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Wolf vs. Asche
Dürfen wir Tiere essen?

Hühner, Kühe, Schweine, Fisch: Millionen Tiere werden getötet, um als Schnitzel oder Filet auf unseren Tellern zu landen. Man könne Tiere nicht töten, ohne ihnen Leid zuzufügen, sagte die Philosophin Ursula Wolf im Dlf. Der Jäger und Autor Florian Asche findet Fleischkonsum hingegen durchaus vertretbar.

Ursula Wolf und Florian Asche im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Ein frisch geborenes Kälbchen liegt am 19.05.2015 in der Landwirtschaftsgesellschaft in Zahrensdorf (Mecklenburg-Vorpommern) im Stroh des Muttertierstalls.
    Ist es ethisch vertretbar, Tiere zu essen? Eine Frage, die die Konsumenten spaltet. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Ob aus der Massentierhaltung oder vom Biohof: Millionen Tiere werden jährlich gezüchtet und getötet und gegessen. Der Mensch sei von Natur aus ein Allesfresser und brauche Fleisch, argumentieren die einen, Tiere seien genauso leidensfähig wie Menschen und es sei unethisch, sie zu essen, kritisieren die anderen. Doch wer hat recht?
    Ein Metzger zerlegt am 24.02.2016 in München (Bayern) auf der Internationalen Handwerksmesse ein Schwein. 
    Auf der Internationalen Handwerksmesse am 24. Februar 2016 in München, Bayern. (dpa / Sven Hoppe)
    Darüber streiten:
    Professor Ursula Wolf, Philosophisches Seminar der Universität Manheim:
    "Ethisch zu handeln heißt, nicht nur das eigene Wohl zu fördern, sondern auch alle anderen empfindungsfähigen Wesen, wozu auch die meisten Tiere gehören, als Wesen zu behandeln, die ihr Wohl suchen. Die Tiere, die wir essen, stammen großenteils aus der Massentierhaltung, die auf das Leiden der Tiere keine Rücksicht nimmt. Dann lässt es sich ethisch nicht rechtfertigen, so gezüchtete Tiere zu essen. Aber wie verhält es sich mit Wildtieren, die auf ihre Weise leben konnten und durch Jagd erlegt wurden? Wenn die Tierethik sich an der Leidensfähigkeit festmacht, scheinen wenig Bedenken gegen überraschendes und schmerzfreies Töten zu bestehen. Ich bin jedoch skeptisch, ob das bei der Jagd gesichert ist."
    Dr. Florian Asche, aktiver Jäger und Rechtsanwalt:
    "Das Prinzip von Werden und Vergehen, von Geburt und Tod, von Fressen und Gefressenwerden, ist Naturgrundlage. Dem Menschen eine ethische Pflicht zum Fleischverzicht einreden zu wollen, hieße, ihn aus diesem Naturgefüge herauszunehmen. Nach den ethischen Maßstäben eines Jesus von Nazareth, der Fische gefangen und das Osterlamm gegessen hat, gibt es dafür keinen Grund."

    Das Streitgespräch in voller Länge:
    Manfred Götzke: Schweine mit Nabelbrüchen, blutig gebissene Schwanzstummel, Puten, die umkippen, weil ihre Beine die überzüchtete Brust nicht tragen. Fast jede Woche erreichen uns neue erschreckende Bilder und Videos, die scheinbar den Alltag in der deutschen Massentierhaltung zeigen.
    O-Ton-Collage: "Bei dieser Sau, sie halt halt sehr gerötete Augen, Schaum vorm Mund, Wunden, entzündete Ohren. Das waren auf jeden Fall richtig schlimme Aufnahmen, also, wo ich tatsächlich auch selber davorstand und gedacht habe: Das tut mir jetzt richtig weh, so mitzukriegen einfach, wie das da sich gerade quält." - "Wir haben in diesem Jahr definitiv einen Mehrverzehr bei Rind- und Kalbfleisch. Es gibt also nicht den Trend zu weniger Fleisch." - "Das muss einfach nicht sein. Wenn man das Tierschutzgesetz tatsächlich so interpretiert, da steht, es muss kein unnötiges Tierleid verursacht werden, könnte man auch sagen: Es dürfen einfach keine Tiere so gehalten werden, es dürfen keine Tiere gegessen werden. Denn natürlich wird das immer zu Tierleid führen." - "Ich esse ganz gerne eine Bratwurst und ich habe überhaupt gar keine Lust, mich für Fleischgenuss zu rechtfertigen. Ich esse Fleisch und dabei wird es bleiben."
    Götzke: Ja, und da sind wir auch schon direkt bei der Frage unserer heutigen "Streitkultur"-Sendung: Dürfen wir Tiere essen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Diskutieren möchte ich das mit der Philosophin Ursula Wolf, die zu den wichtigsten Autoren in der Tierrechtsdebatte gehört. Ihr letztes Buch, 2012 erschienen, heißt "Ethik der Mensch-Tier-Beziehung". Hallo, Frau Wolf!
    Ursula Wolf: Hallo.
    Götzke: Und mit Florian Asche, er ist Jurist und Autor, hat jüngst das Buch "Tiere essen dürfen. Ethik für Fleischfresser" veröffentlicht. Ich grüße Sie!
    Florian Asche: Ich grüße Sie!
    Götzke: Bevor wir in den Austausch der Argumente gehen, haben Sie beide eine knappe Minute Zeit, Ihre Position darzulegen. Frau Wolf, Sie haben das Wort!
    Wolf: Ja, also, ganz kurz: Ethisches Handeln heißt, dass man nicht egoistisch handelt, sondern auch das Wohl der anderen berücksichtigt. Die Frage ist: Welche anderen? Nun, alle anderen, die ein Wohl haben, und das heißt, die empfinden und leiden können. Das können auch Tiere. Die Tiere, die wir essen, stammen großenteils aus der Massentierhaltung, die auf das Leiden der Tiere keine Rücksicht nimmt. Dann lässt es sich nicht rechtfertigen, dass wir so gezüchtete Tiere essen. Die andere Frage ist, ob wir Tiere essen dürfen, die anders erlegt wurden, die ein freies Leben hatten, vielleicht auch durch Jagd erlegt wurden. Das muss man diskutieren.
    Götzke: Und das können wir heute definitiv machen. Herr Asche, Ihre Entgegnung?
    Asche: Ja, wir müssen uns als Erstes einmal die Frage stellen: Wollen wir dem Tier Leben nehmen, um es zu essen, um es zu nutzen? Und da stellen wir sehr schnell fest, dass das Prinzip von fressen und gefressen werden eigentlich ein Naturprinzip ist. Lediglich der Mensch hat das unter sich durch gesetzliche Regeln abbedungen. Aber diese Übertragung so eines innerartlichen Friedensanspruchs auf die Tiere, die sehe ich nicht. Also, wir können auch im Übrigen dem Tierleid durch eine vegane Ernährung allein nicht vorbeugen, denn auch dort, wo wir vegane, tierfreie Produkte gewinnen, da sterben natürlich Tiere. Sie sterben in Wiesen, sie sterben im Getreidefeld, das lässt sich letztendlich nicht ausschließen.
    Götzke: Zwei ganz klare Positionen. Frau Wolf, Ihre Antwort auf unsere Frage, die ist ein fast eindeutiges Nein. Und Sie begründen das damit, dass Tiere Wesen sind, die ihr Wohl suchen. Was meinen Sie konkret damit?
    Wolf: Meine Antwort ist eigentlich kein eindeutiges Nein. Meine Antwort ist ein eindeutiges Nein, was die Haltung von Tieren bedeutet, die Leiden mit sich bringt wie in der Massentierhaltung. Die Grundlage in der Ethik ist für mich die Leidensfähigkeit. Wenn man das so sieht, gibt es erst mal kein eindeutiges Argument, was das Töten von Tieren ausschließt. Und das heißt, ich kann nur sagen, wir dürfen Tiere nicht töten, wenn sie entweder so gehalten werden oder so transportiert werden oder so getötet werden, dass dabei Leiden entsteht.
    Also, angenommen wir könnten Tiere ohne Angst, also überraschend, ohne Schmerzen, also ganz plötzlich töten, finde ich es eigentlich nicht gut, dass wir es tun, aber ich habe kein wirklich klares moralphilosophisches Argument dagegen.
    "Für mich ist Massentierhaltung als Begriff ein bisschen ein Schlagwort"
    Asche: Das ging ja Bentham und Schopenhauer auch ähnlich. Also, wir reden jetzt in dem Sinne nicht über das Prinzip der Verkürzung von Lebenszeit. Aber das ist ja völlig legitim zu sagen, wir fühlen uns abgestoßen und auch ethisch abgestoßen durch das Thema Massentierhaltung. Da würde ich allerdings um eins bitten, ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Für mich ist Massentierhaltung als Begriff ein bisschen ein Schlagwort, muss ich ganz offen zugeben. Und zwar, wenn man sich zum Beispiel die Anzahl der Großtiereinheiten, der Großvieheinheiten vor 120 Jahren anschaut, dann gab es in Deutschland mehr Großvieheinheiten als heute, oder sogar 1989 gab es mehr Großvieheinheiten als heute. Und die Haltungsbedingungen, die Schlachtungsbedingungen waren zum Teil so, dass sie schlaflos würden, wenn Sie das sehen. Stickig untergebracht und, und, und.
    Götzke: Herr Asche, das heißt aber nicht, dass es heute gut ist.
    Asche: Ich sage auch nicht, dass es heute notwendig besser ist. Ich sage nur, dass wir uns vor einem falschen romantischen Bild hüten müssen. Es geht nicht um das Thema Masse.
    Wolf: Ob das anders war oder noch schlimmer war, ist ja jetzt kein Argument für irgendwas. Die Frage ist, was heute passiert. Und es ist einfach bekannt und das kann man ja auch ständig hören, lesen, sehen, dass die Tiere, egal wie man es nennt, in der industriellen Tierhaltung meinetwegen, dass es denen da nicht besonders gut geht, das wissen wir.
    "Ethisch handeln heißt einfach auf andere Rücksicht nehmen, da braucht man keinen Wert für"
    Götzke: Frau Wolf, wir wollen noch mal ein bisschen auf die philosophische Ebene kommen. Denn vieles ist ja bekannt, Sie sagen es selber, die Bilder sind bekannt. Ich möchte aber auch so ein bisschen über Ihre Tierethik auch sprechen. Für Sie ist das Wohlbefinden eines Tieres ja sehr wertvoll. Ist es genauso viel wert wie das eines Menschen?
    Wolf: Ethisch handeln heißt einfach auf andere Rücksicht nehmen, da braucht man keinen Wert für, das ist einfach, was Ethik heißt. Das ist, als wenn ich egoistisch und altruistisch handele, braucht niemand einen Wert zu haben. Ich rede vom Wohl aus einem anderen Grund. Es gibt ja so ein ganz triviales punktuelles Leiden, und darum geht es nicht. Also, natürlich wird man auch ein Haustier mal irgendwie gegen seinen Willen irgendwo aussperren oder irgendwas tun, was ihm im Moment nicht angenehm ist.
    Es geht aber nicht um einzelne, kleine Leidenszufügungen, es geht darum, ob das Tier insgesamt ein erträgliches Leben hat. Und wenn es in der industriellen Tierhaltung eingesperrt ist und nicht rumlaufen kann und so, dann hat es eben insgesamt kein angenehmes Leben.
    "Der Mensch tendiert dazu, dem Tier seine Wahrnehmung von Leid aufzupfropfen"
    Asche: Ich will gar nichts dagegen sagen, das ist nachvollziehbar, was Sie sagen. Ich habe allerdings ein Problem mit dem Thema des Tierwohls, des Wohlbefindens. Ein großes Hemmnis in den ganzen Diskussionen über Tierwohl, Tierhaltung, das ist die Tendenz gerade der Kritiker der Projektion. Also, Sie sehen bestimmte Haltungsbedingungen und sagen sofort: Oh Gott, das ist ja ganz fürchterlich! Und der Mensch tendiert dazu, dem Tier seine Wahrnehmung von Leid aufzupfropfen. Das hört man zum Beispiel immer wieder, wenn es um Schlachtung geht. Da wird dann gesagt, ja, die Tiere spüren den kommenden Tod. Also, da gibt es intensive Untersuchungen zum Beispiel der Tiermedizinischen Hochschule in Hannover, die das ausschließen.
    Wolf: Also, bei Schweinen ist das meines Wissens erwiesen.
    Asche: Nein, das ist ausgeschlossen, das Gegenteil ist erwiesen, Frau Wolf, verantwortlich.
    Wolf: Es gibt halt unterschiedliche Forschungen dazu und es gibt bei allen ... Ich habe vorhin was über Fische gemacht und da gibt es immer die eine und die andere Meinung. Das kann man ...
    Asche: Ja, und deshalb, gerade dieses ...
    Wolf: Und das kann man auch aus der Ethik nicht entscheiden, das sind empirische Fragen.
    Asche: Ja, in der Tat.
    Wolf: Aber klar ist, und da braucht man nichts projizieren, ich meine ... Die Tiere, die da in der Massentierhaltung gequält werden, sind Säugetiere und wir sind auch Säugetiere und die funktionieren genau wie wir. Und deswegen braucht man da nichts in die reinzuprojizieren, wir wissen, wie Säugetiere sich fühlen, weil wir selber welche sind.
    "Wir sind dafür verantwortlich, dass Tiere gute Lebensbedingungen haben"
    Götzke: Welche Verpflichtung haben wir gegenüber den Tieren, Frau Wolf?
    Wolf: Wir haben erst mal die negative Verpflichtung, ihnen nicht von uns aus jetzt schweres Leiden zu verursachen. Und wir haben andererseits natürlich auch positive Verpflichtung, sofern wir Tiere halten, haben wir sie ja irgendwie rausgenommen aus der Natur, und wir sind dann dafür verantwortlich, dass sie gute Lebensbedingungen haben. Sobald wir Tiere in der Gesellschaft halten, haben wir die positive Verpflichtung, für ihr Wohl zu sorgen, also ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen.
    Ernährung als vernünftiger Grund für das Töten
    Götzke: Nun haben wir mit Ihnen, Herr Asche, einen Juristen in der Runde. Schauen wir uns mal die juristischen Rahmenbedingungen an! Da kann man erst mal aufs Tierschutzgesetz gucken, da steht drin: Niemand darf Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen zufügen. Was heißt das?
    Asche: Ja, ohne vernünftigen Grund, das ist so eine Sache. Das Problem des vernünftigen Grundes ist überhaupt eines der großen Probleme im Tierschutzrecht. Das haben Sie genauso beim Töten von Wirbeltieren. Ein entschiedener Veganer – das lässt sich ja hören, dieses Argument – könnte zum Beispiel sagen: Na ja, wenn ich ein Tier töte, um es zu essen, das kann doch kein vernünftiger Grund sein! Es ist ja viel gesünder, sich pflanzlich zu ernähren. Das kann man genauso machen, ohne dass es einem fehlt. Aber wir sagen eben halt, auch in der laufenden Verwaltungsgerichtsbarkeit und Strafgerichtsbarkeit, dass die Ernährung ein vernünftiger Grund ist. Ich persönlich glaube, dass die Vernunft diesbezüglich weit überhöht ist. Denn wir ernähren uns insbesondere von Tieren vor allem aus Kultur-, Geschmacks- und Lustgründen. Ich denke, dass dieses Problem nicht richtig abgebildet wird durch den Begriff der Vernunft.
    Wolf: Dieser Vernunftbegriff an der Stelle im Tierschutzgesetz ist natürlich in der Tat das Problem überhaupt des Tierschutzgesetzes. Denn in der Moral, grundsätzlich, also auch zwischen Menschen, kann man nicht Ausnahmen von Moralprinzipien machen aus vernünftigen Gründen. Vernünftige Gründe sind nämlich auch rein zweckrationale Gründe. Und der Zweck heiligt wie sonst in der Moral nicht die Mittel. Also, Sie können in der Moral zwischen Menschen nicht sagen, na ja, ich habe jetzt einen Zweck und deswegen tu ich dir Unrecht, weil ich damit meine Zwecke realisieren kann, das geht nicht.
    Und deswegen kann, wenn es da um Tierethik geht im Tierschutzgesetz, da nicht stehen: "vernünftiger Grund", da muss stehe n:"ein moralisch relevanter Grund" oder: "ein moralisch stärkerer Grund" oder so was. Dann wäre das konkret.
    Asche: Haben Sie völlig recht.
    Götzke: Es ist eine Fehlkonstruktion, Frau Wolf?
    Wolf: Ja, ganz eindeutig.
    Götzke: Gibt es denn aus Ihrer Sicht Gründe, ob sie jetzt nun vernünftig sind oder moral-ethisch, Tieren Leid zuzufügen?
    Wolf: Ja, es gibt zum Beispiel auch Gründe, weshalb man Menschen Leid zufügen oder sie töten darf, zum Beispiel Notwehr. Also, wenn ein Tier mich angreift, kann ich mich natürlich wehren. Es gibt immer Gründe, klar.
    Götzke: Das ist aber ein sehr eingeschränkter Bereich.
    Wolf: Ja.
    Götzke: Lust am Fleischkonsum eben nicht?
    Wolf: Nein, Lust nicht. Wenn das jetzt gesundheitlich zwingend wäre, dass wir Fleisch essen, dann müssten wir auch sagen, okay, dann müssen wir gucken, dass man die Tiere möglichst schmerzlos und überraschend tötet. Wie gesagt, ich habe kein echtes Argument gegen das Töten, sondern nur gegen die Leidenszufügung.
    Götzke: Frau Wolf, seit ein paar Jahren hat der Tierschutz Verfassungsrang sogar, das Thema Tierschutz, Vegetarismus, ist medial immer relevanter geworden, auch wenn insgesamt nicht weniger Fleisch gegessen wird. Im Großen und Ganzen hat sich das Wohl der Tiere aber nicht unbedingt verbessert in den vergangenen Jahren. Wie lässt sich diese Diskrepanz zwischen moralischem Standpunkt und der Praxis erklären?
    Wolf: Na ja, das kann man schwer in der Philosophie erklären, das ist eher eine Frage, die man jetzt in der Soziologie oder Psychologie beantworten kann. Da kann ich nicht sehr viel zu sagen.
    Asche: Ich muss Ihnen sogar noch einmal widersprechen. Sie stellen einfach – da muss man sehr vorsichtig sein – in den Raum, das Tierleid sei in der letzten Zeit größer geworden. Ich wage zu behaupten, dass das falsch ist. Die Art und Weise, wie Menschen früher andere, also Tiere behandelt haben, war von deutlich weniger Empathie geprägt, von deutlich weniger Rücksichtnahme geprägt.
    Bedenkliche Übersättigung von Fleisch
    Des Schweizer liebste: die Cervelat-Wurst
    Er habe nichts gegen den Verzerr von Fleisch, nur die Masse, in der Fleisch verzerrt werde, störe ihn, sagte Dr. Florian Asche im Dlf. (picture alliance / dpa / epa Keystone Walter Bieri)
    Götzke: Ja, aber finden Sie das denn schlimm, also dass das Thema jetzt medial relevanter geworden ist und dass die Leute sich da mehr Gedanken machen?
    Asche: Nein, ich finde das überhaupt schlimm, im Gegenteil. Ich finde es gut. Wir sollten tatsächlich unsere Lebenswirklichkeit immer überprüfen, ob wir eigentlich so leben wollen. Ich mag zum Beispiel ... Das hört sich ja so an, als sei ich ein Vertreter der Massentierhaltung. Ich sage das sehr, sehr deutlich: Ich halte sie für ganz, ganz problematisch, allerdings konkret gar nicht mal aufgrund der Tierhaltung selbst. Man kann, wie gesagt, viele Tiere ohne Weiteres halten und es ist tierschutzgerecht. Aber diese Übersättigung mit Fleisch als quasi beliebigem Produkt, weg vom Festtagsbraten, die halte ich für bedenklich, einfach uns selbst gegenüber.
    Götzke: Wir haben jetzt viel über das Zufügen von Leid gesprochen. Das Töten von Tieren wurde auch schon angesprochen. Das möchte ich jetzt noch mal etwas klarer thematisieren. Frau Wolf, Sie haben es schon angedeutet, für Sie ist es okay, Tiere zu essen, wenn man sie überraschend tötet und die Tiere selbst davon nichts mitbekommen?
    Wolf: Ja, ich meine, das Problem ist ein bisschen auch, dass wir immer von den Tieren reden. Also, in der Tierethik macht man da häufig einen Unterschied und sagt: Es gibt natürlich sehr hoch entwickelte Tiere, also, bei Primaten ist klar, dass sie sogar rudimentäres Selbstbewusstsein und Zeitbezug haben, und da gilt sicherlich dann auch das Tötungsverbot wie beim Menschen. Und vielleicht kann man das auch auf Säugetiere insgesamt ausdehnen, die ja doch alle ziemlich hoch entwickelt sind.
    Die Frage ist, ob das für alle Tiere gilt. Und da würde ich sagen: Wahrscheinlich nicht. Aber das ist eine schwierige Frage. Und mein Problem ist eher ...
    Also, erstens, ich würde sagen, höhere Tiere sollte man sowieso nicht töten; bei den anderen Tieren ist natürlich die Frage: Gibt es das, dass wir ein Tier völlig überraschend und schmerzlos töten? Denn wir haben selten eine Situation, wo das Tier nicht vorher doch im Stress oder Angst oder irgendwas ... Es ist in der Realität, glaube ich, schwer herstellbar.
    Götzke: Wovon sprechen Sie, wenn Sie höhere Tiere meinen? Reden Sie auch von Schweinen?
    Wolf: Ja, klar.
    Götzke: Das sind ja die Tiere, die wir vor allem töten.
    Wolf: Ja, natürlich, das sind ganz hoch intelligente Tiere.
    Götzke: Und da würden Sie sagen ...
    Wolf: Na ja, wir töten auch Fische und die sind nicht so hoch entwickelt wie Säugetiere.
    Götzke: Gut, aber da würden Sie sagen: Schwierig?
    Wolf: Ja, schwierig. Also, bei Schweinen würde ich sagen: Schwierig. Bei Fischen, wenn man die ... Ich meine, Fische werden heutzutage ohne Betäubung getötet, was ja auch gegen das Tierschutzgesetz ist, weil, das sind Wirbeltiere. Wenn man die Fische unter Betäubung töten würde, hätte ich da nicht so große Bedenken.
    Götzke: Aber bei den Schweinen haben Sie, um das noch mal ganz deutlich zu sagen, auch wenn sie überraschend getötet würden, hätten Sie da Bedenken, weil man gar nicht weiß, ob das wirklich funktioniert?
    Wolf: Na ja, bekanntlich funktioniert es ja oft nicht perfekt. Und außerdem kann man schwer vermeiden, dass das Tier vorher irgendwie ... Es muss ja irgendwie transportiert werden oder irgendwas, und ... Also, es ist schwer, in der Realität sicher zu stellen, dass da nicht irgendwie Stress, Angst oder doch Schmerzen oder irgendwas entsteht.
    "Tiere wollen weiterleben"
    Götzke: Beim Menschen wäre diese Annahme, man dürfe ihn töten, wenn er davon nichts mitbekäme, wenn er nicht leiden würde, völlig abwegig. Worin besteht der Unterschied, dass wir das völlig bedenkenlos sozusagen bei Schweinen, bei hoch entwickelten Tieren machen, Frau Wolf?
    Wolf: Ja, ich finde ja eben auch, dass man das bei höheren Tieren halt, bei Säugetieren nicht bedenkenlos tun sollte, weil, die haben sicherlich einen rudimentären Zukunftsbezug, die haben Wünsche. Also, ein Hund kann warten, bis sein Herrchen nach Hause kommt, also, die haben einen Zeitbezug. Und die wollen sicherlich weiterleben. Und deswegen wäre ich da auch vorsichtig eher.
    "Das Tier fällt keine bewusste Lebensentscheidung"
    Schweine werden in einem Schweinetransporter zu einem Schlachthof in der Nähe von Grefrath transportiert. 
    Es sei nicht möglich, Tiere zu töten, ohne sie unter Stress zu setzen, sagte Professor Ursula Wolf im Dlf. (dpa / picture-alliance / Victoria Bonn-Meuser)
    Götzke: Herr Asche, ich denke, Sie wollen da widersprechen?
    Asche: Na ja, also, die Formulierung: "Sie wollen weiterleben", die muss man, glaube ich, schärfen. Dass alles Leben Mechanismen und Apparaturen hat, um weiterzuleben, das wissen wir. Wir wissen das aber auch bei Pflanzen. Ein kleines Beispiel: Wenn zum Beispiel eine Tabakpflanze angeknabbert wird von einer Raupe, dann erhöht sie ihren Nikotingehalt, die Raupe frisst weiter, sie stirbt ab. Ein ...
    Götzke: Wollen Sie jetzt ernsthaft Tabak ...
    Asche: Halt, halt, lassen Sie mich mal zu Ende sprechen! Sie stirbt ab. Ein Tierrechtler könnte jetzt daraus filtrieren: Die Pflanze will leben. Aber das können wir nicht übertragen im Sinne einer bewussten Lebensentscheidung, dass Tiere so leben wollen wie der Mensch, dass es auch für sie einen Tod gibt wie für den Menschen. Nein, dem widerspreche ich ganz, ganz deutlich. Und Hegel drückt das, wie ich finde, sehr, sehr gut aus: Er sagt, das Tier will nicht wollen zu leben. Das heißt, es fällt keine bewusste Lebensentscheidung.
    Es gibt auch im Tierreich quasi keinen Tod, der im Tier drin wäre, dass es weiß: Ich werde eines Tages sterben. Das ist ein Problem des Menschen. Es ist die Frage: Wollen wir dem Tier Lebenszeit entziehen? Eine andere Frage ist: Funktioniert das schmerzfrei? Das eine ist ein Begriff aus der Leidensproblematik und das andere ist ein Begriff aus der Tötungsproblematik.
    Götzke: Frau Wolf dazu?
    Wolf: Ja, ja, völlig einverstanden. Natürlich haben Tiere nicht in dem Sinne ein Todesbewusstsein und können sich nicht fürs Leben entscheiden. Ich habe nur gesagt, dass hoch entwickelte Tiere durchaus zukunftsgerichtete Handlungen tun, die über eine Zeitspanne hinweg organisiert sind, und dass ich deswegen hier auch, was das bloße Töten angeht, eher zurückhaltend wäre. Das ist aber meine persönliche Einstellung. Ich habe vorhin gesagt, ich kann in der Tierethik nicht wirklich begründen, dass man Tiere nicht töten darf. Und deswegen ist mein eigentliches Argument nur, dass es selten garantiert ist und schon gar nicht, auch wenn Sie den Terminus nicht mögen, in der Massentierhaltung, wenn die Tiere da geschlachtet werden, dass das klappt, dass das immer ohne Stress, Angst und Schmerzen passiert. Das ist einfach nicht gegeben.
    Götzke: Und diese Bedenken haben Sie aber auch beim Jagen?
    Wolf: Ich habe Probleme beim Jagen, weil Sie beim Jagen natürlich auch nicht garantieren können, dass das Tier sofort tot ist. Ich meine, das kann plötzlich sich bewegen, anfangen wegzulaufen oder irgendwas, wenn Sie schießen. Und es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, dass es sofort tot ist.
    "In der Regel ist die Tötung des Wildtieres weitaus schmerzloser als der sogenannte natürliche Tod"
    Ein erlegtes Wildschwein liegt am 15. November 2014 in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg).
    Die Jagd dient der Erhaltung des natürlichen Gleichgewichts. (picture alliance / dpa / Patrick Pleu)
    Götzke: Was sagt der passionierte Jäger dazu?
    Asche: Der passionierte Jäger hat natürlich auch den Aufsatz von Frau Wolf gelesen. Also, diese Problematik ist meines Erachtens schlecht gelöst worden in diesem Aufsatz. Ich sage auch, warum: In dem Aufsatz taucht nicht ein einziges Mal die Frage auf, was passiert, wenn wir uns den Jäger wegdenken. Denken wir uns den Jäger weg, dann altert das Tier, ihm fallen die Zähne aus, es wird von Prädatoren, also Beutegreifern gerissen oder es stirbt an einer Seuche.
    Am Ende seines Lebens steht immer eine Form von Leid. Das heißt, Sie können durch die Jagd, da wir in der Natur keine Palliativmedizin haben, ... erzeugen Sie keine zusätzlichen Leiden. In der Regel ist die Tötung des Wildtieres weitaus schmerzloser als der sogenannte natürliche Tod es eben wäre.
    Wolf: Entschuldigung, meine These ist überhaupt nicht, dass wir Leiden vermeiden sollten. Wir als Menschen sind die einzigen Wesen, die es unterlassen können, anderen zu schaden, ihnen Leiden zuzufügen.
    Asche: Der Schaden tritt aber doch sowieso ein!
    "Wir können nicht die Natur in Ordnung bringen"
    Wolf: Ja, das ist ein anderes Problem. Die Natur ist nicht unsere Sache. Wir können nicht die Natur in Ordnung bringen, ist auch nicht unsere Aufgabe. Aber wir als Menschen brauchen nicht noch zusätzlich Leid in die Welt zu bringen. Nur das ist ...
    Asche: Nein, das ist falsch, es ist ja kein zusätzliches Leid.
    Wolf: Ist egal, aber ...
    Asche: Es ist ein alternatives Leid.
    Wolf: Ja, ist es ...
    "Ich will als Jäger die Freiheit haben, Raubtier auf Zeit zu sein"
    Asche: Und da muss ich Ihnen den Vorwurf machen, Sie sagen, wir haben mit der Natur nichts zu schaffen. Da fragen Sie natürlich als Jäger den Richtigen. Mich zieht die Jagd gerade zur Natur hin. Ich will als Jäger die Freiheit haben, Raubtier auf Zeit zu sein.
    Wolf: Ja, also, wenn in der Natur irgendwas ohnehin passiert, dann passiert es. Und die Natur ist nicht unser Job, sondern wir als Menschen fügen anderen Menschen und Tieren sehr viel Leiden zu. Und das können wir lassen, wenn wir moralisch sind. Alles andere ist nicht unsere Aufgabe.
    Götzke: Frau Wolf, inwieweit ist das Argument dann auch relevant, dass wir ja in unseren Gesellschaften auf Fleisch verzichten können?
    Wolf: Ja, natürlich können wir auf Fleisch verzichten.
    Götzke: Also, inwieweit ist das ...
    Wolf: Und wir würden natürlich sehr viel zugunsten des Welthungers tun, wenn wir auf Fleisch verzichten würden, weil ja dadurch, dass die Nahrungsmittel in Pflanzen erst mal an Tiere verfüttert werden und danach wir erst die Tiere essen, geht ja sehr viel verloren, und Kalorien, die wir sonst zur Bekämpfung des Welthungers zur Verfügung hätten.
    Asche: Das ist so falsch, dass man es dann doch nicht unwidersprochen hinnehmen kann. Wir wissen ganz genau, dass Welthunger dort entsteht, wo die örtlichen Produktionen brachliegen, insbesondere dadurch, dass wir so bekloppt sind, dort Nahrungsmittel hinzuexportieren, und die örtlichen Märkte töten. Also, man sollte hier sehr, sehr vorsichtig sein.
    "Es gibt aber wenig ernsthafte Debatten zwischen den beiden Lagern"
    Götzke: Unsere Runde spiegelt so ein bisschen die Diskussion insgesamt wider, die Positionen scheinen verhärtet zu sein. Auf der einen Seite die Leute, die eher auf Fleisch verzichten wollen, auf der anderen Seite diejenigen, die ihren Fleischkonsum, ich sage mal, nicht verändern, nicht infrage stellen wollen. Frau Wolf, werden wir da als Gesellschaft eine Lösung finden? Also, die Debatte läuft ja momentan so stark und auch so laut wie nie.
    Wolf: Ich glaube nicht, dass wirklich eine Debatte läuft. Ich glaube, es gibt einfach zunehmend Leute, und zwar vor allem halt junge Leute, unter den Studenten gibt es sehr viele, die halt dazu übergehen, vegan zu leben und die ganze Fleischproduktion und Fleischkonsum, alles ablehnen.
    Und das nimmt stark zu, während insgesamt in der Tat der Fleischkonsum eher auch noch zunimmt, aber vielleicht sind das dieselben Leute, die einfach mehr Fleisch essen als bisher. Jedenfalls, unter jungen Leuten gibt es eine starke Bewegung halt weg vom Fleisch, überhaupt weg von Tierprodukten. Es gibt aber, glaube ich, wenig ernsthafte Debatten zwischen den beiden Lagern, sondern es gibt einfach massive Bewegungen hin zum Veganismus. Das sieht man auch faktisch, ich meine, Sie können in einen beliebigen Supermarkt gehen, und das ist ganz kurz erst her, dass es da vegane Produkte gibt, und zwar massenhaft. Und das heißt, da ist was in Bewegung, auch in der Gesellschaft im Ganzen. Aber ich glaube nicht, dass da eine Debatte in Bewegung ist, sondern es gibt einfach immer mehr junge Leute, die keine Lust mehr haben, so weiterzumachen wie bisher.
    Götzke: An der Massentierhaltung wird sich so schnell nichts ändern?
    Wolf: Na ja, ich meine, abschaffen ... In der Menge, wie die Menschen Fleisch konsumieren wollen, und Eier und Milch, kann man die natürlich im Moment nicht abschaffen, das wird nicht gehen.
    Götzke: Also bleibt am Ende, dass man persönlich Konsequenzen ziehen sollte, wenn man es möchte? Wie halten Sie das?
    Wolf: Ich glaube, dass es bei Konsumfragen nicht nur persönlich ist, sondern beim Konsum wirkt sich, glaube ich, direkt aus, wenn immer mehr Leute halt den Konsum verweigern. Wenn irgendwas einfach nicht mehr verlangt wird, dann gibt es da einen Rückgang, das ergibt eine direkte Summierung.
    Götzke: Essen Sie noch Fleisch?
    Wolf: Ich esse kein Fleisch.Wir müssen endlich einmal anfangen, dass vernünftige Tierhaltung auch Geld kostet"
    Götzke: Wir sind am Ende unserer Diskussionssendung "Streitkultur" angelangt. Herr Asche, gibt es ein Argument, einen Punkt, wo Sie sagen, da sind Sie bei Frau Wolf, da hat Sie Frau Wolf überzeugt?
    Asche: Also, ich glaube, dass wir im Hinblick auf das reale Leben und die Verantwortlichkeit des Konsumenten weitaus enger zusammen sind, als das jetzt hier den Anschein gehabt hat. Als Jäger sehe ich zu, dass ich die Tiere, die ich essen will, dass ich die auch vorher selbst umgebracht habe. Das heißt, ich weiß ...
    Götzke: Also, Sie holen sich kein Grillwürstchen aus dem Supermarkt?
    Asche: Ich mache meine Grillwürstchen selbst mittlerweile. Und ich glaube persönlich, dass wir entweder unsere Nahrungsmittel selbst gewinnen oder aber bereit sind, die Dinge wieder in Wert zu setzen. Oscar Wilde hat mal gesagt: Wir kennen von allem den Preis und von nichts den Wert. Bei Tieren ist es so, da bin ich ganz, ganz eng bei Frau Wolf. Und ich meine, dass wir endlich einmal anfangen müssen, dass vernünftige Tierhaltung auch Geld kostet.
    Götzke: Frau Wolf, gibt es irgendeinen Punkt, wo Sie Herr Asche überzeugt hat?
    Wolf: Ich glaube, eher nicht.
    Götzke: Das ist aber auch ein klares Statement von Frau Wolf. Und das war die "Streitkultur" an diesem Samstag, danke fürs Streiten und fürs Ringen um Argumente und Standpunkte, danke an die Philosophin Ursula Wolf von der Universität Mannheim und den Juristen und Autoren Florian Asche! Dürfen wir Tiere essen, das war unser Thema heute in der "Streitkultur". Mein Name ist Manfred Götzke, danke fürs Zuhören und noch einen interessanten Radioabend!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.