Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


"Zum jetzigen Zeitpunkt überwiegt das Risiko"

Ein Freihandelsabkommen mit den USA könne durchaus Vorteile für deutsche Verbraucher bringen, sagt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Es mache aber skeptisch, wenn hinter verschlossenen Türen verhandelt werde.

Klaus Müller im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.06.2013
    Sandra Schulz: Bei unserem nächsten Thema können wir wieder, was wir ja gerne tun, mit einem Superlativ arbeiten. Bei den Verhandlungen zwischen den USA und der EU geht es um die größte Freihandelszone der Welt. Die USA und die EU hatten im Februar angekündigt, bis Mitte 2015 die meisten Handelsgrenzen in einem Wirtschaftsraum von 800 Millionen Einwohnern einreißen zu wollen. Die zuständigen EU-Minister beziehungsweise im Falle Deutschlands deren Vertreter beraten heute in Luxemburg.

    Wir wollen das weiter einordnen und zugeschaltet ist jetzt Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Guten Tag!

    Klaus Müller: Seien Sie gegrüßt!

    Schulz: Wir haben es gerade gehört, welche Hoffnungen für die Unternehmen, für die Wirtschaft auf dem Abkommen ruhen. Dürfen Verbraucher auch hoffen, oder kommen auf die Verbraucher eher genmanipulierte Lebensmittel, Chlorhühnchen und mehr zu?

    Müller: Sie haben zwei wichtige Stichpunkte gerade schon genannt. Aber in der Tat: Ich will auch zuerst die Vorteile beschreiben. Wenn diese 100 Milliarden Euro, die mir erst mal sehr optimistisch geschätzt erscheinen, aber wenn die zumindest zum Teil zutreffen würden und wenn die dann nicht in den Kassen der Unternehmen landen, sondern auch an die Verbraucherinnen und Verbraucher mit niedrigeren Kosten weitergegeben werden, dann ist das erst mal ein Vorteil. Es kann auch interessant sein, schneller neue Produkte zu bekommen, die es sonst erst nur in den USA gäbe und noch nicht in Deutschland oder Europa. Also ja, es kann durchaus Vorteile für Verbraucher geben.

    Schulz: Aber ist das realistisch, dass von diesen eingesparten Kosten wirklich indirekt was bei den Verbrauchern landet?

    Müller: Ich will mich jetzt hier nicht als Berufspessimist outen. Aber in der Tat: Die Erfahrungen sind da durchaus welche, die einen auch skeptisch werden lassen. Nichtsdestotrotz: Wenn Sie zum Beispiel an die Automobilindustrie denken, die ja sehr arbeitsteilig stattfindet – kein Auto wird ja ausschließlich aus deutschen Teilen und nur in Deutschland produziert -, wenn es hier zu einer guten Arbeitsteilung kommt und in einem guten Wettbewerb diese Preise dann auch weitergegeben werden, ich will das nicht ausschließen, ich will mir das wünschen und ich will mal versuchen, optimistisch zu sein.

    Schulz: Was sind die größten Risiken?

    Müller: Genau das ist natürlich der Punkt, der auch den Verbraucherschützern erst mal am Herzen liegt. Man muss dazu wissen: Was bedeutet ein Freihandelsabkommen. Das bedeutet ja nicht nur Kostenvorteile auf der einen Seite. Es bedeutet auch, dass Schutzvorschriften, um die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Deutschland und Europa lange gerungen wurde, womöglich zur Disposition stehen. Und zwei sehr exemplarische Themenstichworte haben Sie schon genannt. In den USA gibt es eine ganz andere Tradition, eine ganz andere Akzeptanz für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Das ist in Europa, das ist in Deutschland ganz anders. Gelten die Schutzvorschriften, die Kennzeichnungsvorschriften, die Transparenz dann genauso, oder landet auf unserem Teller etwas, was wir nicht erkennen können? Oder auch chlorbehandeltes Geflügel, hormonbehandeltes Fleisch, auch das wird in den USA ganz anders gehändelt. Von Datenschutzstandards will ich noch gar nicht reden.

    Schulz: Aber was heißt das? Wie konkret ist die Perspektive, dass wir genmanipulierte Lebensmittel in größerem Ausmaß als bisher auch schon direkt auf unserem Teller finden?

    Müller: Ihr Korrespondent hat ja eben eingeleitet, Frankreich setzt sich zwar für die Kultur ein, was ich hoch schätze, aber bisher hat sich keine Regierung in Europa tatsächlich die Lebensmittelstandards, Datenschutzstandards, Fragen des Standards in Finanzdienstleistungen auf die Fahne geschrieben, sondern es soll über alles verhandelt werden. Das kann ich verhandlungstechnisch verstehen, aber es macht einen skeptisch, vor allem, weil bisher die Transparenz der Verhandlungen nicht sichergestellt ist. In den USA gibt es zum Beispiel ein sogenanntes Industry Advisory Committee. Das ist eine Beratungsgruppe ausschließlich für Industrievertreter, also auch ohne Verbraucherschützer. Aber zumindest beteiligt die amerikanische Regierung dort Dritte, wenn auch nur Unternehmen. In Europa gibt es so was bisher gar nicht. Das heißt, wir haben a) Sorge, womöglich wird nur hinter geschlossenen Türen verhandelt – das schafft schon mal Misstrauen und nachher nicht Akzeptanz. Zum Zweiten: Wird es wirklich die höchsten Standards an Verbraucher- und Gesundheitsschutz geben? Das ist bisher überhaupt nicht erkennbar. Und drittens: Wird es nachher die Möglichkeit geben, wenn man sich auf einen Kompromiss irgendwo geeinigt hat, höhere Standards national festzulegen.

    Schulz: Sie haben sich am Anfang ja auch ziemlich positiv geäußert. Was überwiegt denn jetzt aus Sicht des Verbraucherschützers, die Chance oder das Risiko?

    Müller: Zum jetzigen Zeitpunkt überwiegt das Risiko, weil die Verfahren nicht sicher sind, weil es einen skeptisch macht, wenn hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, wenn eben nicht klar ist, hier gibt es eine deutsche Regierung, die sagt, wie für Frankreich die Kultur, ist für uns die Lebensmittelsicherheit, der Gesundheitsschutz ganz entscheidend. Wenn da Frau Merkel vorangehen würde und sagt, ich garantiere die hohen Verbraucherschutzstandards, die es in Deutschland und Europa gibt, dann wäre ich ruhiger und gelassener. Dann würde ich mehr über die Vorteile reden. Zurzeit kann ich das leider nicht.

    Schulz: Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und heute in den "Informationen am Mittag". Herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.