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Zum 125. Geburtstag von Aldous Huxley
Unterhaltsamer Intellektueller

Mit "Brave New World" gelang dem britischen Schriftsteller Aldous Huxley einer der bedeutendsten dystopischen Romane des 20. Jahrhunderts. Darin beschreibt er eine technokratische Zukunftsvision, die den Menschen willenlos macht – und ewig glücklich. Ein Text von beklemmender Aktualität.

Von Tanya Lieske | 26.07.2019
Buchcover: Uwe Rasch/Gerhard Wagner: „Aldous Huxley“
Ein wandelbarer Schriftsteller und ein Visionär - am 26. Juli 1894 wurde Aldous Huxley geboren (Foto: picture-alliance/dpa/Timm Schamberger, Buchcover: wbg Theiss)
In diesem rastlosen und wandelbaren Schriftstellerleben könnten drei weitere mühelos Platz finden. Debütiert hat Aldous Huxley 1916 im Alter von 22 Jahren im Umfeld der so genannten "Verlorenen Generation". Das war jene Generation, die die Erfahrung des Ersten Weltkriegs verarbeitete. Es folgten in immer kürzerer Folge Essays und Kritiken, Reiseberichte, Romane und historische Biografien, Erzählungen, philosophische Abhandlungen, Briefe, Theaterstücke und nach seiner Übersiedlung in die USA ab 1938 auch Drehbücher.
Dabei erwies sich Aldous Huxley, der aus einer naturwissenschaftlich geprägten Familie kam, als Universalgelehrter. Er interessierte sich für Medizin und Technik, für Philosophie und Geschichte, für Musik und Kunst, für Anthropologie und Sozialphilosophie, in seinen späteren Jahren auch für Psychologie, Meditation und Yoga. All das fand in verschiedenen Schattierungen, Mischungen und Nuancierungen Eingang in sein Werk. Wenn man Aldous Huxley heute also vor allem für seinen dystopischen Roman "Schöne Neue Welt – Brave New World" aus dem Jahr 1932 kennt, dann heißt das im Umkehrschluss, dass ein Großteil seines Werks aus dem Kanon gefallen ist. Das ist bedauerlich. Zu diesem Schluss wird man schnell kommen, wenn man einige weniger bekannte Werke von Huxley liest. Man kann auch die soeben erschienene Biografie der beiden Anglisten Uwe Rasch und Gerhard Wagner zu Rate ziehen, die Huxleys Wirkung wie folgt beschreiben:
"Huxley ist eine seltsame Hybriderscheinung, zugleich in Hochkultur und Popliteratur beheimatet. Kaum jemand hat die Position des Intellektuellen und die Bedeutung von Bildung, Wissen und der Fähigkeit zu komplexem, nuancierten Denken überzeugender verkörpert und eingefordert als er. Viele seiner Romane und Essays sind deshalb anspruchsvoll, zugleich aber immer unterhaltsam und zugänglich."
Früher Vertreter des globalen Menschen
Neben all dem war Aldous Huxley auch ein früher Vertreter des globalen Menschen. Unermüdlich war er unterwegs, meistens in Begleitung seiner ersten Frau Maria. Eine erste Weltreise führte das Ehepaar 1925 über Tunesien und Indien in den Fernen Osten und bis nach Los Angeles. 1930 kauften sich die Huxleys einen roten Bugatti. Das war der Beginn einer lange währenden Leidenschaft für Automobile. Bis zum Ende ihrer vier Jahrzehnte währenden Ehe - Maria Huxley starb 1955 an Krebs - legten sie Tausende Kilometer zurück, waren manchmal monatelang auf allen Kontinenten unterwegs. Zu den vielen Ortswechseln und Umzügen kam ein stets wachsender Kreis von Freunden. Der Friedensforscher Bertrand Russell gehörte dazu, der Komponist Igor Strawinsky, der Theosoph Krishnamurti, der Astronom Edwin Hubble. Und in seiner Jugend pflegte Huxley eine enge Freundschaft mit dem Autor D. H. Lawrence. Er kannte auch den Kreis deutscher Exilanten um Thomas Mann und die Glitzerwelt des Films um Charlie Chaplin. Mit vielen Freunden stand er in engem Briefkontakt. Man schätzte sein großzügiges Wesen, wahlweise auch Huxleys enzyklopädisches Wissen. Hier bemühen sich die beiden Biografen um eine wichtige Korrektur. Vor allem Huxleys frühe Bücher waren pessimistisch, der Mann aber war Humanist:
"Es verwundert somit kaum, dass sich Huxley schon in Kürze den Vorwurf der emotionalen Kälte einhandeln sollte; aber er gab letztlich nur überspitzt wieder, was er beobachtete, und er schonte sich dabei keineswegs."
Beweglichkeit im Denken
Die scheinbare Kluft im Charakter von Mensch und Werk ist nur eine Schwierigkeit für den Biografen. Eine andere ist die enorme Beweglichkeit in Huxleys Denken. Sie lässt einzelne Werke schillern, erzeugt Widersprüche, und sie entzieht sich der vereinfachenden Zuschreibung. Hinzu kommt ein wichtiger materieller Verlust:
"Eine Schwierigkeit, vor welcher der Biograf dabei steht, ist es, das folgenreiche Desaster von 1961 auszugleichen. In diesem Jahr brannte das Haus von Laura und Aldous Huxley in den Hollywood Hills ab, das Feuer verschlang fast die gesamte Korrespondenz von Aldous Huxley, insbesondere seine Briefe an seine erste Frau Maria."
Eine Leerstelle, die bei der Lektüre dieser Biografie spürbar ist. Die enorme Produktivität von Aldous Huxley, der meist an vielen Stücken gleichzeitig arbeitete, mehrmals pro Jahr publizierte, die vielen Gäste, die parallel bei ihm ein- und ausgingen, all das kann nur durch ein reibungsloses häusliches Umfeld gelungen sein. Leider geht Maria Huxley auch in dieser Biografie den Weg vieler Schriftstellergattinnen der Weltliteratur, sie bleibt weitestgehend unsichtbar. Vielleicht aus Respekt vor dem Autor halten sich Rasch und Wagner mit Deutungen und Spekulationen zurück. Erzählt wird, was faktisch gesichert ist, und das führt häufig zu einer numerischen Reihung von Reisen und Schriften.
Sein Welterfolg "Brave New World" gelang Huxley vergleichsweise früh. 1932 war er 38 Jahre alt, er schrieb bereits seit anderthalb Jahrzehnten, doch er war noch nicht im Zenit seines Schaffens angekommen. Bis heute verblüfft dieses Werk durch seine Hellsichtigkeit:
",Und dies', sagte der Direktor, indem er die Tür aufstieß, ,ist die Fertilisationsstation.' Tief über ihre Instrumente gebeugt, waren die dreihundert Fertilisatoren ganz bei der Sache, als der Direktor City-Brüter und Konditionierungscenter den Raum betrat – mit angehaltenem Atem oder unter abwesendem, einem Selbstgespräch ähnelnden Pfeifen."
Eine postzivilisatorische Welt
Huxley konstruiert hier eine postzivilisatorische Welt. Man schreibt das Jahr 632 AF, was dem Jahr 2540 gängiger Zeitrechnung entspricht. "A.F." steht für "After Ford": Gemeint ist das Jahr 1908, in dem das erste T-Modell von Henry Ford vom Band lief. Die Welt "AF" ist eine friedliche, und sie ist technokratisch. Die letzten Kriege sind vergangen, die Museen geschlossen, die Natur ist bis auf einige Reservate, in denen letzte Menschen leben, abgeschafft. Die Fortpflanzung findet im Labor statt. "In vitro" wäre das Wort, das man heute verwenden würde, doch Huxley entwarf diese dystopische Welt noch vor der Entschlüsselung der Erbsubstanz DNA. Der neue Mensch ist in eine Kaste vorgegebener Intelligenz hineingeboren. Er wird dazu konditioniert, feste Aufgaben in der Gemeinschaft zu übernehmen.
Die Menschen der "Schönen Neuen Welt" kennen ihren Platz. Sie sind stark und leistungsfähig. Im Alter von etwa 70 Jahren sterben sie, auch dank der Glücksdroge Soma, einen gefälligen Tod. Alles in dieser Welt glänzt und ist Oberfläche. Sex ist so verfügbar wie Konsum, die Sprache ist normiert und wenig individuell. Vor allem hier tun sich irritierende Parallelen auf zu unserer Gegenwart, die ebenfalls zur Oberfläche und zum Schönen drängt, und die in der Sprache gerne zu Soundbites zerfällt. Noch beunruhigender ist die gedankliche Tiefenstruktur dieses Romans. Huxley verhandelt zwischen menschlicher Freiheit und gesellschaftlicher Ordnung. "Kollektivität, Identität und Stabilität" ist das Mantra dieser Gesellschaft. Im Vorwort zur englischen Ausgabe macht David Bradshaw darauf aufmerksam, dass Huxley sich angesichts der weltweiten ökonomischen und politischen Turbulenzen der 1920er Jahre nach stabilen Gesellschaften sehnte. Er ging sogar so weit, sich gedanklich mit den Vorteilen von elitären Führungsformen auseinanderzusetzen. Nun war Huxley selbst ein ausgesprochener Freigeist und ruderte nach dem Kollaps des Zweiten Weltkriegs zurück. In einem neuen Vorwort zu seinem Roman schrieb er 1949, da beschäftigte er sich schon mit fernöstlichem Denken, dass er wünschte, seinen Figuren einen weiteren Weg aufgezeigt zu haben mit
"einer Gemeinschaft von Exilierten und Flüchtlingen aus der Schönen Neuen Welt. In dieser Gemeinschaft wäre die Wirtschaft dezentralisiert. Wissenschaft und Technik stünden im Dienste des Menschen und die Religion würde dazu dienen, das Tao oder den Logos zu erkennen."
Zerrbild unserer Gegenwart
Es lohnt, dem Autor hier zuzuhören. Denn in dieser Vision könnten sich in der Tat Auswege auftun aus den technologischen und humanitären Sackgassen unserer Zeit. Zugleich darf man froh sein, dass Huxley diese Lösung nicht eingeschrieben hat in seinen Roman. Denn gerade als Zerrbild unserer Gegenwart ist diese "Schöne Neue Welt" für uns so bedeutsam. Noch ist nicht klar ist, ob die Technik uns Menschen retten wird oder ob wir an ihr zugrunde gehen, ob die Demokratie unseren Drang zur Oberfläche überleben wird oder ob sie daran zerbricht. Huxleys "Brave New World" mahnt besonders heute zur Wachsamkeit.
Aldous Huxley: "Schöne Neue Welt"
Aus dem Englischen von Uda Strätling. Mit einem Vorwort von Tobias Döring
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main. 368 Seiten, 11 Euro.
Aldous Huxley: "Brave New World"
Mit Vorworten von David Bradshaw und Margaret Atwood
Verlag Vintage Classics, London. 229 Seiten, 7,89 Euro.
Uwe Rasch, Gerhard Wagner: "Aldous Huxley"
Verlag Wgb Theiss, Darmstadt. 320 Seiten, 23,99 Euro.