Mittwoch, 24. April 2024

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James-Webb-Weltraumteleskop hebt ab
Zum Urknall!

14 Jahre Verzögerung, sechs Milliarden Dollar Mehrkosten gegenüber den ursprünglichen Plänen - nun aber soll das James-Webb-Weltraumteleskop endlich ins All starten. Der Blick des Instruments im Infrarotbereich reicht weit zurück: bis zur Geburt der ersten Sterne und Galaxien kurz nach dem Urknall.

Von Dirk Lorenzen | 28.11.2021
Das JWST in einer Illustration/künsterischen Darstellung
Teures Hightech-Origami - wenn beim Start und beim Entfalten alles klappt, dann könnte das JWST der Menschheit völlig neue Erkenntnisse bringen (Northrup Grumman/NASA)
Kourou, Europas Weltraumbahnhof in Französisch Guyana: In der einsamen Gegend im Norden Südamerikas ragt eine Ariane-5-Rakete aus der offenen Landschaft zwischen Urwald und Atlantik.
„Ich werde in Kourou sein, wahrscheinlich mit meinem Kollegen Thomas Zurbuchen von der NASA.“
Von einem Aussichtspunkt gut fünf Kilometer entfernt starrt ein handverlesenes Publikum auf die Startrampe. Seit mehr als zehn Jahren warten die Astronominnen und Astronomen auf diesen Moment.
„Der Start ist natürlich immer eines der größten Risiken.“ Dann stemmt sich die Rakete auf einem gleißend hellen Feuerschweif in den Himmel. In ihrer Spitze die wertvollste Fracht, die je ins All geflogen ist. „Also es ist schon so ein bisschen ein laues Gefühl im Magen.“
Das neue James-Webb-Weltraumteleskop wird nicht in einen Erdorbit einschwenken, sondern weiter hinaus ins All fliegen. Wenn alles nach Plan läuft, bezieht es anderthalb Millionen Kilometer von der Erde entfernt Position. Um seinen Blick weit in die Tiefen des Weltalls zu richten.

Start war eigentlich schon für 2007 geplant

Die Erwartungen an das nächste große Weltraumteleskop könnten kaum größer sein. Das gilt besonders für Günther Hasinger. Ursprünglich sollte James Webb schon 2007 abheben. Immer wieder verschob sich der Start.

„Dieses Ding – das ist ja hoch kompliziert. Und wir haben es meiner Meinung nach, vor allem natürlich die Kollegen bei der NASA, so gut getestet, dass also hoffentlich nix schiefgehen kann.“

Als Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA verantwortet Hasinger Europas 15-Prozent-Anteil am Gemeinschaftsprojekt mit der NASA. Mindestens so groß wie die Nervosität ist die Vorfreude des Astrophysikers. Denn für unser Verständnis des Universums soll es ein ganz neuer Höhepunkt werden.

„Natürlich, ja! Also immer, wenn man auf so einen Gipfel hinarbeitet – und manchmal fühlt man sich ja wie Sisyphus, dann rollt der Stein wieder ein Stückchen runter – aber jetzt sind wir langsam dabei, wirklich den Gipfel zu erreichen.“
Blick auf den Detektor in der Mitte des Hauptspiegels
JWST wird in die durch Staub- und Gaswolken versteckten dunklen Gebiete des Alls hineinschauen (imago/Zuma)

"JWST" ist ein Nachfolger von "Hubble" - aber ein sehr "spezieller"

Seit über 30 Jahren ist das Hubble-Weltraumteleskop in der Erdumlaufbahn ein unverzichtbares Instrument für die Astronomie, nun kommt mit James Webb (JWST - James Webb Space Telescope) ein weiteres hinzu.

„James Webb ist ja hauptsächlich auf den infraroten Bereich des Spektrums konzentriert und ist dort ungefähr hundertmal empfindlicher als Hubble. Also es eröffnet uns sozusagen neue Farben im Spektrum und es ist an vielen Stellen hundertmal empfindlicher.“

Bevor Günther Hasinger zur ESA wechselte, war er unter anderem in Potsdam, an einem Max-Planck-Institut in Garching und in Hawaii tätig. Er begeistert sich für extrem massereiche Schwarze Löcher in der Frühzeit des Universums. Hubble empfängt vor allem das „normale“ sichtbare Licht, das die Himmelskörper aussenden. James Webb aber ist besonders im Bereich der Infrarot- oder Wärmestrahlung empfindlich. Damit sehen die Astronomen das Universum bald mit anderen Augen.

„Wenn Sie sich eine Mülltüte überziehen, dann sieht man ja im sichtbaren Licht nur schwarz. Aber wenn Sie dann mit einem Infrarot-Teleskop angeschaut werden, dann kann man durch diese Mülltüte durchschauen. Und so ähnlich ist es auch, dass sozusagen dann die Infrarotstrahlung in unserer eigenen Milchstraße besonders tief hineinschauen kann in die dunklen Gebiete, die ja durch Staub- und Gaswolken versteckt sind.“
Das Hubble-Weltraumteleskop in der Umlaufbahn
Hubble war ein gigantischer Erfolg für die Astronomie - aber seine "Sichttiefe" ins All ist begrenzt (ESA / NASA)

Wo Hubble schwarz sieht, macht JWST weiter

James Webb macht im Kosmos da weiter, wo Hubble buchstäblich schwarz sieht. So blickt es mühelos ins Innere von Gas- und Staubwolken, in denen gerade Sterne und Planeten entstehen. Webb erfasst viel größere Bereiche des Universums – es blickt räumlich weiter hinaus und zeitlich weiter zurück als Hubble. Denn die Expansion des Weltraums dehnt auch die Wellenlängen der Lichtstrahlen – so wird aus bläulich-weißer Strahlung junger Sterne rotes Licht, bei ganz fernen Objekten sogar infrarotes.
Hubble kann nur Sterne erfassen, deren Licht sich vor höchstens 13 Milliarden Jahren auf den Weg gemacht hat – als der Kosmos kaum 700 Millionen Jahre alt war. Davor verschwimmt für Hubble alles im Infraroten – nicht aber für James Webb.

„Wir wissen noch nicht genau, wann die ersten Sterne nach dem Urknall entstanden sind. Wir wissen ziemlich genau, dass es schon Galaxien gegeben hat und auch Quasare – also Schwarze Löcher – ungefähr 800 bis 900 Millionen Jahre nach dem Urknall. Und wir können auch aus dem Licht dieser Galaxien schon sagen, dass da Sterne vorhanden sein müssten, die schon vielleicht 200 bis 300 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sind. Aber die hat noch niemand gesehen und das würde praktisch James Webb sehen können.“

Blick in das "Krabbelalter" des Universums

Stellt man sich den Kosmos als 50-jährigen Menschen vor, dann sieht das neue Teleskop das Universum zu einer Zeit, als es noch im Krabbelalter war und gerade anfing, laufen zu lernen. Ganz bis zur Geburt, zum Urknall, kommt auch James Webb nicht, aber das neue Teleskop sollte die ersten Sterne und Galaxien sichtbar machen, die im ansonsten noch wüsten und dunklen Kosmos aufgeleuchtet sind. Das Universum hatte es erstaunlich eilig, schon wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall aus den sich ausdehnenden Materiemassen Sterne und Galaxien zu formen.
„Und dann insbesondere auch die Frage der Schwarzen Löcher. Wir sehen eben diese extrem schweren, massiven Quasare schon ziemlich früh im Universum und können uns nicht erklären, wie die so schnell entstanden sein können. Und da wird James Webb praktisch die frühesten Schwarzen Löcher vermutlich sehen können.“
Die Illustration zeigt die Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs im Herzen der aktiven Galaxie NGC 3783 im südlichen Sternbild Centaurus (der Zentaur).
Entstehen Schwarze Löcher wirklich nur aus kollabierenden Sternen? Das JWST könnte zu einem neuen kosmologischen Modell führen. (dpa/ picture alliance / ESO/M. Kornmesser)

Das "Henne-Ei-Problem" bei den Schwarzen Löchern

Im Zentrum fast jeder Galaxie befindet sich ein Schwarzes Loch – ein massereiches und zugleich extrem kompaktes Objekt, dessen Anziehungskraft so groß ist, dass nichts entkommt, nicht einmal Licht. Dennoch sind Schwarze Löcher oft gut zu beobachten, denn meist sind sie von äußerst heißer Materie umgeben, die besonders hell leuchtet. Die Kosmologie steht bei Galaxien und Schwarzen Löchern vor einem Henne-Ei-Problem. Gab es erst die Galaxien mit vielen Sternen, in denen sich dann Schwarze Löcher gebildet haben? Oder waren die Schwarzen Löcher zuerst da und dienten als Keimzellen der jungen Galaxien?
„Ein faszinierender, aber auch sehr spekulativer Gedanke ist, ob vielleicht die Schwarzen Löcher schon am Anfang da waren, die so genannten primordialen Schwarzen Löcher. Das könnte James Webb vielleicht etwas erleuchten.“ Schwarze Löcher entstehen, wenn massereiche Sterne als Supernova explodieren und der Rest der Materie zu einem extrem kompakten Objekt zusammenstürzt. Nach einer Theorie aus den 60er-Jahren könnten sich aber schon innerhalb der ersten Sekunde nach dem Urknall Unmengen an Schwarzen Löchern gebildet haben, ohne den Umweg über Sterne zu gehen. Bisher ist das nur eine theoretische Spielerei – doch wenn James Webb tatsächlich viele Schwarze Löcher in der Kindheit des Kosmos aufspürt, würde dies die Theorie stützen.
„Wir kennen von der gesamten Energiedichte mit nur etwa vier Prozent die Materie, aus der wir selbst bestehen. Dann wissen wir, dass es so etwas wie Dunkle Materie gibt, ungefähr 20 Prozent und der Rest ist Dunkle Energie. Aber sowohl von der Dunklen Materie als auch von der Dunklen Energie haben wir noch keinen blassen Schimmer, worum es sich dabei handelt. Und wenn es primordiale Schwarze Löcher gäbe, dann wäre es sehr wahrscheinlich, dass die Dunkle Materie komplett aus primordialen Schwarzen Löchern besteht.“

"Zwei Probleme mit einem Schlag gelöst"

James Webb soll den Astronomen die ersten Sterne und Galaxien zeigen – zudem Hinweise auf die frühesten Schwarzen Löcher, die womöglich direkt aus dem Urknall stammen. Wenn das glückt, wäre das viel mehr als nur der Beginn einer neuen Ära in der Himmelsforschung.
„Dann hätten wir gleich zwei Probleme mit einem Schlag gelöst. Wir wüssten dann, was die Dunkle Materie ist und wir wüssten, woher die frühen Schwarzen Löcher kommen, nämlich direkt aus dem Urknall. Also wenn wir das beweisen könnten, würde das unser Verständnis des Entstehungsprozesses des Universums wirklich auf den Kopf stellen.“
Das neue Weltraumteleskop könnte mit seinem Weitblick einige tragende Säulen der Astronomie erschüttern.
Arbeiten am wichtigsten Instrument des JWST, dem NIRSpec

NirSpec - das bedeutendste Instrument kommt aus Deutschland

Neue Erkenntnisse erwarten die Fachleute von den vier Kameras an Bord. Die Hauptkamera NIRC am wird die prachtvollsten Bilder liefern. Das wissenschaftlich bedeutendste Instrument aber kommt aus Deutschland.

Es wurde bis 2013 bei Airbus gebaut, damals noch Astrium, unter der Leitung von Ralf Maurer. Wenn der Ingenieur in seine Kamera-Halle ging, nahm er zunächst eine Dusche der besonderen Art. „Hier machen wir eine Luftdusche, damit wir schön sauber sind.“ Ralf Maurer war Projektleiter für den Bau von NIRSpec, dem Superauge des James-Webb-Weltraumteleskops.

Frisch abgepustet geht es in die Montagehalle im Münchner Vorort Ottobrunn. Grelles Neonlicht, viel technisches Gerät, Messinstrumente, Arbeitstische, Werkzeuge, zahllose Kabel. Es sieht aus wie bei einem Katastropheneinsatz: Durch die Halle laufen Ingenieure und Mechaniker in weißen Ganzkörper-Schutzanzügen, die nur die Augen frei lassen. Tatsächlich geht es darum, eine Katastrophe zu vermeiden. Denn jede Verschmutzung des Instruments, das so detailreich in die Weiten des Universums blicken soll, wie keines vor ihm, hätte womöglich desaströse Folgen. Dafür müssen Besucher ein Frösteln hinnehmen.

Die Glut der "Mondmännchen-Zigarette" wird sichtbar

„Sie fühlen jetzt hier auch den Luftstrom. Das ist die reine Luft, die aus der Filterwand hier hinten heraus kommt und uns entgegen weht. Damit ist sichergestellt, dass es wirklich absolut sauber ist. Denn bei Optiken, das ist wie bei der Brille, dürfen absolut keine Staubpartikel darauf sein. Das sind alles dann Streulichtquellen, die die Empfindlichkeit stören würden.“

Mitten in der Halle thront NIRSpec, der Nah-Infrarot-Spektrograph für das James-Webb-Teleskop, fast so groß wie ein Konzertflügel. Ein Spektrograph macht keine „normalen“ Fotos, sondern zerlegt das Licht der Himmelsobjekte, so wie Wassertropfen das Sonnenlicht zu einem Regenbogen werden lassen. Die Infrarotkamera made in Germany erreicht eine fast unglaubliche Empfindlichkeit.

„Wenn man NIRSpec nehmen würde und würde damit von der Erde aus auf den Mond schauen, dann könnte man, wenn es sie geben würde, die Mondmännchen erwischen, wie sie sich eine Zigarette anzünden. Das würde man sehen, also die Glut der Zigarette.“

Die Funzeln der frühesten Galaxien

Die eisigen Objekte am Rand des Sonnensystems jenseits von Pluto glimmen im Infrarotbereich nur schwach, Gleiches gilt für das kaum wahrnehmbare Funzeln der frühesten Galaxien im Kosmos. NIRSpec sieht das alles. Dafür muss es bei deutlich unter minus 200 Grad Celsius arbeiten. Für Ralf Maurer und sein Team war das beim Bau ein Albtraum, denn normale Metalle oder Kunststoffe halten solche Temperaturen kaum aus oder sie verformen sich beim Abkühlen sehr stark.

„Deswegen ist man hier einen völlig neuen Schritt gegangen und hat Keramik eingesetzt. Und zwar Keramik sowohl als Struktur als auch als Spiegelmaterial. Somit ist 80 Prozent des Instruments aus Keramik.“

NIRSpec ist neben dem Start mit der Ariane-Rakete die wichtigste Beteiligung Europas an James Webb. Als ESA-Instrument hat es eine aus Europa stammende wissenschaftliche Leiterin. „Nora Lützgendorf. Ich bin ein Instrument Scientist für JWST.“
Blick auf die NIRSpec-Kamera für das James-Webb-Teleskop
Die NIRSpec-Kamera für das James-Webb-Teleskop wurde in Deutschland gebaut (Astrium)

Deutsche Astronomin betreut das wichtige Instrument NIRSpec

Die deutsche Astronomin hat seit einigen Jahren eine amerikanische Dienstadresse: 3700 San Martin Drive in Baltimore. An einer gewundenen Nebenstraße der Metropole des US-Bundesstaats Maryland befindet sich ein fünfstöckiger Bau – ockerfarben gestrichener Beton wechselt sich Stockwerk für Stockwerk mit schwarz getönten Scheiben ab. Was auch das Verwaltungsgebäude einer Versicherung sein könnte, ist das wissenschaftliche Institut für Hubble und James Webb.
Im 4. Stock befindet sich das Büro von Nora Lützgendorf. Die junge Astronomin, die jetzt NIRSpec betreut, hat von den vielen Verzögerungen im Projekt sehr profitiert. „Ja natürlich, ich glaube, wenn es wirklich so von ganz Anfang an dann gestartet wäre, wann es hätte sollen, dann hätte ich das natürlich nicht wirklich mitbekommen in meiner professionellen Karriere, sondern wäre wahrscheinlich noch ein Student gewesen.“
Nora Lützgendorf steht seit einigen Jahren im Dienste der ESA – und musste selbst viel Geduld aufbringen. „Ich bin dann 2015 eingestellt worden, um direkt am Teleskop zu arbeiten und zu dem Zeitpunkt sollte es 2018 noch starten. Also wir hatten mehr Zeit, uns vorzubereiten.“
Die Astronomin ist dafür zuständig, dass NIRSpec nach dem Start getestet und geeicht wird und dann der wissenschaftlichen Gemeinschaft im Routinebetrieb zur Verfügung steht. Bei der Erforschung der Weiten des Kosmos wird „ihr“ Instrument eine überragende Rolle spielen: „NIRSpec ist sozusagen unser Multi-Tasker am Teleskop. NIRSpec hat diese ganz spezielle Einrichtung, dass wir bis zu 200 Spektren von Objekten zur gleichen Zeit aufnehmen können. Und das macht es ziemlich einzigartig, weil wir so was noch nie gemacht haben: im Weltall so viele Objekte auf einmal aufzunehmen und dann auch mit diesen winzig kleinen, wir nennen sie Mikro-Shutter, das sind diese klitzekleinen Türen, die wir im Instrument haben, die wir auf und zumachen können, um diese Spektren aufzunehmen.“
M16 mit den berühmten "Säulen der Schöpfung" - eine Hubble-Ikone
Die Spektral-Aufnahmen des JWST werden möglicherweise weniger spektakulär ausfallen als die berühmten Hubble-Bilder (NASA/ESA)

Galaxien-Fotos sehen schön aus - Spektralkurven sind wichtiger

Wenn James Webb einen Sternhaufen oder eine Ansammlung aus Hunderten von Galaxien beobachtet, dann kann NIRSpec von bis zu 200 Objekten gleichzeitig ein Spektrum aufnehmen. Möglich macht das eine spezielle Maske mit vielen kleinen Türen. Genau an der Stelle im Blickfeld, in der eine Galaxie oder ein Stern steht, öffnet sich ein Türchen – und das Licht gelangt in den Spektrographen.

„Ich auf jeden Fall bin ein sehr großer Fan von Spektren, weil man einfach so viel mehr Information aus Spektren herausfinden kann.“ Bunte Fotos mögen schöner aussehen, wissenschaftlich bedeutender aber sind Spektralkurven.

„Wir können Temperatur, chemische Zusammensetzung und Geschwindigkeiten von Spektren herausfinden. Wir können herausfinden, wie weit die Objekte entfernt sind usw. Das ist natürlich schwierig an die Öffentlichkeit rüber zu bringen, weil Spektren natürlich nicht so schön anzuschauen sind. Aber die Information, die man daraus dann später kriegen kann, ist einfach genial.“

„Normale“ Fotografien zeigen nur, dass im Kosmos etwas leuchtet. Spektren dagegen zeigen, was da leuchtet, wo es leuchtet und wie es leuchtet – Spektren verraten die physikalischen Zustände vor Ort, bei einem Stern in unserer Nachbarschaft genauso wie bei einer Galaxie in Milliarden Lichtjahren Entfernung.

Suche nach "Exoplaneten" - etwaigen "Geschwistern der Erde"

Der Infrarot-Blick von James Webb reicht nicht nur an den Rand des beobachtbaren Universums, fast bis zum Urknall. Das neue Teleskop wird aber auch unsere eigene Galaxie, die Milchstraße, absuchen. Vor unserer Haustür soll es nach den Geschwistern der Erde Ausschau halten.
Nora Lützgendorf: „Die Exoplaneten sind ein sehr großer Teil von der Wissenschaft, die wir mit James Webb machen wollen. James Webb hat dafür ganz spezielle Instrumente, die mit speziellen Vorrichtungen ausgestattet sind, um Exoplaneten besser beobachten zu können, so genannte Coronographen. Die sind dafür da, um das Licht von den Sternen auszublenden und den Planeten dann einfach besser abbilden zu können.“

Ein Coronograph sorgt für eine künstliche Sternfinsternis im Teleskop. Der hell strahlende Stern wird abgedeckt – damit die lichtschwachen Planeten, die ihn umkreisen, leichter zu sehen sind. Auch hier ist der Infrarotbereich des Spektrums besonders vielversprechend, weil Planeten im Infrarotbereich am meisten Strahlung abgeben, Sterne dagegen vergleichsweise schwach leuchten. Der Kontrast zwischen Stern und Planet ist für James Webb viel größer als für Hubble.

Gibt es irgendwo einen "Sauerstoff-Planeten"?

„Mit den wirklich sehr leistungsfähigen Spektrographen, die wir haben, können wir uns auch die Exoplaneten-Atmosphären anschauen und deren Zusammensetzung. Und wir schauen, ob da Leben möglich wäre oder so genannte Lebens-Marker vorhanden sind, die uns sagen, dass da vielleicht Leben drauf ist auf den Planeten.“

Womöglich spürt James Webb Sauerstoff in der Atmosphäre eines Planeten auf, der einen fremden Stern umkreist. So ein Signal würde die Fachwelt elektrisieren; denn Sauerstoff könnte auf Leben hindeuten. Allerdings sind auch für James Webb nur Planeten bei recht nahen Sternen gut zu beobachten. Es wäre ein riesiger Glücksfall, stieße man in unserer Nachbarschaft auf die mögliche Heimstatt von Aliens.

„Ich habe Glück. … Kurz nachdem wir dann das Instrument kalibriert haben, werden wir dann auch in der Lage sein, unsere eigene Wissenschaft ein bisschen voranzutreiben, damit die Sachen zu beobachten, die wir schon immer beobachten wollten mit Webb.“

Nora Lützgendorf darf als Belohnung für ihre Arbeit am Teleskop einige Zeit mit dem Teleskop machen, was sie will – sie lässt die Exoplaneten links liegen und blickt lieber auf das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße.
Das JWST in ausgefaltetem Zustand
Die Entfaltung des JWST am vorgesehehen Zielpunkt wird dreißig Tage dauern - wenn ein Schritt scheitert, ist die Mission verloren (imago/Zuma)

Die Entfaltung des Teleskops ist äußerst heikel

Bevor James Webb auf Entdeckungsreise im Kosmos gehen kann, muss die Reise in den Kosmos glatt gehen. Die besonders heikle Phase beginnt eine halbe Stunde nach dem Start, wenn die Ariane das riesige Teleskop aussetzt.

„Also sobald wir im Weltall sind, fangen die ganzen Entfaltungssequenzen an, also der Sonnenschirm wird ausgefaltet und der Spiegel wird ausgefaltet und so weiter. Das läuft ungefähr für 30 Tage, also ungefähr einen Monat.“

Die Bauweise des Teleskops bewegt sich irgendwo zwischen kühn und wahnsinnig – notgedrungen: Der Hauptspiegel hat sechseinhalb Meter Durchmesser und hätte im Stück nicht in die nur knapp 5 Meter dicke Rakete gepasst, erst recht nicht der Sonnenschirm von den Ausmaßen eines Tennisplatzes. James Webb startet daher kunstvoll zusammengeklappt ins All. Manche Beobachter fühlen sich an japanische Papierfaltkunst erinnert.
Das James Webb Space Telescope vor der Kühlkammer in Houston
Das JWST muss im All bei Tiefsttemperaturen funktionieren - deswegen fanden auch die Tests in Kühlkammern statt (NASA)

Das Origami-Prinzip beim JWST - erprobt, aber anspruchsvoll

Ein Origami-Experte sei er nicht, räumt John Mather ein. Der Physiknobelpreisträger ist der wissenschaftliche Leiter von James Webb. Aber er wisse, dass man dieses raffinierte Falten nur dann richtig hinbekomme, wenn man es viele Male übe. Und so hat das NASA-Team wieder und wieder geprobt, das Teleskop vollautomatisch auszuklappen – bei den Spiegelsegmenten muss das mikrometergenau geschehen, sonst sähe James Webb den Kosmos nur unscharf. Es sind 178 Schritte nötig, um im All aus dem Origami-Teleskop die golden glänzende Urknall-Maschine zu machen. Geht nur einer schief, ist die Mission verloren, bevor sie begonnen hat.

„Albträume habe ich deswegen nicht. Aber ich habe dafür gesorgt, dass wir alle Eventualitäten durchspielen. Das Ausklappen des Hauptspiegels im All wird der kritischste Teil der Mission. Doch die Firma, die James Webb gebaut hat, hat bei anderen Satelliten schon Tausende Male etwas entfaltet. Das ist für uns keine Garantie. Aber wir haben das Können, so etwas zu tun.“

Zwischenzeitlich schien es, als nähmen die vielen Tests gar kein Ende, auch weil sie zum Teil in riesigen Kühlkammern stattgefunden haben – allein das vorsichtige Abkühlen und wieder Auftauen braucht viele Monate. Statt – wie einst geplant – 2007 geht es nun fast 15 Jahre später ins All, statt 500 Millionen Dollar kostet James Webb nun über 9 Milliarden. Kein anderes Forschungsinstrument war bei der Inbetriebnahme teurer.

JWST wird sich im Gegensatz zu Hubble nicht reparieren lassen

2011 drohte der US-Kongress, das Projekt wegen der horrenden Kosten zu stoppen. Doch die finanziell wie zeitlich teuren Tests waren kein Selbstzweck. John Mather: „Das James Webb-Teleskop ist nicht für Reparaturmissionen ausgelegt. Wir sollten das Instrument also besser korrekt bauen. Deswegen haben wir auf einem so gründlichen Testprogramm bestanden.“

Bei Hubble in der Erdumlaufbahn ließ sich bei fünf Wartungsmissionen mit einem Space Shuttle sogar der falsch geschliffene Hauptspiegel korrigieren. Bei einem ähnlichen Fehler wäre James Webb verloren, weil es in anderthalb Millionen Kilometern Abstand für astronautische Missionen unerreichbar ist. John Mather hat das Teleskop durch alle politischen und technischen Untiefen gesteuert, auch als in diesem Sommer eine Diskussion um den Namenspatron aufkam. James Webb soll als NASA-Chef in den 60er Jahren an der Entlassung homosexueller Mitarbeiter mitgewirkt haben – allerdings ließ sich dafür in den Archiven kein Beleg finden. Eine von Kritikern geforderte Umbenennung lehnte die NASA ab. Nun blicken alle nach vorn und freuen sich auf die kalten Daten aus dem All.

„Das Teleskop ist wirklich cool. Nicht nur, weil es für uns ein sehr emotionales Projekt ist – auch technisch ist es im Wortsinne cool. Spiegel und Kameras befinden sich immer im Schatten des Sonnenschirms und sind so etwa minus 230 Grad Celsius kalt – anders lässt sich die schwache Infrarotstrahlung nicht empfangen. Die MIRI-Kamera muss sogar noch kälter sein. Dafür gibt es an Bord einen Gefrierschrank, ganz ähnlich einem aus der Küche, allerdings etwas komplizierter. Diese Kamera wird auf minus 266 Grad Celsius gekühlt, nur noch sieben Grad über dem absoluten Nullpunkt.“

Die Laufzeit von JWST ist definitiv begrenzt - fünf bis zehn Jahre

Welche Objekte James Webb als erste beobachten wird, ist noch geheim. Die genaue Auswahl hängt zudem davon ab, ob der Start wie aktuell geplant am 22. Dezember erfolgt oder ob es doch noch weitere Verschiebungen gibt. In einem Punkt wird es James Webb Hubble sicher nicht gleich tun. Hubble ist mehr als dreißig Jahre nach dem Start zu einer schier unendlichen Geschichte geworden. Bei James Webb ist das nicht möglich, bedauert ESA-Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger:

„Um das Teleskop von einer Richtung in die andere schauen zu lassen, wird das mit chemischen Kaltgasmitteln gemacht. Oder auch um den Orbit zu stabilisieren. dass es uns nicht weg driftet. Und im Moment rechnen wir damit, dass dieses Kaltgas ungefähr 5 Jahre lang anhält. Die Hoffnung ist, dass wir 10 Jahre lang den Betrieb machen können. Aber garantiert ist er sozusagen erst mal für fünf Jahre.“

Auch fünf bis zehn Jahre dürften reichen, um dem Kosmos so manches Geheimnis zu entreißen. Mark McCaughrean, der als wissenschaftlicher Berater bei der ESA seit zwölf Jahren mit James Webb zu tun, freut sich, dass in wenigen Monaten die ersten kosmischen Bilder zu sehen sind – und sieht das neue Weltraumteleskop bereits als künftige Ikone der Himmelsforschung.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am JWST-Projekt stehen vor einem Modell des Weltraumteleskops
Ein Mammutprojekt, an dem unzählige Menschen mitgearbeitet haben - trotz seiner begrenzten "Lebensdauer" wird das JWST voraussichtlich ein Meilenstein der Wissenschaft (imago/Zuma)

Immenser Einfluss auf Bewusstsein und Kultur - wenn alles klappt

„Das Hubble-Teleskop hat eine enorme Wirkung auf die breite Öffentlichkeit und wie die Menschen Ausgaben für die Wissenschaft wahrnehmen. Fast jeder kennt Hubble-Bilder. Auch das James-Webb-Teleskop wird viele wunderbare Aufnahmen machen, die den Menschen die großen Fragen des Weltalls nahebringen. Es wird weltweit einen ganz ähnlichen Einfluss auf das öffentliche Bewusstsein und die Kultur haben.“

Die wissenschaftlichen Daten stehen, wie bei Hubble, allen Interessierten weltweit zur Verfügung – kostenfrei. Doch bis es so weit ist, hat das James Webb-Team noch einige Monate voller Bangen und harter Arbeit vor sich. Dann endlich wird das entfaltete und gut gekühlte Teleskop seinen Blick ins All werfen, so weit die Infrarot-Photonen tragen. Günter Hasinger:

„Wann immer Sie ein neues Auge öffnen, wird es einfach einen Riesendurchbruch ermöglichen. Ich gehe davon aus, dass James Webb neben dem, was jetzt sozusagen alles schon garantiert geplant ist, uns einfach fantastische neue Entdeckungen liefert, von denen wir noch überhaupt nicht zu träumen wagen.“