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Woyke: Viele junge Politiker an führenden Stellen führen zur Krise

Wichard Woyke sagt, dass die FDP ihr Personaltableau "etwas ausgewogener vom Alter her" verteilen könnte. In der Führungsriege zeige sich politisch mangelnde Erfahrung, die "in die Krise geführt" habe, so der Politikwissenschaftler.

Wichard Woyke im Gespräch mit Dirk Müller | 15.12.2011
    Dirk Müller: Jetzt ist ausgerechnet Christian Lindner gegangen, das junge ambitionierte Talent der Liberalen. Warum ist er zurückgetreten? Das bleibt zunächst einmal unklar. Feststeht: Der umstrittene Mitgliederentscheid bringt nun auch zunehmend den Parteivorsitzenden in die Bredouille. Denn wenn das verlangte Quorum doch noch erreicht werden sollte, ist Philipp Rösler bei den eigenen Parteifreunden wohl diskreditiert. Morgen wissen wir da mehr.

    Was läuft alles falsch bei den Liberalen? - Das wollen wir nun wissen vom Münsteraner Politikwissenschaftler und Parteienkenner Professor Wichard Woyke. Guten Tag.

    Wichard Woyke: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Woyke, viele sind in Panik, viele sind ganz aufgeregt. Ist das schlimm, wenn die FDP untergeht?

    Woyke: Es ist eine Partei, die in 60 Jahren prägend an der Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland führend mitgewirkt hat und auch einiges bewirkt hat, und es wäre dann schlimm, wenn es keinen liberalen Ersatz für diesen bisher organisierten Liberalismus gibt. Aber es deutet sich ja an, dass auch in den anderen Parteien, also nicht nur bei den Grünen, sondern auch ein bisschen bei den Piraten, aber auch sonst wo, liberales Gedankengut Aufnahme findet, und dann wird man abwarten müssen, inwieweit das in den anderen Parteien seine Entsprechung findet.

    Müller: Also könnte die FDP und der liberale Gedanke durchaus ersetzt werden durch andere?

    Woyke: Die FDP war ja öfter schon in einer Situation, dass ihr das sogenannte Sterbeglöcklein geläutet worden ist, also 1972, als das konstruktive Misstrauensvotum gegen Willy Brandt anstand. Ich erinnere an die Rede von Walter Scheel, den Parteivorsitzenden damals, der ganz klar schon auf das Ende der FDP gesetzt hatte. Aber das ist noch nicht ausgemacht. Noch sind wir nicht so weit und in der Politik kann innerhalb eines halben Jahres sehr, sehr viel passieren.

    Müller: Es gibt immer diese Diskussion um die FDP, es gibt immer wieder die Diskussion - Sie haben es ja gerade auch an einem Beispiel deutlich gemacht - um die Krise der Liberalen. Warum geraten die Liberalen immer wieder in die Krise?

    Woyke: Die Liberalen geraten deshalb immer in die Krise, weil es in ihr seit Jahrhunderten, kann man schon sagen, immer zwei Flügel gibt, einmal die eher konservativ national ausgerichteten Liberalen und die progressiv sozialliberal ausgerichteten Liberalen, und das muss irgendwann immer zu Krisen führen. Und ein weiteres ist natürlich, wenn sie ein Personal-Tableau haben wie in der jetzigen Zeit, das dadurch geprägt ist, dass an ganz führender Stelle sehr, sehr viele junge Leute Politik betreiben, die noch nicht die Erfahrung haben, dann muss das in die Krise führen.

    Müller: Hinterher, Herr Woyke, ist man immer schlauer. Hätte Guido Westerwelle noch ein bisschen machen sollen?

    Woyke: Nein, das hätte er nicht. Aber man hätte meines Erachtens auf dem Parteitag in Rostock Nägel mit Köpfen machen müssen. Man hätte die Führung, Westerwelle, nicht nur im Parteivorsitz auswechseln müssen, sondern eben auch im Außenministerium, weil das ja eigentlich gar nicht in der Öffentlichkeit übergekommen war und der Eindruck bestehen blieb, dass Westerwelle weiterhin in der Partei mitmischt. Und man hätte das vielleicht dann etwas ausgewogener auch vom Alter her verteilen können, innerhalb der Partei, weil innerhalb der Partei fühlen sich ältere durch die jüngeren, wie sie in den Medien immer als Boygroup bezeichnet wird, wahrscheinlich gar nicht sehr ausreichend repräsentiert.

    Müller: Ein klares Plädoyer für Rainer Brüderle?

    Woyke: In dieser Situation ganz sicherlich und es wird auch in der Zukunft, also in der nahen Zukunft, die ich mal auf das nächste halbe Jahr taxieren möchte, Brüderle einen sehr großen Einfluss auf die FDP haben, und wir werden morgen schon deutlich mehr wissen, wie lange sich Philipp Rösler wird halten können, denn sollte es tatsächlich zum Quorum kommen, das heißt, dass die 21.500 Stimmen erreicht werden, dann wird es ganz eng für Philipp Rösler an der Parteispitze.

    Müller: Ist das für Sie, um da nachzufragen, eine klare Sache? Wird das Quorum erreicht, was der Parteichef vor vier, fünf Tagen ja bestritten hat, dann muss er gehen?

    Woyke: Ich denke, dass der Druck auf ihn so groß werden wird, dass er praktisch keine andere Chance haben wird, als den Platz dann freizumachen, denn das Mindeste, was man ja sagen kann, ist - und das zeigt die politische mangelnde Erfahrung -, dass er ungeschickt sich verhalten hatte. Andererseits kann man natürlich daraus auch entnehmen, dass in dieser Parteiführung auch eine Heidenangst davor bestanden hat, dass tatsächlich hier eine Entwicklung eintreten konnte, die nicht mehr von der Parteiführung gesteuert werden konnte.

    Müller: Reden wir noch einmal über Christian Lindner. Wir haben das vor gut einer Stunde im Deutschlandfunk auch den stellvertretenden FDP-Fraktionschef Florian Toncar gefragt: Wie gut war Christian Lindner? Und wenn wir ihn richtig verstanden haben, hat er das etwas relativiert, und er war offenbar gar nicht so frustriert oder enttäuscht darüber, dass Lindner die Konsequenzen gezogen hat. Die Frage an Sie: Wie gut war er?

    Woyke: Lindner ist ein brillanter Kopf, der als Rhetor sehr, sehr gut ist, und das hat er ja auch in dem Buch bewiesen, das er mit Philipp Rösler zusammen veröffentlicht hat und wo sie Ideen über den neuen Liberalismus Richtung Sozialliberalismus meistenteils veröffentlicht worden sind. Aber eins zeigt ja, dass Lindner beauftragt worden war, ein neues Programm zu entwickeln, und dieses Programm hätte schon auf dem Rostocker Parteitag verabschiedet werden sollen. Das hat er nicht hingekriegt und jetzt kommt natürlich auch von den Gegnern, dass er gar keine Kampagne hinbekommen hätte, das heißt also, dass er in der praktischen Parteipolitik nicht die Größe erreicht hat, die er in der theoretischen Reflexion erreicht hat.

    Müller: Und dem würden Sie zustimmen, Lindner war nicht in der Lage, eine politische Kampagne vom Zaun zu brechen?

    Woyke: Er hat es zumindest nicht so erreicht, dass sie nachhaltig in der Gesellschaft angekommen war und der FDP verholfen hatte, Punkte zu sammeln. Ganz im Gegenteil! Sie sehen ja - und das ist allein nicht Lindner anzulasten, dass dieses gewaltige Kapital, was man bei der Bundestagswahl 2009 mit 14,6 Prozent erhalten hat, verfrühstückt worden ist, und das ist in der Politik der Bundesrepublik eine einmalige Sache bisher gewesen und da hätte man durchaus etwas machen können.

    Müller: Der Münsteraner Politikwissenschaftler Wichard Woyke bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Woyke: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.