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Wulff-Freispruch
"Nicht die Scharfrichter der Nation"

Der ehemalige Bundestagespräsident Wolfgang Thierse hat sich erleichtert über den Freispruch für Christian Wulff gezeigt. Er hoffe, dass die Staatsanwaltschaften aus dem Fall lernen, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Dies treffe auch für die Medien zu.

    Christoph Heinemann: Überrascht war er nicht, erleichtert schon:
    Christian Wulff: Ich bin natürlich sehr erleichtert, dass hier, vor dem Landgericht Hannover, sich das Recht durchgesetzt hat. Ich hatte daran nie einen Zweifel. Ich danke den vielen Menschen, die mir in den letzten zwei schwierigen Jahren beigestanden haben, von ganzem Herzen, und ich werde auch in den nächsten Jahren denen zurückgeben wollen, die es schwerer haben, als ich es in den letzten zwei Jahren hatte.
    Heinemann: Christian Wulff nach dem Freispruch in Hannover. Es gibt schlicht keine schlagkräftigen Beweise gegen die Angeklagten. Das hatte Richter Frank Rosenow kurz vorher gesagt. Die Staatsanwaltschaft sah das bis zum Schluss anders: Vorteilsgewährung - für die Zeche beim Oktoberfest habe Wulff bei Siemens für einen Film seines Freundes Geld besorgen wollen. Die Staatsanwaltschaft prüft, überlegt nun, ob sie Revision einlegen wird. Tenor in der Presse heute die Empfehlung, sie soll das bleiben lassen. Was bleibt übrig? Ein Freispruch - aber bleibt da nicht immer etwas hängen. Eine gescheiterte Staatsanwaltschaft und Medien, die sich auf Christian Wulff geradezu gestürzt hatten. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse ist jetzt am Telefon, der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!
    Prozess wurde immer mehr "kleinkariert"
    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Thierse, viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich heute vielleicht: War Christian Wulffs Rücktritt überflüssig? Wie sehen Sie das?
    Thierse: Zunächst einmal will auch ich sagen, dass ich im Unterschied zum vorgestrigen Richterspruch der Götter aus Karlsruhe diesen Richterspruch aus Hannover mit Erleichterung zur Kenntnis genommen habe, denn der Prozess war ja und wurde immer mehr richtig kleinkariert. Und das bezieht sich natürlich auch auf das Verhalten von Christian Wulff. Er ist strafrechtlich eindeutig unschuldig, und das ist gut so, dass das festgestellt worden ist. Aber er ist ja nicht zurückgetreten, weil ihm schon damals ein strafrechtliches Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, sondern weil der öffentliche Eindruck war, dass er sich falsch verteidigt, dass sein Verhalten selber nun - ich verwende noch einmal das Wort - kleinkariert war. Das Problem, der Fehler Wulffs war ja auch, dass er sich als moderne Familie darstellen wollte, und dies politisch zu instrumentalisieren versucht hat für seine Karriere. Und das ist gründlich schiefgegangen. Und so hat er auch die politische Unterstützung aus seiner eigenen Partei, der Kanzlerin, die ihn ja zum Bundespräsidenten gemacht hat, verloren. Und das waren die Gründe, weshalb er zurückgetreten ist und wohl ja auch unausweichlich zurücktreten musste.
    Heinemann: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geht in einem Kommentar heute noch weiter. Sie sagt, er sei gescheitert, weil er den hohen Ansprüchen, die er bei einem Bundespräsidenten, in Klammern Johannes Rau zum Maßstab gemacht hatte, selbst nicht gerecht wurde. Würden Sie das auch so sehen?
    Thierse: Das stimmt schon. Ich erinnere mich ja an das harsche moralische Urteil von Christian Wulff über Johannes Rau, als der in Schwierigkeiten war. Und er hat damals eben Maßstäbe formuliert, unter denen er dann hindurchgelaufen ist. Das ist so, das öffentliche Gedächtnis ist unerbittlich, wenn man selber auf eine unangenehme Weise öffentlich moralisiert, dann kommen die Folgen später nach, und man wird eingeholt davon.
    Staatsanwaltschaften nicht die "Scharfrichter der Nation"
    Heinemann: Herr Thierse, wenn man sich Ursache und Wirkung gleichwohl noch mal anschaut, dann muss man sagen, eine Staatsanwaltschaft hat den Bundespräsidenten gestürzt, grundlos, wie wir heute wissen. Was folgt daraus?
    Thierse: Das ist nicht so leicht zu sagen. Ich hoffe sehr, dass einerseits die Staatsanwaltschaften lernen, dass sie sozusagen nicht die Scharfrichter der Nation sind, sondern dass sie sich sehr nüchtern, sehr korrekt an Recht und Gesetz zu halten haben. Sie haben die Pflicht, Verdächtigungen nachzugehen, aber sie müssen das auch mit Augenmaß tun. Und dasselbe gilt noch in einem viel größeren Ausmaß für die Medien, denn auch Staatsanwaltschaften, auch Juristen reagieren auf öffentliche Urteile, auf öffentliche Vorverurteilungen und können sich dem nicht ganz entziehen. Also müssen wir mindestens genauso über die Rollen der Medien reden.
    Heinemann: Kommen wir noch zu. Andererseits wollen wir aber auch keine schüchternen Staatsanwaltschaften.
    Thierse: Das ist richtig. Aber trotzdem, Augenmaß bleibt vernünftig und notwendig. Wir haben nichts von wildgewordenen Staatsanwälten, die sich selber nun wiederum wie Halbgötter aufführen.
    Heinemann: Also blicken wir auf die Medien, Herr Thierse. Ist der Freispruch für Wulff ein Schuldspruch für die Medien?
    Thierse: Ich habe eine ganze Reihe von Journalisten gehört, die das so auch gesagt haben. Aber ich bin ganz neugierig. Schon in den ganzen vergangenen Monaten gab es selbstkritische Äußerungen von Journalisten über ihr eigenes Metier im Zusammenhang mit dem Wulff-Prozess. Ich habe nicht den Eindruck, dass daraus irgendetwas folgt, das Verhalten von Journalisten, von Medien sich deutlich ändert, wie man am Fall Edathy schon sehen kann.
    "Recht auf Verschwiegenheit, Intimität?"
    Heinemann: Was kritisieren sie daran?
    Thierse: Auch da geht es ja ganz schnell. Schnelle Verdächtigungen, schnelle Verurteilungen - die Härte der Konkurrenz unter den Medien führt ja dazu, dass es eine unerhörte Tempobeschleunigung gibt, und die Zeit, etwas genau zu überprüfen, zu recherchieren, unterschiedliche Gesichtspunkte beizubringen, diese Zeit hat so rapide abgenommen. Und wenn das Medium A etwas mitteilt und behauptet, dann müssen die anderen Medien sofort hinterherrennen. Das führt nicht zu verstärkter Seriosität und Differenzierung.
    Heinemann: Aber Herr Thierse, da spielen doch die Politiker mit. Um Christian Wulff wurde es sehr schnell einsam, wie heute um Sebastian Edathy, und die SPD-Fraktion könnte ja heute sagen, statt wir schmeißen dich raus, wir helfen dir und wir kümmern uns um die Opfer, nämlich um die Kinder. Hört man nix.
    Thierse: Zunächst einmal, selbstverständlich spielen Politiker daran mit. Ich halte das für ein Problem, dass der Streit unter Politikern weniger als Sachstreit stattfindet, sondern eben sie sich beteiligen an Verdächtigungen und Schuldzuweisungen, an harschen Urteilen. Das halte ich für falsch. Und im Übrigen, Sebastian Edathy ist zurückgetreten und er hat etwas eingestanden, was in unserer Gesellschaft zum Glück als problematisch betrachtet wird. Dass da eine Partei durchaus auch reagieren muss und mitteilen muss, dass wir das nicht ganz doll finden, was du getan hast, um es mal jetzt sehr nett auszudrücken - so weit so gut. Aber ob im Übrigen Edathy geholfen wird, das ist selber etwas, was natürlich nicht in die Öffentlichkeit gehört. Also, das ist vielleicht einer der wichtigsten Punkte: Muss alles, wie es der verständliche Wunsch von Journalisten ist, alles sofort und schnell und schonungslos an die Öffentlichkeit? Oder gibt es nicht um der Menschen willen auch ein Recht auf Verschwiegenheit, auf Intimität? Ich hab den Eindruck, dass Journalisten das gerade bei Politikern auf keine Weise zulassen wollen. Wehe, einer hat etwas tagelang oder wochenlang oder monatelang nicht öffentlich mitgeteilt, dann wird er sofort des Lügens bezichtigt.
    "Hysterisierung der politischen Kommunikation"
    Heinemann: Ist die Frage, wie man damit umgeht, wenn das Kind nun mal im Brunnen ist. Ein Satz aus einem Kommentar der "Süddeutschen Zeitung" heute: "Die Empörungskultur haben nicht nur die Empörer allein zu verantworten, sondern auch jene, die ihnen nichts entgegensetzen."
    Thierse: Das stimmt schon. Ich glaube, dass wir doch in diesem Lande leiden unter einer Hysterisierung der politischen Kommunikation. Wie schnell wird geschrieben, sowohl von Journalisten wie von Politikern, dass es sich eben um einen "Abgrund an Staatsversagen" halten. Es gibt einen Überbietungswettbewerb an Skandalisierung - das tut alles nicht gut. Also, nüchternes, ruhiges Argumentieren und im Übrigen auch gelegentlich zulassen, dass nicht alles sofort an die Öffentlichkeit gezerrt werden muss. Das muss nicht Lüge sein, sondern das kann manchmal auch genauerem Urteil dienen.
    Heinemann: Herr Thierse, wie wichtig ist gleichwohl für die politische Hygiene des Landes die Angst, erwischt und in den Medien dadurch auch gegebenenfalls bloßgestellt zu werden?
    Thierse: Ja, Angst ist ja sowieso nicht des Teufels, sondern das ist ja ganz hilfreich, dass man Angst nicht nur vor Enthüllung, sondern Angst auch vor falschen Entscheidungen, Angst davor, dass man Schaden anrichtet. Das kann ein ganz guter Lehrmeister sein, das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber ich halte es für ein durchaus problematisches Selbstverständnis der Medien, wenn sie von sich denken, sie seien nicht einfach nur kritische Begleiter von Politik, deren Kontrolleure, sondern sie müssten selber Opposition sein, also gewissermaßen politische Partei. Jetzt zum Beispiel müssten Medien, müssten Journalisten Gegner der große Koalition sein, weil ja die Opposition so schwach ist. Als sei das etwas Unanständiges, dass es eine große Koalition gibt. Sie ist schließlich das Ergebnis von Wahlen. Also, da würde ich auch denken, dass das Selbstverständnis von Journalisten und Medien ein bisschen kontrollierter sein sollte.
    Wullf sollte sich aus der Politik zurückziehen
    Heinemann: Unterm Strich, was bleibt von Christian Wulffs Präsidentschaft?
    Thierse: Offensichtlich nicht viel, sie war ja hinreichend kurz, und sie ist vollkommen überdeckt durch deren Ende, und ich wünsche mir sehr, dass er nicht jetzt den Versuch macht, wieder in die Politik zurückzukehren, es gibt anständige Berufe, zum Beispiel den des Rechtsanwaltes, das ist seiner. Die meisten Menschen in diesem Lande gehen solchen normalen Berufen nach, und nicht alle müssen in die Politik drängen.
    Heinemann: Wolfgang Thierse, SPD, der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Thierse: Auf Wiederhören, Herr Heinemann!
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