Zagatta: Was da ja sehr verwirrt an dieser Affäre: Vor drei Wochen hat die Birthler-Behörde Herrn Wallraf noch eine Art Persilschein ausgestellt, keine neuen Erkenntnisse, hieß es da. Haben Sie denn eine Erklärung - Sie sind ja da nah dran - für das Umdenken der Behörde?
Eppelmann: Nachdem, was die Leiterin Marianne Birthler vor wenigen Tagen gesagt hat, ist es zu dieser Veränderung in der Meinung der Behörde gekommen durch die neuen und zusätzlichen Erkenntnisse, die man durch die aus Amerika gekommenen Akten hat gewinnen können. Das ist von daher legitim.
Zagatta: Aber diese Akten liegen doch der Behörde schon länger vor.
Eppelmann: Ja, sicher, nur müssen sich das so vorstellen, dass das Akten über Tausende von Menschen sind, ehemalige Bürger der DDR und ehemalige Bürger der alten Bundesrepublik. Die kann man sich alle nicht zur gleichen Zeit angucken. Ich weiß nicht, wie man gerade auf den Namen Wallraf gekommen ist, und durch die Diskussionen, die in den letzten Wochen im Zusammenhang mit dem Namen Wallraf aufgetaucht sind, hat es eben einen zusätzlichen Grund gegeben, sich das wieder anzuschauen. Mir fällt ein, dass vor etwa fünf Jahren schon mal die Frage aufgetaucht ist und das Gerücht aufkam, Herr Wallraf hätte mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Herr Wallraf einer von denjenigen ist, die man sich zuerst wieder angeschaut hat. Ganz bestimmt hat sich die Behörde noch nicht alle 50.000 oder 60.000 angeschaut.
Zagatta: Aber nach diesem ersten Persilschein vor drei Wochen, ist ja sofort der Vorwurf aufgetaucht, die Birthler-Behörde würde beispielsweise mit Ostdeutschen wie dem PDS-Politiker Lothar Bisky ganz anders umgehen. Da sei man ganz schnell mit Beschuldigungen; bei Westlern wie Wallraf würde man das eher unter dem Tisch kehren. Gibt es da aus Ihrer Sicht eine Ungleichbehandlung in der Praxis?
Eppelmann: Ich kann diese Vermutung oder diesen Vorwurf verstehen, weil es immer wieder den Eindruck erweckt hat, als ob dies nur eine Sache der Ostdeutschen sei und die Westdeutschen eigentlich nichts damit zu tun hätten. Ich kann mich erinnern am Umgang in der eigenen Fraktion, der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Auch da sind die ostdeutschen Kollegen, auch ich, immer wieder darauf überprüft worden, ob sie mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben und haben sich einen Persilschein, sage ich jetzt mal locker, durch die Gauck-Behörde geben lassen müssen. Mein Vorschlag war, nachdem das das zweite oder dritte Mal passierte, korrekterweise müsste man das doch auch bei den westdeutschen Kollegen tun. Das sind zwar offensichtlich prozentual weniger gewesen, aber wir wissen inzwischen, dass es auch Westdeutsche gegeben hat, die mit der Stasi zusammengearbeitet haben, und nur eine größere oder kleinere Verhältnismäßigkeit kann doch nicht darüber entscheiden, ob man sich das anschaut oder nicht. Da habe ich leider wenig Verständnis, auch in der eigenen Fraktion für gefunden. Ich habe schon den Eindruck, bei den Westdeutschen wird sehr viel eher an Datenschutz gedacht, und dann hundertprozentig, und bei denn DDR-Bürgern, die unmittelbar in der Hand der Stasi waren, spielte das in der Vergangenheit weniger eine Rolle. Aber wissentlich, nach dem Motto, wir schauen uns das bei Ostdeutschen an, und da wird es auch öffentlich gemacht, und bei uns Westdeutschen machen wir das nicht, eine solche Einstellung kann ich nicht feststellen, schon gar nicht bei der Behörde.
Zagatta: Diese Forderungen sind ja jetzt gerade wieder aufgetaucht aus dem Bundestag, also einige Ihrer Kollegen drängen jetzt darauf, dass jetzt auch alle Abgeordneten noch einmal überprüft werden sollen, sprich also auch die Westdeutschen. Es gibt aber auch Stimmen - auch die sind gestern laut geworden -, die das für völlig überflüssig halten, die sagen, das jetzige Verfahren im Bundestag, also eine Information des Immunitätsausschusses bei einem Verdachtsfall reiche völlig aus. Ihnen reicht das nicht?
Eppelmann: Ich möchte es grundsätzlich beantworten. Wenn die Forderung auf dem Hintergrund dieser neuen Informationen gestellt wird, die ja immerhin schätzungsweise 50.000 bis 60.000 Menschen betreffen - diese Rosenholz-Akten zu überprüfen , die aus den USA jetzt gekommen sind, und wenn man jetzt der Meinung ist, darauf hin sollten jetzt nochmals größere Mengen von Menschen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind oder die eine herausragende Rolle in der Politik spielen - jetzt gäbe es rein theoretisch noch mal einen Grund reinzuschauen -, dann meine ich allerdings, dass es tatsächlich bei allen passieren und nicht nur bei denen, die zufällig vor 15 Jahren noch in der DDR gelebt haben. Entweder alle oder keiner.
Zagatta: Aber eine solche Überprüfung kann Bundestagspräsident Thierse ja nicht von sich aus anordnen. Da müssten ja die Fraktionen aktiv werden. Ist es abzusehen, dass Ihre Fraktion da aktiv wird?
Eppelmann: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir haben gestern unsere erste Fraktionssitzung gehabt. Da ging es verständlicherweise um die Probleme im Zusammenhang mit der Haushaltswoche.
Zagatta: Werden Sie sich dafür einsetzen?
Eppelmann: Ich würde es für reizvoll, dass man das nochmals tut, es wäre für mich aber keine Glaubensfrage, wie Sie an meiner Reaktion merken. Mir ist es wichtiger, wenn man es tut, kann man nicht mehr zwischen Ost und West unterscheiden, sondern man muss sagen: alle.
Zagatta: Gerade im Osten ist ja immer wieder zu hören, es reiche jetzt mit dieser Stasiaufarbeitung. Strafrechtlich sei das Meiste auch schon verjährt. Wird es Zeit für eine Art Schlussstrich?
Eppelmann: Solange es noch Menschen gibt, die sagen, für mich ist es ein Problem, wenn ich feststellen muss oder den Verdacht habe, dass Menschen, die in unserer Bundesrepublik Deutschland politische Verantwortung oder leitende Positionen im öffentlichen Dienst innehaben und ehemals mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet und Nachbarn, Kollegen, Freunde, Familienangehörige angeschwärzt haben. Solange diese Menschen sagen, das ist für mich ein unerträglicher Zustand, solange muss dies ernst genommen werden. Von daher entscheiden das letztlich die Menschen selbst, und wenn ich sehe, mit welcher Intensität darüber geredet wird, ob ein Mensch wie Wallraf, der zunächst ein legitimes und achtenswertes Motiv hatte, er wollte die Demokratie Bundesrepublik Deutschland verbessern, und es Leute gibt, die sich sagen, ich selber gehöre auch dazu, kann man, um die Gesellschaft, in der man lebt, zu verbessern, deswegen mit dem Teufel zusammenarbeiten? Ich würde diese Frage mit Nein beantworten. Da gibt es meiner Meinung nach Grenzen. Er ist offensichtlich der Meinung, das kann man, oder hat den Teufel nicht als Teufel erkannt, dann war er schrecklich naiv. Solange, meine ich, muss man das ernst nehmen und sagen, dann müssen wir das überprüfen.
Zagatta: Das war der CDU-Bundestagsabgeordneter Rainer Eppelmann, vielen Dank für das Gespräch.
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