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Zukunft der Arbeit
DGB-Chef: Wir müssen vor Robotern keine Angst haben

Die Folgen der Digitalisierung gingen durch alle Branchen, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann im Dlf. Die Schlüssel, um die dadurch entstehenden Chancen nutzen zu können, seien Bildung und Qualifizierung. Nicht Banken, sondern Berufsschulen müssten "zu Leuchttürmen unserer Republik" werden.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Peter Sawicki |
    Ein menschlich aussehender 3D gedruckter Roboter der Firma IOX LAB auf der Hannover-Messe 2018.
    Durch die Digitalisierung fielen nicht nur Jobs weg, es entstünden auch neue Arbeitsfelder, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann im Dlf (imago / Tim Wagner)
    Peter Sawicki: Über die Arbeitswelt von morgen kann man sicherlich eines sagen: Sie wird anders aussehen. Schon jetzt hat die Künstliche Intelligenz zahlreiche Aufgaben von Menschen übernommen, ganze Berufszweige dürften bald folgen. Die einen loben das als technologischen Fortschritt, viele andere haben aber Angst, und zwar um nichts weniger als ihre materielle Existenz. Die Frage, wie ein sozialverträglicher digitaler Arbeitsmarkt aussehen kann, stellen sich viele, darunter die Gewerkschaften. Und mit deren oberstem Vertreter sprechen wir jetzt über dieses Thema. Am Telefon ist Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Schönen guten Morgen, Herr Hoffmann!
    Reiner Hoffmann: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Müssen wir vor Robotern Angst haben?
    Hoffmann: Nein, da müssen wir keine Angst vor haben. Es kommt darauf an, dass wir das, was wir an Veränderungen in der Arbeitswelt gegenwärtig erleben, vernünftig sozial gestalten.
    Sawicki: Sind Roboter also ein Segen?
    Hoffmann: Sie können Arbeit erleichtern. Denken wir an die klassische Industriearbeit, die gekennzeichnet war durch doch sehr schwere Tätigkeiten. Staub, Lärm, Last waren Belastungsfaktoren. Gehen wir heute in moderne Produktionsanlagen, wird da vieles über Roboter erledigt und hat natürlich dazu beigetragen, dass Arbeit auch humanisiert wurde.
    Bildung als Schlüssel für den Umgang mit der Digitalisierung
    Sawicki: Aber es verschwinden ja auch ganze Branchen, und es gibt ja viele Menschen, die Angst haben davor, die Sorgen haben um ihre Zukunft. Können Sie das nicht nachvollziehen?
    Hoffmann: Aber selbstverständlich. Wir haben erlebt, dass Arbeitsplätze wegfallen, dass Berufsbilder sich komplett verändern. Und Menschen machen sich Sorgen – habe ich auch zukünftig noch Sicherheit? Haben meine Kinder, haben meine Enkelkinder berufliche Perspektiven, oder sind sie von Arbeitslosigkeit bedroht, betroffen? Das muss man ernst nehmen. Wir wissen aber auch, dass mit den technologischen Veränderungen neue Arbeit, neue Arbeitsplätze entstehen. Häufig ist das Problem, wir wissen noch nicht genau, wo. Und einer der Schlüssel, diesen Prozess erfolgreich zu gestalten, ist schlicht und ergreifend Bildung und Qualifizierung.
    Sawicki: Lassen Sie uns darauf gleich noch mal zu sprechen kommen, die praktischen Folgen beziehungsweise die Umsetzung. Sie sagen, es ist nicht immer ganz klar, wo die großen Umbrüche stattfinden. Was sind denn die großen Themen sozusagen, in welchen Branchen stehen die großen Umbrüche aus Ihrer Sicht bevor?
    Hoffmann: Ich denke, das geht durch alle Branchen. Wir haben in den letzten Monaten sehr viel über Industrie 4.0 gesprochen, erleben aber, dass es nicht nur um industrielle Arbeit geht. Es geht auch um Dienstleistungsarbeit. Wir erleben, dass Digitalisierung Einzug genommen hat in alle unsere Lebensbereiche. Denken wir beispielsweise an Text- oder Sprach- oder Bilderkennung mit Algorithmen, die wir täglich nutzen auf unseren Smartphones. Das sind Veränderungsprozesse, die sich nicht nur auf Industriearbeit beschränken werden.
    Ich habe eine Ausbildung gemacht beispielsweise als Groß- und Außenhandelskaufmann. Schaue ich mir an, was ich damals gelernt habe und was heute junge Menschen in diesem Beruf, den es ja nach wie vor gibt, noch lernen müssen, dann hat sich das doch sehr, sehr verändert.
    Sawicki: Aber wenn wir mal aufs Silicon Valley schauen, das ja als der große Ort der Zukunft beziehungsweise als so eine Art Labor der Zukunft gepriesen wird von vielen Leuten – dort gibt es ja auf der einen Seite enormen Reichtum, großen technologischen Fortschritt. Auf der anderen Seite jede Menge Armut, und circa ein Viertel aller Obdachlosen in den USA lebt in Silicon Valley. Ist das nicht ein bedrohliches Szenario?
    Hoffmann: Das ist in der Tat ein riesiges Problem, und wir werden zu neuen Verteilungskonflikten kommen, wenn wir sie nicht wirklich vernünftig lösen. In Silicon Valley, ich war vor zwei Jahren da, da kennt man beispielsweise keine Betriebsräte, keine Tarifverträge. Das sind aber Instrumente für uns in Deutschland, in Europa, die eine fundamentale Voraussetzung dafür sind, dass wir den digitalen Wandel in der Arbeitswelt auch gerecht gestalten. Wir müssen uns der Frage widmen, wie gehen wir mit den Digitalisierungsgewinnen um? Was machen wir zukünftig mit den Arbeitszeiten der Menschen? Besteht die Chance für mehr Arbeitszeitsouveränität, dass die Menschen stärker selbstbestimmt arbeiten können, oder unterliegt dies einfachen betriebswirtschaftlichen Kalkülen, wo sieben Tage 24 Stunden rund um die Uhr stattfindet, wie dies zum Teil im Silicon Valley der Fall ist. Das wollen wir nicht.
    Europas Standortvorteil: Industrielle Produktion
    Sawicki: In Sachen flexibler Arbeitszeit gab es ja schon zuletzt einige Fortschritte, neue Vereinbarungen in der Metallbranche beispielsweise. Aber wenn wir noch mal über das Silicon Valley, über die großen Konzerne zum Beispiel da sprechen, Digitalkonzerne, die ja schon ganze Branchen beherrschen – Apple, Google, Facebook und so weiter –, was macht Sie so sicher, dass Errungenschaften wie Tarifverträge, wie Betriebsräte erhalten bleiben, wenn solche Konzerne noch weiter, über die USA hinaus, noch mehr Kontrolle erlangen?
    Hoffmann: Ich glaube, ein großer Unterschied ist, das erlebt man, wenn man im Silicon Valley ist, dort findet keinerlei Produktion statt. Und einer der großen Standortvorteile Europas, insbesondere Deutschlands, ist, dass wir über industrielle Fertigung und Produktion verfügen. Da kommen die ganzen digitalen Internetkonzerne überhaupt nicht ran. Schauen Sie sich solche Internetplattformen an wie Uber oder Helpling oder Airbnb – die verfügen über keinerlei Ausstattung von Produktionsanlagen, Maschinen oder Gebäuden. Das sind reine Vermittlungsagenturen auf riesigen Internetplattformen.
    Und unserer Stärke ist doch, gelingt es uns jetzt sozusagen im digitalen Wandel, unsere Stärken, die wir in der industriellen Produktion haben, damit zu verknüpfen. Und da haben wir ja letzte Woche auf der Hannover-Messe durchaus beeindruckende Beispiele gesehen, wo unsere Stärken liegen. Und wenn wir diese nutzen und das verbinden mit ganz klaren Beteiligungsstrategien der Arbeitnehmer, dass eben der Mensch auch zukünftig die Maschine steuert und nicht die Software oder die Maschine die Vorgaben über menschliche Arbeit geben wird, wenn wir das verbinden mit sozialen Innovationen, ich denke, dann sind die Chancen durchaus gegeben. Und wir als Gewerkschaften werden alles daran setzen, dass sie genutzt werden.
    Gefahr durch das Heranwachsen "eines neuen digitalen Proletariats"
    Sawicki: Sind Sie sicher, dass das so einfach umsetzbar ist, dass das so leicht beizubehalten ist, dass am Ende Menschen doch noch die letzten Entscheidungen über Maschinen treffen und nicht einfach Maschinen Befehle an Maschinen weitergeben?
    Hoffmann: Leicht ist das nicht. Es sind immer wieder harte Auseinandersetzungen. Ich nenne das Beispiel Uber, die sich weigern, überhaupt ihre Rolle als Arbeitgeber anzuerkennen. Oder nehmen wir Amazon, die sich weigern, Tarifverträge abzuschließen, die Betriebsratswahlen behindern, die Arbeitsformen einführen, unter denen wir nicht arbeiten wollen und die ver.di auch massiv angeht, beispielsweise die Arbeitszeiterfassung des Menschen, wo jede einzelne Handbewegung erfasst, gemessen wird und Stillstand dann mit Abmahnungen bedroht wird. Das sind schon Szenarien, die uns große Sorgen machen. Das ist in der Tat ein Risiko, dass wir ein neues digitales Proletariat anwachsen sehen. Das kann man nur dann verhindern, wenn wir vernünftige Rahmenbedingungen setzen. Und ich denke, hier sind a) Gewerkschaften gefragt – wir haben die Herausforderungen der Zeit erkannt, wir machen uns auf den Weg, Arbeit der Zukunft erfolgreich zu gestalten. Wir brauchen aber auch den Gesetzgeber über vernünftige Rahmenbedingungen.
    Ich nenne ein Thema, beispielsweise Daten. Wem gehören zukünftig die Daten? Haben wir den gläsernen Menschen, den gläsernen Arbeitnehmer, wo jede einzelne Tätigkeit erfasst, kontrolliert, reglementiert wird, oder geht es einher mit sozialen Innovationen, mit Arbeitszeiten, die selbstbestimmt sind. Das ist ein Konflikt, in dem wir uns befinden, und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir den gewinnen, sondern es können wieder neue, harte Auseinandersetzungen, Konfrontationen damit verbunden sein, wenn Arbeitgeber sich nicht gemeinsam mit uns auf den Weg machen, eine sozialverträgliche Gestaltung dieser neuen Technologie.
    "Berufsschulen zu Leuchttürmen unserer Republik machen"
    Sawicki: Lassen Sie uns noch mal auf einen Punkt zu sprechen kommen, den Sie angesprochen haben, die Bildung, die Weiterbildung von Arbeitnehmern, damit das praktisch sozusagen besser umsetzbar ist. Was muss da konkret geschehen?
    Hoffmann: Das fängt an mit der frühkindlichen Erziehung und geht quasi über die gesamte Erwerbsbiografie. Wir müssen uns heute darauf einstellen, dass Menschen, die eine Berufsausbildung gemacht haben, die Kompetenzen, die Qualifikationen, die sie dort erreicht oder erlernt haben, nicht mehr für ein ganzes Berufsleben ausreichen werden. Wir müssen viel stärker investieren in lebensbegleitendes Lernen, kontinuierliches Lernen. Wir brauchen eine andere Lernkultur, dass Lernen auch Spaß macht. Heute ist das Problem, dass viele Menschen sagen, was soll ich mich mit 50, 55 noch weiterbilden, das ist eigentlich eher eine Plage, nur um meinen Arbeitsplatz zu sichern. Das verunsichert die Menschen, und wenn ich mir den Zustand unserer Schulen anschaue, unsere Berufsschulen anschaue, dann sind die wirklich überhaupt nicht auf die digitalen Herausforderungen ausgestattet. Wir müssen Schulen, Berufsschulen zu Leuchttürmen unserer Republik machen, nicht Banken und Versicherungen. Dass Menschen gern Bildung in Anspruch nehmen, dass sie sich gern weiterbilden. Und die Arbeitgeber müssen endlich lernen, dass dies keine Kosten sind, sondern Investitionen in die Zukunft von Menschen und ihrer Unternehmen. Bildung wird einen erheblichen Stellenwert haben für den Erfolg der Gestaltung digitaler Innovationen.
    Sawicki: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten!
    Hoffmann: Ganz herzlichen Dank, Herr Sawicki!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.