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Zschäpe im NSU-Prozess
"Ein wirklich jämmerlicher, erbärmlicher Auftritt"

Der Opferanwalt Thomas Bliwier hat die Aussage der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, scharf kritisiert. Die Äußerungen seien unglaubwürdig, sagte er im Deutschlandfunk. Zschäpe habe sich als weiteres Opfer des NSU stilisiert.

Thomas Bliwier im Gespräch mit Thielko Grieß | 10.12.2015
    Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe.
    Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe. (dpa / picture-alliance / Tobias Hase)
    Bliwier vertritt als Anwalt der Nebenklage die Eltern des in Kassel getöteten Halit Yozgat. Bliwier geht davon, dass die verlesene Erklärung Beate Zschäpe nicht weiterhelfen wird. Die Äußerungen seien durch die Beweisführung bereits widerlegt, sagte er. Auch für Zschäpe sei erkennbar, dass eine Verurteilung unvermeidlich sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Halit Yozgat, der 21jährige war Betreiber eines Internet-Cafés in Kassel und ist eben da am 6. April 2006 erschossen worden, mutmaßlich von Mitgliedern des Nationalsozialistischen Untergrunds. Einer der Nebenkläger-Anwälte heißt Thomas Bliwier, ist Anwalt der Eltern Halit Yozgats und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Bliwier.
    Thomas Bliwier: Guten Morgen, Herr Grieß. Ich grüße Sie.
    Grieß: Hat sich an Ihrem Eindruck von der Hauptangeklagten Beate Zschäpe etwas geändert seit gestern?
    Bliwier: Nein, überhaupt nicht. Ein wirklich jämmerlicher, erbärmlicher Auftritt. Diese sogenannte Einlassung zur Sache vollkommen unglaubwürdig. Man fragt sich, warum hat es bis jetzt gedauert. Frau Zschäpe stilisiert sich als quasi weiteres Opfer des NSU, selbstmitleidig und für die Eltern von Halit Yozgat sicherlich sehr empörend, diese Vorstellung von Frau Zschäpe gestern.
    Eltern wollen eine solche vorgetäuschte Entschuldigung nicht annehmen
    Grieß: Was denken Sie, was war das Motiv, sich jetzt, Sie sagen, spät nach 248 Verhandlungstagen doch noch zu äußern?
    Bliwier: Die Richtung im Prozess war vollkommen klar. Die Verurteilung von Frau Zschäpe ist eigentlich auch für sie jetzt erkennbar unabwendbar. Die Anklage hat sich in nahezu allen Punkten voll umfänglich bestätigt durch die Beweisaufnahme und dann droht lebenslange Haft mit Schwere der Schuld. Da greift Frau Zschäpe nach dem letzten Strohhalm und liefert dann über die Anwälte diese Erklärung zur Sache ab, die ihr aber auch im Ergebnis nicht helfen wird, weil sie nach meiner Auffassung bereits jetzt in sich widerlegt ist und auch durch die bisherige Beweisaufnahme klar widerlegt ist. Es wird ihr nichts helfen.
    Grieß: Wie haben die Eltern des getöteten, des ermordeten Halit Yozgat das wahrgenommen, was sich gestern abgespielt hat?
    Bliwier: Na ja, Frau und Herr Yozgat waren ja im Gerichtssaal, wie sie immer da sind, wenn es um den Fall ihres ermordeten Sohnes geht. Sie haben das mit großer Betroffenheit sich angehört und haben beide anschließend zunächst vollkommen klar gesagt, diese Aussage ist gelogen. Das ist meines Erachtens auch vollkommen klar. Zschäpe als weiteres Opfer des NSU, die das alles nicht mitbekommen haben will. Und sie haben auch mit Entschiedenheit die angebliche Entschuldigung zurückgewiesen mit der Begründung, wer so die Unwahrheit sagt, dem glauben wir auch eine angebliche Entschuldigung nicht. Vor allem: Wofür entschuldigt sich Frau Zschäpe? Nach ihrer Bekundung will sie ja von den Mordtaten nichts gewusst haben. Sie entschuldigt sich für Mordtaten von Böhnhardt und Mundlos, spielt ihren eigenen Tatbeitrag herunter, und da können natürlich die Eltern von Halit Yozgat eine solche vorgetäuschte Entschuldigung auch nicht annehmen.
    "Sie kann schweigen, das ist ihr gutes Recht."
    Grieß: Nun ist allerdings in diesem Verfahren ja auch von der Angeklagten nicht zu erwarten, dass sie sich selbst belastet in ihrer Aussage. Haben Sie Ihre Mandanten darauf so vorbereitet?
    Bliwier: Ja klar. Natürlich muss Frau Zschäpe gar nichts sagen. Sie kann schweigen, das ist ihr gutes Recht. Das wird ihr auch niemand bestreiten. Nur wenn etwas gesagt wird, dann war natürlich die Hoffnung schon da, dass wenigstens eine Aufklärung geleistet wird und die Eltern von Halit Yozgat auf zwei Fragen eine Antwort bekommen, nämlich einmal auf die Frage, warum ist ihr Sohn Mordopfer geworden, warum ist er ausgesucht worden vom NSU für diese Tat, und zum zweiten, was haben die Behörden damit zu tun. Bei uns ist ja die Besonderheit, dass ein Verfassungsschützer am Tatort war zur Tatzeit, und da war das Interesse der Eltern ganz stark zu sagen, wir hoffen von Frau Zschäpe, dass sie uns auf diese Fragen Antwort gibt, und diese Hoffnung ist sicherlich bitterlich enttäuscht worden, wobei wir natürlich im Vorfeld auch die Erwartung schon gedämpft haben. Ich habe mir schon vorstellen können, dass eine solche Einlassung in die Richtung kommt.
    Grieß: Haben Sie denn im Verlauf des Verfahrens auf diese beiden Fragen irgendwelche Hinweise gewonnen, die Sie, so gut das geht, zufriedenstellen könnten?
    Bliwier: Wir sind ja noch nicht am Ende und wir werden unsere Bemühungen auch natürlich nicht fallen lassen. Das eine ist aussuchen: Wir sind der festen Überzeugung, es gibt eine regionale Unterstützerszene, die da eine Rolle gespielt hat. Da wird man weiter, denke ich, aufklären müssen.
    Rolle des Verfassungsschützers T. klären
    Grieß: Eine hessische oder eine Kasseler Szene?
    Bliwier: Ja, in Kassel wie auch in Dortmund wie auch an den anderen Tatorten. Ich halte das nicht für wahrscheinlich, dass Böhnhardt und Mundlos durch die Lande fahren und nach Zufall irgendwelche Mordopfer aussuchen. Wir haben ja auch Hinweise darauf, dass Tatorte in Kassel ausgespäht worden sind. Wir haben in den Brandresten der Frühlingsstraße auf einem Stadtplan mögliche Anschlagsziele gefunden und da gehörte die Holländische Straße mit Halit Yozgat dazu. Das wird man weiter aufklären müssen. Das weitere ist: Wir haben ja im Prozess durch Beweisanträge, Vernehmung der Verfassungsschützer und Vernehmung des Verfassungsschützers Herrn T. beweisen können nach meiner Auffassung, dass er die Unwahrheit sagt. Das denken eigentlich alle Prozessbeteiligte. Er hat was gesehen und wir hoffen, dass irgendwann auch noch mal die Situation eintritt, dass er endlich die Wahrheit sagt und die Eltern Yozgat auch auf diese zweite Frage eine Antwort bekommen.
    Grieß: Herr T. ist derjenige, der als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei dem Mord anwesend gewesen ist, glaube ich, an einem Computer das gemacht hat, was man in einem Internet-Café so machen kann, und danach hat er das Café verlassen, will aber nichts mitbekommen haben vom Mord und vom verblutenden Mordopfer.
    Bliwier: Richtig.
    Grieß: Sie haben nach wie vor Fragen, nehme ich an, an die Behörden des Landes Hessen, an den Verfassungsschutz. Glauben Sie, dass dieses Verfahren, das ja eine juristische Klärung bringen soll, in dieser Sache irgendwie weiterführt?
    Hessisches Landesamt blockiert Akten
    Bliwier: Ich lasse die Hoffnung da nicht fallen. Ich denke schon, dass wir in der Richtung weiterkommen. Der Senat hat ja dankenswerterweise in diese Richtung jede Aufklärungsbemühung bisher unternommen, die wir angeregt haben, ist den Beweisanträgen nachgegangen, hat die Verfassungsschützer geladen. Das einzige was uns noch fehlt, sind die nach wie vor zurückgehaltenen Akten im Landesamt für Verfassungsschutz. Es gibt dort Akten, das haben die Verfassungsschützer auch bekundet. Die haben sie zur Vorbereitung herangezogen. Der Schlüssel für dieses Problem beziehungsweise für die Antwort auf diese Fragen liegt meines Erachtens in diesen Aktenbeständen im Landesamt und wir können nur weiter an den Senat appellieren, diese Akten beizuziehen und zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen. Weil das, was da gelaufen ist, Herr T. hat ja schon zu einem Zeitpunkt über die Mordwaffe berichtet, wo das noch gar nicht bekannt war, dass hier auch wieder die Ceska benutzt worden ist. Das heißt, da liegt verborgenes Wissen im Landesamt und diese Akten müssen herausgegeben werden.
    Grieß: Und dieses Landesamt kann einfach so entscheiden, diese Akten weiter bei sich zu behalten?
    Bliwier: Sie haben keine Möglichkeit, wenn erklärt wird, diese Akten sind gesperrt. Herr Bouffier hat ja damals eine Sperrerklärung herausgegeben.
    Grieß: Hessischer Ministerpräsident.
    Bliwier: Genau. Er hat die V-Leute geschützt, die konnten nicht vernommen werden. Die Aufklärungen sind maßgeblich erschwert worden. Wir werden alles daran setzen, dass diese Sperrerklärung aufgehoben wird, dass die Akten freigegeben werden und dass wir endlich sehen können, was im Landesamt da tatsächlich abgelaufen ist und wie das Landesamt in diese Tat verstrickt ist.
    "Es ist eigentlich so, als hätte sie weiter geschwiegen."
    Grieß: Herr Bliwier, nach dieser Aussage Zschäpes geht das Verfahren weiter. Fast 250 Verhandlungstage sind schon verbraucht. Wie geht es jetzt weiter?
    Bliwier: Frau Zschäpe hat ja über die Anwälte erklären lassen, Fragen werden nur schriftlich beantwortet. Das zeigt ja auch noch einmal, dass die Glaubhaftigkeit dieser von ihr vorgetragenen Einlassung eigentlich gegen null geht. Sie hat doch das Interesse daran, dass der Prozess zu einem günstigen Ende kommt. Dann hat sie doch auch alle Veranlassung, Fragen zu beantworten, die es möglich machen, ihre Einlassung auf die Glaubwürdigkeit zu untersuchen. Dem entzieht sie sich insbesondere auch dadurch, dass sie keine Fragen der Nebenklage und der Bundesanwaltschaft zulassen will. Sie wehrt sich ja vehement gegen die Konstruktion der Bundesanwaltschaft. Dann soll sie doch, bitte schön, Rede und Antwort stehen. Ich glaube nicht, dass es den Prozess nennenswert verzögern wird. Ich aus Sicht des Senats würde mich auf dieses Prozedere gar nicht einlassen. Herr Götze wird das wahrscheinlich machen, weil er sehr bemüht ist, den Sachverhalt wirklich aufzuklären, aber dieses Prozedere mit schriftlichen Fragen und schriftlichen Antworten entwertet jede Aussage vollkommen und ich würde mich als Gericht auf so was nicht einlassen. Aber den Prozess wird diese Einlassung nicht nennenswert verzögern. Es ist eigentlich so, als hätte sie weiter geschwiegen.
    Grieß: Thomas Bliwier war das, Anwalt von Eltern eines mutmaßlichen Mordopfers des NSU in Kassel, nach der Aussage von Beate Zschäpe gestern in München. Herr Bliwier, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Bliwier: Herr Grieß, ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.