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Zum Niesen vor die Tür

Deutsche Austauschschüler zieht es meist in die USA, nach Kanada, Neuseeland, Australien oder England. Doch langsam rückt auch China ins Visier der Jugendlichen. Gemeinnützige Organisationen wie AFS, Partnership International und YFU etwa bieten entsprechende Programme an. Kostenpunkt: etwa 8000 Euro.

Von Susanne Kihm |
    Für den Münchner Bastian geht's im Sommer los, nach Kunming in die chinesische Grenzregion zu Tibet. Bis dahin ist er 15 und erfüllt damit eine wesentliche Voraussetzung für den Schüleraustausch.

    "Also ich werde mit den anderen, die auch in diese Region fahren, ein Wochenende verbringen, dass wir uns schon mal auf die Kultur vorbereiten können, und dass wir einfach wissen, was auf uns zukommt, dass wir genauere Informationen erhalten."

    Mit der Sprache dürfte Bastian wenig Probleme haben. Er lernt schon seit sechs Jahren bei einer Privatlehrerin Chinesisch.

    "Aber das Problem in den ersten zwei Monaten wird sein, dass ich reinkomme, dass ich reden kann und nicht über jeden Satz nachdenken muss, den ich spreche."

    Bedingung für ein Austauschschuljahr in China sind solche Sprachkenntnisse allerdings nicht. Die Austauschorganisationen verlangen in der Regel nur, dass man sich bei der Ankunft in China etwas verständigen kann. Auch die Schulnoten fallen weniger ins Gewicht als das Interesse für die fremde Kultur.

    Und das war auch bei Miguel Waltereit groß. Auch er hat sein zehntes Schuljahr in China verbracht - drei Jahre ist das jetzt her. Doch der herzliche Empfang damals durch seine Gastfamilie in Nanjing ist ihm bis heute in Erinnerung:

    "Meine Familie hat direkt gelächelt, hat mir irgendwas erzählt, was ich natürlich nicht verstanden hab. Mein Vater konnte ein bisschen Englisch, meine Gastmutter gar nicht. Das heißt, man konnte sich nicht richtig verständigen verbal, aber eben durch die Gesten. Die haben mir direkt zugelächelt, haben mich so symbolisch an die Hand genommen, haben gesagt, das ist das Auto, meinen Koffer genommen. Ich war total erleichtert. Das merkt man einfach, das war eine gute Familie, das wird was, so nach dem Motto."

    Ein Zuckerschlecken war's nicht. Seine Gasteltern sagten ihm ganz unverblümt:

    "Du musst das jetzt lernen, das ist ein Tisch, das ist ein Stuhl. Ich muss sagen, ich hab das so schnell gelernt. Sie haben wirklich aufs Essen gezeigt und haben gesagt: Ist das lecker oder ist das nicht lecker? Dann hab ich mir das so zusammengewürfelt, das ging wirklich so schnell. Die haben sich so um mich gekümmert, dass ich gar nicht weiß, wie ich das jemals wieder zurückgeben soll. Ich kam nach Hause von der Schule, sie haben sich mit mir unterhalten den ganzen Abend, mir alles erklärt, wirklich unermüdlich, auch wenn ich ein Wort nach zehnmal immer noch nicht konnte."

    Kein Wunder, nach acht Stunden in einer Klasse mit 55 chinesischen Mitschülern. Vom Stoff verstand er so gut wie nichts. Der Anspruch war hoch an dieser Schule, der drittbesten der Millionenstadt Nanjing. Die Lehrer hatten Mühe, die einheimischen Schüler durchzubringen. Ihnen blieb gar keine Zeit, sich um den Gast aus Deutschland zu kümmern.

    "Sie haben gesagt, macht, was Ihr wollt, solange Ihr nicht stört. Manche Schüler haben auch Musik gehört auf ihrem i-Pod, fand ich sehr respektlos."

    Waltereit lernte für sich Vokabeln und Piktogramme, las oder schrieb Briefe. Was gar nicht geht in China - am Tisch seine Nase zu putzen -, lehrte ihn die Erfahrung:

    "Das habe ich einmal gemacht ganz am Anfang. Da hat meine Mutter zu mir gesagt: Du, das ist natürlich jetzt kein Problem, Du bist ja nicht von hier. Aber wenn Dir das noch einmal passiert, wenn Du mal niesen musst, dann geh‘ einfach kurz raus oder auf die Toilette, weil hier in China macht man das einfach nicht."

    Ein Austauschschuljahr heißt eben immer auch: Verständnis entwickeln für die Sitten des Gastlandes. Konsul Dai Jiqiang vom chinesischen Generalkonsulat in München formuliert es so:

    "Das ist meisten Basis für Völkerverständigung. Man sollte direkt Kontakt mit China haben. Bei uns sagt man: 1000 Mal hören ist nicht so gut wie einmal gesehen. Eigene Erfahrung ist besser. Direkt Kontakt zu chinesischen Schule, zu chinesischen Schülern, das ist wichtig."

    Miguel Waltereit gibt seine Erfahrungen mittlerweile auf Vorbereitungsseminaren an angehende China-Austauschschüler weiter. Irgendwann, nach dem Studium, will er wieder in China leben - und arbeiten. Vielleicht als Anwalt in einer internationalen Kanzlei.