Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


Wulff-Biograf: Er hat nicht begriffen, warum die Leute empört sind

Christian Wulff sei nie der Liebling der Schwiegermütter gewesen, für den ihn viele hielten, sagt der Journalist Armin Fuhrer, der bereits zwei Bücher über den Bundespräsidenten geschrieben hat. Er könne mit den Ellbogen kämpfen. Mittlerweile habe er aber die Sensibilität verloren für das, "was die Leute denken und glauben und kritisieren".

Armin Fuhrer im Gespräch mit Martin Zagatta | 13.01.2012
    Martin Zagatta: Barbara Scheel, die Frau von Alt-Bundespräsident Walter Scheel, gehört jetzt auch zu denen, die Christian Wulff heute zum Abgang raten. Rücktrittsforderungen kommen inzwischen - das haben wir gehört - auch aus Wulffs eigener Partei, der Union. Selbst der Alterspräsident des Bundestages, der frühere Forschungsminister Riesenhuber von der CDU, geht auf Distanz zu dem Staatsoberhaupt. Wulff habe sich, so Riesenhuber, in Dinge verheddert, die sehr unerfreulich und grenzwertig seien. Verbunden sind wir jetzt mit dem "Focus"-Redakteur Armin Fuhrer, der Wulff aus zahlreichen Gesprächen kennt und zwei Bücher über ihn geschrieben hat. Guten Tag, Herr Fuhrer.

    Armin Fuhrer: Ja, ich grüße Sie! Guten Tag.

    Zagatta: Herr Fuhrer, die eigene Partei rückt jetzt von ihm ab, Rücktrittsforderungen gibt es, 57 Prozent der Deutschen sagen laut Umfragen, Wulff sei peinlich. Sie kennen Christian Wulff ja sehr gut. Wie kann der so etwas wegstecken? Da wären viele andere doch längst gegangen.

    Fuhrer: Ja. Christian Wulff hieß ja nicht umsonst früher in seinen Zeiten als niedersächsischer Oppositionsführer schon "der Marathon-Mann". Damit wollte man damals sagen, dass er einen sehr langen politischen Atem hat. Man darf ja nicht vergessen: Er ist dreimal als Ministerpräsidentenkandidat angetreten und hat erst in der dritten Wahl damals 2003 gegen Sigmar Gabriel gewonnen. Und alleine diese Tatsache, dass er so lange ausgehalten hat und sich auch immer wieder gegen innerparteiliche Konkurrenten durchgesetzt hat, zeigt ja, dass er so leicht sicher nicht zu schlagen ist und sich beseitigen lässt, und das sehen wir jetzt im Moment eben auch.

    Zagatta: Meinen Sie, dass ihm solche Rücktrittsforderungen da relativ egal sind?

    Fuhrer: Nein, das glaube ich gar nicht, dass ihm Rücktrittsforderungen egal sind, vor allen Dingen natürlich gar nicht aus der eigenen Partei, wenn sich jetzt Bundestagsabgeordnete melden. Also das kann ich mir nicht vorstellen, dass ihm das egal ist. Das geht ihm, glaube ich, schon ganz nahe.

    Zagatta: Ist Christian Wulff ein sensibler Mensch? Wie haben Sie ihn erlebt?

    Fuhrer: Ja, ich habe ihn als durchaus sensiblen Menschen erlebt und ich habe ihn bei meinen damaligen Recherchen - die sind ja nun schon einige Jahre her - erlebt als jemanden, der sehr selbstkritisch sein kann, sehr selbstreflektierend, manchmal vielleicht für einen Politiker, einen Spitzenpolitiker sogar zu viel. Das hat sich sicherlich in letzter Zeit gelegt, wie wir jetzt sehen, aber das hat ihm damals manchmal im politischen Tageskampf durchaus Nachteile gebracht. Aber mir hat das damals durchaus gefallen, muss ich sagen.

    Zagatta: Aber dagegen spricht ja, wie er mit politischen Gegnern umgegangen ist.

    Fuhrer: Ja. Er ist andererseits eben immer wieder sehr hart mit politischen Gegnern, auch bis zur Rücksichtslosigkeit mit ihnen umgegangen, und deswegen habe ich ja schon immer gesagt, dass diese Bezeichnung als der Liebling der Schwiegermütter sehr in die Irre führte und täuschte, weil jemand, der so mit Ellenbogen kämpfen kann und der als stärkster Konkurrent und Rivale der Bundeskanzlerin mal galt, der kann natürlich, ich sage es mal auf gut Deutsch, kein Weichei sein.

    Zagatta: Ist denn Christian Wulff der Prototyp eines Politikers, dem eigentlich nichts so recht peinlich ist, der alles aussitzen will? So wirkt er ja jetzt auf viele.

    Fuhrer: Nein, das glaube ich gar nicht. Christian Wulff hat ja nicht nur an andere immer hohe Anforderungen oder Ansprüche gestellt, gerade was Vertrauen und Glaubwürdigkeit anging. Und er hatte damals auch in Niedersachsen natürlich sehr gute Werte, was das anging, bei Umfragen. Ich glaube, dass er schon das auch weiterhin als Problem sieht, oder jetzt als großes Problem sieht, dass er diese Glaubwürdigkeit zurzeit weitgehend verloren hat. Ich glaube aber, er hat - das hat mir beispielsweise dieses Interview in ARD und ZDF letzte Woche gezeigt - gar nicht richtig begriffen, warum die Leute eigentlich empört sind, und auch, warum die Medien ihn zurzeit so verfolgen. Das zeigt mir vor allen Dingen diese rein juristische und spitzfindige Argumentation, die er da gleich mehrfach an den Tag gelegt hat.

    Zagatta: Was fehlt ihm da? Sie sagen ja, er sei sensibel.

    Fuhrer: Ihm fehlt heute - ich glaube, vielleicht hat er diese Sensibilität ein wenig verloren im Laufe der Jahre, mit den Ämtern und mit der Macht auch, die er früher hatte, und mit diesem Amt, das er heute hat. Ich glaube, er hat zwei Dinge, da liegt er falsch: Er hat nicht die Sensibilität für das, was die Leute denken und glauben und kritisieren. Und er hat schon immer ein schwieriges Verhältnis zu den Medien gehabt und hat sich immer schon sehr viel als Verfolgter der Medien gefühlt, und das zeigt sich momentan ja auch ganz stark.

    Zagatta: Sie haben dieses Fernseh-Interview schon angesprochen. Peter Altmaier ist ja das Sprachrohr von Frau Merkel, wenn man so will, und hat Wulff aufgefordert, seine Anwälte an die Leine zu legen. Wie bewerten Sie das jetzt? Gehen Sie davon aus, dass Wulff macht, was Merkel will, oder klebt er am Amt und ist da ziemlich eigenständig?

    Fuhrer: Sehen Sie, wenn selbst der tapfere Peter Altmaier, der den Bundespräsidenten nun wirklich immer verteidigt, schon so weit geht, dann kann man, glaube ich, sagen, da ist was dran. In der Tat ist es ja merkwürdig, dass ein Bundespräsident mit dem Volk über seine Anwälte kommuniziert. Ich weiß aber nicht, inwieweit die Bundeskanzlerin ihn in dem Sinne lenken kann. Ich glaube, da ist er zu eigenständig und da hat er auch ein zu kompliziertes Verhältnis zu Angela Merkel. Ich glaube allerdings, wenn Angela Merkel eines Tages wirklich den Daumen senkt und ihm das bedeutet, so geht es nicht weiter, dann wird er sich auf Dauer auch ganz bestimmt nicht halten.

    Zagatta: Es kursieren ja jetzt schon zahlreiche Wulff-Witze. Er läuft da Gefahr, zur Witzfigur zu werden. Karneval steht bevor. Wie ist Ihre Prognose? Kann Wulff im Amt bleiben, wird er im Amt bleiben?

    Fuhrer: Karneval wird er sicherlich vermutlich der Star der Umzüge sein. Das können wir, glaube ich, schon vorhersagen. Ich muss ehrlich sagen, ich halte alle Vorwürfe in sich für nicht so schlimm. Ich finde schlimm die Art und Weise, dieses katastrophale Krisenmanagement, also die Art und Weise, wie er damit umgeht, und man muss ganz eindeutig sagen, Christian Wulff wird diese Affäre, anders als er das offenbar immer noch hofft, nicht mehr los werden. Die Reden über Glaubwürdigkeit oder auch über Pressefreiheit im Ausland, da werden wir, gerade wir Journalisten, natürlich immer im Hinterkopf haben, da war doch was. Das wird seine Amtszeit überschatten. Insofern wird es, glaube ich, sehr, sehr schwer haben, noch ein normaler und ein guter Bundespräsident zu werden, und insofern sollte er, glaube ich, tatsächlich mal in sich gehen und überlegen, ob nicht ein Rücktritt doch das Bessere wäre. Ich muss aber auch sagen, wenn er sich dazu nicht entscheiden kann, dann sollten wir Medien ihm auch die Chance geben, ich sage mal, aus dem Fehler zu lernen, und ihn dann auch versuchen, möglichst fair zu behandeln, die letzten dreieinhalb Jahre seiner Amtszeit.

    Zagatta: Dass Wulff, Herr Fuhrer, es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nimmt, das haben Sie ja am eigenen Leib auch erlebt. Ihnen hat er damals, als Sie das letzte Buch geschrieben haben, noch von einer heilen Familie erzählt, und wenige Tage später wurde dann seine neue Liebe publik. Wie sehen Sie das im Rückblick?

    Fuhrer: Ich habe mich damals natürlich sehr geärgert. Das fand ich natürlich gar nicht komisch. Wobei ich glaube nach wie vor, was er damals erzählt hat und was in meinem Buch eben auch beschrieben wird, den hohen Stellenwert der Familie und des familiären Lebens, das er da beschrieben hat, das ist ihm in der Tat sehr wichtig, und das ist ja auch heute, glaube ich, weiterhin so. Er hat nur zwischendurch die Frau ausgetauscht. Das war natürlich damals kein nettes Signal und da war ich damals wirklich sehr verärgert.

    Zagatta: Planen Sie ein drittes Buch?

    Fuhrer: Zurzeit nicht, aber man weiß ja nie, was noch kommt.

    Zagatta: Wenn er noch bleibt.

    Fuhrer: Wenn er noch bleibt zum Beispiel, ja.

    Zagatta: Danke schön! Das war der "Focus"-Redakteur, Buchautor Armin Fuhrer, der Wulff aus zahlreichen Gesprächen kennt und zwei Bücher schon über ihn geschrieben hat. Vielen Dank, Herr Fuhrer, für das Gespräch.

    Fuhrer: Ja, gerne. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.