Donnerstag, 25. April 2024

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Zum Tod von Hans-Dietrich Genscher
"Wir sind ihm alle unglaublich dankbar"

Ohne das Geschick und das Gespür Hans-Dietrich Genschers hätte es die deutsche Einheit und die Einigung Europas in dieser Form so nicht gegeben, sagte der sächsische FDP-Landesvorsitzende Holger Zastrow im DLF. Seine ausgleichende Politik sei auch für die jüngere Generation stets ein Vorbild gewesen.

Holger Zastrow im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 01.04.2016
    Der Vorsitzende der sächsischen FDP, Holger Zastrow, spricht am 03.05.2014 auf dem Landesparteitag der FDP in Chemnitz (Sachsen).
    Holger Zastrow (FDP) über Hans-Dietrich Genscher im DLF: "Ich glaube, gerade meine Generation aus Deutschland, aber viele andere auch, werden ihr ganzes Leben mit dem Namen Genscher verbinden." (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Ann-Kathrin Büüsker: Auf dem nächsten Telefon darf ich Holger Zastrow begrüßen, er ist der Landesvorsitzende der FDP in Sachsen und mit ihm möchte ich sprechen über die Bedeutung Genschers für den Osten. Guten Tag, Herr Zastrow!
    Holger Zastrow: Tag, Frau Büüsker!
    Büüsker: Dann reiche ich meine Frage gleich weiter an Sie, welche Bedeutung hatte Genscher für den Osten?
    Zastrow: Eine unglaublich große. Ich glaube, gerade meine Generation aus Deutschland, aber viele andere auch, werden ihr ganzes Leben mit dem Namen Genscher verbinden. Jeder hat die historische Rede an der Prager Botschaft noch im Ohr, das war ein ganz, ganz starker, ein ganz entscheidender Impuls. Und auch für den Verlauf der friedlichen Revolution und ohne sein Geschick, ohne sein Gespür, glaube ich, wäre es so nicht zur deutschen Einheit und natürlich auch zur Einigung in Europa gekommen. Wir sind ihm alle unglaublich dankbar.
    "Es fehlt die sensible, weiche und auch ausgleichende Stimme eines Hans-Dietrich-Genschers"
    Büüsker: War Genscher dann auch so etwas wie ein Vorbild für Sie?
    Zastrow: Ja, also … Ich habe mir oft diese Frage gestellt, weil ich ja nun wirklich wesentlich jünger bin und ich bin in die FDP eingetreten, als er damals als Außenminister abgetreten ist. Das heißt, ich habe einen ganz anderen Erlebnishorizont. Aber gerade jetzt, gerade in unseren Zeiten, in denen wir leben, wo doch die gesamte Politik und die Debatten von so einer Aufgeregtheit und Absolutheit geprägt ist und so eine graue Zone auch wieder zwischen Ost und West herrscht, da fehlt diese, ja, sensible, weiche und auch ausgleichende Stimme eines Hans-Dietrich-Genschers schon.
    Denn ich glaube, wenn er damals in der Wendezeit so agiert hätte, wie manch aktueller Politiker das tut, dann hätte es die deutsche Einheit nie gegeben. Denn ihm ist es ja gelungen, mit Respekt und Verständnis gerade auf die kleineren Länder in Europa zuzugehen. Er hat sie mitgenommen und so weit mitgenommen, dass es am Ende gar keine Vorbehalte mehr gegen diese deutsche Wiedervereinigung gegeben hat. Und diese Art von Politik, ich glaube, die sollte Vorbild auch für uns in der jüngeren Generation sein.
    Büüsker: Haben Sie denn mal seinen Rat gesucht?
    Zastrow: Ja, ich habe ja das Glück gehabt, in den letzten Jahren häufig sein Nachbar auf Bundesparteitagen gewesen zu sein, weil er neben mir saß. Und wir haben uns dort auch ausgetauscht. Er hat sich ja aus vielen Dingen, die die Tagespolitik in der FDP betraf, auch rausgehalten, ich glaube aber, dass er bei den großen Entscheidungen der letzten Jahre auch immer dabei gewesen ist.
    Ich habe ihn häufiger mal gefragt zu Dingen, die im Osten sind. Jetzt muss man dazu sagen, die FDP in Ostdeutschland hat ja schwierige Zeiten durch, es ging immer mal hoch, mal wieder runter. Wir kennen auch dieses ständige Auf und Ab, aber in den letzten Jahren hat uns vor allem eins geholfen, nämlich dass er einer der Politiker in der FDP gewesen ist, die die FDP breiter aufstellen wollten.
    Und genau das ist so ein Stück weit das Erfolgsrezept für uns in Ostdeutschland gewesen, denn wir sind halt nie eine Klientelpartei gewesen. Die klassischen liberalen Milieus, die man vielleicht aus dem deutschen Südwesten kennt, die gab es ja bei uns nicht. Und erst seitdem wir angefangen haben im Osten, uns tatsächlich auch dazu zu bekennen, die FDP und die liberale Politik breiter aufzustellen, ging es dann auch besser.
    "Für uns war der liberale Gedanke der Freiheitsgedanke"
    Büüsker: Was genau heißt denn breiter aufstellen?
    Zastrow: Ja, der liberale Gedanke ist nichts Exklusives, das ist nichts, was nur für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe attraktiv ist. Sondern viele bei uns, die auch in der FDP sind, haben ihre Wurzeln in der friedlichen Revolution, in den Protesten auf der Straße.
    Das geht mir selber auch so, ich bin ja auch in Dresden damals bei den Auseinandersetzungen mit dem SED-Regime mit dabei gewesen und für uns war der liberale Gedanke der Freiheitsgedanke. Und der umspannte alle Milieus, alle Generationen, Arm und Reich, alle … auch das gesamte intellektuelle Potenzial, was es in der Gesellschaft so gibt. Und das ist uns dann zwischendurch mal ein bisschen abhandengekommen, weil man gesagt, na ja, liberal zu denken, das musst du dir leisten können, da musst du halt besonders schlau sein und möchtest auch besonders gut situiert sein.
    Das hat nie zum Osten gepasst, wir sind hier einfach breiter aufgestellt, das sieht man auch daran, dass wir eine ganz starke gesellschaftliche Verankerung vor allem in den Kommunen haben. Die FDP in Ostdeutschland ist da wesentlich breiter aufgestellt als die FDP zum Beispiel im Westen. Und das ist etwas, was ich mit Hans-Dietrich-Genscher auch verbinde und was uns auch immer getragen hat.
    Büüsker: Holger Zastrow war das, er ist der Landesvorsitzende der FDP in Sachsen. Herr Zastrow, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
    Zastrow: Ja, danke schön!
    Büüsker: Hans-Dietrich-Genscher ist 89 Jahre alt geworden. Der ehemalige Bundesaußenminister ist in der vergangenen Nacht gestorben an Herzkreislaufversagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.