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WWF-Wasseratlas
"Der Gewässer-Zustand in Deutschland ist alarmierend"

Deutschlands Flüsse und Seen befinden sich in keinem guten Zustand. Das geht aus dem neuen Wasseratlas der Umweltorganisation WWF hervor. Zu den Bewertungskriterien zählten etwa Artenvielfalt und Nährstoffvorkommen, sagte Beatrice Claus vom WWF im Dlf.

Beatrice Claus im Gespräch mit Stefan Römermann |
    Die Schlei in Schleswig-Holstein
    Es gibt auch Positiv-Beispiele: In Schleswig-Holstein werden 8.00 Kilometer der Gewässerläufe naturschonend unterhalten (dpa/ Katja Kreder)
    Stefan Römermann: Es gibt Worte, die können sich vermutlich nur Beamte ausdenken. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie gehört ganz sicher mit dazu. Verabschiedet wurde diese Richtlinie schon im Jahr 2000, vor 18 Jahren also, und sie hat die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Wasserqualität in Seen, Flüssen und beim Grundwasser deutlich zu verbessern.
    Wie weit das passiert ist, das hat die Umweltorganisation WWF jetzt mit ihrem Wasseratlas untersucht, der heute Vormittag in Berlin vorgestellt wurde. Vor der Sendung habe ich darüber mit Beatrice Claus vom WWF gesprochen. Sie gehört zu den Autoren der Untersuchung. Ich habe sie gefragt, in welchen Bundesländern die Gewässer Ihrer Daten zufolge besonders dreckig sind.
    "In den 90er-Jahren mehr auf die Chemie geguckt"
    Beatrice Claus: Zunächst einmal muss ich sagen, dass insgesamt der Gewässerzustand in Deutschland alarmierend ist. Nicht mal acht Prozent der Flüsse sind in einem guten Zustand, sondern über 90 Prozent erreichen dieses Ziel nicht.
    Dreckig ist nicht ganz richtig, weil man sagen muss, es geht einmal um die Struktur, welche Gewässerstruktur findet man vor, wie ist die Lebensgemeinschaft zusammengesetzt in diesem Gewässer, und dann letztendlich schon auch, welche Schadstoffe oder wie hoch sind die Schadstoffwerte, die vorkommen, und wie hoch sind die Nährstoffwerte.
    Römermann: Es geht nicht nur darum, ob es stinkt und Gift drin ist, sondern es geht auch darum, ob das ökologisch alles gut und richtig ist, was da passiert in diesem Gewässer?
    Claus: Genau, unbedingt! In den 90er-Jahren hat man mehr auf die Gewässerqualität, auf die Chemie geguckt. Da hatte man noch ganz andere Probleme auch mit den Stoffen und dem wirklich dreckigen Zustand der Gewässer. Das ist verbessert worden durch den Bau von Kläranlagen und durch zum Beispiel auch andere Waschmittel, die kein Phosphat mehr enthalten. Aber wir haben trotzdem diesen schlechten Gewässerzustand, den man oft nicht auf den ersten Blick sieht, weil wir ja nicht sehen, wieviel Nährstoffe in dem Gewässer vorkommen, und wir haben jetzt andere Bewertungsmethoden als die, die in den 90er-Jahren angewendet worden sind. Heute sieht man die Gewässer auch als Ökosystem und prüft, welche Tier- und Pflanzenarten kommen vor, und sind das auch die, die von Natur aus dort vorkommen müssten. Wenn dann festgestellt wird, nein, hier sind Defizite, die Arten haben sich geändert, dann wird das schon mal schlecht bewertet.
    "Wir haben große Nährstoffprobleme"
    Römermann: Obwohl sich die Gewässerqualität an sich seit den 90ern verbessert hat?
    Claus: Das muss man differenziert sehen. Viele chemische Stoffe, die in den 90er-Jahren ein Problem waren, sind heute kein Problem mehr. Wir haben heute neue Probleme mit neuen chemischen Stoffen, die zum Teil noch gar nicht gemessen werden. Wir haben eine Reduktion von Nährstoffen in den Gewässern und dennoch haben wir große Nährstoffprobleme. In zirka 75 Prozent aller Gewässer in Deutschland sind die Grenzwerte für Nährstoffe überschritten.
    Römermann: Wenn wir jetzt über Gewässer reden, reden wir dann vor allem über Flüsse und Seen, oder auch übers Grundwasser, und welche Bereiche machen Ihnen da besonders Sorgen?
    Claus: Wir reden über alle Gewässer. Wir reden auch über Grundwasser. Beim Grundwasser ist es so, dass zirka 36 Prozent aller Grundwasserkörper chemisch belastet sind. Der größte Eintrag sind die Nährstoffe aus der Landwirtschaft.
    Römermann: Das sind dann die Düngemittel vor allem wahrscheinlich?
    Claus: Genau, oder wenn Gülle aufgefahren wird, weil wir ja auch sehr viele Tiere hier haben. Massentierhaltung produziert auch sehr viel Dung, der auf die Flächen aufgebracht wird, und das wird nicht alles wieder von den Pflanzen aufgenommen. Das was zu viel aufgetragen wird, landet am Ende im Oberflächenwasser und dann auch im Grundwasser. Das ist Besorgnis erregend, weil es dauert eine ganze Zeit, bis das im Grundwasser landet. Das was wir heute im Grundwasser finden, ist etwas, was schon vor Jahren auf die Oberfläche aufgetragen wurde, und wir können davon ausgehen, selbst wenn man heute den Eintrag von Nährstoffen abstellen würde, würde im Grundwasser immer noch die Nährstoffbelastung zunächst einmal steigen. Es dauert auch sehr, sehr lange, bis sich so ein Grundwasserkörper wieder saniert hat, bis diese Nitratbelastung abnimmt.
    Babys können unter Nitratwerten sehr zu Schaden kommen
    Römermann: Warum ist denn diese Nitratbelastung im Grundwasser so problematisch?
    Claus: Wir nutzen ja auch in großen Teilen Grundwasser als unser Trinkwasser, und Nitrat im Trinkwasser ist schädlich für den Menschen, insbesondere für Babys. Da gibt es Grenzwerte. Die können unter hohen Nitratwerten sehr zu Schaden kommen.
    Die Trinkwasserindustrie kann das Trinkwasser aufbereiten mit technischen Möglichkeiten, aber das ist natürlich kostspielig, und letztendlich trägt dann am Ende der Verbraucher die Kosten dafür, dass die Landwirtschaft zu intensiv wirtschaftet und die Nährstoffe ins Gewässer einträgt.
    Römermann: Gibt es denn Bundesländer, die vielleicht nicht alles, aber doch ziemlich viel richtig machen?
    Claus: Wir haben ein Ranking gemacht. Da haben wir geguckt, was sind die drei besten, was sind die drei schlechtesten, wer ist im Mittelfeld. Dazu muss man sagen, dass selbst die besten Bundesländer große Defizite haben. Zum Beispiel Schleswig-Holstein steht auf Platz zwei dieser Ranking-Liste. Da sind nur ungefähr zehn Prozent aller Gewässer in einem guten Zustand.
    Römermann: Aber irgendwas läuft da zumindest ein bisschen besser. Lassen Sie uns doch mal auf was Positives schauen.
    Claus: Ja! Schleswig-Holstein ist auch ein gutes Beispiel, weil da von oberster Stelle, vom Ministerium, gleich als die Richtlinie ins Leben gerufen wurde, 2000, hat man mit den Unterhaltungsverbänden, den Landwirten, die zuständig sind für die Unterhaltung von kleinen Gewässern, sich zusammengetan, hat Umweltverbände beteiligt und andere regionale Akteure, und hat ein Pilotprojekt gestartet, wie muss eine Gewässerunterhaltung aussehen, damit die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie, damit es auch ökologisch wieder wertvoller wird, und die landwirtschaftlichen Bedürfnisse unter einen Hut gebracht werden können. Das Ergebnis ist, dass von den 20.000 Kilometern kleiner Gewässerläufe in Schleswig-Holstein 8800 Kilometer heute sehr naturschonend unterhalten werden oder gar nicht, und das ist natürlich ein großer Gewinn.
    Römermann: Was heißt das konkret? Was ist da anders?
    Claus: Die Landwirte räumen die Gewässer aus. Das heißt, sie baggern sie regelmäßig aus, damit das Wasser besser abfließen kann, damit die Flächen besser entwässert werden können. Bei diesem Ausbaggern werden die Tiere, die dort leben, aus dem Gewässer ausgetragen. Die Pflanzen werden aus dem Gewässer entnommen und sterben dann ab, und dann hat man ein Gewässer mit nur sehr, sehr wenig Pflanzen und sehr, sehr wenig Tieren, und wenn es sich gerade wieder regeneriert hat, dann wird es wahrscheinlich schon wieder unterhalten, damit die Fläche, die daran angrenzt, besser entwässert werden kann.
    Erfolge der Wasserrahmenrichtlinie
    Römermann: Klingt jetzt im ersten Moment nicht wahnsinnig umweltfreundlich, wenn man irgendwelche Gewässer ausbaggert. Bei der Elbe protestieren Sie ja immer dagegen.
    Claus: Ich habe das, glaube ich, nicht zu Ende dargestellt. Das ist das, was normalerweise stattfindet mit diesem Ausbaggern. Das Gute ist jetzt, dass man dieses Ausbaggern drastisch reduziert hat und dass es jetzt Gewässerstrecken gibt, die gar nicht mehr ausgebaggert werden. Das ist der Erfolg der Anwendung der Wasserrahmenrichtlinie.
    Römermann: Okay, ich verstehe. – Was müssten denn alle Bundesländer oder die meisten Bundesländer dringend besser machen, wenn Sie da ein oder zwei Dinge nennen würden?
    Claus: Die Bundesländer müssten die landwirtschaftliche Intensität auf den Flächen reduzieren. Das heißt, sie müssten die Düngeverordnung strenger anwenden. Die reicht so noch gar nicht aus. Sie müssten ein Augenmerk darauf haben, was macht die Landwirtschaft in ihrem Land und stimmt dort die Nährstoffbilanz, oder werden durch die Landwirtschaft zu viele Nährstoffe in die Gewässer eingetragen. Dann muss sie da auch tätig werden.
    Dann gibt es viele Querbauwerke an den Gewässern, wo die Fische nicht passieren können. Die müssen durchgängig gemacht werden für Fische.
    Römermann: Diese berühmten Fischtreppen gebaut werden, oder?
    Claus: Ja, zum Beispiel. Gerade auch in kleineren Gewässern gibt es kleinere Siele, die einfach umgebaut werden müssten, möglicherweise anders gesteuert werden müssten. Und dann (ganz wichtig) brauchen wir große Renaturierungsmaßnahmen. Das heißt, es müssen auch Flächen erworben werden und es muss organisiert werden, dass Flächen zur Verfügung stehen, um den Gewässern auch wieder mehr Raum zu geben, damit sich nicht nur der Wasserlauf, sondern auch ein kleines Überschwemmungsgebiet mit Ufergehölzen entwickeln kann, weil das für das Fluss-Ökosystem zusammengehört, das Ufer und das Gewässer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.