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"Grundsätzlich ist es ja eine große Chance für Verbraucher und Landwirte"

Die Konsumenten in Deutschland könnten von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit den Vereinigten Staaten profitieren, sagt Verbaucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). Es könne aber nicht zulasten der deutschen Standards gehen. Hormonfleisch müsse beispielsweise mindestens gekennzeichnet werden.

Ilse Aigner im Gespräch mit Christoph Heinemann | 14.06.2013
    Christoph Heinemann: Stellen Sie sich vor, Sie grillen im Ofen ein Hühnchen und in der Wohnung verbreitet sich ein Geruch, der Sie an Ihren letzten Besuch im Schwimmbad erinnert. Hühnchen an Chlor ist zum Glück nicht etwa der letzte Schrei der Nouvelle Cuisine; es ist eine US-amerikanische Erfindung. Denn während in europäischen Schlachthöfen ein hohes Reinheitsgebot gilt, oder gelten sollte – Fachleute sprechen von Prozesshygiene – behandeln unsere Freunde und Verbündeten in der neuen Welt die Tiere nach der vielleicht nicht immer so reinlichen Bearbeitung im Schlachthof mit Chlorgas, auf dass mögliche Risiken und Nebenwirkungen abgetötet werden mögen.

    Um solche und ähnliche Unterschiede geht es, wenn Europäer und Amerikaner in die Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen einsteigen. Die Mitgliedsstaaten der Union wollen der Europäischen Kommission heute das Mandat für die Verhandlungen erteilen.
    Während Sie unsere Nachrichten und die Presseschau hören konnten, haben wir mit Ilse Aigner telefoniert. Erste Frage an die Bundesministerin für den Verbraucherschutz von der CSU: Werden deutsche und europäische Standards des Verbraucherschutzes zur Disposition gestellt?

    Ilse Aigner: Mir geht es darum, dass man diese Belange auch mit einbezieht. Grundsätzlich ist es ja eine große Chance für Verbraucher und Landwirte, dass wir hier einen gemeinsamen Wirtschaftsraum aufnehmen, aber das kann natürlich nicht zulasten von deutschen Verbraucherschutz-Standards gehen.

    Heinemann: Nun hört man aus der Bundesregierung, ein Freihandelsabkommen dürfe nicht an Chlor-Hühnchen scheitern. Das klingt jetzt nicht so, als wäre der Verbraucherschutz sakrosankt.

    Aigner: Mir ist es wichtig, dass diese Belange zwingend mit einbezogen werden, weil es hier auch um Grundsatzfragen des Verbraucherschutzes geht. Das habe ich auch immer angemerkt. Es geht nicht nur um diesen Bereich, sondern es geht auch um zum Beispiel Datenschutz-Richtlinien.

    Heinemann: Hat die Kanzlerin Sie da unterstützt?

    Aigner: Generell mahne ich das immer an. Es ist, glaube ich, richtig, dass die Verbraucherschutzministerin auf diese Punkte hinweist. Es geht auch um Hormonfleisch und so weiter. Und diese Belange werde ich in die Verhandlungen natürlich einbringen.

    Heinemann: Stichwort Hormonfleisch. Reicht Ihnen da eine Kennzeichnungspflicht?

    Aigner: Das ist das Mindeste, eine Kennzeichnungspflicht. Es geht hier weniger um die Frage der Belastung sozusagen eines Fleisches, also eine gesundheitliche Belastung, sondern mehr um ethische Fragen und um Tierschutzfragen, die in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert haben.

    Heinemann: Also Sie sagen nicht, Hormonfleisch um keinen Preis?

    Aigner: Es muss auf alle Fälle mindestens gekennzeichnet werden, damit klar ist, dass der Verbraucher entscheiden kann.

    Heinemann: Also Sie arbeiten schon an Kompromissen?

    Aigner: Wir werden immer darauf achten, dass der hohe Verbraucherschutz in Deutschland nicht unterhöhlt wird.

    Heinemann: Wie ist es bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln? Welche Schwellenwerte wären da für Sie vertretbar?

    Aigner: Wir haben hier Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln, die wollen wir natürlich einhalten, und bei nicht in Deutschland oder beziehungsweise in der Europäischen Union zugelassenen Konstrukten gilt 0,0 und das soll auch in Zukunft gelten.

    Heinemann: Und da werden keine Schwellenwerte leicht angehoben?

    Aigner: Nein! Schwellenwerte gibt es ja nur bei zugelassenen Konstrukten und da gibt es dann eine Kennzeichnungspflicht und das ist auch wichtig.

    Heinemann: Bisher halten wir fest: Hormonfleisch, Kompromiss möglich, bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln, den bestimmten Konstrukten, eben nicht?

    Aigner: Genau, bei nicht zugelassenen Konstrukten.

    Heinemann: Frau Aigner, kann sich, generelle Frage, ein Exportriese wie Deutschland eigentlich Bedenken der Verbraucherschützer leisten?

    Aigner: Es ist ein wichtiger Aspekt, weil letztendlich Verbraucher sind die Abnehmer und die müssen letztendlich die Waren dann auch gerne kaufen, und deshalb hat Transparenz hier einen großen Stellenwert und Kennzeichnung auch.

    Heinemann: Nun sind die Interessen der Industrie, so wie sie sind. Das heißt, die machen mächtig Druck!

    Aigner: Ja das ist richtig. Aber Verbraucher sind die Abnehmer und deshalb müssen die Belange der Verbraucher selbstverständlich auch mit einbezogen werden.

    Heinemann: Wie viel transatlantische Harmonisierung verträgt der Verbraucherschutz denn?

    Aigner: So weit, dass es unsere guten Regeln, die sehr transparent sind für die Verbraucherschützer oder für den Verbraucher, muss ich ganz ehrlich sagen, nicht unterhöhlt werden sollen, und das ist ein wesentlicher Bestandteil hoffentlich auch der Verhandlungen.

    Heinemann: Aber hat die Politik überhaupt eine Chance gegenüber kraftstrotzenden Lebensmittel- oder Futter- oder Düngemittelkonzernen?

    Aigner: Ja. Noch mal: Die Verbraucher sind die Abnehmer. Die wollen die Produkte kaufen. Und deshalb ist jede Wirtschaftsnation auch gut beraten, sich an den Belangen und an den Interessen der Verbraucher auch zu orientieren, weil sie sind letztendlich die Abnehmer.

    Heinemann: Aber jetzt wälzen Sie sozusagen die Verantwortung auf die Verbraucher ab. Es geht ja jetzt darum, im Abkommen festzuschreiben, dass diese Einflussnahmen gar nicht so stark sind.

    Aigner: Das sehe ich nicht so, dass ich das abwälze. Ganz im Gegenteil: Ich vertrete die Belange der Verbraucher und mahne an, dass diese ein ganz wichtiger Punkt sind und dass die auch informiert werden müssen und sollen.

    Datenskandal in den USA: Firmen sollen aufklären
    Heinemann: Schauen wir, Frau Aigner, noch auf den Datenschutz. Schreckliches ist in diesen Tagen aus den USA zu hören. Der Inlands-Geheimdienst greift in großem Stil auf Informationen großer Internet-Dienstleister wie Google, Facebook, Microsoft, Apple oder Yahoo ab. Ein paar Milliarden Nutzerinnen und Nutzer sind da weltweit betroffen. Das Ganze ist ja offizielle Regierungspolitik. Kann man mit solchen Leuten überhaupt über Datenschutz verhandeln?

    Aigner: Erst einmal will ich von den betroffenen Firmen wissen – und deshalb habe ich auch denen Briefe geschrieben -, inwieweit sie überhaupt Zugang zu ihren Daten gewährleistet haben oder nicht gewährleistet haben, und das ist bisher immer noch nicht klar und deshalb warte ich hier auch noch auf Antwort. Datenschutz im Internet - und die Internet-Firmen sind auf das Vertrauen der Verbraucher auch angewiesen, und wenn sich herausstellt, dass sie Zugang zu ihren Daten geben, dann wird das auch massive Auswirkungen, was das Vertrauen betrifft, haben. Deshalb, glaube ich, sind sie gut beraten, das auch offenzulegen.

    Heinemann: Die Firmen sind die einen, die Regierung das andere. Wie sollte man der gegenübertreten?

    Aigner: Erst mal ist es wichtig, dass die Firmen sich äußern. Sie gewähren Zugang, und deshalb will ich Auskunft von den Firmen haben.

    Heinemann: Und was fordern Sie von der Regierung?

    Aigner: Ich will von den Firmen jetzt erst mal wissen, welche Daten sie freigegeben haben. Das ist die entscheidende Frage.

    Heinemann: Aber der Inlands-Geheimdienst arbeitet, glaube ich, für die Regierung.

    Aigner: Das ist richtig. Aber die Firmen geben den Zugang zu ihren Daten, und deshalb müssen sie als erstes mal aufklären.

    Heinemann: Wird im Datenschutz, um eine Formulierung von Herrn Kauder zu benutzen, amerikanisch gefärbtes Englisch gesprochen?

    Aigner: Ich würde sagen, wir sind gut beraten, gerade die Datenschutz-Grundverordnung weiter zu beraten, die jetzt im Moment gerade auf der europäischen Ebene auf dem Weg ist. Hier wollen wir unsere hohen deutschen Datenschutzstandards verankern, und zwar nicht nur für Firmen, die in Deutschland und in Europa ihren Sitz haben, sondern für alle Firmen, die sich an den europäischen und deutschen Markt richten. Dagegen wird massiv mobilgemacht, das wissen wir auch und das kennen die Abgeordneten und auch die Regierungen, aber trotzdem ist es eine wichtige Verhandlung und ich hoffe, dass wir die zum Abschluss bringen.

    Heinemann: Frau Aigner, in Europa wird gefordert, dass Daten im Netz gelöscht werden können, zum Beispiel kompromittierende Fotos. Die US-Internetfirmen lehnen das ab und werden die Regierung in Washington unter erheblichen Druck setzen. Werden Daten mit dem Abkommen für die Ewigkeit festgeschrieben?

    Aigner: Generell kann ich jedem nur raten, möglichst wenig ins Netz einzustellen, weil in der Tat es sehr schwierig ist, irgendwann etwas wieder aus dem Netz zu löschen. Das Netz vergisst in der Regel sehr wenig und deshalb ist mit persönlichen Daten und schon gleich ganz mit persönlichen Bildern mehr als sorgsam umzugehen. Das kann ich jedem von vornherein nur raten.

    Heinemann: Das ist jetzt wieder nur ein Appell an die Verbraucher. Ins Abkommen wird es wohl nicht kommen, höre ich da heraus?

    Aigner: Ja noch mal: Wenn Sie selbst was einstellen, dann ist das ja auch Ihre eigene Entscheidung, das einzustellen.

    Heinemann: Die Frage ist ja, ob es gelöscht werden kann. Es kann ja auch sein, dass jemand ein Bild von mir einstellt, das ich gar nicht da haben will.

    Aigner: Genau. Und wenn Sie das machen und Sie sind keine Person des öffentlichen Rechts, haben Sie ja auch ein Anrecht, dass es gelöscht wird, auch heute schon nach geltendem Recht.

    Heinemann: Und das akzeptiert auch die US-Regierung?

    Aigner: Davon hoffe ich, darf man ausgehen, und deshalb sage ich ja immer, der Datenschutz muss ein wesentlicher Bestandteil dieser Verhandlungen sein.

    Heinemann: Das Abkommen zum Urheberrecht, das unter der Bezeichnung ACTA gescheitert ist, wurde hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und dann einer erstaunten und zunehmend empörten Öffentlichkeit präsentiert. Ist garantiert, dass sich die Geheimniskrämerei von ACTA nicht wiederholen wird?

    Aigner: Ich gehe davon aus, dass alle aus diesem Vorgang gelernt haben und dass es wichtig ist, dass alle Bereiche mit einbezogen werden. Deshalb kann ich auch hier nur für Transparenz werben. Alles, was letztendlich dann im Geheimen ist, hat ein Potenzial, um Misstrauen zu schüren, und deshalb ist jeder gut beraten, hier offen die Verhandlungen zu führen. Es ist auch – das sage ich jetzt noch mal ausdrücklich – insgesamt für Verbraucher und für Deutschland und für Amerika ein wichtiges Vorhaben, und deshalb ist Transparenz hier an oberster Stelle.

    Heinemann: Schauen wir noch auf Ihre Rolle in der ganzen Sache. Ist, um es mal mit Bert Brecht zu formulieren, Ihr Einsatz als Heilige Ilse von den Schlachthöfen auch ein Beitrag zum bayrischen Landtagswahlkampf? Da kann man sich ja prima profilieren.

    Aigner: Nein! Das ist auf alle Fälle ein Beitrag als Verbraucherschutzministerin von Deutschland, und solange ich in diesem Amt bin, werde ich natürlich auch die Verbraucherbelange immer schwer vertreten. Das ist meine Aufgabe, glaube ich.

    Heinemann: Stichwort "solange Sie im Amt sind". Ihre Chancen, Horst Seehofer zu beerben, sind ja gestiegen, nachdem Ihre Parteifreundin Christine Haderthauer mit den Modellautos verunglückt ist?

    Aigner: Erst einmal geht es um die Wahlen und Horst Seehofer tritt zurecht und mit meiner vollen Unterstützung als Ministerpräsident an und ich werde alles tun, dass er auch nach dem 15. September wieder im Amt sitzt.

    Heinemann: Und Sie basteln ja auch keine Modellautos?

    Aigner: Nein.

    Heinemann: Danke schön für das Gespräch!

    Aigner: Danke! Ihnen einen schönen Tag!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.