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World Happiness Report
"Auch Wohlstand lehrt beten"

Norwegen, Dänemark und Island sind laut dem neuesten World Happiness Report die glücklichsten Länder der Welt. In den drei Staaten gibt es eine starke lutherische Kirche. Macht Luther etwa happy? Ein bisschen schon, sagt der Theologe Jörg Lauster, auch wenn der Reformator selbst Glück zur "Schweinephilosophie" degradierte.

Jörg Lauster im Gespräch mit Christiane Florin | 28.03.2017
    Häuser am Hafen Hvammstangi, Island im letzten Abendlicht
    Norwegen, Dänemark und Island sind laut World Happiness Report 2017 die glücklichsten Länder der Erde (imago/blickwinkel)
    Christiane Florin: Norwegen ist das glücklichste Land der Welt, gefolgt von Dänemark und Island. Das meldet zumindest der World Happiness Report, der kürzlich veröffentlicht wurde. Glück und Superlativ, das klingt eher nach Schlager als nach Studie, aber die Autoren des Reports versichern, seriöse Wissenschaftler zu sein und liefern umfangreiches Datenmaterial.
    Ein Aspekt aber kommt zu kurz: Norwegen, Dänemark, Island - das sind alles Länder mit einer starken lutherischen Kirche, zum Teil noch einer Staatskirche. Macht Luther vielleicht glücklich? Darüber möchte ich nun mit Jörg Lauster sprechen, Professor für Dogmatik und Religionsphilosophie an der LMU München. "Gott und das Glück", heißt eines seiner Bücher. Guten Morgen, Herr Lauster.
    Jörg Lauster: Guten Morgen, Frau Florin.
    Florin: Im Jahr des Reformationsjubiläums frage ich das erst recht: Glücklich trotz oder wegen Luther?
    Lauster: Beides müsste man sagen - zunächst mal: Die von Ihnen angesprochenen Länder sind tatsächlich lutherische Länder, aber sie leben oder befinden sich in sehr, sehr schönen Landschaften, faszinierende Natur, dafür kann Luther nichts. Offensichtlich ist die Einheit von Mensch und Natur unerlässlich. Die andere Seite ist aber die, dass wir es in diesen Ländern mit einem sehr großen Wohlfahrtsstaat zu tun haben. Das hat sehr wohl mit der Reformation zu tun, wie sie Luther in die Welt gerufen hat, nämlich, dass der Mensch dort, wo er ist, wo er in sein Leben hineingestellt ist, christliche Ideale realisieren soll. Das sehen wir eben in diesen Ländern in besonderer Weise am Werke.
    Selig statt glücklich
    Florin: Wie sah Luther das Glück? Stand das nicht unter Hedonismus-Verdacht?
    Lauster: So ist es. Luther selber konnte mit dem Glück wenig anfangen, denn das Glück erschien ihm seit ungefähr dem Spätmittelalter als etwas, was rein menschliche Bedürfnisse befriedigt und Luther ist einer der ersten, der das Streben nach Glück als "Schweinephilosophie" bezeichnet hat. Nietzsche ist dann dafür berühmt geworden. Für einige Jahrhunderte ist jegliche Form des Strebens nach Glück unter dem Verdacht gestanden, als würde der Mensch dahinter nur die Befriedigung einfachster, primitivster Bedürfnisse erhoffen.
    Florin: Die Bibel spricht nicht vom Glück. Es gibt Seligpreisungen, aber keine Glücklichpreisungen, warum?
    Lauster: Die Bibel hat da noch ein sehr viel ambivalenteres Verhältnis. Sie spricht sehr wohl von Seligpreisungen, genau, aber nicht von Glück. Das hat mit dem Griechischen zu tun. Glück heißt auf Griechisch Eudaimonia, da steckt der Daimon dahinter, ein Geist, der für das Glück zuständig ist. Aber die christlichen Autoren des Neuen Testamentes konnten für das Glück nur Gott selber verantwortlich machen und deswegen haben sie hier eine Begriffsverschiebung vorgenommen. Das heißt Seligkeit, ist aber nicht ein Gegenbegriff, sondern Seligkeit ist der christliche Begriff für Glück. Wenn man sich dann die Stellen anschaut, zum Beispiel die Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt, dann wird man sagen müssen, hat das Neue Testament eine sehr pointierte Glückslehre.
    "Vor kurzem galt noch: Glück ist etwas Unanständiges"
    Florin: Was halten Sie eigentlich persönlich von solchen Glücksstudien? Die haben ja in den letzten Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht.
    Lauster: Ja, das ist in der Tat erstaunlich. Bis in die 80er Jahre hinein galt noch das Verdikt, Glück ist etwas Unanständiges, rein subjektive Befindlichkeit. Das hat sicher damit zu tun, dass in Ländern, die einen sehr hohen Wohlstand erreicht haben, hinter der Frage nach dem Glück ganz andere Fragen auftauchen: Was ist der Sinn des Lebens? Was ist das wahre Ziel, wenn also alle Bedürfnisbefriedigungen halbwegs gestillt sind? Insofern wird man sich dieser Frage auch mit Ernsthaftigkeit stellen dürfen.
    Der evangelische Theologe Prof. Dr. Jörg Lauster
    Der evangelische Theologe Prof. Dr. Jörg Lauster (privat)
    Florin: Sie haben es jetzt schon mehrfach angesprochen: Norwegen ist ein wohlhabendes Land, auch Dänemark ist wohlhabend, es gibt einen ausgeprägten Sozialstaat, einen Wohlfahrtsstaat. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Religion und Dankbarkeit oder zwischen Christentum und Dankbarkeit?
    Lauster: Zunächst, bei den von Ihnen genannten Ländern gibt es tatsächlich, wie schon angesprochen, Untersuchungen, dass diese Art des Wohlfahrtstaates schon auch lutherisches Erbe ist. Das lutherische Erbe ist ja eine gewisse Disziplinierung, nämlich - wie gesagt - das je eigene Leben, egal, was man von Beruf ist, was man tut, dafür zu nutzen, etwas mehr Christlichkeit in dieser Welt zu realisieren. Das wird man mit aller Vorsicht bei diesen Ländern - auch wenn sie in Zahlen des Kirchgangs nicht die allerchristlichsten sind, das war auch nicht, was Luther gemeint hat -, aber an diesen Ländern wird man sagen können: Da ist doch eine hohe Disziplin.
    Man könnte sich weit darüber auslassen, wie sehr vernünftig Norwegen mit dem enormen Reichtum umgeht, den es durch seine Erdölressourcen hat. Das alles ist tatsächlich eine langfristige Fortwirkung dieses Erbes, würde ich sagen. Und die Frage, Religion und Dankbarkeit: Natürlich schärft Religion unseren Blick, dass das, was unser Leben ausmacht, doch immer mehr ist, als wir selber ihm geben können, dass wir von Quellen leben und aus Unverfügbarem unser Leben meistern, sodass tatsächlich Religion das ideale Medium ist, um uns der Dankbarkeit, die wir für unser Leben schuldig sind, auch zu vergewissern.
    "Ein sehr starkes Ethos"
    Florin: Also "Not lehrt beten" ist nicht so ganz richtig?
    Lauster: Not lehrt sicher immer auch beten, auch dazu gibt es Untersuchungen, aber eben nicht nur. Auch Überfluss lehrt beten, könnte man dann in Anlehnung an das Sprichwort sagen.
    Florin: Stichwort Staatskirche. Die Länder zeichnet eine religiöse Homogenität aus, also über 80 Prozent der Bevölkerung sind evangelisch-lutherisch. Ist Homogenität ein Glücksfaktor?
    Lauster: Das würde ich so nicht sagen. Homogenität war sicher im Falle der geschilderten skandinavischen Länder dafür verantwortlich, dass man intern sozusagen die gemeinsamen Interessen verfolgen und dann eben diese Stabilität aufbauen konnte. Die genannten Länder waren, bis sozusagen zu den Gipfelpunkten der Flüchtlingskrise, aber allesamt auch Länder, die immer auch einen hohen Anteil von anderen Bevölkerungsschichten oder auch Flüchtlingen weltweit aufgenommen haben, so dass man sagen muss, Homogenität allein ist sicher kein Glücksgarant.
    Florin: Aber vielleicht ein Garant dafür, dass es weniger religiöse Konflikte gibt.
    Lauster: Die religiösen Konflikte, glaube ich, sind in Skandinavien deswegen relativ gering, weil ein sehr starkes Ethos besteht, was die Ziele des Gemeinwesens sind und die Ziele dieses Gemeinwesens sind der Geschichte dieser Länder entsprechend durchaus christlich geprägt und die gelten so stark und sind sozusagen auch für alle, die dort leben wollen, relativ verbindlich. An den ein oder anderen Stellen fängt es natürlich auch an zu bröckeln - da wäre das von Ihnen nicht genannte Land Schweden zum Beispiel, ein Beispiel, in dem durchaus Probleme auftreten. Aber es ist jedenfalls eine so starke, identitätsprägende Kraft für alle in dem Land Lebenden, dass das eben die entscheidenden Vorteile nach sich zieht.
    Florin: Herzlichen Dank, Herr Lauster, für das Gespräch. Auch Wohlstand lehrt beten, haben wir gelernt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.