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Yüksel (SPD) zu Macrons Syrien-Kurs
"Durchaus klug, sich in den Konflikt einzumischen"

Serdar Yüksel (SPD) hat den Vorschlag von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron begrüßt, in Syrien vermitteln zu wollen. Das sei ein "intelligenter und kluger Schachzug eines europäischen Politikers", sagte er im Dlf. Zulange sei vonseiten der EU zum völkerrechtswidrigen Vorgehen der Türkei in Syrien geschwiegen worden.

Serdar Yüksel im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Syrisch-arabische Kämpfer in einem Fahrzeug nach Einnahme der syrischen Stadt Afrin am 18.März 2018. Nach einer von Ankara geführten zweimonatigen Offensive haben protürkische Rebellen die Stadt von der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG übernommen.
    Den Vorwurf Erdogans, Franreich würde mit seinem Vorschlag, in Syrien vermitteln zu wollen, Terroristen unterstützen, nannte der SPD-Politiker Serdar Yüksel im Dlf "absurd" (Nazeer al-Khatib / AFP)
    Jürgen Zurheide: So weit der Bericht von Mark Hoffmann – was dahintersteckt, wissen wir nicht. Was wir allerdings wissen, ist, dass zum Beispiel der französische Präsident Macron sich in diesen Tagen anders geäußert hat. Er hat gesagt, wir wollen uns mehr engagieren. Er hat gesagt, wir wollen uns mehr engagieren im Syrien-Konflikt. Ob es da Zusammenhänge gibt, können wir im Moment noch nicht deuten.
    Aber all das wollen wir bereden und vor allen Dingen natürlich auch fragen, wie ist denn die Lage der Kurden im Moment, die unter heftigem Druck stehen auch der Türken? Dazu begrüße ich jetzt am Telefon Serdar Yüksel, sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen, und ich sage zunächst einmal, guten Morgen, Herr Yüksel!
    Serdar Yüksel: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Wie bewerten Sie, beginnen wir damit, weil wir da eher vielleicht wissen, was gemeint ist, mit dem Vorstoß von Präsident Macron, der ja immerhin Kurden empfangen hat in dieser Woche in Paris. Wie bewerten Sie das?
    Yüksel: Ich finde das einen intelligenten und klugen Schachzug eines europäischen Politikers. Ich meine, dass zu lange geschwiegen worden ist seitens der europäischen Politiker über das, was in Syrien im Moment passiert. Die Türkei führt da einen völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien. Es hat aus Deutschland vorsichtige Kritik in der Regierungserklärung von Frau Merkel gegeben. Die Ankündigung von Trump, die Soldaten aus Manbidsch und anderen Teilen Syriens nun abzuziehen, führt natürlich auch dazu, dass dann das Vakuum, das dort entsteht, wahrscheinlich durch Frankreich gefüllt werden soll. Das ist aus meiner Sicht durchaus ganz klug, sich in den Konflikt auch einzumischen und die Kurden dort nicht auf dem Altar dessen, was sie sonst immer in der Geschichte so erleben, auch zu opfern.
    "Es ist völlig absurd, Frankreich Terrorunterstützung vorzuwerfen"
    Zurheide: Kommen wir zunächst, bevor wir das weiter vertiefen, zu der Frage: Herr Erdogan hat ja außerordentlich heftig reagiert auf das, was die Franzosen gesagt haben. Er wirft den Franzosen Terrorunterstützung vor. Sie sehen das naturgemäß anders. Wie begründen Sie das?
    Yüksel: Ich meine, das ist nun wirklich völlig absurd. Frankreich hat so viele Terroranschläge in den letzten Jahren erleben müssen mit ganz vielen Opfern. Noch vor Kurzem haben wir einen Terroranschlag gehabt. Es ist völlig absurd, Frankreich Terrorunterstützung vorzuwerfen. Ganz im Gegenteil, und umgekehrt wird ein Schuh draus. Die kurdischen Kräfte haben seit 2013 auf dem Boden ganz effektiv gegen die islamistischen Gruppierungen und gegen den sogenannten "Islamischen Staat" gekämpft und haben eigentlich die europäischen Sicherheitsinteressen dort auch vertreten, indem sie effektiv am Boden gegen die islamistischen Gruppierungen gekämpft haben. Und deswegen ist die Kritik völlig absurd. Einem Staat wie Frankreich, das so viele Terroropfer zu beklagen hatte in den letzten Jahren, solch einen Vorwurf zu machen, ist aus meiner Sicht nicht nur unhaltbar, sondern völlig absurd.
    "Das wäre natürlich eine riesengroße Katastrophe"
    Zurheide: Wie werten Sie denn jetzt diese Trump-Ankündigung, wenn es denn eine war – glauben Sie, dass das eher so zufällige Dinge sind? Was würde der Rückzug der Amerikaner zunächst mal bedeuten, wenn niemand in die Bresche springt, zum Beispiel eben Frankreich, wie sie gerade angedeutet haben – aber sicher ist das nicht. Die Menschen in Manbidsch zum Beispiel sind in heftiger Sorge, oder?
    Yüksel: Ja. In Afrin hat es natürlich durch den völkerrechtswidrigen Krieg der Türken erhebliche zivile Opfer gegeben. Wir erleben bis heute in Afrin, das ist das, was ich aus der Stadt auch höre über die Kontakte, die ich habe, kommt es immer noch zu ganz massiven Plünderungen. Die Leute sind da völlig verängstigt. Hunderttausende sind dort auf der Flucht. Und man muss einfach wissen, dass in Nordsyrien, in Kurdistan viele hunderttausende Menschen verschiedener Ethnien und verschiedener Religionen Schutz gefunden hatten.
    Und sollte Trump seine Ankündigung wahr machen und seine Kräfte aus Manbidsch abziehen, dann würde man die Kurden dort für vogelfrei erklären, und das ist das Bestreben der Türkei. In vielen Gesprächen – der Außenminister, Verteidigungsminister, der Sicherheitsberater waren in letzter Zeit relativ häufig in Washington, und in Ankara gab es Treffen – sollte das Teil eines Deals mit der Administration Trumps sein, dann ist es aus meiner Sicht umso verwerflicher, zumal auch die kurdischen Kräfte aufseiten der Amerikaner gegen die verschiedenen islamistischen Gruppierungen in Syrien auch gekämpft haben. Das wäre natürlich eine riesengroße Katastrophe, im Übrigen auch für die Zivilbevölkerung, die im Norden von Syrien nach wie vor auch noch Schutz genießt, multiethnisch und multireligiös geschützt sind in dieser Region.
    "Die Türkei wird versuchen, in dieser Region weiter Fuß zu fassen"
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade gesprochen – gibt es da möglicherweise im Hintergrund irgendwelche Deals? Die Russen haben wir bisher noch gar nicht beleuchtet. Was steckt denn da dahinter? Die Türken könnten vielleicht mit den Amerikanern zusammen irgendetwas gemacht haben. Wobei eigentlich haben die Türken in der Vergangenheit ja versucht, mit Russland gemeinsam gegen den Westen zu gehen. Oder haben Sie Indizien dafür, dass sich das gerade auch wieder auflöst?
    Yüksel: Es gibt einen Streit zwischen der Türkei, der NATO und den USA über die Flugabwehrraketen S400, die in Russland bestellt worden sind, die nicht NATO-kompatibel sind. Es gibt erheblichen Druck aus den USA gegenüber der Türkei, diese Flugabwehrraketen zu stornieren. Die Türkei denkt überhaupt nicht daran. Nach dem Abschuss des russischen Flugzeugs haben sich die Verhältnisse zwischen der Türkei und Russland weitgehend normalisiert. Es gibt eine enge Zusammenarbeit gerade auf dem Sektor der Energiewirtschaft zwischen der Türkei und Russland.
    Aber natürlich spielt das, was da im Moment in Syrien passiert, Russland und Syrien und Assad auch in die Hände, weil die Amerikaner komplett als Player in dieser Region in Syrien natürlich auch ausgeschaltet werden und am Ende dann Russland, Iran und Syrien schon Interesse daran haben, dass die Türken erst einmal da sind. Und ich glaube, wenn Putin von Erdogan fordern wird, seine Truppen wieder zurückzuziehen oder abzuziehen, dass es dann auch einen Deal mit Russland geben könnte.
    Aber ich glaube dennoch, dass die Türkei länger wird in Syrien bleiben wollen. Sie sprechen ja immer von einer Pufferzone auf einer Länge von 911 Kilometern bis zu 150 Kilometer in das Land hineinragend. Und ich glaube, dass die Türkei versuchen wird, in dieser Region weiter Fuß zu fassen mithilfe der islamistischen Gruppierungen, Kämpfer, die sie ja zum großen Teil hier in Idlib konzentriert hat.
    Zurheide: Das heißt aber doch unterm Strich, wir kommen genau dazu, was Sie vorhin schon mal angedeutet haben: Die Kurden werden wieder mal auf dem Altar der internationalen Interessen geopfert, oder?
    Yüksel: Ja, definitiv. Das ist so. Das erleben wir übrigens auch im Nordirak. Auch da hat Erdogan angekündigt, militärisch zu intervenieren. Es sind 20 Dörfer in den letzten Tagen angegriffen worden, auch mit zivilen Opfern. Die Türkei hat dort massive Fluchtursachen jetzt auch wieder an den Tag gelegt oder dafür gesorgt, dass Menschen wieder fliehen müssen, dass Zivilisten gestorben sind. Und man hört sozusagen bis auf Frankreich auch aus der Europäischen Union oder gegenüber einem NATO-Partner keinerlei Kritik. Und dieses Schweigen der westlichen Gemeinschaft ist einfach wirklich nur beschämend.
    Zurheide: Jetzt kommen wir gerade auf das – was kann denn die westliche Gemeinschaft machen? Sie haben gerade gesagt, die Amerikaner ziehen sich dann möglicherweise zurück. Das heißt, die Russen sind ein wichtiger Spieler. Unser Verhältnis zu den Russen ist aber gerade so, wie es ist, was wir anhand der Affäre um Skripal ja wieder sehen. Und die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten deutet nicht darauf hin, dass man da Gesprächsfäden knüpft. Was könnte und müsste Europa denn eigentlich tun?
    Yüksel: Es ist nicht klug, Wandel durch Abschottung oder Wandel durch Konfrontation in der europäischen Politik zu betreiben. Klug wäre natürlich, und das müssen alle, die in Europa im Moment auf Konfrontationskurs gegenüber Russland auch sind, verstehen, dass eine Lösung dieser Probleme gerade des Mittleren und Nahen Ostens nur mit Russland und nicht gegen Russland stattfinden kann.
    Und ich finde das natürlich schon sehr bemerkenswert, ohne dass es handfeste Beweise gibt, dass tatsächlich Russland hinter diesem Giftanschlag in Südengland steht, solche Sanktionen vorzunehmen, Diplomaten auszuweisen. Dann fragt man sich allen Ernstes, bis wohin soll das dann noch gehen, wenn irgendwann die diplomatischen Instrumentarien dann auch mal erschöpft sind. Es wäre klug, wenn man jetzt den Pfad der Konfrontation verlässt, mit Russland gemeinsam versucht, dort eine Lösung hinzubekommen. Aber wir dürfen nicht vergessen, die Türkei ist NATO-Partner, sie ist Beitrittskandidat zur Europäischen Union, sie befindet sich in Zollunion mit Europa. Und wir liefern oder haben in der Vergangenheit geliefert erhebliche Waffensysteme, mit denen dieser Krieg auch in Syrien geführt worden ist.
    Und das alles zeigt auch, dass Europa und insbesondere Deutschland eine besondere Verantwortung für die Kurden in Syrien hat. Man darf sich da einfach keinen schlanken Fuß machen und sagen, wir haben da keine Aktien im Spiel im Mittleren und Nahen Osten, das sind die Amerikaner, das sind die Russen. Das würde sich die deutsche Außenpolitik auch sehr einfach machen, wenn das die Sicht der Interpretation wäre.
    "Das Pulverfass wird in beiden Regionen größer werden"
    Zurheide: Jetzt kommen wir zum Schluss noch mal auf die Kurden selbst. Was können die denn beitragen? Können die irgendwas beitragen oder sind sie wirklich nur in Anführungsstrichen in der Rolle, die wir gerade gesehen haben, als Opfer? Oder können auch die Kurden vielleicht dafür sorgen, dass bestimmte Kräfte, die hier als terroristisch bezeichnet werden, dass die zurückgedrängt werden?
    Yüksel: Wichtig wird natürlich sein, dass dieses überparteiliche Bündnis der SDF, und das sind ja eben nicht nur Kurden, das sind nämlich auch Araber und auch christliche Milizionäre, die sich unter dem Dach der SDF hier auch organisiert haben. Das heißt, wenn wir von Manbidsch oder auch Afrin sprechen, sprechen wir nicht ausschließlich von den Kurden, sondern wir sprechen auch von christlichen und arabischen Milizen, die eben für ein multiethnisches und multireligiöses Rojava oder im Norden von Syrien stehen, wo in der Vergangenheit Millionen Menschen Zuflucht gefunden haben. Und deshalb wird dieser Prozess ohne die Hilfe des Westens und ohne eine Moderation des Westens wird es dazu führen, dass es eine militärische Lösung seitens der Türkei gibt. Sie hat angekündigt, alle Kurden aus Syrien zu vertreiben, hat auch angekündigt, auch im Nordirak einzumarschieren. Das heißt, das Pulverfass wird in beiden Regionen größer werden. Und wenn die Türkei da nicht gestoppt wird, dann werden wir in der Zukunft ein verheerendes Ergebnis haben mit einer weiteren Destabilisierung der Region. Und das haben wir dann einem NATO-Partner und einem Beitrittskandidaten der Europäischen Union zu verdanken.
    Zurheide: Das war Serdar Yüksel, sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen, im Deutschlandfunk. Herr Yüksel, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!
    Yüksel: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.