmermann, dass Sie lange auch Rektor der Universität in Bielefeld waren, deswegen kennen Sie natürlich auch die Situation aus der Sicht eines Hochschulleiters. Kommen wir doch noch mal auf den Fakt Geld zurück: Wenn Sie sagen, wir brauchen da wirklich auch deutlich mehr Geld – wo fassen Sie sich an die eigene Nase, was müssen die Studentenwerke besser machen?
    Timmermann: Tja, was müssen wir besser machen? Also, einmal ist, glaube ich, wichtig, dass die Studentenwerke möglichst autonom sind, damit sie auch schnell und flexibel entscheiden können, und das ist ja in zwei, drei Bundesländern – in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg, da wo Rot-Grün regiert – stärker wieder eingeschränkt worden gegenüber der Zeit davor. Das bedauern wir, aber es ist nicht mehr zu ändern erst mal.
    Also mehr Handlungsautonomie, und die Studierendenwerke agieren ja schon ganz wirtschaftlich, also die verstehen sich als Unternehmen der Sozialwirtschaft in Deutschland, das heißt, sie haben einen sozialen, einen gesellschaftspolitischen Auftrag, den sie aber möglichst effizient bewältigen wollen.
    Nur noch zehn Prozent der Einnahmen der Studentenwerke kommen von den Ländern
    Das Ziel, das Motto ist "Damit Studieren gelingt", und wir sind überzeugt, dass die Studentenwerke sehr effizient mit den Mitteln umgehen, die sie einnehmen. Da müssen wir wiederum sehen, dass bundesweit im Schnitt nur noch knapp zehn Prozent der Einnahmen aus den Länderhaushalten kommen. Die ganzen restlichen 90 Prozent sind Einnahmen, die durch Verhalten am Markt, durch auch Kreditfinanzierung von Wohnheimen, durch die Einnahmen aus den studentischen Beiträgen natürlich finanziert werden. Deshalb ist die Frage, wo noch Effizienzlücken identifizierbar seien könnten.
    Wir wollen – das ist vielleicht eine Frage oder eine Antwort auf eine Frage, die ich vorwegnehme, die Sie vielleicht später gestellt hätten –, die Frage, was wir in den nächsten zwei Jahren als Deutsches Studentenwerk tun wollen: Eine Sache ist, wir wollen die Arbeit des Deutschen Studentenwerks – und indirekt im Grunde auch der Studentenwerke – von außen durch einen professionellen wissenschaftlichen Blick noch mal betrachten lassen, und da könnte es sein, dass Effizienzgewinne identifiziert werden. Es ist ja nicht so, dass die Studentenwerke sich weigern würden, Effizienzgewinne, die machbar sind, auch dann wirklich umzusetzen.
    "Ganz froh", dass der Bund das BAföG jetzt allein finanziert...
    Maleike: Letztes Wort noch zum BAföG, das ist ja auch für Sie ein wichtiges Geschäftsfeld, denn die Studentenwerke sind ja sozusagen der organisatorische Arm für das BAföG: Da hat es eine Veränderung gegeben, die jetzt ein Jahr alt ist, seit einem Jahr übernimmt der Bund die gesamten Kosten für das BAföG, hat sozusagen den Ländern diese Gelder noch zusätzlich ins Portfolio gegeben und gleichzeitig auch formuliert, dass das Geld bitte schön in Bildung investiert werden soll – wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung?
    Timmermann: Wir waren zunächst, als wir hörten, dass in den Koalitionsverhandlungen das in die Richtung ging, waren wir erst sehr skeptisch, weil wir gedacht haben, wenn nur noch einer, nämlich der Bund, über BAföG entscheidet, kann er viel schneller Dinge verändern, sowohl zum Positiven wie zum Negativen, und durch die Länderbeteiligung, wäre manchmal ein Korrektiv gewesen. Aber jetzt sagen wir, sind wir eigentlich ganz froh, dass der Bund der alleinige Finanzier geworden ist.
    ... aber einzelne Länder verwenden das dadurch gewonnene Geld nicht für Hochschulen
    Wir bedauern ein bisschen, dass die Erhöhung des BAföG erst im kommenden Jahr kommt, aber das haben auch die Länder seit 2010 mitgetragen, diese lange Dauer, Zwischenphase der Nichterhöhung, Nichtanpassung.
    Was wir bedauern, ist, dass der Bund sich bei den Verhandlungen mit den Ländern nicht hat wirklich garantieren lassen, dass das Geld im Hochschulsystem bleibt und dabei nicht nur an die Hochschulen, sondern auch ein Teil in die Infrastruktur, in die soziale. Das ist ja nicht der Fall, und deshalb klagen wir und kritisieren auch, dass einzelne Länder zum Teil gar nicht oder sehr wenig im Hochschulsystem belassen und schon gar nichts im Bereich der sozialen Infrastruktur.
    Da muss weiter dran gearbeitet werden, und wir können nichts anderes tun als für die Studierenden – nicht auf die Straße zu gehen, das machen vielleicht die Studierenden eines Tages wieder selber –, sondern Lobbyarbeit zu machen für die Studierenden.
    Maleike: Bund und Länder müssen einen Hochschulsozialpakt schnüren, damit Studierenden in Deutschland besser sozial abgesichert wird. Das fordert Professor Dieter Timmermann, der Präsident des Deutschen Studentenwerkes. Danke für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.