Donnerstag, 25. April 2024

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Yves Tumor mit "Heaven for a tortured mind"
"Die Darstellung des Anderen"

Der US-amerikanische Musiker Sean Bowie alias Yves Tumor ist eine rätselhafte Person. Wenig ist über ihn bekannt. Auch seine Musik ist unkonventionell und bewegt sich spielerisch zwischen den Genres. Lange war er auf der Suche nach seinem eigenen Sound, den er jetzt gefunden hat.

Raphael Smarzoch im Kollegengespräch mit Christoph Reimann | 04.04.2020
Yves Tumor posiert in einem weißen Anzug. Er trägt eine Rothaarperücke
Verkleidet sich gerne: Der Musiker Sean Bowie alias Yves Tumor (Jordan Hemingway)
Christoph Reimann: Yves Tumor gibt sich gerne rätselhaft. Auf Fotos, zeigt er selten sein Gesicht. Interviews gibt es nur wenige. Ja, und selbst die, die es gibt, stecken oft voller ambivalenter Aussagen. Auch seine Musik ist unkonventionell, bewegt sich spielerisch zwischen verschiedenen Genres hin und her. Seit gestern, da gibt es etwas Neues von Yves Tumor, nämlich das Album "Heaven To A Tortured Mind". Das klingt auf jeden Fall wild. Corso-Redakteur Raphael Smarzoch, der hat sich das komplette Album angehört für uns. Yves Tumor, der macht gerne auf großes Geheimnis. Aber na ja, so ein paar Dinge weiß man doch oder?
Auf der Suche nach seinem Sound
Raphael Smarzoch: Genau, also hinter Yves Tumor, da verbirgt sich nämlich der afroamerikanische Musiker Sean Bowie, der eine wirklich recht umfangreiche musikalische Karriere vorzuweisen hat. Und diese Karriere, die begann schon in den frühen Nullerjahren, nämlich unter dem Namen Teams. Und wenn man sich so die alten Tracks anhört, die er unter dem Namen Teams komponierte, merkt man, wie er auf der Suche nach einem Sound war. Zum einen schrieb er so experimentelle Club-Tracks, zum anderen eben auch so verwaschene Rock-Sounds zwischen schlafwandlerischem Pop und Klängen, die an das Shoegazer-Genre erinnern, also so Bands wie My Bloody Valentine zum Beispiel. Und ich glaube, es ist auch noch wichtig zu erwähnen, in welchem Umfeld seine musikalische Identität sich formte. Er tourte nämlich zu Beginn seiner Karriere mit James Ferraro oder war auch eben eng mit DJ Total Freedom befreundet, dessen Einfluss bis heute auch in der Clubmusik zu hören ist. Und aus diesem Gemenge, da entstand eben Yves Tumor heraus. Zu Beginn recht experimentell, also "Experiencing The Deposit Of Faith" und "Serpent Music", seine ersten Alben, da arbeitete er mit Einflüssen aus der Minimal Music zum Beispiel. Es gab Feldaufnahmen zu hören oder er setzte Samples und Elektronik ein.
Reimann: Das klingt aber nach einem Musiker auf der Suche, also auf der Suche nach einem Sound. Wie ist das jetzt auf der neuen Platte?
Saftige Schlagzeug- und Bass-Grooves
Smarzoch: Diesen Sound hat er auf "Heaven To A Tortured Mind" tatsächlich gefunden, aber man muss auch sagen, es ist eine Weiterführung von "Safe In The Hands Of Love" aus dem Jahr 2018. Die Basis der Musik, die besteht wieder aus saftigen Schlagzeug- und Bass-Grooves, und ich musste immer auch ein wenig an Big Beats denken, sehr britisch das Ganze. Und eine Band wie Unkle zum Beispiel, die kommt mir da auch in den Sinn. Es gibt aber auch, und dann wird das Ganze sehr eklektisch, so Anleihen an Glam-Rock, R'n'B und natürlich auch Hip-Hop, aber auch 90s-Alternative-Rock-Sounds oder was damals unter diesem Stiletikett "Alternativ" so zu hören war. In dem Track "Kerosin" da klingt die Sängerin Diana Gordon wirklich wie Alanis Morissette.
Reimann: Ein Ausschnitt aus der neuen Platte von Yves Tumor, eine Platte offenbar mit vielen historischen Referenzen. Aber was bindet denn jetzt seinen Sound an den Zeitgeist?
Fantasy-Wesen mit mythologischem Background
Smarzoch: Das ist zum einen so sein Umgang eben mit Sounds im Sinne eines alternativen Blicks auf die Musikgeschichte, die von jemandem durchdrungen wird, der sich auch der Unmöglichkeit bewusst ist, etwas vollkommen Neues zu erschaffen und daher lieber so Altbewährtes neu justiert. Ich denke aber, dass es bei Yves Tumor auch um die Persona Sean Bowie geht. Denn Sean Bowie ist nicht nur ein sehr guter Sänger mit einer wirklich herausragenden Bühnenpräsenz, er hat auch ein Gespür für eine interessante visuelle Ästhetik und Selbstinszenierung. Also in vielen Videos präsentiert er sich zum Beispiel so als Fantasy-Wesen mit mythologischem Background. Also etwa in "Gospel For A New Century", das auch das Album eröffnet, da zeigt er sich so als schwarzer Satyr mit Hörnern, spitzen Ohren und Hufen und auf dem Vorgängeralbum "Safe in the hands of Love" da war so etwas wie ein giftgrüner Dämon.
Reimann: Das klingt unterhaltsam auf jeden Fall. Aber geht es denn bei diesen theatralischen Inszenierungen nur um Unterhaltung?
Smarzoch: Nein, also ganz sicherlich nicht. Da steckt schon ein tieferes Konzept hinter. Ich glaube, da geht es auch so etwas wie um die Darstellung des Anderen, also zum einen so als genderfluides Fantasy-Wesen zwischen Mann und Frau. Und diese Eigenschaft des Fluiden die zeichnet sich ja auch im Sound seiner Musik ab, die sich ja buchstäblich zwischen den Genres bewegt.
Ein dezidiert politischer Musiker
Aber es geht auch um die Thematisierung des Anderen vor dem Hintergrund seiner afroamerikanischen Identität. Yves Tumor ist nämlich auch ein dezidiert politischer Musiker. Er wirkte beispielsweise auf Mykki Blancos C-Core Compilation mit, auf der ausschließlich afroamerikanische Noise-Musiker zu hören sind. Er hat enge Verbindungen zu Chino Amobis, der mit seinem NON Label vor Jahren schon experimentelle Klänge hauptsächlich schwarzer Produzenten zwischen Kapstadt und Los Angeles präsentierte. Und natürlich ist auch seine afroamerikanische Identität immer wieder Thema in seiner Musik. Er arbeitet sich ja auch buchstäblich unter musikhistorischen Gesichtspunkten an afroamerikanischen Sounds zwischen Soul und R’n‘B ab, wie man das auch zum Beispiel ganz gut in "Greater Love" hören kann.
Aber es geht eben auch um Themen, die ausdrücklich schwarze Menschen in Amerika betreffen. Auf dem Album "Safe in the Hands Of Love" wird Polizeibrutalität thematisiert und auch auf "Heaven for a tortured Mind", erzählt schon Bowie von den Ambivalenzen des Alltags als schwarze Person zwischen Identitätspolitik und Liebe.