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Zum Tod von Andrea Camilleri
"Eine einzigartige Mischung"

Heute ist Andrea Camilleri 93-jährig in Rom gestorben. Bekannt wurde er mit seinen Montalbano-Krimis, die auf Sizilianisch und Hochitalienisch geschrieben sind. "Dieser Gegensatz, dieser Kontrast prägt seine Bücher und erzeugt sehr oft komische Wirkung", sagte die Übersetzerin Annette Kopetzki im Dlf.

Von Jan Drees | 17.07.2019
Der italienische Schriftsteller Andrea Camilleri.
Hundertmillionenfache Gesamtauflage: Andrea Camilleri (imago / El Mundo)
Bekannt wurde der gebürtige Sizilianer Camilleri vor allem mit seinen Kriminalromanen über den kauzigen Kommissar Salvo Montalbano. Die Verfilmungen der italienischen Rundfunkanstalt RAI waren über die beeindruckende Dauer von zwanzig Jahren wahre Straßenfeger mit Einschaltquoten von 45 Prozent – übertroffen lediglich von den Übertragungen wichtiger Spiele der italienischen Fußball-Nationalmannschaft.
Camilleri kommentierte stets hellwach die politischen Verwerfungen seines Landes, und er war in vielfacher Hinsicht ein italienischer Herr alter Schule, dessen traditionell verwurzeltes Männerbild beispielhaft gezeigt wird in seinem autobiographisch gefärbten Roman "Die Pension Eva". Es ist die warmherzige Geschichte eines Freudenhauses in den 1940er-Jahre, keine 170 Seiten umfassend, und doch ein komplettes Archiv Siziliens zur Jugendzeit Camilleris.
2008 sprach Maike Albath für den Deutschlandfunk mit Andrea Camilleri und fragte ihn, was man in seiner Jugend wusste vom weiblichen Geschlecht. Seine Antwort, beendet er damals mit einem Lachen – vielleicht auch deshalb, weil sich das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen in Italien seitdem emanzipiert hat. "Es war ein Terrain, das man erforschen durfte. Heute ist dieser Bereich von vornherein vollständig bekannt", erinnert sich der Schriftsteller, "echte Entdeckungen sind kaum mehr möglich. Ganz abgesehen von dem sexuellen Aspekt wollten wir einfach verstehen, wie Frauen sind, wie sie denken, wie sie sprechen. Wir hatten ja überhaupt keine Möglichkeit, jenseits von offiziellen Begegnungen Frauen kennenzulernen."
Zugetan dem Essen und den Frauen
Andrea Camilleri war sehr produktiv. Gezählt sind 1.300 Radioproduktionen, 120 Theaterinszenierungen, 80 Fernsehspiele und mehr als 100 Bücher. Durch seinen Erfolg als Kriminalschriftsteller mag er in den Verdacht der leichten Muse geraten zu sein – tatsächlich wird vielfach sein breites literaturhistorisches Wissen und seine originell-intertextuelle Kraft hervorgehoben. Zudem ist er weitläufig verwandt mit dem Literaturnobelpreisträger Luigi Pirandello. Die Hamburgerin Annette Kopetzki hat zahlreiche Bücher Camilleris ins Deutsche übersetzt. Im heutigen "Büchermarkt"-Gespräch hat sie eine Annäherung gewagt an den Welterfolg des Schriftstellers, als sie sagte:
"Camilleri hat in einer einzigartigen Mischung aus der sizilianischen Sprache, das ist eigentlich kein Dialekt, und Hochitalienisch geschrieben. Dieser Gegensatz, dieser Kontrast prägt seine Bücher und erzeugt sehr oft komische Wirkung, beispielsweise, wenn ein norditalienischer Polizist nach Sizilien versetzt wird, und dort mit seinem Hochitalienisch auf den Dialekt stößt. Ich glaube, weil Sie vom Welterfolg sprechen: der liegt bei den Montalbano-Krimis, die sich hundertmillionenfach verkauft haben und in 46 Sprachen übersetzt wurden, natürlich erstens an Sizilien, diesem wunderbaren Land, und zweitens an der Figur des Montalbano – ein etwas verschrobener, versonnener, sehr dem guten Essen den Frauen zugetaner Polizist, mit dem sich die Leser unmittelbar identifizieren konnten, vor allem die Italiener. Er ist ein durchschnittlicher Mensch, verlässt sich mehr auf seine Intuition als auf polizeiliche Techniken, und eckt auch oft an, also: Diese Figur hat etwas so Rundes und auch Liebenswertes, dass sicherlich der Erfolg der Montalbano-Krimis damit zusammenhängt."
Am 17. Oktober dieses Jahres wird die Hamburgerin den renommierten, mit 20.000 Euro dotierten Paul-Celan-Preis in Empfang. Das Werk von Andrea Camilleri erscheint in Deutschland bei Rowohlt in Hamburg, zuletzt "Gewisse Momente", aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki, 176 Seiten, 22 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.