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Zehn Jahre NSA-Affäre
Als die Massenüberwachung öffentlich wurde

Im Juni 2013 enthüllte der damalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, wie der US-Geheimdienst seit Jahren weltweit anlasslos massenhaft Kommunikation überwacht hatte. Die Affäre bestätigte Befürchtungen über die USA hinaus – und wirkt bis heute nach.

Von Michael Borgers | Georg Mascolo im Gespräch mit Isabelle Klein |
Das Bild von Edward Snowden auf einer Zeitung in einem Kiosk in Hong Kong
Auf seiner Flucht aus den USA landete Edward Snowden zwischenzeitlich in Hong Kong, ehe er nach Russland kam (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Kin Cheung)
Wie wenig die sogenannte NSA-Affäre an Aktualität und Brisanz verloren hat, zeigt ein Blick ins Twitterprofil von Glenn Greenwald, dessen Name eng mit den Enthüllungen Anfang Juni 2013 verbunden ist. Gemeinsam mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras hatte der US-Journalist Edward Snowden interviewt.
Mit Veröffentlichung dieses Gesprächs wurde Snowden von heute auf morgen weltbekannt – und in seinem Heimatland zum Staatsfeind. An der Praxis der Massenüberwachung hat sich seit damals anscheinend wenig geändert.
Die Regierung von US-Präsident Joe Biden und der Inlandsgeheimdienst FBI forderten aktuell „eine Erneuerung ihrer inländischen Spionagebefugnisse – ohne Reformen – trotz einer Flut von Regierungs- und Medienberichten darüber, wie häufig sie diese Befugnisse missbrauchen“, kritisiert Greenwald mit Verweis auf einen entsprechenden Bericht.

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Das Vermächtnis Snowdens nennt Greenwald „Heldentum“. Dieser habe den „schweren Angriff auf die verfassungsmäßigen Datenschutzrechte der Amerikaner“ durch den NSA enthüllt.
Und die Medien seien mit verantwortlich dafür, dass Snowden schon bald nach dem Interview nur noch in Russland leben konnte, wo dieser eigentlich nie habe sein wollen. Greenwald spricht in dem Zusammenhang von den „betrügerischsten und zynischsten Dingen, die die Obama-Administration und ihre Medien jemals getan haben“.

Beckedahl: Für Politik war NSA-Affäre Machbarkeitsanalyse

Greenwalds Recherchen zur NSA-Affäre hätten Befürchtungen bestätigt, „dass es ein globales System der anlasslosen Massenüberwachung gibt“. So erinnert sich Markus Beckedahl, Gründer des Portals Netzpolitik.org. Diese Befürchtungen habe man „schon seit vielen Jahren“ gehabt.
Ein Mann mit Bart und Brille ist auf einem großen Bildschirm zu sehen. Er spricht zu einem Publikum, das als Schattenriss im Vordergrund zu erkennen ist.
Für die USA ist Edward Snowden, der in Moskau lebt und inzwischen russischer Staatsbürger ist, immer noch Staatsfeind Nr. 1 (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Armando Franca)
Doch die Debatte im Anschluss an die Enthüllungen habe gezeigt, so Beckedahl gegenüber dem Deutschlandfunk, dass viele Politiker darin „eher eine Machbarkeitsanalyse als eine Warnung gesehen haben“. Denn am Ende hätten die Snowden-Enthüllungen zu noch mehr anlassloser Massenüberwachung geführt.
„Andererseits gibt es auch viel mehr Bewusstsein für Verschlüsselung“, stellt Beckedahl fest. „Und viele Verfassungsgerichte weltweit haben viele dieser teilweise geheimen Überwachungsgesetze hinterher für illegal und verfassungswidrig erklärt.“ Insgesamt seien Menschen so inzwischen besser geschützt.

Mascolo: Deutsche Täuschung in NSA-Affäre

Fortschritte wie diese nimmt auch Georg Mascolo wahr. Andererseits würde die „furchterregenden Technologie“, über die einst nur wenige Regierungen verfügt hätten, mittlerweile auch in Staaten wie Ungarn, Marokko oder Saudi-Arabien eingesetzt, um Dissidenten oder Journalistinnen zu überwachen. Das sagte der Journalist im Deutschlandfunk. Und so werde die „Zukunft des Widerspruchs“ bedroht.
Mascolo begleitete 2013 den Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele nach Moskau für eines der ersten Interviews mit Snowden nach dessen Enthüllungen. Dieser hätte damals noch gehofft, in Deutschland einen „sicheren Fluchtort finden zu können“.
Dass ihm das verwehrt wurde von der damaligen Bundesregierung, hänge wohl auch damit zusammen, „dass unsere eigenen Geheimdienste mindestens knietief im Sumpf von NSA und Co. mit drin steckten“. Das vermutet Markus Beckedahl. Dieser Teil der Geschichte sei bis heute nicht ausreichend beleuchtet, sagt auch Georg Mascolo. Die Bundesregierung sei mit ihrer „Täuschung in der NSA-Affäre erstaunlich gut weggekommen“.

Snowden: „EU-Freunde: Was ist passiert?“

Und was ist mit der EU? Es fühle sich an, als hätten sich die EU-Gremien in nur zehn Jahren von „unserer größten Hoffnung auf einen aufrichtigen Garanten der globalen Menschenrechte“ in eine „autoritäre Kabale verwandelt, die sich energisch für die weltweite, maschinell erzwungene Einschränkung der grundlegenden menschlichen Freiheiten einsetzt“, kritisierte jüngst Edward Snowden auf Twitter – und fragte: „EU-Freunde: Was ist passiert?“

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In einem weiteren Post rund um den Jahrestag erinnert Snowden an Julian Assange mit einem Bild von dessen Auslieferungsverfahren in Großbritannien im vergangenen Jahr. Assange sei ein „politischer Gefangener“, schreibt Snowden.

Held oder Verräter?

Auch die Geschichte des früheren NSA- und CIA-Technikmitarbeiters Snowden sei eine „Tragödie“, findet Georg Mascolo. Dessen Gefängnis heiße Russland, von dort sei es für ihn nicht weitergegangen. „Was sagt das eigentlich über unsere Welt, wenn der einzige Ort, an dem ein amerikanischer Whistleblower sicher sein kann, ausgerechnet Russland ist?“, habe ihn Snowden deshalb einmal gefragt.
Dabei sei Snowdens Vermächtnis „einer der größten Triumphe des Whistleblowings“. Er habe „für alle sichtbar und greifbar gemacht hat, welche Form von technischer Überwachung möglich ist und welchem Umfang sie stattfindet“.
Ist er als nun ein „Held“, wie etwa der „Spiegel“ fragte, oder doch ein „Verräter“? "Whistleblower sind bisweilen beides", so Mascolo. Am Ende habe Snowden Journalisten vertraut bei der Entscheidung, was enthüllt werden sollte - oder was doch noch legitime Geheimdienstarbeit sei.