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Zur Kritik an Russland-Politik der SPD
"Seehofer verhält sich äußerst fahrlässig"

Die Regierung streitet um die richtige Russland-Politik: CSU-Chef Seehofer wirft Außenminister Steinmeier vor, nicht hinter dem kritischen Kurs der Kanzlerin zu stehen. Dem widerspricht der Russland-Beauftragte und SPD-Politiker Gernot Erler im DLF scharf.

Gernot Erler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.11.2014
    Porträt von Gernot Erler
    Der SPD-Politiker Gernot Erler ist Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit (dpa / Patrick Seeger)
    Erler nennt Seehofers Äußerungen "äußerst fahrlässig". Er provoziere damit internationale Irritation. Denn bisher werde Deutschland eine Führungsrolle in der diplomatischen Krise mit Russland zugesprochen, und auch in Europa genieße die Regierung viel Vertrauen. Der CSU-Chef hatte Frank-Walter Steinmeier am Wochenende davor gewarnt, eine eigene Diplomatie neben der Bundeskanzlerin zu betreiben. Dies wäre "brandgefährlich", betonte er - und kündigte an, das Thema am Dienstag im Koalitions-Ausschuss zur Sprache zu bringen.
    Im Zuge der Verhandlungen mit Russland hatte Merkel Putins Kurs hart kritisiert, Steinmeier hatte dagegen den Dialog mit Russland betont. Erler sieht allenfalls Unterschiede in der Wortwahl, nicht aber in der Sache. Merkel habe rund 40 Mal mit Putin gesprochen und in Brisbane vier Stunden ergebnislos mit ihm konferiert. Von dieser Frustration habe ihr harscher Ton hergerührt. Steinmeiers Aufgabe sei es hingegen, den Dialogprozess fortzuführen, denn der Kurs der Regierung sei eindeutig: Eine militärische Lösung des Konflikts müsse vermieden werden.
    Zur Forderung des Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, die Krim-Annexion zu akzeptieren, sagte Erler, es sei nicht vernünftig, dieses Thema jetzt auf die Tagesordnung zu bringen. Eine Deeskalation in der Ostukraine sei jetzt vordringlich.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Wenn man es mit der schwarz-gelben Koalition vergleicht, dann geht es in der Großen Koalition wieder mal relativ harmonisch zu. CDU, CSU und SPD arbeiten ihren Koalitionsvertrag ab, ohne dass es zu größerem Geschrei käme. Jetzt aber ist von Spaltung die Rede. Es geht um die Russland-Politik der Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel hatte scharfe Worte gefunden, nachdem ihr Gespräch mit Präsident Putin in Brisbane folgenlos blieb, während Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Mäßigung aufrief - und das am selben Tag. Zuletzt hatte die Forderung von Matthias Platzeck für Irritationen gesorgt: Der Westen müsse die Annexion der Krim völkerrechtlich anerkennen, meinte er und korrigierte sich erst, als ein Sturm der Entrüstung über ihn hereinbrach. Jetzt schlägt CSU-Chef Seehofer einen deftigen Ton an. Er will das Thema Russland-Politik der SPD zum Thema machen beim Koalitionsausschuss, der morgen stattfinden soll.
    Am Telefon ist Gernot Erler von der SPD, Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Erler!
    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Ist die SPD ein unsicherer Kantonist?
    Erler: Nein, das ist sie nicht, und Herr Seehofer, finde ich, verhält sich äußerst fahrlässig, denn es entsteht jetzt auch international eine Irritation ohne realen Hintergrund. Die bisherige Stärke der EU in diesem Konflikt beruhte ja gerade auf der Handlungsfähigkeit über Konsensbildung. Und hier wird suggeriert, es gäbe da Uneinigkeit ausgerechnet bei der Regierung des Landes, das am stärksten bei diesem Konflikt in die Verantwortung genommen wird. Und das ist wirklich fahrlässig.
    Heckmann: Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister, der hat bereits auf den Vorwurf auch reagiert, gestern in der ARD. Er hat zu dem Vorwurf Stellung genommen, er betreibe eine Nebendiplomatie.
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "Das gibt es, glaube ich, in keinem Land der Welt, dass der Außenminister vor einer Außenpolitik gewarnt wird. Dafür ist er zuständig nach meinem Dafürhalten."
    Heckmann: Sie sagen, Herr Erler, Herr Seehofer verhalte sich fahrlässig. Weshalb tut er das aus Ihrer Sicht?
    Erler: Ich könnte das abkürzen und sagen, das ist Wichtigtuerei, aber er hat ja hier auch hingewiesen auf Probleme bei der Meinungsbildung in der CSU in Sachen Russland-Politik. Ich finde, wenn er da Probleme hat, dann sollte er die lösen, aber damit nicht die Bundespolitik belasten. Denn wir haben sehr viel Vertrauen für unsere Politik in ganz Europa. Wir haben da ja auch ungewollt eine Führungsrolle übernommen. Und jetzt da wieder provinzielle Probleme reinzubringen und damit diese Politik zu schwächen, ist nicht zu verantworten in der Situation, in der wir sind.
    "Richtig, dass man jetzt keine Brücken abbauen will"
    Heckmann: Das heißt, Sie sagen, Herr Erler, es gibt da überhaupt gar keine Unterschiede in der Linie zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Außenminister. Aber es ist doch so, dass da durchaus unterschiedliche Signale ausgegangen waren in den letzten Tagen. Die Bundeskanzlerin, die hat in Sidney in ihrer Rede ganz klar gesagt, klipp und klar und mit scharfen Worten auch versehen: Moskau trete das Völkerrecht mit Füßen: Und am gleichen Tag ruft der Außenminister dazu auf, wir sollten uns mäßigen, wir sollten die Türen nicht zumachen. Das sind doch durchaus unterschiedliche Akzente.
    Erler: Ich sehe da allenfalls Unterschiede in der Wortwahl, aber nicht in der Sache. Und das ist doch eigentlich entscheidend. Ich habe Verständnis dafür, dass die Bundeskanzlerin, die an die 40 Mal in den letzten Wochen mit dem russischen Präsidenten gesprochen hat und in Brisbane vier Stunden lang mit ihm konferiert hat und leider dabei nicht richtig vorwärtsgekommen ist, dass sie frustriert ist und dass sie auch deutlich machen will ihren Unmut über diese Ergebnislosigkeit von so viel Bemühungen. Und trotzdem ist es auch vollkommen richtig, dass man jetzt keine Brücken abbauen will, keine Brücken versperren will. Das will auch die Bundeskanzlerin nicht. Das hat sie auch ausdrücklich immer wieder gesagt.
    Heckmann: Aber es wirkte doch ein bisschen so, dass Steinmeier auf Angela Merkel reagiert hat.
    Erler: Den Eindruck hatte ich nicht. Steinmeier muss dafür sorgen, dass der Dialogprozess fortgesetzt wird. An dem ist er ja auch maßgeblich beteiligt. Und in den entscheidenden Fragen, nämlich dass aus unserer Sicht es auf keinen Fall eine militärische Lösung des Konflikts gibt, dass man auf jeden Fall diesen Konflikt weiter versuchen muss, im Dialog mit der russischen Führung zu lösen, und dass dabei alle Gesprächskanäle, die möglich sind, genutzt werden müssen, besteht völlige Einigkeit.
    Heckmann: Das Problem zu lösen, gehört dazu aus Ihrer Sicht auch, wie Matthias Platzeck das möchte, sogar die Annexion der Krim anzuerkennen oder völkerrechtlich zu regeln, wie er es jetzt neuerdings formuliert?
    Erler: Also ich bin froh, dass Matthias Platzeck das als ein Sprecher einer sehr wichtigen Vereinigung, des Deutsch-Russischen Forums, klargestellt hat, was er gemeint hat. Ich habe auch mit ihm persönlich gesprochen. Wir sind uns in einem Punkt nicht einig, nämlich darin, ob es jetzt vernünftig ist, zu diesem Zeitpunkt das Thema Krim auf die Tagesordnung zu bringen. Die deutsche Politik in der Tat konzentriert sich völlig auf eine Deeskalation in der Ostukraine, wo wir tagtäglich Opfer haben, und insofern ist das vordringlich, dort zu versuchen, eine Lösung zu finden. Und ich persönlich glaube auch, dass man das ganz schwierig mit einem nachträglichen Versuch einer Entschärfung des Krim-Themas in Verbindung bringen kann. Das würde die Ziele, die man hat in der Ostukraine, eher erschweren. Aber da ist Matthias Platzeck anderer Meinung und das habe ich zu respektieren.
    Auf Deeskalation in der Ukraine konzentrieren
    Heckmann: Ich habe nicht unbedingt den Eindruck, dass da jetzt mehr Klarheit herrscht, denn er spricht jetzt ja nicht mehr davon, die Annexion nachträglich anzuerkennen, sondern davon, diese Frage völkerrechtlich zu regeln. Was soll das anderes heißen?
    Erler: Na ja. Ich meine, das ist ja völlig klar. Wenn man eine militärische Lösung ausschließt, dann wird es irgendwann mal Gespräche zwischen Russland und der Ukraine über dieses Thema geben müssen. Die Frage ist nur, ob wir jetzt in dieser Situation das einfordern sollten, sondern uns nicht lieber konzentrieren sollten auf die Deeskalation in der Ostukraine, wie gesagt, wo es immer noch mit Waffen hin und her geht und jeden Tag Leute den Tod finden.
    Heckmann: Zu den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland gehört der sogenannte Petersburger Dialog, der aber in den letzten Jahren verstärkt unter Kritik stand. Jetzt soll der neu aufgestellt werden. Er soll möglicherweise gelöst werden vom Deutsch-Russischen Forum, dieser Wirtschaftsvereinigung, die von Matthias Platzeck geführt wird. Andreas Schockenhoff von der Union, der hat heute ganz klar gesagt, Matthias Platzeck hat sich eindeutig disqualifiziert mit seiner Äußerung. Sehen Sie das auch so?
    Erler: Also ich würde das mal den Vereinen, die hier betroffen sind, selber überlassen, wen sie geeignet halten, an der Spitze zu stehen. Das Deutsch-Russische Forum, was übrigens nicht nur ein Wirtschaftsforum ist - ich gehöre dem auch selber an -, hat Matthias Platzeck zum Vorsitzenden gewählt und bisher habe ich nicht den Eindruck, dass man das dort bedauert hat. Das ist Sache des Deutsch-Russischen Forums und nicht Sache von Herrn Schockenhoff.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.