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Zum Tod des Ex-Präsidenten
Überzeugter Europäer: Jacques Chirac

Jacques Chirac war der erste französischer Staatspräsident, der Frankreichs Schuld an der Deportation der Juden während der deutschen Besatzung anerkannte. Als überzeugter Europäer musste er hinnehmen, dass die Franzosen gegen eine europäische Verfassung votierten. Nun ist er im Alter von 86 Jahren gestorben.

Von Anke Schaefer | 26.09.2019
Der ehemalige französische Staatspräsident Jacques Chirac starb im Alter von 86 Jahren
Jacques Chirac genoss auch das zweifelhafte Privileg, als erster französischer Präsident wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilt zu werden (imago images / Belga)
In seinen Neujahrsansprachen – und auch sonst: Immer freundlich, jovial und mit jeder Faser seines Körpers Staatsmann: Jacques Chirac. Zwölf Jahre, von 1995 bis 2007, war er Frankreichs Präsident. Nachdem er zuvor fast 20 Jahre Bürgermeister von Paris gewesen war und sich bereits zwei Mal als Präsident beworben hatte, zog er in den Elysee Palast ein. Dort erregt er sofort Aufsehen, als er kurz nach seinem Amtsantritt entscheidet, die Atomtests im Südpazifik auf Mururoa wieder aufzunehmen. Natürlich, sagt Chirac bedauernd, wäre es uns allen lieber, wenn wir die Atomtests nicht wieder aufnehmen müssten – aber leider haben wir sie zu früh beendet. Internationale Proteste sind die Folge.
Anerkennung von Frankreichs Schuld
Anerkennung bekommt Chirac hingegen für seine Entscheidung, im Juli 1995 als erster französischer Staatspräsident die Mit-Verantwortung Frankreichs an der Deportation der Juden während der Zeit der Besatzung anzuerkennen:
"Diese schwarzen Stunden besudeln unsere Geschichte für immer. Sie sind eine Schande für unsere Vergangenheit. Ja, der kriminelle Wahn der Besatzer wurde – und jeder weiß das – von den Franzosen und vom französischen Staat unterstützt."
Die Sozial- und Rentenreform, die Jacques Chirac in den folgenden Jahren durchsetzen möchte, scheitert. Er sieht sich Massenprotesten gegenüber, Streiks lähmen das Land. Chirac knickt ein, zieht vieles zurück. Dass diese Chance vertan wurde, wirkt bis heute nach.
Engagement gegen den Irak-Krieg
In der Außenpolitik zeigt er mehr Standhaftigkeit. 2003 ist er ein überzeugter Gegner des Irak-Kriegs. Er sieht sie darin einig mit dem sozial-demokratischen Kanzler Gerhard Schröder. An dessen Seite setzt sich Chirac, überzeugter Kämpfer für den Dialog der Kulturen und überzeugter Europäer, auch für eine Europäische Verfassung ein. 2005 aber muss der Mann mit den breiten Schultern und den großen Händen hinnehmen, dass die Franzosen diese Verfassung in einem Referendum ablehnen:
"Das Referendum über die Europäische Verfassung hat für Frankreich eine Phase der Schwierigkeiten und der Unsicherheiten eröffnet."
Verurteilt wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder
In all diesen Jahren schon munkelt man, dass Chirac in seiner Zeit als Bürgermeister von Paris Scheinarbeitsverträge abgeschlossen habe. Erst aber nachdem seine Immunität 2007 endet, können die Ermittlungen aufgenommen werden. 2011 wird Chirac als erster Präsident der 5. Republik zu einer Gefängnisstrafe, wenn auch auf Bewährung, verurteilt, wegen Unterschlagung und Veruntreuung öffentlicher Gelder.
Als das "Drama seines Lebens" aber bezeichnete Chirac einmal in einem Interview die Tatsache, dass seine Tochter Laurence mit 15 Jahren an Magersucht erkrankte und viele Selbstmordversuche unternahm. Bernadette, seine Ehefrau, hat sich intensiv für Magersuchtkranke engagiert:
"Ich glaube ganz Frankreich weiß es, sagt Bernadette, Chiracs Ehefrau, "wir hatten ein großes Unglück, eine sehr kranke Tochter." Laurence ist im April 2016 mit 58 Jahren gestorben. Chiracs jüngere Tochter, Claude, war zweitweise seine Beraterin.
Überworfen mit Ziehsohn Nicolas Sarkozy
In den letzten Jahren ist Jacques Chirac nur noch selten aufgetreten. Zum letzten Mal 2014, aus Anlass der Verleihung eines Preises seiner Stiftung Fondation Chirac. Gastredner war der sozialistische Präsident François Hollande. Den hatte Chirac auch im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt.
Mit seinem früheren Ziehsohn, mit Nicolas Sarkozy, hatte sich dieser freundliche Herr dauerhaft überworfen. Wie freundlich er sein konnte, das zeigte sich zum Beispiel in einem Zusammentreffen mit Kanzlerin Merkel, bei dem er sich gut gelaunt als Biertrinker outete: "Die Kanzlerin weiß, dass ich Biertrinker bin."