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Wulff: Sperrminorität bei VW ist jedem Aktienkäufer bekannt

In der Diskussion um die Novelle des VW-Gesetzes gilt nach den Worten des niedersächsischen Ministerpräsident Christian Wulff zunächst deutsches Recht. Kernpunkt ist die Frage, wie viel Stimmrecht ein Aktionär maximal ausüben darf. Die EU erachtet diese Grenze von derzeit 20 Prozent bei VW für nicht vereinbar mit europäischem Recht. Sie behindere den freien Kapitalverkehr.

Christian Wulff im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Mit den beiden Buchstaben, die Volkswagen berühmt gemacht haben, ist auch schon eines der gegenwärtigen Probleme beschrieben. Niedersachsen möchte auch künftig ziemlich "viel" mitreden können im Konzern. Hannover steht also für das "V". Das "W" vertritt Brüssel: möglichst "wenig" staatliche Einflussnahme in Unternehmen. Für die EU-Kommission ist das geplante neue VW-Gesetz vor allem ein V-Gesetz. Das heißt, Hannover hat nach Brüsseler Lesart immer noch zu viel zu sagen. Deshalb abermals Klage. Dabei haben die Richter schon einmal über "V" und "W" geurteilt.
    Am Telefon ist Christian Wulff (CDU), der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Guten Morgen!

    Christian Wulff: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Wulff, wird Niedersachsen weitere VW-Anteile kaufen?

    Wulff: Wir könnten es, wenn wir müssten, aber es gibt keine Veranlassung dazu, da wir ja 20 Prozent der Aktien an Volkswagen haben und das nach Satzung und Gesetz und nach unserer Überzeugung auch rechtmäßig weiterhin die Sperrminorität sichert. Wären es 25 Prozent, müssten wir zukaufen, aber es sind 20 Prozent und das ist mit dem europäischen Recht vereinbar.

    Heinemann: Und wenn dieses Gesetz kassiert wird?

    Wulff: Die Europäische Kommission hat ja das VW-Gesetz angegriffen und der Europäische Gerichtshof hat dazu eine Entscheidung getroffen. Der Gerichtshof hat gesagt, die Höchststimmrechtsbeschränkung (das heißt, dass ein Aktionär, der über 20 Prozent hat, nur 20 Prozent der Stimmen hat) nicht zulässig ist. Das ändern wir jetzt in der Satzung und beim Gesetz. Der Europäische Gerichtshof hat auch gesagt, dass die Entsendemandate des Landes nicht weiter Bestand haben. Dies wird jetzt auch geändert. Das bedeutet eine große Zäsur für Volkswagen, denn bereits auf der letzten Hauptversammlung hatte Porsche die absolute Mehrheit und die Vertreter des Landes Niedersachsen sind von der Hauptversammlung, also auch von Porsche gewählt worden. Das bedeutet eine gewaltige Veränderung für den Konzern. Das einzige, was geblieben ist, ist die Sperrminorität und die ist auch nicht angegriffen vom Gerichtshof, sondern er hat nur bemängelt das Zusammenwirken von Höchststimmrecht und Stimmrechtsbeschränkung. Die Frage der Sperrminorität ist deutsches Recht, Aktienrecht. Es heißt in Paragraph 179 des Aktiengesetzes, dass generell die Sperrminorität 25 Prozent ist. Sie kann aber auch höher sein. Sie kann auch niedriger sein. Bei Porsche beispielsweise ist sie höher mit 33 Prozent. Bei Volkswagen ist sie niedriger mit 20 Prozent. Das ist rein nationales Recht. Das ist nicht europäisch harmonisiert und hier hat die europäische Ebene keine Zuständigkeit.

    Heinemann: Gleichwohl: Wie würde Niedersachsen reagieren, sollte dieses Gesetz, würde das Urteil nicht in Ihrem Sinne ausfallen?

    Wulff: Es ist so, dass die Europäische Kommission sich überhaupt noch nicht befasst hat mit dem Gesetz, was jetzt in Deutschland beraten wird. Die Kommission hat mitgeteilt bekommen, dass es in der Beratung ist. Das wird Ende des Jahres beschlossen sein vom Bundestag und Bundesrat. Und dann wird sich die Kommission damit befassen müssen. Ich denke, dass Kommissar McCreevy hier voreingenommen festgelegt ist, aber die Kommission wird ihm nicht unbedingt folgen und das Gericht ist ihm beim letzten Mal schon nicht gefolgt.

    Heinemann: Wieso ist der Mann voreingenommen?

    Wulff: Weil er von Anfang an erklärt hat, er will überhaupt keine Regelungen akzeptieren, die in irgendeiner Form in Deutschland zu Volkswagen beschlossen sind. Das widerspricht aber der Entstehungsgeschichte von Volkswagen. Es gibt einen Vertrag zwischen dem Land und dem Bund von 1959 mit einer Patronatserklärung. Das war im Zusammenhang mit der Privatisierung von Volkswagen damals zur Klärung der ungeklärten Eigentumsverhältnisse an Volkswagen. Das Werk war nach dem Krieg wieder aufgebaut worden. Die Frage war: gehört es zum Teil den Gewerkschaften und deren Pensionsvermögen? Gehört es dem Land, dem Bund? Wem gehört Volkswagen eigentlich? Und in Folge dessen sind diese Regelungen getroffen worden, mit denen Volkswagen bis heute eine Erfolgsgeschichte darstellt. Ich meine, Volkswagen ist auf dem Weg, der Drittgrößte zu sein, der Zweitgrößte in der Welt zu werden, und hat eine Chance, Größter bis 2018, 2020 in der Welt zu werden. Das heißt, eine solche Erfolgsgeschichte, die sollte Deutschland auch etwas wert sein. Die sollte Deutschland auch verteidigen. Da geht es um Gewinne und Arbeitsplätze und beides ist gleichrangig wichtig.

    Heinemann: Herr Wulff, Sie haben gerade die Geschichte dieses Gesetzes erklärt. Nun leben wir inzwischen in der Europäischen Union und für die EU-Kommission ist der Grundkonflikt nicht gelöst. Niedersachsen besitzt 20 Prozent an VW und fordert das Vetorecht, für das 25 Prozent erworben werden müssten. Für die EU-Kommission heißt das, vor dem Aktienrecht sind alle gleich, nur Ihr Bundesland etwas gleicher.

    Wulff: Alle Aktionäre bei Volkswagen sind gleich, die 20 Prozent haben. Es gibt keine Begünstigung von Niedersachsen. Es gibt keine Benachteiligung eines anderen Aktionärs. Es konnten immer von allen Aktien erworben werden, was sich auch daran zeigt, dass Porsche Volkswagen übernommen hat. Die Grundthese der Kommission, das VW-Gesetz hindere Investoren einzusteigen, hätte eine abschreckende Wirkung - das war ja alles vorgetragen worden -, sind ja durch die Realitäten ins Gegenteil verkehrt worden. Nein: wer bei Porsche Aktien kauft weiß, dass die Sperrminorität 33 Prozent ist, weil die Familien Piech und Porsche sich gegenseitig nicht überstimmen können müssen. Und wer bei Niedersachsen einsteigt, kenn die Satzung seit Gründung des Unternehmens und die Satzung ist älter als das Gesetz. Wer bei Volkswagen Aktien kaufte wusste, dass es die Satzung gibt, dass es die Sperrminorität gibt, wusste, worauf er sich einstellt. Ich meine, Paragraph 179 des deutschen Aktienrechtes lässt es nun einmal zu, dass man höhere oder niedrigere Sperrminoritäten in der Satzung verankert. Das ist bei VW der Fall. Also hier wird ganz, ganz viel Trommelwirbel gemacht, natürlich auch aus interessierter Seite, über einen Pressesprecher eines Kommissars, ohne dass sich die Kommission überhaupt befasst hätte, und damit wird der Eindruck erweckt, hier sei irgendwas in Brüssel entschieden, was offenkundig nicht der Fall ist. Die Kommission hat sich mit dem VW-Gesetz gar nicht beschäftigen können, weil es noch gar nicht beschlossen ist in Deutschland.

    Heinemann: Trommelgeräusche. Die Gewerkschaften wollen heute lautstark für das VW-Gesetz auf die Straße gehen, damit Brüssel und indirekt auch gegen Zuffenhausen demonstrieren. Dort arbeitet Wendelin Wiedeking, der Porschechef, und der hält auch nichts vom VW-Gesetz. Porsche will VW bald übernehmen. An Wiedekings Stuhl säge gegenwärtig VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech, war in den Zeitungen in diesen Tagen zu lesen. Wünschen Sie Herrn Piech beim Sägen viel Glück?

    Wulff: Das geht mich überhaupt nichts an, was bei Porsche ist. Das ist alleine Sache der Eigentümer von Porsche. Mir ist wichtig, dass wir den einen noch bestehenden Konflikt über die Sperrminorität nun langsam mal aus dem Weg räumen, um uns wieder ums Autobauen und Erzielen von Gewinnen beim Autobau zu unterhalten, denn das sichert die Arbeitsplätze am stärksten. Und natürlich wünscht man sich als Landeschef von Niedersachsen, dass es auch eine Einigung gibt im Streit um die Mitbestimmung zwischen Porsche und VW bei der neuen Mutter der Beteiligung an Porsche und an Volkswagen, und ich bin eigentlich weiterhin zuversichtlich, dass es da eine Einigungsmöglichkeit gibt. Die Arbeitnehmer legen Wert darauf, dass sie für das VW-Gesetz und für die Mitbestimmung demonstrieren und nicht gegen den Großaktionär, den neuen Aktionär und auch nicht gegen Personen wie Herrn Wiedeking, sondern insgesamt unterhält man sich über die Dinge. In den meisten Dingen ist man einer Meinung. Es gibt auch mal Kontroversen. Das ist ein gutes Recht von Arbeitnehmern, auf ihre Belange hinzuweisen und das auch lautstark zu tun. Ich empfehle auch hier ein bisschen Gelassenheit, denn wir sind ja eine Demokratie, wo man auch für seine Rechte, für seine Wünsche und auch für seine Sorgen und Ängste demonstrieren kann. Natürlich haben die Beschäftigten Ängste, dass die Einflüsse von außen die Entwicklung von Volkswagen nicht nur fördern, sondern auch behindern können. Das muss man, finde ich, sehr, sehr ernst nehmen.

    Heinemann: Aber höre ich das richtig, dass Sie näher bei Herrn Piech als bei Herrn Wiedeking sind?

    Wulff: Ich glaube nicht, dass mir das zusteht, da jeweils öffentlich Näheverhältnisse zu dieser und jener Person zu bekunden. Wir unterhalten uns mit den neuen Großaktionären in einem sehr guten Klima und die neuen Großaktionäre sind die Familien Piech und Porsche, das Unternehmen Porsche, das diesen Familien gehört. Bei allem, was in der Öffentlichkeit zerstritten wirkt, ist es hinter den Kulissen natürlich auch in vielen Fragen eine gemeinsame Überzeugung tragend, dass es um die Arbeitsplätze und den Erfolg des Konzerns Volkswagen geht, der für Niedersachsen allerdings eine überragende Bedeutung hat mit rund 160.000 Mitarbeitern, die mittelbar oder unmittelbar von diesem Unternehmen in unserem Land abhängig sind.

    Heinemann: VW gegen Porsche, Piech gegen Wiedeking, Betriebsratschef Osterloh gegen Amtsbruder Hück. Baden-Württemberg hat angekündigt, die Novelle des VW-Gesetzes im Bundesrat zu blockieren. Geht es auch um Wulff gegen Oettinger?

    Wulff: Überhaupt nicht. Wir haben ja eine sehr, sehr gute Beziehung aufgebaut zwischen den beiden Ländern auch, zwischen den Messen Stuttgart Hannover, zwischen den Flughäfen, zwischen den Unternehmen, den Branchen, den Regierungen. Wir haben uns getroffen. Hier ist es einfach so, dass Baden-Württemberg die Position von Porsche als Land des Sitzes von Porsche vertritt, aber der zuständige Bundesratsausschuss hat dem Bundesrat empfohlen (ich glaube mit 13 zu 0 zu 3), dass man das novellierte VW-Gesetz jetzt beschließt. Das setzt das europäische Urteil um. Das streicht die Entsendemandate. Das streicht das Höchststimmrecht. Die Sperrminorität kann bleiben. Das ist ein vernünftiger Kompromiss. Ich gehe davon aus, der wird von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Den wird die Europäische Kommission nicht bemängeln. Und wenn sie es täte nächstes Jahr, dann wir der Europäische Gerichtshof nicht anders entscheiden als beim letzten Mal. Dann ist die ganze Sache ein bisschen wie ein Sturm vorbei gegangen und man kann sich wieder ganz darauf konzentrieren, dass Volkswagen der Größte in der Welt wird.

    Heinemann: Bei VW und Porsche behaken sich die Chefs und auch die Belegschaften. Werden Sie künftig als Friedensstifter arbeiten?

    Wulff: Natürlich fühle ich mich insofern bestätigt, dass wir von Anfang an gesagt haben, wir begrüßen, dass Porsche einsteigt. Wir sehen große Synergieeffekte durch Porsche. Aber es kann Situationen geben, bei denen die Interessen von Volkswagen, von Audi und anderen Marken, nicht identisch sind mit den Interessen von Porsche und da müssen wir darauf achten, dass auch die VW-Interessen angemessen vertreten werden. Darum geht es jetzt in diesem Streit und da sind wir im Moment an der Seite der Arbeitnehmer und weisen darauf hin, dass man hier keine Ängste schüren soll. Das kann auch in anderen Fragen wieder anders aussehen. Ich glaube, ein Land tut gut daran, sich hier sehr zurückzuhalten und generell auch befriedend zu wirken und nicht die Situation anzuheizen.

    Heinemann: Christian Wulff (CDU), der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Wulff: Vielen Dank!