1918 - dazu falle den meisten Deutschen nur das Ende des Ersten Weltkriegs ein, meint Wolfgang Templin. Dabei hat das Jahr für den Nachbarn Polen eine zentrale Bedeutung: "Wenn ich um Annäherung, Partnerschaft in schwierigen Zeiten bemüht bin, dann ist mir klar, Annäherung, Partnerschaft braucht Verständnis für einander", so Templin.
"Und Verständnis für einander heißt auch: die je andere und für Polen weiß Gott sehr schwierige, komplizierte Geschichte zu verstehen. Und da spielt dieser Jahrestag tatsächlich und auch der Folgezeitraum, also Polen 1918 bis 1939, eine ganz entscheidende Rolle."
Mit den "schwierigen Zeiten" spricht der Bürgerrechtler die Spannungen im deutsch-polnischen Verhältnis an, die ihre Wurzeln zum Teil in jener Zeit haben. Denn fast alle deutschen Politiker von Links bis Rechts damals sprachen einem starken polnischen Staat das Existenzrecht ab - und das tragen polnische Konservative Deutschland bis heute nach.
Hartes Ringen um Staatlichkeit
Templin beleuchtet vor allem die Geschichte Polens in der Zwischenkriegszeit, also die Zeit der sogenannten Zweiten Polnischen Republik. Und er macht sehr deutlich, wie hart die slawische Nation um ihre Staatlichkeit ringen musste.
Kaum war den Polen in Versailles die Selbständigkeit zugesprochen worden, da mussten sie sie im Kampf verteidigen. Viele in Deutschland wollten die Grenzen revidieren. Und von Osten rückten die russischen Bolschewisten vor. Der Sieg der Polen, unter Mithilfe tausender Ukrainer, ging als "Wunder an der Weichsel" in die Geschichtsbücher ein.
Templin beschreibt ihn als persönlichen Erfolg von Staatschef Józef Piłsudski: "Piłsudski [...] war in den Tagen davor und während der Schlacht bei verschiedenen Einheiten. Er schilderte, was auf dem Spiel stand, motivierte die Soldaten und übernahm an einzelnen Abschnitten selbst das Kommando. Die durch Rückzug und Niederlage deprimierten Kämpfer erlebten plötzlich das Gegenteil. Sie nahmen ungewöhnliche Strapazen auf sich, fassten den Gegner in der ungedeckten Flanke, drangen in seinen Rücken. Mit dem Sieg von Warschau war der Krieg noch lange nicht beendet, aber sein Verlauf hatte sich gewendet. Im September standen die polnischen Truppen an Bug und Njemen."
Faszination für den Staatschef
Templin geht streng chronologisch vor, einschließlich der Vorgeschichte von 1918. Das sichert ihm Distanz zu seinem Gegenstand. Dennoch ist dem Autor die Begeisterung für das Nachbarland anzumerken. In seiner knappen Darstellung der Aufstände in Oberschlesien 1919 bis 1921 etwa nimmt er eher die polnische Perspektive ein als die deutsche. Die Aufstände führten dazu, dass ein kleinerer, aber industriell bedeutender Teil Oberschlesiens zu Polen kam.
Seine spürbare Faszination für Marschall Józef Piłsudski gilt auch dessen politischer Vision: "Eine polnische demokratische Republik sah er vor sich, mit starker europäischer Präsenz, also auch militärisch präsent, eine auf den Traditionen der Ersten polnischen Adelsrepublik aufbauende multinationale, multikonfessionelle Republik, in der auch nationale Minderheiten und auch die starke jüdische Bevölkerungsgruppe völlig gleichberechtigt leben sollten", sagt Autor Templin. "Das heißt ein Nationenverständnis, das ziemlich modern ist, nämlich eine Staatsbürgernation."
Im Mai 1926 brachte sich Piłsudski durch einen Putsch de facto an die Macht. Danach regierte er das Land zunehmend autoritär. Auch dafür bringt Templin - bei aller Kritik - Verständnis auf. Es sei Piłsudski darum gegangen, die Existenzfähigkeit Polens zu erhalten.
Parallelen zur Gegenwart
Templin zeigt in seinem Buch, wie sehr Piłsudskis politische Vision im Kontrast zu der seines Gegenspielers Roman Dmowski stand. Dmowski sei es um eine vor allem ethnisch begründete polnische Nation gegangen. Für ihn habe nur ein Katholik auch ein echter Pole sein können. An dieser Stelle drängen sich Parallelen zum aktuellen Polen auf.
Auch heute gebe es ein Lager der ehemaligen Solidarność-Bewegung, das nach 1989 den Kompromiss mit den Reformkommunisten gesucht habe - ähnlich wie Piłsudski mit seinen Gegnern.
Und ein anderes Lager, das der Vorsitzende der rechtskonservativen Regierungspartei PiS Jarosław Kaczyński und sein inzwischen verstorbener Zwillingsbruder Lech verkörperten, schreibt Templin: "Die Zwillingsbrüder Jarosław und Lech Kaczyński, die sich als intellektuelle Berater der Solidarność noch mit dem Runden Tisch verbunden sahen, wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten unversöhnliche Gegner dieses Kompromisses. Sie rückten den Positionen Roman Dmowskis und seiner Anhänger immer näher. Jarosław Kaczyński verbündete sich mit dem fundamentalistischen Teil des katholischen Klerus."
Darauf geht Templin leider nur ganz knapp ein, am Ende seines Epilogs. "Der Kampf um Polen" bleibt deshalb ein Buch, das vor allem Grundlagenwissen für diejenigen liefert, die sich mit der Geschichte Polens vertraut machen wollen.
Wolfgang Templin: "Der Kampf um Polen. Die abenteuerliche Geschichte der Zweiten Polnischen Republik 1918-1939",
Ferdinand Schöningh Verlag, 254 Seiten, 39,90 Euro.
Ferdinand Schöningh Verlag, 254 Seiten, 39,90 Euro.