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Wüst lobt Radsportteams für Suspendierungen

Der ehemalige deutsche Radprofi Marcel Wüst sieht im Dopingskandal bei der Tour der France eine Chance zum Neuanfang für den Radsport. Die Mannschaften hätten ungeachtet der Unschuldsvermutung nach einem Ehrenkodex gehandelt und die unter Dopingverdacht stehenden Fahrer von sich aus suspendiert, hob Wüst hervor. Damit der Sport sauberer wird, müsse der Staat eingreifen. "Ganz sauber wird er leider Gottes vermutlich nie werden", betonte Wüst.

01.07.2006
    Stefan Heinlein: Herr Wüst, Sie sind in Straßburg beim heutigen Tourstart. Wie getrübt ist denn die Stimmung bei den Fahrern und den Teams nach den Nachrichten von gestern?

    Marcel Wüst: Na ja, das war schon ein schwerer Schock, aber gerade bei den Gesprächen mit einigen Fahrern, da hat man doch schon gemerkt, dass es doch sehr viele gibt, die diesen Prozess auch begrüßen. Es sind zwar die großen Namen des Radsports betroffen, aber dass man auch von Teamseite eben vor diesen großen Namen nicht Halt macht, sondern wirklich diesen Säuberungsprozess vorantreibt, das stößt eigentlich bei allen Fahrern auf sehr große Zustimmung. Man sieht es quasi als neue Chance für einen Neuanfang, den Radsport wirklich mal so zu präsentieren, wie er sich präsentieren sollte, nämlich sauberer und vor allen Dingen auch auf die Dinge sich beschränkend. Es gibt Regeln für alle. Wer diese Regeln nicht einhält, der darf nicht mitmachen, und das war eigentlich der Konsens vor allen Dingen im Fahrerfeld.

    Heinlein: Wie groß ist denn die Gefahr, dass es nun auch Unschuldige trifft, denn alle, die auf dieser Liste stehen, wurden ja jetzt von der Teamleitung vom Rennen ausgeschlossen?

    Wüst: Ja, das war sicherlich eine Vorsichtsmaßnahme. Eigentlich gilt ja die Unschuldsvermutung. Jetzt in diesem Falle ist es wirklich so, das hat auch der Weltverband noch mal ganz klar schriftlich bestätigt, dass diese Fahrer ausgeschlossen wurden, aber dass sie nicht gegen die Dopingregeln verstoßen hätten. Aber die Unterlagen, die da von der spanischen Staatsanwaltschaft kamen, sind wohl so belastend, dass es nur noch wirklich ganz kleine Möglichkeiten gibt, dass es eben nicht so sei. Und deshalb hat man diese Maßnahme vor der Tour vorsorglich getroffen. Jan Ullrich hat angekündigt, er wolle seine Unschuld beweisen. Sollte ihm das gelingen, dann ist es natürlich so, dass sein Team ihn suspendiert hat und eben nicht der Veranstalter der Tour de France, der dann auch aus eventuellen Regressansprüchen, ja, raus ist aus dieser Nummer, weil es halt vom Team kam. Aber die Mannschaften haben eigentlich so gehandelt, wie es der Ehrenkodex erfordert, und ich bin eigentlich auch ein bisschen froh darüber, dass es alle Mannschaften, die betroffen waren, relativ zügig verstanden haben, diese Maßnahme zu treffen und dann auch eine einheitliche Maßnahme.

    Heinlein: Bleiben wir einen Moment bei Jan Ullrich. Er beteuert ja in der Tat seine Unschuld. Glauben Sie, dass er die Wahrheit sagt?

    Wüst: Wissen Sie, Glauben, Glauben ist so ein Ding. Es ist sehr gut möglich, dass er die Wahrheit sagt, es ist aber ebenso gut möglich, dass er das nicht tut. Grundsätzlich ist das vielleicht eine Meinung, die man hat. Aber ich glaube, man muss einfach abwarten, ob es ihm gelingt, seine Unschuld zu beweisen.

    Heinlein: Wie kann er denn seine Unschuld beweisen?

    Wüst: Ich denke, wenn es so ist, dass diese Blutkonserven, die da gefunden worden sind, diese Blutbeutel, die man ihm, seinem Namen, seinem Codenamen zuordnet, die muss man analysieren. Mittels eines DNA-Tests muss er dann auch in der Lage und vor allen Dingen auch willens sein, diesen Abgleich zuzulassen, und dann wird es ein Ergebnis geben, und dieses Ergebnis ist dann ganz klar entweder Ja oder Nein. Also ich glaube, es ist möglich, dass er diesen Unschuldsbeweis erbringt, aber ich sehe eigentlich auch die Möglichkeit, dass es ihm nicht gelingen wird. Und das muss einfach nur die Zeit zeigen, und eine Vorverurteilung, davon sehe ich auf jeden Fall ab. Für mich gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

    Heinlein: Sollte er sich weigern, diese DNA-Probe abzugeben, diese DNA-Analyse, dann kann er seine Unschuld wahrscheinlich nur sehr, sehr schwer beweisen. Wäre dies das mögliche Karriereende von Jan Ullrich, kann er sein Fahrrad an den Nagel hängen?

    Wüst: In dem Alter ist es sicherlich möglich, dass er es dann eben nicht mehr zur Tour de France schafft, auf die großen Pässe und das Podium der Tour der France. Also grundsätzlich ist es so: Sollte er einen DNA-Test verweigern, dann macht er sich natürlich noch verdächtiger, als er es jetzt ohnehin schon ist. Also das ist sicherlich die einzige Möglichkeit, die er hat, ganz klar abzugleichen, schaut her, es ist nicht mein Blut.

    Heinlein: Sie haben in Ihrer ersten Antwort die Reaktionen aus dem Fahrerlager beschrieben, positive Reaktionen bei den sauberen Fahrern. Kann denn der Radsport tatsächlich mit dieser spektakulären Aktion den Kampf gegen Doping gewinnen?

    Wüst:! Also den Kampf gegen Doping zu gewinnen, das ist natürlich immer sehr schwer überall, wo Leistung gefordert ist. Selbst nicht im Profibereich, sondern im Hobbybereich ist es, glaube ich, so, dass Leute versuchen zu betrügen, immer versuchen werden zu betrügen, aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass der Radsport, das als Neuanfang sehen kann, aber man muss auch ganz klar die Augen öffnen und sagen, wie viele Doktoren wie Eugemanio Fuentes gibt es, denn es gibt sicherlich nicht nur einen, vielleicht, zwei, drei, vier oder fünf, und sind alle die Fahrer, die jetzt eben nicht in diese Affäre verwickelt worden sind, sind sie wirklich sauber? Diese Frage muss man sich weiter stellen, und man muss ja auch weiterhin gerade von staatlicher Seite, man hat es vor acht Jahren in Frankreich gesehen und jetzt in Spanien, sobald es von staatlicher Seite dahin geht, dass man diese Ermittlungen anstellt, wird dann wirklich aufgeräumt. Ich glaube, der Sport alleine wird es nicht schaffen. Und deshalb braucht man da wirklich die staatliche Unterstützung, damit der Sport sauberer wird. Ganz sauber wird er leider Gottes vermutlich nie werden.

    Heinlein: Zum Tourskandal heute Morgen hier im Deutschlandfunk der ehemalige deutsche Radprofi Marcel Wüst. Ganz herzlichen Dank nach Straßburg.